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Prolog

Das Mädchen war spät unterwegs. Ihre Schicht war lang gewesen und sie war müde. Sie wollte nur noch nach Hause.

 

Sie bemerkte die finstere Gestalt, die ihr in einigem Abstand folgte. Auch das noch, dachte sie, ich hätte mir vielleicht doch lieber ein Taxi nehmen sollen.

 

Sie beschleunigte ihre Schritte und sah sich immer wieder um. Noch ein paar hundert Meter, dann war sie zuhause.

 

Hätte sie doch nur auf ihre Mutter gehört, die sie immer ermahnt hatte, vorsichtig zu sein, bei Dunkelheit nicht alleine aus dem Haus zu gehen und ein Pfefferspray in der Handtasche dabei zu haben.

 

Jetzt war ihr Verfolger dicht hinter hier. Sie begann zu laufen, doch er war schneller.

 

"Ich hab dich", zischte er ihr ins Ohr und stürzte sich auf sie.

 

"Bitte, lassen Sie mich in Frieden", bat sie ihn, doch er lachte nur.

 

"Wenn du schreist, bist du tot", zischte er ihr ins Ohr, "hast du verstanden?"

 

Sie nickte nur, Panik in den hübschen Augen und Entsetzen im Gesicht.

 

Jetzt stürzte sich der Mann auf seine Beute, roch den verlockenden Duft ihrer Haare und ihrer Angst.

 

Sein Durst war übermächtig, dass er sich nicht länger zurückhalten konnte. Das Mädchen schrie laut vor Schmerz auf, als er seine Zähne in ihr Fleisch stieß und ihr Blut kostete.

 

In der Nachbarschaft bellte ein Hund, ein Betrunkener stolperte über ihren toten Körper, als er nach Hause taumelte, der Nachtwind wehte eine alte Zeitung über den Gehweg.

 

Von der dunklen Gestalt war weit und breit nichts mehr zu sehen.

 

Aufruhr in Rom

Die Berichte über den grausamen Mord waren in allen Nachrichten. In Rom war eine junge Prostituierte grausam ermordet worden.

 

Spielende Kinder hatten die Leiche unter einer Brücke über den Tiber gefunden und die Polizei alarmiert. Die Tote war schnell identifiziert worden: Angelina Parvasi war eine billige Hure, die auf dem Straßenstrich anschaffte, um sich den nächsten Schuss, die nächste Flasche billigen Schnaps und die nächste Mahlzeit leisten zu können.

 

Auch die Todesursache war schnell gefunden: Sie lag ein einer Blutlache.

 

Zum Teil war das Blut, das noch ziemlich frisch war, in den Boden eingesickert, und auch ihre Kleidung war damit getränkt.

 

Was jedoch ungewöhnlich war und viele Fragen aufwarf, waren die Bisswunden an ihrem Hals.

 

 

Man munkelte, dass ein Vampir sie getötet hatte, und die Zeitungen brachten die wilde Spekulation auf ihren Titelseiten.

 

Der Mord und die mysteriösen Umständen waren natürlich das Gesprächsthema Nummer eins überall auf der Welt. Die Gerüchteküche brodelte mächtig und viele unglaubliche Geschichten waren in den Sozialen Medien zu finden, Diskussionen und sogenannte Tatsachenberichte.

 

Angebliche Zeugen versicherten, einen schwarz gekleideten Mann mit langen, dunklen Haaren und zwei spitzen Reißzähnen gesehen zu haben, der nachts in der Stadt sein Unwesen trieb, junge Mädchen im Schlaf überfiel und sie auf grausame Weise abschlachtete.

 

Ich hatte mit meinen Freundinnen 'Twilight' angesehen, für Edward und die wilden Vampire geschwärmt, über die lächerliche Geschichte herzhaft gelacht und bei Pizza und italienischem Wein über die Existenz von Vampiren diskutiert. Keine von uns hatte den Ammenmärchen von den Blutsaugern auch nur den geringsten Glauben geschenkt.

 

 

"Und doch gibt es diese Geschichten", hatte meine Freundin Daniela beharrt, "und oft findet man auch in der unglaublichsten Geschichte ein Körnchen Wahrheit."

 

"Ja sicher", hatte ich geantwortet, "die Wahrheit, dass junge und hübsche Mädchen gerne zum Ziel von Gewalttaten werden. Das ist doch nichts Neues. Wozu braucht es dann einen mysteriösen Vampir und das ganze Tralala, um das Mysterium zu erklären. Ein Typ wollte sie, sie wollte nicht und er war stärker. Und weil er dachte, er kommt damit davon, hat er sie umgebracht, damit sie ihn nicht anzeigt. Das passiert jeden Tag."

 

Daniela gab mir Recht und erzählte:

 

"Neulich hat mich in der S-Bahn so ein Typ angestarrt. Ein finsterer Typ, ganz in Schwarz, lange dunkle Haare und einem stechender Blick. Mein erster Gedanke war, so stelle ich mir einen Vampir vor."

 

"Wenn dich ein Kerl anstarrt, muss es nicht gleich ein Vampir sein", grinste ich, "wahrscheinlich hat er überlegt, ob er den Mut aufbringt, dich anzusprechen."

 

Die Mädchen kicherten. Das blonde Mädchen war einfach hübsch und zog viel Blicke auf sich.

"Keine Chance", hatte Daniela geantwortet, "er war viel zu alt und einfach nicht mein Typ."

 

Und trotzdem ließ uns die Geschichte der italienischen Hure nicht kalt, vor allem weil in der Öffentlichkeit kaum über etwas anderes geredet wurde.

 

Schon forderte die Politik mehr Budget für die Polizei, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten und solche Taten zu verhindern oder sie wenigstens aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

 

Viel größer war die Angst in Rom. Menschen gingen auf die Straße und forderten, dass etwas geschehen musste. Junge Frauen malten sich die Gesichter rot, versammelten sich mit Transparenten an verschiedenen Orten in Rom und demonstrierten gegen die Untätigkeit des Staates.

 

Noch immer war die Leiche der ermordeten Prostituierten nicht zur Bestattung freigegeben worden, und auch das führte zu Unmut und weiteren Fragen. Welchen Grund gab es dafür? Was verschwiegen die Behörden der Öffentlichkeit? Waren die Geschichten am Ende vielleicht doch wahr und ein brutaler Blutsauger trieb in den Nächten sein Unwesen?

 

* * *

 

Auch bei der Polizei war das Erstaunen groß. Kriminalobermeister Andreas Hinze hatte mit seinem italienischen Kollegen telefoniert.

 

"So etwas hast du noch nicht gesehen", sagte Luigi zu ihm, "ich bin gerade in der Pathologie gewesen und habe die Tote gesehen. Sie hat zwei Einstiche am Hals, wie man es aus diesen Vampirfilmen kennt."

 

"Das ist ja unglaublich", antwortete Hinze.

 

"Der Pathologe behauptet, das Opfer hätte viel mehr Blut verloren, als man am Tatort gefunden hat. Ganz Rom ist in Aufruhr. Menschen drehen in Panik vollkommen durch, viele gehen auf die Straße und protestieren gegen die Informationspolitik und die Schutzmaßnahmen des Staates, doch was sollen wir tun? Der Pathologe hat noch nicht einmal eine Nummer für die Todesursache ''Tödlicher Biss durch Vampir."

Du bist hier nicht sicher

Jeden Donnerstag fuhr ich mit dem Bus in die Innenstadt ins Ballettstudio.

 

Ich tanzte seit ich als junges Mädchen mit sechs Jahren meine erste Stunden bekommen hatte. Für mich war es der ideale Ausgleich für meine Arbeit am Computer, an dem ich den größten Teil meines Tages verbrachte.

 

 

Sport war sonst nicht so mein Ding. Fitnesstraining oder täglich joggen gab mir nichts. Anders war es mit dem Tanzen. Daniele belächelte mich gerne, wenn sie versuchte, mich auf einen Halbmarathon mitzunehmen. Für sie war Ballett kein ernsthafter Sport.

 

Doch ich nahm es ernst, machte Dehnübungen und meine Routine zum Aufwärmen, trainierte meine Posen und Drehungen, bevor ich die Musik einschaltete, um das Solo in Tschaikowskys 'Nussknacker' zu üben.

 

Laquita war meine Tanzlehrerin. Die Afroamerikanerin hatte in Chicago Ballett studiert und war als junges Mädchen Primaballerina am Dance Theatre of Harlem war, bevor sie nach Deutschland ausgewandert war.

 

Sie war eine gute Lehrerin und forderte Disziplin und hartes Training von mir, auch wenn ich ihr deutlich gemacht hatte, dass ich mir kaum vorstellen konnte, mein Hobby zum Beruf zu machen.

 

Ich trainierte oft mit Mimi zusammen. Ihr richtiger Name war Miryam und sie lebte sonst in der Nähe von Paris. Auch sie lebte zurzeit in Deutschland, wo sie nach dem Schulabschluss ihr Studium begonnen hatte.

 

Mimi war talentiert und nahm das Tanzen viel ernster als ich. Auch sie hatte wie ich rote Haare, die sie gerne zu einem Dutt hochsteckte.

 

"Mon Cherie, was macht die Liebe?" fragte sie mich und ich winkte ab.

 

"Ich kenne zu viele Kerle, die sich mit ihrem Job, ihrem Auto oder ihrem Besitz wichtigmachen", antwortete ich frustriert, "wo sind nur die schrägen Typen geblieben, die noch Träume haben, mit denen man über ernsthafte Themen reden kann und mehr von einem Mädchen erwarten, als ein flüchtiges Abenteuer."

 

"Mais non, Maren", widersprach Mimi, "du kannst nicht dein Leben lang auf einen Traumprinzen warten. Genieße das Leben, solange du jung bist."

 

Laquita unterbrach unsere Unterhaltung, bevor ich ihr antworten konnte.

 

"Mädchen, nicht zu viel plappern!" rügte sie uns, "konzentriert euch!"

 

"Jawohl, Madame!"

 

Später im Umkleideraum fragte mich Mimi: "Du bist doch hoffentlich nicht dem Bus gekommen. Oder etwa doch?"

 

"Na klar", antwortete ich.

 

"Du bist hier nicht sicher, wenn du mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs mit", sagte sie mit ernster Stimme, "wer weiß, ob sich nicht einer dieser

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Jenni Eales
Cover: Cottonpro Studio
Tag der Veröffentlichung: 02.03.2023
ISBN: 978-3-7554-3406-1

Alle Rechte vorbehalten

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