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Liebe kennt keine Zeit

Ich drehe am Rädchen des staubigen alten Radios, um eine hörbare Frequenz zu suchen und finde schließlich einen Sender, wo schöne Musik, Downtown von Petula Clark, gespielt wird. Ach, schön. Mit einer rhythmischen Fußbewegung begebe ich mich leicht schwingend zu meinem gemütlichen Stoffsessel. Die alte Hüfte macht es mir allmählich schwerer, mich einfach hinzusetzen und einmal in dieser gemütlichen Lage, verlasse ich meine Oase auch nicht so schnell.

 

Meine Lesebrille liegt auf meinem Exemplar von Wem die Stunde schlägt, auf der breiten Armlehne, doch bevor ich danach greifen kann, vernehme ich die ersten Töne des nächsten Liedes.

Hey, hey Paula. I wanna marry you. Hey, hey Paula. No one else could ever do. I've waited so long for school to be through...

 

Ich erstarre in der Haltung, mit der rechten Hand über der Brille ruhend, und dem Blick am Boden gefesselt, als würde sich dort ein Portal in eine andere Zeit öffnen. Mein Blick wird ganz weich, als mich eine sanfte Stimme zurückholt.

"Schatz, das ist das Lied, zu dem wir unseren ersten Hochzeitstanz hatten, erinnerst du dich? Oh, es ist, als wäre ich gerade wieder dort." schwärmt Elizabeth an die Decke blickend und senkt die Hände gedankenverloren mitsamt Strickzeug in den Schoß.

"Ja, ja ich erinnere mich." ein trauriges Lächeln breitet sich auf meinen zittrigen Lippen aus und ich blicke meiner Liza in die Augen.

 

Die langen weißen Haare fallen ihr engelsgleich über die Schultern und ihr bezauberndes Lächeln spiegelt sich in dem Funkeln ihrer Augen wieder. Ich sehe die Szenerie des Tanzes so klar, wie ich meine Hand sehen würde, hätte ich die Sehbrille auf. Die Platte spielte und in dem großen Tanzsaal sahen uns alle erwartungsvoll an, doch wir achteten nur auf unseren jeweiligen Gegenüber. Wir schwangen über das Parkett und es war, als wäre niemand dort, bis lediglich das Rauschen der zu Ende gelaufenen Schallplatte zu vernehmen war. Und der eifrige Applaus im Anschluss.

 

"Ich wünschte, wir könnten es noch einmal erleben. Zumindest diesen einen Tanz." meine ich, zurück aus dem kurzen Tagtraum und erblicke wie meine Liza, wie als Antwort, aufsteht und mit tänzelnden Schritten singend auf mich zukommt.

True love means planning a life for two. Being together the whole day through. True love means waiting and hoping that soon wishes we've made will come true...

 

Ich erhebe mich mühsam aus meiner Oase und sehe ihr beim Tanzen zu. Meine müden Knochen können sich lange nicht mehr so bewegen, wie sie elfengleich einen Walzer vorgibt mit mir zu tanzen. Oh, ich wünschte die Zeit wäre nicht mein Feind, doch ich muss sie bezwingen. Ich nähere mich dem alten Radio und drehe mit einer Träne im Augenwinkel abwesend an dem Rädchen bis das Ende der Skala erreicht ist, wo nur Rauschen zu empfangen ist.

 

Liza bleibt nun stehen, senkt langsam die Arme, mit denen sie die klassische Tanzhaltung imitierte. Ihr trauriger Blick bricht mir das Herz, doch sie bleibt dort stehen und schaut mich bloß an.

"Du weißt, dass ich dich immer geliebt habe." meine zittrige Stimme entweicht mir unter schmerzendem Brustkorb nur schwerfällig.

 

Sie kommt einige Schritte näher, als hoffe sie, der enger werdende Abstand werfe meine Last ab.

"Natürlich weiß ich das und ich habe dich auch immer geliebt, mein Brummbär." Ich starre wieder auf das Radio, während mir meine Kehle zugeschnürt wird.

"Ich kann das nicht mehr. Ich habe es begriffen. David sagt, ich muss loslassen. Ich weiß doch ganz genau... dass du dort gar nicht bist. Oh, ich wünschte es wäre so, aber du bist es nicht mehr."

 

Ich kneife die Augen zu, um den angesammelten Tränen den Weg über die Wangen zu gewähren und den Blick zu schärfen, und ziehe kräftig die Nase hoch. Da sehe ich ihre Finger, die versuchen Tropfen aufzufangen, doch sie kullern durch sie hindurch. Ich greife nach ihrer Hand und wie nach der Legende einer Erinnerung, weiß ich noch wie es sich anfühlt und spüre ihre Hand in meiner.

 

"Wir hatten ein tolles Leben, ich hätte mir kein besseres vorstellen können, mein Brummbär. Aber dein Therapeut hat Recht. Bitte Archie, lebe nicht in der Vergangenheit. Ich bin bereit zu gehen, wenn du es bist." Ich nicke hastig wie ein braver Junge, wische einige Tränen weg und blicke wieder auf. Es gab nun nichts mehr um uns herum, nicht mal das Rauschen existierte. Meine Liza, sie blickt mich an voller Zuversicht und streicht mir mit der freien Hand über die Wange.

 

Ich spüre die Berührung, so wie ich seit Jahren nichts gefühlt habe, eine Gänsehaut macht sich prickelnd über meine Arme breit und als sie mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen schenkt, ist es der erste seit sieben Jahren und es wird für immer der letzte bleiben. Meine Liza ist nun fort.

 

Ich führe meine zitternde linke Hand, welche ihre hielt, wenn auch nur gedacht, an meine Lippen und breche in Tränen aus.

"Oh Liza, warte dort oben auf mich! Der Himmel sei verflucht, wenn nicht! Ich werde meine Zeit hier nicht verschwenden, hörst du? Ich werde jeden noch übrigen Tag für dich leben."

Impressum

Texte: Rasmina
Cover: BookRix
Lektorat: Rasmina
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2020

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