Und hier stehe ich. Im Regen. Das Wasser rinnt über meine nackte Haut und vermischt sich mit meinen Tränen, doch ich fühle es nicht. Ich fühle nichts. Weder die Kälte, die langsam von meinem Körper Besitz ergreift, noch meine nassen Haare, die mir klamm und nass auf meine Schulter fallen. Ich kann nur an das eine denken. An den Schmerz. An ihn. Es mag banal klingen, dass der Schmerz die Kälte übertönt, zumal es Herzschmerz ist. Aber ich kann euch sagen, mein Herz schmerzt verdammt nochmal. Und das nur wegen ihm! Ich meine, wie kann man nur mit Jemandem an seinem Geburtstag Schluss machen? Welches Monster macht das? Ich wette, er wusste nicht mal, dass ich heute Geburtstag habe, obwohl wir beinahe ein Jahr zusammen waren.
Warum hat er wohl Schluss gemacht? Wegen einer Anderen? Bei diesem Gedanken kocht Wut durch meinen Körper und ich möchte schreien. Ich möchte jemanden anschreien. Es muss nicht mal Jan sein, es kann jeder x-beliebige Mensch sein, ich möchte einfach nur meine Gedanken aus meinem Körper rausschreien in der Hoffnung, ich würde sie dann nicht mehr denken. Natürlich weiß ich, dass das nicht geht, aber ich will diesen Hoffnungsschimmer behalten. Den Hoffnungsschimmer, dass ich ihn und den an ihn gebundenen Schmerz vergesse.
Hat er mich mittlerweile vollständig aus seinem Gedächtnis gelöscht oder denkt er an mich? Bereut er es vielleicht sogar? Liebt er mich vielleicht sogar noch und hat nur Schluss gemacht wegen seinen Freunden oder Eltern?
Emma, nein. Hör auf solche Hoffnungen zu hegen. Ich muss mich selbst dazu zwingen, seine Augen in Erinnerung hoch zu rufen, als er einfach sagte: „ Ich will nicht mehr mit dir zusammen sein. Es ist aus.“ Kalt, ausdruckslos, und doch so wunderschön. Wunderschöne eisblaue Augen.
Ich schüttele meinen Kopf, um den Gedanken loszuwerden. Ich seufze. Wenn es doch so einfach wäre. Einfach den Kopf schütteln und dieser eine bestimmte Gedanke wäre verschwunden.
Etwas vibriert in meiner Hosentasche und ich kann gerade noch ein Schreien unterdrücken. Natürlich kann sich jeder Mensch aus dem 21. Jahrhundert zusammenreimen, dass es sich um ein Handy handelt, aber wenn man fernab von dieser Welt ist und stattdessen versucht, bei der Erinnerung an eisblaue Augen nicht wieder los zu weinen, scheint einem dieser Gedanke fern. Und außerdem, wer wagt es, mich in meiner Trauer zu stören?! Niemand soll die Trauer und Wut in meiner Stimme hören. Zugegeben ist es bei diesem Vorsatz nicht das Schlaueste hier im Regen zu stehen, wenn niemand einen sehen soll, aber ich war seit diesem einen Satz – der Satz, der mein Leben zerstörte – wie erstarrt. Vielleicht hat dieser Satz nicht mein Leben zerstört, aber es kommt einem am Anfang eben so vor, oder?
„Hallo?“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Krächzen, als ich den Anruf annehme. Vielleicht hätte ich einfach auf Auflegen drücken sollen, aber insgeheim sehne ich mich nach Menschennähe.
„Emma? Hey, bist du das?“ Sara. Ich stöhne genervt auf. Sie ist zwar eine meiner besten Freundinnen, aber nicht unbedingt die Person, bei der ich mein Herz ausschütten sollte.
„Ja, wer denn sonst?!“ Ich kann nicht anders, als sie anzufauchen. Ist ja irgendwie logisch, dass wenn sie mein Handy anruft, auch ich rangehen werde!!!
„Ganz ruhig. Ich wollte dir nur zum Geburtstag gratulieren. Also: Alles Gute und so. Ich hoffe, du hast bis jetzt schön gefeiert.“ Ich kann ihr Lächeln am anderen Ende der Leitung vor meinem inneren Auge sehen, doch diese Fröhlichkeit, diese Freundlichkeit ist einfach zu viel für meine gereizten Nerven.
„Ja. Ich hatte den beeeesten Geburtstag meines Lebens. Ohja, den besten.“ Ich seufze. Mir ist wieder nach weinen zu Mute, aber ich will nicht, dass Sara merkt, wie verletzt ich bin. Zu spät. Vielleicht hätte ich lieber das glückliche Geburtstagkind spielen sollen, aber dass sie meiner Stimme die Ironie angemerkt hat, merke ich zu spät.
„Was ist passiert?“
„Ach weißt du, ich habe die Kerzen von meinem Kuchen ausgeblasen und dabei ist etwas Rauch in mein Auge gekommen. Man, hat das gebrannt.“ Ich weiß nicht was in mich gefahren ist, dass ich so einen Schwachsinn von mir gebe. Ich weiß es echt nicht.
„Und das soll ich dir glauben?“
„Ja.“
„Ach komm schon, erzähl es mir.“
„Nein. Ich kann nicht.“ Meine Stimme ist zu einem Flüstern geworden und ich habe wieder Tränen in den Augen. Ich bin einfach nur ein kleines, verletztes Mädchen, das sich selbst und ihren Freunden noch nicht die Wahrheit eingestehen kann, obwohl sie die Wahrheit weiß.
„Okay, weißt du, was wir jetzt machen? Ich rufe Tanja und Maria an und dann treffen wir uns in dreißig Minuten bei dir zu Hause und du erzählst uns was passiert ist.“ Sara legt auf.
Ich will nicht darüber sprechen. Es auszusprechen, heißt zuzugeben, dass dies kein Traum ist. Wenn ich darüber nachdenke, habe ich immer noch Hoffnung, dass das alles nicht echt ist. Nur ein Hirngespinst meiner Fantasie. Aber bedeutet nicht schon allein die Tatsache, dass ich mir selbst eingestehe, dass es nur ein Hirngespinst sein könnte, dass ich vor mir selbst zugebe, dass es tatsächlich passiert ist? Ja, Jan hat mit mir Schluss gemacht. Jan hat mit mir Schluss gemacht. JAN HAT MIT MIR SCHLUSS GEMACHT!! Das ist die Wahrheit. Ich weiß es. Ich wusste es die ganze Zeit, doch noch hatte mein Gehirn diesen Gedanken nicht zugelassen. Die Sache, die passiert ist, nicht genau zu definieren, hat es unreal gemacht, aber ehrlich gesagt tut es mir gut, diese Wahrheit endlich akzeptiert zu haben. Und es hat noch mehr geholfen, die Wahrheit zu schreien, wenn auch nur innerlich.
Ich löse mich aus meiner Erstarrung und merke, dass meine Zähne klappern, und ich habe auch so das Gefühl, dass meine Lippen blau sind. Das Handy halte ich noch immer mit der linken Hand an mein Ohr gedrückt, lasse meine Hand aber sinken und mache mich auf den Weg nach Hause.
Ich darf mein Leben nicht von Jan beeinflussen lassen. Ich darf es mit nicht zu sehr zu Herzen nehmen, dass er mich nicht mehr liebt… Ja, Emma, richtig gehört: Er liebt dich nicht mehr. Und er ist es auch nicht wert, von dir geliebt zu werden… Aber es ist nicht einfach, ihn nicht mehr zu lieben, zudem nagt die Tatsache, dass er mit mir Schluss gemacht hat, immer noch an meinem Herz. Ich liebe ihn doch so sehr. Sofort habe ich wieder das Gefühl, in Tränen ausbrechen zu müssen.
Nicht darüber nachdenken. Nicht darüber nachdenken!
Was gibt 4*867?? Okay, vier mal 800 ist… Ach das hat doch keinen Sinn. Rechnen lenkt mich doch nicht ab. Ich muss den Schmerz zulassen und warten bis er schwächer wird. Irgendwann wird er schwächer werden. Aber wann ist dieses Irgendwann? In 10 Jahren? Morgen? Wann wird der Herzschmerz fortgehen? Wann?!
Texte: Alle Rechte gehören mir. Ich habe den Text selbst geschrieben. Das Cover-Bild habe ich bei google gefunden.
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2011
Alle Rechte vorbehalten