Falko Rademacher
Der Ruf der Katze
Ein Lisa Becker Kurzkrimi
© 2014 by Falko Rademacher, D-13597 Berlin
Personen und Handlung des Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Bisher erschienen von Falko Rademacher
Raumschiff Nautilus
Episode 1 – Der gefrorene Junge
Episode 2 – Das Shada-Experiment
Episode 3 – Krolok unter Verdacht
Episode 4 – Die Hass-Maschine
Ein Wesley Tucker Thriller
Die Pergamon-Affäre
Der unmögliche Krieg
Ein Philip Eckstein Thriller
Ein Koffer voll Blut
Der Ami im Leichensack
Ein Lisa Becker Krimi
Halbe Leichen
Schöne Leichen
Der Vampir von Berlin
Schizo
Ein Lisa Becker Kurzkrimi
Der Dreißigjährige, der aus dem Fenster fiel und starb
Der Ruf der Katze
Russisch Roulette
Katze im Sack
Satiren
Das Anti-Kochbuch
Das konzentrierte Böse
Mischas Angst vor Regen war ihm angeboren. So lange er sich erinnern konnte, hatte er sich bei Regenwetter immer irgendwo verkrochen, wo er nichts sehen und hören konnte. Und auch jetzt wünschte er sich nichts sehnlicher als einen solchen Platz. Er war bereits völlig durchnässt, als er in dieser Nacht durch die Straßen der Großstadt lief und immer mehr in Panik geriet.
Ein grässlicher Ort. Hier lebten sehr viele Menschen, die meisten von ihnen schliefen jetzt zwar, aber dennoch konnte Mischa sie alle wahrnehmen, sie und ihre vierbeinigen Ekelmonster, die überall ihre Haufen hinterließen, als hätten sie die Worte »Hygiene« und »Würde« noch nie gehört.
Er war dieses Leben auf der Straße nicht gewohnt, das war nicht seine Welt. Alles, was er sah, machte ihm Angst. Er hätte am liebsten die Augen geschlossen und sie erst wieder aufgemacht, wenn sich herausstellen würde, dass dies alles nur ein böser Traum war und er noch immer bei Frau König lebte.
Wie immer, wenn er an die alte Dame dachte, sträubte sich sein Fell, er lief etwas langsamer und schüttelte den Kopf, dass das Wasser nur so von ihm abspritzte. Seine Schnurrhaare waren verklebt, und Mischa versuchte, sie auseinanderzupusten, vergeblich. Als er damals panisch das Haus verlassen hatte, hatte es auch geregnet. An jenem Morgen war er wie jeden Tag ins Schlafzimmer geschlichen und mit einem Satz auf die Bettdecke gesprungen, um Frau König zu wecken. Die alte Dame hatte sich nicht gerührt, also war er zu ihrem Gesicht heraufgeklettert, um sie zu kitzeln. Sie war bleich, noch blasser als sonst. Ihre Augen waren weit geöffnet gewesen und hatten Mischa kalt angestarrt. Sekundenlang war er wie gelähmt gewesen. Er hatte noch nie einen toten Menschen gesehen, aber trotzdem hatte er sofort gewusst, was los war. Dann erst hatte ihn der Schreck erfasst, und er war voller Panik aus dem Haus gerannt, die Straße hinunter, über die Wiese, weiter als jemals zuvor. Das war vor vier Wochen gewesen. Der Regen hatte sein Übriges dazugetan, dass Mischa schon sehr bald die Orientierung verloren hatte. Er fand nie mehr nach Hause zurück. Aber was hätte ihm das auch genützt?
Ein Auto fuhr vorbei, und eine Sekunde lang hatte Mischa den Gedanken, sich einfach davorzuwerfen, als der Wagen in eine große Pfütze fuhr und den Kater mit Schlamm vollspritzte. Ohnmächtig wütend fauchte er dem Wagen hinterher. Im Schein einer Straßenlaterne besah er sein Fell, es war völlig verdreckt. Traurig dachte er daran, wie stolz er immer auf seinen glänzenden schwarzen Pelz gewesen war, und wie sorgfältig er sich gepflegt hatte, um den Nachbarskatzen zu gefallen. Frau König hatte ihn sehr oft gebürstet, wenn sie auch in den letzten Monaten immer seltener daran gedacht hatte, wie an fast alles. An manchen Tagen war sie gar nicht mehr aufgestanden. Manchmal dachte Mischa, dass sie vielleicht immer noch da lag...
Noch nie war Mischa der Gedanke an den Tod so nah gewesen wie in dieser Nacht. Er wollte pennen, flüchten in einen langen Schlaf.
Da! Eine Hauseinfahrt, die offen war! Sie führte bestimmt zu einem Innenhof. Da gab es fast immer ein trockenes Plätzchen. Mischa ging hinein, vorsichtig wie immer, aber mit der Zielstrebigkeit eines Verzweifelten. Seine Nase verriet ihm alles: Hier gab es keine anderen Katzen und auch keine Hunde – fast ein Wunder in dieser Stadt. Überall gab es die Kläffer, die ihn aus Spaß jagten, oft angefeuert von ihren debilen Besitzern. Ja, Besitzer! Das waren sie wirklich. Frau König hatte sich nie als seine Besitzerin aufgespielt. Er hatte ihr gehorcht, aber weil er es wollte. Sie war eine liebe alte Dame gewesen.
Der Gang führte in einen Innenhof mit einigen kleinen Grünflächen und winzigen Gärten. Das war nett und sprach für eine etwas gehobenere Klientel. Solche Leute hatten
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 14.10.2014
ISBN: 978-3-7368-4766-8
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