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Prolog

Orientierungslos stolperte der Mann durch den langen Gang, blieb immer wieder stehen und las die Schilder an den Türen, die alle gleich aussahen.

 

"Dr. Tilman Weller", las er laut und kicherte, "Assistenzarzt Chirurgie 2, Station 5. Hab ich dich gefunden!"

 

Er klopfte an die Tür, doch niemand antwortete.

 

"Macht wohl gerade Kaffeepause", grinste er, "oder flirtet mit einer der jungen Schwestern. Kann ich ihm nicht mal verübeln."

 

Wieder kicherte er wie ein Schuljunge.

 

"Dann ist der OP-Saal auch nicht weit", überlegte er laut, "ich muss Weller fragen, was wir heute operieren. Nicht dass ich noch einen Blinddarm entferne, obwohl der Patient ein Hirnaneurysma hat."

 

Wieder brach er in schallendes Gelächter aus.

 

"Das muss ich gleich Dr. Weller erzählen", gluckste er, "falls ich ihn irgendwo finde."

 

Eine Schwester kam den Gang entlanggeeilt.

 

"Herr Professor, da sind sie ja", rief sie ihm vorwurfsvoll zu, "wir haben sie schon überall gesucht. Sie sollten doch in ihrem... Zustand nicht alleine hier herumspazieren!"

 

"Oh Schwester Nora!" lachte er amüsiert, "Sie sind ja spaßig! Irgendwie hab ich mich schon wieder total verirrt. Keine Ahnung, was mit mir heute los ist, aber ich bin irgendwie gut gelaunt. Wo sind wir hier eigentlich?"

 

"Alles in Ordnung, Herr Professor", antwortete die Krankenschwester geduldig, "hier ist Ihr Sprechzimmer. Setzen Sie sich einfach an den Schreibtisch. Dr. Weller hat alles im Griff."

Drama in der Diskothek

Die Musik war laut und die Tanzfläche voll von Menschen, die im Rhythmus des Beats tanzten. Manche ganz für sich, viele mit einem Partner oder Partnerin und einige in einer kleinen Gruppe von Freunden, die sich regelmäßig in der Samstagnacht im 'Club Colosseum' trafen.

 

Isabella war mit ihrer Freundin Corinna hergekommen. Sie war froh, dass sie endlich sechzehn geworden war und ihre Eltern ihr erlaubten, bis um 11 Uhr auszugehen.

 

Der Innenraum des 'Club Colosseum' war wie eine römische Arena gestaltet. In der Mitte des runden Gebäudes war die Tanzfläche, die mit Säulen und Bögen aus Styropor und Gips von dem äußeren Ring abgeteilt war. Dort waren komfortable Lounges eingerichtet, wo man bequem sitzen konnte, und hier befand sich auch eine gut bestückte Bar, wo bunte Cocktails gemischt wurden. Falls man alt genug dafür war.

 

Ihre Freundin gab ihr ein Zeichen. Reden konnte man bei der Lautstärke nicht, aber sie verstanden sich auch ohne Worte richtig gut. Die beiden Mädchen verließen die Tanzfläche und gingen in die Damentoilette, prüften das Make-up und korrigierten ein wenig, bis alles wieder perfekt aussah.

 

"Hast du den Typ an der Bar gesehen, der ständig zu uns hergesehen hat?" fragte Corinna sie, "ich glaube, er steht auf dich."

 

"Bist du sicher?" Isabella war es nicht. So viele aufregende Frauen waren in dem Club und sie hatte immer das Gefühl, dass außer ihrer Freundin niemand sich für sie interessierte.

 

"Aber klar", versicherte Corinna ihr, "das war nicht zu übersehen. Wenn du es nicht vermasselst, wird er dich heute Nacht glücklich machen."

 

"An mir soll's nicht liegen", lachte Isabella.

 

"Hast du das Kondom?"

 

Isabella schob die Hand in die Tasche ihrer engen schwarzen Hose und versicherte sich, dass sie vorbereitet war. Corinna hatte ihr von ihrem letzten Besuch hier erzählt. Zwei Wochen hatte sie mit ihrer Freundin ungeduldig gewartet, bis Sie endlich wussten, dass ihre Nachlässigkeit keine Folgen hatte, die sie ihr Leben lang bereuen musste.

 

"Alles klar", sagte sie zu Corinna.

 

Mit klopfendem Herzen kehrten sie in den Saal zurück und setzten sich an die Bar.

 

Der junge Mann sah Isabella an und sie lächelte ihm zu. Er hatte sie tatsächlich bemerkt.

 

 

"Ich geh mal eine Runde tanzen", schrie Corinna ihr ins Ohr, "viel Spaß!"

 

Wenig später setzte er sich zu ihr.

 

"Hey, schönes Kind", sagte er zu ihr, "du bist mir schon die ganze Zeit aufgefallen. Darf ich dir was zu trinken ausgeben?"

 

"Sehr gerne", lächelte sie. Er sah von nahem noch viel besser aus, als aus der Ferne, "eine Cola wär super."

 

Er stand auf und quetschte sich durch die Gruppe, die sich um sie herum gebildet hatte.

 

"Ich bin Marcel", stellte er sich vor als er ihr schließlich die Cola brachte.

 

"Isabella", antwortete sie und nahm einen großen Schluck aus ihrer Cola.

 

"Schön dich zu treffen, Isabella", sagte Marcel zu ihr. "Wow, du hast wunderschöne Augen!"

 

Ihre Augen waren ihm eigentlich egal. Andere Körperteile interessierten ihn viel mehr. Ob er sie nicht doch noch flachlegen sollte, bevor er sie ablieferte?

 

Er seufzte. Das würde seinem Auftraggeber nicht gefallen. Seine Instruktionen waren klar und deutlich gewesen. Was für ein Jammer!

 

"Danke", strahlte das Mädchen, "du bist lieb." Ihr Lächeln war beinahe unwiderstehlich.

 

Corinna kam zu ihr herüber und sie entschuldigte sich bei Marcel, "lauf nicht weg, ich bin gleich wieder zurück", sagte sie zu ihm.

 

"Na, wie läuft es?" fragte Corinna sie.

 

"Oh, er ist süß", strahlte Isabella, "ich bin sicher, er interessiert sich wirklich für mich."

 

"Dann nimm ihn dir", ermutigte ihre Freundin sie, "du hast es dir verdient, auch mal deinen Spaß zu haben."

 

Isabella wurde ein bisschen verlegen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie hatte den Jungen an der Angel. Eigentlich konnte jetzt nichts mehr schiefgehen. Noch einmal kontrollierte sie, dass sich das Tütchen mit dem Kondom auch wirklich in ihrer Hosentasche befand.

 

Corinna nahm sie in den Arm und drückte sie. "Viel Spaß", grinste sie.

 

"Den werde ich haben", antwortete sie und sie kehrte zu Marcel an die Bar zurück.

 

"Möchtest du tanzen?" fragte sie ihn und trank den letzten Rest von ihrer Cola. Der letzte Schluck schmeckte bitter, aber sie dachte nicht weiter darüber nach.

 

"Gerne", sagte er, nahm sie an der Hand und führte sie auf die Tanzfläche.

 

Sie tanzten nahe beieinander in der dichten Menge der anderen Gäste. Isabella sah ihm in die Augen und er ließ seine Augen über ihren Körper wandern. Im schnellen Rhythmus der Musik tanzten ihre Beine ganz von alleine. Seine bewundernden Blicke und die Vorfreude auf den Rest der Nacht berauschte sie noch mehr, als der Spaß an dem Tanz und der Musik.

 

Ein wenig schwindelig wurde ihr dabei, aber sie versuchte es zu ignorieren. Diese Nacht würde sie voll genießen, so viel war klar.

 

Sie stolperte beim Tanzen über ihre eigenen Füße, doch Marcel reagierte und fing sie auf. Am liebsten würde sie ihn gleich jetzt fragen, ob er sie nach Hause begleiten würde, und...

 

Der Schwindel wurde stärker. Was war nur los mit ihr? Sie hatte ja nichts getrunken außer der Cola.

 

Die Musik, das farbige Licht der Scheinwerfer und die Nähe ihres Begleiters brachten sie in eine berauschende Stimmung und sie wünschte sich, dass dieses Gefühl niemals enden würde.

 

Wieder stolperte sie über ihre eigenen Füße, doch dieses Mal konnte er sie nicht rechtzeitig auffangen. Sie fiel wie in Zeitlupe, sah wie der Boden auf sie zu kam und verlor das Bewusstsein, als sie mit einem harten Aufprall unsanft landete.

Querschnitt

Sie erwachte mit einem tauben Gefühl und mächtigen Kopfschmerzen in einem fremden Bett. Sie öffnete die Augen und sah eine kahle weiße Zimmerdecke über sich. Wo war sie gelandet?

 

Marcel fiel ihr ein. War sie mit ihm nach Hause gegangen, wie sie es geplant hatte? Sie hatte keinerlei Erinnerung daran.

 

Sie drehte den Kopf und starrte verblüfft auf die Gitterstäbe des Krankenbetts. Was war passiert? Hatte sie einen Unfall gehabt?

 

Sie versuchte ihre Hand zu heben, ab ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie versuchte sich aufzusetzen, doch auch das gelang ihr nicht.

 

Elender Mist!

 

"Ich glaube, sie ist wach", hörte sie die Stimme einer Frau.

 

"Das wurde aber auch langsam Zeit", antwortete eine andere.

 

Das Gesicht der Krankenschwester erschien über ihr.

 

"Guten Morgen, Isabella", sagte sie freundlich, "ich bin Schwester Nora. Ich bin froh, dass du ausgeschlafen hast. Wie fühlst du dich?"

 

"Erbärmlich", antwortete das Mädchen, "als wäre eine Herde Elefanten über meinen Schädel getrampelt."

 

"Wir geben dir gleich etwas gegen die Schmerzen", versprach Schwester Nora, "doch zuerst rufe ich den behandelnden Arzt, damit er mit dir redet."

 

Au weia, das klang ernst. Gab es noch mehr schlechte Nachrichten, als das verunglückte Treffen mit Marcel? Sie hatte ihn noch nicht mal nach seiner Nummer fragen können.

 

Hoffentlich war er nicht sauer auf sie...

 

* * *

 

Dr. Thorsten Mahler war Facharzt für Neurologie und Hirnchirurg am Universitätsklinikum Heidelberg. Er galt als einer der Besten auf seinem Fachgebiet. Unter Kollegen hatte er den Ruf, galt als innovativ und experimentierfreudig zu sein, und er arbeitete mit High-Tech Firmen auf der ganzen Welt zusammen, was ihm neben der Finanzierung seiner ambitionierten Forschung auch Zugriff auf das beste Personal auf der ganzen Welt bot.

 

Bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war er nicht sehr beliebt. Er galt als kompromisslos und unbarmherzig. Alles musste nach seinem Kopf gehen, und wer einen Fehler machte, wurde vor versammelter Mannschaft gerügt und verlor schlimmstenfalls seinen gutbezahlten Job, falls er ersetzbar war.

 

Hinter vorgehaltener Hand nannte man ihn Dr. Schmerzlos, denn er schreckte bei seinen fragwürdigen Behandlungsmethoden nicht vor Eingriffen zurück, die seinen Patienten einiges an Schmerzen und Qual abverlangte.

 

Bei seiner Visite bei Isabella wurde er von einem langen Tross von Mitarbeitern begleitet.

 

"Ah, unser Querschnitt ist aufgewacht", begrüßte er ohne sich die Mühe zu machen, ihr die Hand zu schütteln, die sie ja sowieso nicht bewegen konnte. "Was machen wir nur mit dir? Ist sie stabil genug für einen Eingriff zur Implantierung des Chips?"

 

"Die Werte sind in Ordnung", antwortete einer der Assistenzärzte, "wenn sie zustimmt, können wir die OP in den nächsten Tagen einplanen."

 

"Sehr gut", antwortete Dr. Mahler, "reden Sie mit ihr und den Eltern, regeln sie die Formalitäten und verschieben sie alles, was für morgen Nachmittag geplant war. Das Mädchen hat oberste Priorität."

 

Und noch bevor Isabella noch eine ihrer vielen Fragen stellen konnte, war sein Besuch beendet und er verschwand mitsamt dem ganzen Tross an Begleitern.

 

Ihre Eltern warteten schon vor der Türe. Ihre Mutter sah müde und erschöpft aus. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen und die Haare nicht wie sonst perfekt frisiert.

 

"Oh Isa, du lebst", rief sie und begann schon wieder zu schluchzen. Sie stürzte zu ihr ans Bett.

 

"Hey Mom", antwortete Isabella, "noch bin ich nicht tot. Querschnittslähmung hat der Doktor gesagt."

 

"Kopf hoch", meinte ihr Vater und versuchte, optimistisch zu lächeln, "wir stehen das gemeinsam durch."

 

Auch das erschien dem Mädchen nicht besonders hilfreich. Er war ja nie da, wenn sie ihn gebraucht hätte.

 

Corinna war die nächste Besucherin.

 

"Du machst ja Sachen, Süße!" sagte sie zu ihrer Freundin und drückte sie.

 

"Sag mal, hab ich eigentlich mit Marcel geschlafen?" fragte Isabella ihre Freundin, "ich hab nichts mehr mitgekriegt..."

 

"Nein, du bist auf der Tanzfläche einfach umgefallen", antwortete Corinna.

 

"Zum Glück", sagte Isabella erleichtert, "hat er was gesagt? Will er mich wiedersehen?"

 

Jetzt wo ich behindert bin, wohl eher nicht, dachte sie enttäuscht.

 

"Ich glaube kaum", antwortete Corinna, "bis der Notarzt kam, war er spurlos verschwunden."

 

Na toll. So einen Lover hab ich mir immer gewünscht, dachte Isabella. Marcel konnte sie gern haben.

 

* * *

 

Der letzte Besucher war Dr. Tilman Weller, der Assistenzarzt, von dem Dr. Mahler gesprochen hatte.

 

"Können Sie mir helfen", fragte Isabella den Arzt, "oder bin ich jetzt für immer gelähmt? Muss ich mir in Zukunft immer von anderen helfen lassen und werde niemals mein eigenes Leben haben?"

 

"Es gibt einen neuen Ansatz", antwortete er, "offiziell ist es noch kein erprobtes therapeutisches Verfahren. Ein Mikrochip könnte eine Verbindung zwischen Gehirn und Nerven wiederherstellen. Um dich zu heilen bekommst du einen Chip ins Gehirn, mit dem du die Muskeln steuern kannst.

 

Na super. Immerhin gab es einen kleinen Funken Hoffnung für sie.

 

"Der Eingriff ist nicht ganz einfach", fuhr er fort, "aber wir haben ein sehr erfahrenes Team hier an der Uniklinik. Die Chancen, dass es funktioniert, sind nicht schlecht."

 

Er zögerte einen Moment lang. Das war die gute Nachricht gewesen.

 

"Natürlich wirst du vieles wieder lernen müssen, aber die Spezialisten in der Reha sind sehr erfahren. Wenn die Operation gut verläuft und der Chip sich mit dem Nervensystem verbindet, kannst du in ein paar Monaten wieder gehen. Vielleicht sogar wieder tanzen."

 

"Und surfen?", wollte Isabella wissen, "ich würde für mein Leben gern wieder auf einem Surfbrett stehen, über die Wellen reiten und das Wasser auf meiner Haut spüren."

 

"Ja, das

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Jenni Eales
Cover: Jenni Eales
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2023
ISBN: 978-3-7554-3412-2

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