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Inhalt

 

 

 

 

 

Für alle unschuldigen Opfer von Krieg, Gewalt und sinnloser Zerstörung.

 

Die Schriftsteller können nicht so schnell schreiben, als die Regierungen Kriege machen können; denn das Schreiben verlangt Denkarbeit.

- Bertolt Brecht

 

Noch sind wir zwar keine gefährdete Art, aber es ist nicht so, dass wir nicht oft genug versucht hätten, eine zu werden.

- Douglas Adams

 

Ich mag es zu leben. Ich war manchmal wild verzweifelt, sehr elend und voller Trauer, aber durch all das weiß ich immer noch mit Sicherheit, dass es großartig ist, nur am Leben zu sein.

- Agatha Christie

 

 

 

 

 

 

Prolog

Ich hatte Daniel zwei Wochen nicht gesehen. Wir waren drei Monate zusammen und es lief ganz gut zwischen uns. Ich total vernarrt in den sportlichen Jungen, der in der Jugendmannschaft Handball spielte und immer einen lockeren Spruch drauf hatte.

 

"Du musst mal raus aus dem Schulalltag", hatte Mama gesagt und mir feierlich ein Ticket nach Italien überreicht, "lass dich verwöhnen, spann mal aus, treff dich mit anderen Jugendlichen in deinem Alter, mach Sport und geh' schwimmen. Es wird dir gut tun."

 

Vielleicht hatte sie damit nicht ganz unrecht gehabt, aber in völlig anderer Weise, als sie es sich vorgestellt hatte.

 

Aus reiner Langeweile hatte ich mir ein Tattoo stechen lassen und meine Haare neu gestylt. Punkig frech, knallrot und mit einem Undercut auf der rechten Seite.

 

Von den politischen Differenzen der Großmächte erfuhren wir in Italien nur wenig. Zum Unterhaltungsprogramm gehörten die aktuellen Nachrichten nicht.

 

Erst kurz nach der Landung wurden wir informiert und noch vom Rollfeld aus in einen unterirdischen Bunker gebracht.

 

Daniel und ich telefonierten miteinander, um uns zu verabreden, und ich versprach, ihn zu treffen, sobald wir nach Hause durften.

 

"Ich liebe dich", sagte er noch. Dann war die Verbindung tot, Daniel und meine Familie, Freunde und Verwandte ebenso, und mein bisheriges Leben zerfiel in Schutt und Asche.

 

Leben nach der Katastrophe

Von der großen Katastrophe, die das Leben für alle komplett auf den Kopf stellte, gibt es viele Geschichten. Jeder kann eine erzählen, und viele von uns haben lange von nichts anderem geredet.

 

Es war immer ein Weg, die Trauer um den Verlust zu verarbeiten. Jede von uns hat Menschen verloren, die uns wichtig waren, die wir geliebt haben und mit denen wir unser Leben geteilt haben.

 

Und letztlich war es unser ganz normales Leben, von dem wir uns verabschieden mussten. Nichts war danach mehr, wie es vor dem 24. April 2032 gewesen war. Selbst diejenigen von uns, die nicht das Privileg genossen hatten, in wohlhabenden Verhältnissen, in einer intakten Familie und ohne finanzielle Sorgen aufzuwachsen, hatten plötzlich nichts mehr, außer den Kleidern, die sie am Leib trugen.

 

Ein paar der Überlebenden kamen damit nicht klar. Ich erinnere mich an eines der Mädchen, das nicht länger alleine in diesem Trümmerfeld leben wollte und ihrem Leben ein Ende setzte, obwohl wir alles getan hatten, um ihr die Umstellung so gut es ging zu erleichtern.

 

Es war der Beginn eines Rituals gewesen, mit dem wir uns an unsere verlorenen Leben erinnerten. Jede Woche stiegen wir auf eine der Betonruinen, flüsterten die Namen von Menschen, an die wir uns gerne erinnerten, ein Gebet oder einen wertlosen Seufzer und warfen einen Betonbrocken in die Tiefe, um uns daran zu erinnern, dass wir fest standen und nicht fallen würden.

 

Damals hatten wir auch entschieden, den Namen der Trümmerstadt in 'Crashmere' zu ändern. Es war ein Teil des Versuchs, mit unserem alten Leben abzuschließen, damit wir nach vorne schauen und uns nicht länger an die Vergangenheit zu klammern. Mariana hatte die Idee gehabt, und wir hatten gemeinsam beschlossen, den Vorschlag zu akzeptieren.

 

Unsere kleine Gemeinschaft bestand aus 14 Mädchen. Am Anfang waren wir einige mehr gewesen und auch ein paar Jungs waren Teil der Gruppe, doch sie hatten schnell beschlossen, fortzugehen und sich einen anderen Ort zu suchen, der besser für einen Neuanfang geeignet war.

 

Tamara und Mariana waren die jüngsten von uns und gerade mal 16 Jahre alt. Der Rest von uns war ein wenig älter, aber das spielte keine große Rolle.

 

Elena war die älteste der Gruppe. Sie war 21 Jahre alt und kannte das Leben auf der Sonnenseite noch gut. Sie hatte ein Leben in Wohlstand und Luxus vor der Katastrophe gehabt und konnte sich immer noch wie eine Schneekönigin freuen, wenn eine von uns ein Paar gut erhaltene Schuhe mit hohen Absätzen fand und ihr brachte, obwohl sie darin kaum über sie Trümmer Crashmeres klettern konnte.

 

Sandra war es, die unsere Raubzüge und die Suche nach Lebensmitteln, Trinkwasser und die Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens organisierte. Meist begleiteten sie ein paar von uns, und niemals kamen sie mit leeren Händen zurück.

 

"Ich würde gerne herausfinden, ob die Tunnels der U-Bahn noch einigermaßen intakt sind", regte Sandra bei einem unserer Beratungen an, "vielleicht können wir einen der Zugänge freiräumen."

 

"Was erwartest du, dort zu finden?" fragte Lorelei skeptisch, "verfaulte Leichen von toten Fahrgästen? Pendler, die noch einen Aktenkoffer mit Papieren und vollen Geldbörsen bei sich tragen?"

 

Lorelei hatte einen ausgeprägten Pessimismus. Nichts konnte man ihr rechtmachen und sie litt am meisten unter der Situation. Ständig hatte sie etwas auszusetzen, jammerte und war grundsätzlich dagegen, wenn jemand einen Vorschlag hatte.

 

"Ich weiß es nicht", antwortete Sandra, "aber es wäre einen Versuch wert. Vielleicht gibt es durch die Tunnels noch eine Verbindung nach draußen."

 

"Vielleicht hat einer von ihnen ein Smartphone, auf dem ein Stadtplan installiert ist", spottete Lorelei, "zu dumm, dass die ganze Elektronik durch den elektromagnetischen Impuls zerstört worden ist."

 

 

"Ich erwarte nicht, dass die Rolltreppen, Aufzüge oder die Fahrkartenautomaten noch funktionieren, aber vielleicht ist ein Teil des Tunnelsystems ja noch erhalten", wandte Sandra ein, "wir können es ja mal versuchen. Im schlimmsten Fall räumen wir zwei Tage lang Trümmer weg und stellen dann fest, dass von den Tunnels unter uns nichts mehr vorhanden ist."

 

"Ich bin dabei", sage Elena, "und ihr wisst, wie sehr ich es hasse, mir die Hände bei der Arbeit schmutzig zu machen."

 

Das war die richtige Einstellung. Elena kannte die Sonnenseiten des Lebens noch gut. Sie hatte einen guten Job und konnte sich ihren Wohlstand leisten, wohnte in einer schicken Wohnung, die sich die meisten von uns niemals leisten konnten, und galt als 'gute Partie', wenn sie sich irgendwann für einen der zahlreichen Verehrer entschied.

 

"Auch wenn die Chance nicht besonders groß ist, sollten wir es doch versuchen", ermutigte sie uns, "das ist besser als hier in den Trümmern zu verrotten."

 

Und damit hatte sie vollkommen Recht.

 

 

Beutezug

Wir räumten zusammen die Trümmer vor dem Zugang zur Subway aus dem Weg. Der Berg der Betonbrocken, den wir anhäuften, war beinahe vier Meter hoch.

 

Endlich war der Durchgang zum Eingang der Haltestelle frei und wir konnten die Treppe hinunter steigen, um uns im Untergrund von Crashmere umzusehen.

 

Zum Glück hatten wir noch genug von den improvisierten Fackeln, die wir benutzen konnten, und Tamara, die voran ging, sah sich vorsichtig um, ob nicht irgendwo Gas austrat, das sich von der Flamme entzündete.

 

Kurze Zeit später standen wir in der Haltestelle, in der etliche vertrockneten Leichen auf dem Bahnsteig lagen. Einige von ihnen mussten auf der Flucht zusammengebrochen sein.

 

Carmen und Nicole sahen sich das Gepäck der Menschen an. Einige der Berufspendler hatten Aktenkoffer dabei, aber die Brieftaschen, Geldbörsen und alte Zeitungen interessierten uns wenig.

 

"Seht mal, hier hat jemand einen Koffer aufgemacht und die Sachen durchwühlt", rief uns Carmen zu.

 

"Vielleicht hat es hier unten doch noch Überlebende gegeben", überlegte ich, "wir sollten sehr vorsichtig sein und nahe beieinander bleiben."

 

"Wenn ich doch nur mein Gewehr noch hätte", seufzte Becky, "oder wenigstens eine Pistole oder ein Messer. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir uns im Notfall verteidigen können."

 

Wir waren etwa einen halben Kilometer in den Tunnel gefangen, als wir einen Zug fanden, der in der Röhre steckte. Carmen und Nicole hebelten eine der Türen auf, und wir gingen durch die Wagen, sahen uns nach brauchbaren Sachen um, fanden aber auch hier einige Taschen und Aktenkoffer geöffnet und durchwühlt vor.

 

Im letzten Wagen brannten zwei Kerzen auf einem improvisierten Tisch und auf einem der Doppelsitze saß ein junger Mann mit einem ungepflegten Bart und langen, zottigen Haaren und schlief.

 

Er schreckte auf, als Carmen ihn weckte, und starrte uns ängstlich an.

 

Wir umringten ihn und Carmen durchsuchte ihn nach einer Waffe oder etwas, mit dem er uns gefährlich werden konnte, doch er erschien uns harmlos. Er war schmutzig und ausgemergelt.

 

"Was treibst du denn hier?" fragte Tamara ihn.

 

"Ich ... lebe hier", antwortete er, "falls man das noch ein Leben nennen kann."

 

"Du brauchst etwas zu essen", stellte Nicole fest.

 

"Und ein Bad", fuhr ich fort, "deine Sachen sollten dringend mal gewaschen werden."

 

"Meine Waschmaschine ist außer Betrieb", antwortete der junge Mann und grinste, "ist kaputt gegangen, als das Haus über dem

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Jenni Eales
Cover: Coverfoto; Jo Kassis (Pexels)
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2023
ISBN: 978-3-7554-3418-4

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