Cover

DIE BRONZENE BÜSTE VON STRASCHNITZ – EIN PITAVAL

In den Medien ist 1992 zu lesen, dass Grabräuber die Büste des Rasenden Reporters Kisch auf dem Weinberger Friedhof in Prag vom Sockel gerissen und gestohlen hatten. Nach einem erneuten Diebstahl 2001 blieben die beiden etwa 45 Zentimeter hohen Büsten verschollen. Im Jahr 2003 wurde die Büste zum dritten Mal ersetzt. Wie beim vorherigen Mal fertigte der Bildhauer Zdenek Hosek die Büste an; dieses Mal zeigte das Konterfei des Autors ihn mit einer Zigarette im Mundwinkel und unterschied sich so von der ursprünglichen Büste. Im Jahr 2005 wurde laut dpa durch eine Mitarbeiterin des Friedhofs Strašnice ein erneuter Diebstahl der Kisch-Büste bestätigt.

 Ein Foto zeigt anstelle der Bronze-Büste, entsprechend der jüdischen Tradition, von Besuchern abgelegte Steine auf der Marmorstele. Die Grabinschrift wirkt verwittert und ist kaum zu lesen. Da noch die Inschrift seiner Frau Gisl fehlt, die 1962 starb, ist das Bild, obwohl mit 2007 datiert, offensichtlich wesentlich älteren Datums. Ein vom November 2009 datiertes Foto zeigt eine immer noch (oder schon wieder?) ohne Büste verwaiste Marmorstele; jedoch ist die Grabinschrift goldfarben restauriert worden. Auf einem Foto von September 2011 sieht der Betrachter die Marmorstele mit einer bronzenen Büste des Autors, die auf einem Sockel mit dem Schriftzug Kischs steht; in seinem linken Mundwinkel steckt eine Zigarette.

 Wie beginnt eine Kriminal-Reportage? Am besten am Tatort.

 Aber es ist verwirrend. In den Meldungen zu den unterschiedlichen Diebstählen werden zwei verschiedene Stadtteile im Osten Prags für das Grab Kischs genannt: Vinohrady und Strašnice. Einmal wird vom Weinberger Friedhof (Vinohradský hřbitov), ein anderes Mal vom Friedhof Strašnice geschrieben. In einem ersten (ernstzunehmenden) Hinweis im Buch „Kisch war hier“ ist zu lesen: „Im Urnenhain auf dem Friedhof Strašnice erhebt sich in der 3. Reihe mannshoch eine Stele – gekrönt von einer Büste ...“ Gesucht werden muss also ein Urnenhain. Wie’s scheint, kein leichtes Unterfangen auf dem zweitgrößten Prager Friedhof, der eine Fläche von zirka zehn Hektar umfasst und auf dem es etwa 16.000 Gräber gibt. Die in tschechischer Sprache verfasste Internet-Seite über den Friedhof in der Vinohradská 294, Praha 10 – Strašnice hilft weiter. Der Weinberger Friedhof (Vinohradský hřbitov) wurde im Jahr 1885 gegründet und erfuhr eine dreimalige Erweiterung. Er diente vor allem wohlhabenden Prager Familien. Die meisten Gräber stammen vom Ende des 19. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Hier sind auch viele bedeutende Persönlichkeiten beigesetzt. Als Sehenswürdigkeit werden ein zentrales Kreuz am Eingang und eine neogotische Kapelle erwähnt. Die 1897 vom Architekten Antonin Turek konzipierten Arkaden enthalten 14 Gräber, darunter auch das Grab der Familie von Vaclav Havel. Durch ein schmales Tor, dass 1932 eine Verbindung zum Friedhof Popelnicová Gasse schuf, kommt man an deren Ende zum Krematorium Strašnice; daneben befinden sich ein Kolumbarium, welches die Urnen in reihenweise übereinander angebrachten Nischen aufbewahrt, und der (gesuchte) Urnenhain. Somit ist der Tatort dingfest gemacht.

 Aber was ist mit den Tätern? Vermutet werden sowohl antisemitische Vandalen, als auch Souvenir-Jäger, Kisch-Fans oder einfach nur Diebe. Täter brauchen ein Motiv.

 Kisch war Jude und Kommunist; aus beidem machte er keinen Hehl. Das wäre ein zweifaches Motiv für Neonazis. Diese sind auch in Tschechien vertreten und rufen die Mobilmachung gegen alles sie Störende aus: Roma, Juden und Homosexuelle gehören zum bevorzugten Feindbild. Ihren Hass bringt die rechte tschechische Szene mit Symbolen des deutschen Faschismus zum Ausdruck. Das klingt paradox, wenn man bedenkt, dass die Slawen im nationalsozialistischen Duktus als *minderwertige Rasse* eingestuft wurden. Einer der führenden Extremismus-Forscher des Landes Zdenek Zboril erklärt diese Entwicklung so:

„Für die Neonazis im heutigen Tschechien sind Hitler und vor allem die SS Helden - auch weil sie im zweiten Weltkrieg gegen die Bolschewisten in Russland gekämpft haben. Darin zeigt sich ein Anti-Kommunismus und eine politische Heimatlosigkeit der jungen Leute, die sich nach dem Transformationsprozess Anfang der Neunziger Jahre entwickelt hat. Ein Anti-Kommunismus, dem heutzutage vor allem junge Männer anhängen, die gar keine Erfahrung mit dem Kommunismus haben. Sie akzeptieren ihn ohne persönlichen Hintergrund und ohne historische Kenntnisse, auch ohne Kenntnisse des Nationalsozialismus. [...]“

 Fraglich bleibt, ob Täter aus der Neonazis-Szene einfach nur die Büste von Kischs Grab stehlen würden, ohne eine Art Bekenntnis ihrer Ideologie zu hinterlassen. (Man denke an Schmierereien und sinnlose Zerstörung auf jüdischen Friedhöfen.) Ausschließen sollte man dies jedoch nicht grundsätzlich; das hat der Umgang in der Motivsuche zu den Ermordungen von türkischen und griechischen Menschen in Deutschland gezeigt. Hier wurde in der Polizeiarbeit über zehn Jahre ein rechtsextremer Hintergrund negiert ... Bis zwei Selbstmorde und Bekennervideos eine andere Wahrheit offenbarten ...

 Ist eine 25 Kilogramm schwere Büste es wert, gestohlen zu werden? Der reine Geldwert von 25 Kilogramm Bronze beläuft sich auf zirka 200 Euro. Betrachtet man Aufwand und Nutzen, ist ein Diebstahl um der Bronze willen wohl eher nicht der Grund. Mehr Geld spült die bronzene Büste wahrscheinlich in die Kasse der Diebe, wenn die Büste an Liebhaber von Büsten im Allgemeinen oder an Kisch-Liebhaber im Speziellen weiter verkauft werden kann. Und Fans hat Egon Erwin Kisch besonders in Prag immer noch. Davon weiß auch der Nachlassverwalter Miroslav Kucera zu berichten. Er betreibt den Nachlass Kischs ehrenamtlich, im Auftrag des tschechischen Schriftstellerverbandes. Anfangs hatte Kucera noch ein eigens dafür eingerichtetes Büro. Als dies zu teuer wurde, zog er kurzerhand um: „in eine Kneipe nahe der Moldau in Prag. *Zu den Flößern* heißt sie, und Kuceras angestammter Platz ist an einem Holztisch zwischen Eingangstüre und Tresen.[...]“, so zu lesen in der *Jüdischen Allgemeine* 2008. Bisher konnte der zeit-, nerven- und geldaufreibende Wettkampf mit den Dieben immer wieder zu Gunsten eines neuen Abgusses der Büste entschieden werden. Die dafür benötigten 8.000 Euro kamen über verschiedene Spender und Mäzene zusammen, wie z.B. von Rudolf Augstein und vor allem vom tschechischen Schriftstellerverband. Kucera vermutet über den Tathergang: „Die [Diebe - Anm. der Autorin] müssen irgendwann nachts kommen, denn ansonsten würde das ja jemand beobachten [...].“ Diebe, die außerhalb der Öffnungszeiten kommen, über die Mauer des verschlossenen Friedhofs klettern müssen, um über selbige eine 25 Kilogramm schwere Büste zu hieven? Das klingt unwahrscheinlich, oder?

 Folgende Geschichte ist denkbar:

Um so unauffällig wie möglich, und wie auch nötig, sein zu können, haben die Diebe das Areal und die Begebenheiten vorher ausbaldowert. Dabei stellten sie fest, dass das Prager Bestattungsunternehmen *tranquillitas* dort die Geschäfte betreibt. Es werden Arbeitslatzhosen, ein Transporter, Werkzeug und T-Shirts mit dem nachempfundenen Logo des Bestattungsunternehmers besorgt. So ausgerüstet ist es ein Leichtes, die bronzene Büste bei Publikumsverkehr am helllichten Tag zu stehlen; quasi als Meisterdiebe.

 Und ganz im Sinne Kischs wurden hier Dinge erfunden, die sich durchaus so hätten ereignen können ...

Kucera ergreift jedoch auch entsprechende Maßnahmen nach dem letzten geglückten Diebstahl: „ ... und diesmal werden wir die so bombig befestigen, dass niemand sie mehr vom Sockel holen kann.“ Vielleicht liegt es an der (bombigen) Befestigung, dass die bronzene Büste in Straschnitz an ihrem Bestimmungsort verweilt; vielleicht hat die sinkende Nachfrage dazu geführt, dass die Büste nicht mehr gestohlen wird.

 Abschließend sei noch dies vermerkt: „Ein Denkmal ist ein berühmter Mann in Marmor oder Bronze, der schutzlos in Wind und Regen steht und den Tauben als Toilette dient.“ (Peter Sellers) Bleibt zu hoffen, dass sich künftig nicht nur die Tauben an der Marmorstele mit der bronzenen Büste von Straschnitz erfreuen können. 

 

 

Impressum

Texte: Signe Winter
Bildmaterialien: BookRix-Editon
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /