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1

Wir schreiben das Jahr 1939. Die Weltwirtschaftskrise dauerte nun schon 10 Jahre an, überall in Amerika herrschte Arbeitslosigkeit und Armut. Die meisten Farmer hatten ihre Farmen verlassen und suchten Arbeit in den großen Städten. Eine, der wenigen die noch geblieben sind, waren die Eltern von Jessica Johanna, einem aufgeweckten jungen Mädchen, das dort mit ihren Eltern und Großeltern lebte. Sie sah oft in das besorgte Gesicht ihres Vaters und wusste, dass auch sie bald hier weg mussten, wenn sie überleben wollten. Ihre Farm lag in einer trostlosen Gegend,weit und breit kein Nachbar mehr. Die nahegelegene Strasse war kaum noch befahren, außer wenn der Postwagen kam. Doch außer Rechnungen und die neueste Zeitung war eh nie was dabei.

 

Jessis Opa saß auf der Veranda in seinem alten klapprigen Schaukelstuhl, las die Zeitung und aus dem alten Radio krächzte Sydney Bechets Sopransaxophon klagend Summertime.

»Es wird Krieg geben in Europa«, sagte er zu Jessi, die neben ihm saß und in die trostlose Ferne blickte.

»Wird der Krieg auch zu uns kommen?«, fragte Jess.

»Nein, mein Kind«, sagte er, »Europa ist weit. Sollen die sich ruhig die Köpfe einschlagen, uns betrifft das alles nicht.«

So verging wieder ein Tag, wie alle Tage vergingen, ohne dass irgendwas passiert wäre. Man legte sich schlafen, stand am Morgen auf und wartete darauf wieder ins Bett zu gehen.

 

Zur gleichen Zeit in Deutschland lebte Jennifer Vanessa mit ihren Eltern. Ihnen ging es recht gut, da ihr Vater Arbeit in einem Stahlwerk hatte. Die Produktion lief auf Hochtouren und so verdiente er recht gut für die damalige Zeit. Jennys Eltern waren in Sorge, dass es Krieg geben würde. Überall hörte man Hetzparolen. Man musste aufpassen was man sagte, wollte man nicht in irgendeinem Lager verschwinden.

 

Jenny hörte heimlich Radio. Ihre geliebte Swingmusik, auch wenn es verboten war. Etwas, was ihre Eltern gar nicht mochten, da sie fürchteten, dass jemand sie anschwärzt.

»Muss die immer diese Musik hören?«, schimpfte ihre Mutter, »Irgendwann gehts mal schief und dann?«

»Ach«, lachte sie, »ich mache es so leise, das kann niemand mitbekommen.«

»Wenn du nur recht hast, Kind«, entgegnete ihre Mutter.

Da Jennys Eltern nicht in der Partei waren, mussten sie doppelt Acht geben, wurden sie doch eh schon schief angeschaut deswegen. Aber sie blieben sich selber treu und wollten nichts mit solchen Leuten zu tun haben, die nur Terror und Gewalt über Deutschland brachten.

 

Auf der kleinen Farm in Amerika war es nun soweit, Jessis Eltern mussten fort. Die Schulden waren zu hoch, das Land wurde verkauft. Man beschloss nach New York zu gehen. Alles, was man noch brauchen konnte, wurde auf ihren alten Laster gepackt und man fuhr ab Richtung New York. Jessi schaute sich nochmal um, da sie wusste, dass sie nie mehr hierher wiederkehren würde. Sie schafften es soeben noch ihren alten klapprigen LKW zum Bahnhof zu fahren bevor er seinen Geist komplett aufgab.

»Das geht ja gut los«, fluchte ihr Vater und trat vor Wut gegen den Reifen.

»Dadurch wird es auch nicht besser«, schnauzte ihre Mutter ihn an.

Ihr ganzes Hab und Gut wurde in den Gepäckwagen verladen und die Reise nach New York konnte beginnen.

»Jetzt müssen wir erstmal sehen, dass wir einen neuen Laster bekommen. Das kostet wieder unnötig Geld«, sagte Jessis Vater, doch sie hörte gar nicht hin und schaute stattdessen lieber aus dem Fenster.

Beobachtete wie die Landschaft an ihnen vorüberzog. Noch war alles trist und kahl, doch bald würden die ersten großen Städte an ihnen vorüberziehen. Solange, bis sie endlich am Ziel angekommen waren. Sie konnte ihre Freude kaum noch verbergen.

 

In Deutschland zur selben Zeit, traf sich Jennifer mit ihrer Freundin Esther zum letzten Mal. Ihre Eltern hatten beschlossen Deutschland zu verlassen und nach Amerika zu gehen, bevor man nicht mehr rauskam, da sie Juden waren und eigentlich viel zu lange gewartet haben. Weil ihre Eltern glaubten, der Spuk ginge wieder vorbei. Doch sie hatten eingesehen, wenn nicht jetzt,wann dann? Jennifer drückte Esther nochmal fest an sich, denn sie wusste, es gibt wohl kein Wiedersehen. Sie schaute ihnen noch nach, wie sie den Zug bestiegen und konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Esther schaute aus dem Abteil und als der Zug losfuhr, lief Jenny nebenher. Sie rief ihr zu, sie solle ihr schreiben,wenn sie am Ziel sicher angekommen wären. Als der Bahnsteig zu Ende ging, schaute sie dem Zug noch lange nach, bis er gänzlich in der Ferne verschwand. Gerne wäre sie mitgefahren in ein Land, wo alles möglich ist und sie ihre Helden sehen und hören konnte.

 

Jessi und ihre Eltern machten unterdessen ein Schläfchen, da es Nacht wurde und ihr Ziel noch fern war. Sie lauschte dem monotonen Geräusch des Zugs, der durch die Nacht schlich. Dann fielen auch ihr die Augen zu. Plötzlich schlug sie die Augen auf und sah, dass der Morgen graute. Große Häuser standen links und rechts von den Schienen und sie wusste, dass es nicht mehr weit war bis nach New York. Ihre Mutter packte schnell noch die letzten Brote aus, damit sie was im Magen hatten, wenn sie am Ziel waren. Und dann sah sie sie, die ersten Wolkenkratzer ihres Lebens. Mit großen Augen schaute sie aus dem Fenster und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Auch ihre Eltern schauten erstaunt auf die Riesen aus Stein und Metall. Sowas hatten sie noch nie zuvor gesehen. Dann war es endlich soweit, der Zug fuhr in den Bahnhof dampfend ein und sie lachten sich an, in der Hoffnung hier ihr neues Glück zu finden...

2

Als Jessi und ihre Familie den Zug verließen, waren sie überwältigt von der Größe des Bahnhofes. Kein Vergleich zu dem schäbigen kleinen Provinzbahnhof von dem die Reise los ging. Sie hatten alle Mühe mit ihrem ganz Hab und Gut die lange Treppe hinunter bis zum Bahnhofseingang zu kommen, ohne dabei zu stürzen. Die Eingangshalle war riesig und Jessi bekam vor lauter Staunen den Mund nicht mehr zu.

 

Jennifer im fernen Deutschland langweilte sich unterdessen, zu sehr fehlte ihr die beste Freundin. Seit sie nach Amerika gegangen sind, kam noch nicht ein Brief von ihr. Jenny machte sich Sorgen, ob auch bloß alles gut gegangen ist. Nachts, wenn sie nicht schlafen konnte vor lauter Sorge, saß sie auf dem Fensterbrett und schaute dabei zu den Sternen hoch. Sie schloß die Augen und in ihrem Kopf erklang Moonglow, sie hörte die Klarinette Benny Goodmans und stellte sich vor, jetzt selbst dort zu sein mit ihrer besten Freundin Esther. Sie war gedanklich weit weg und merkte dabei gar nicht, dass ihr Vater ins Zimmer trat, sie sachte am Arm fasste und ihr sagte, dass es doch allmählich Zeit fürs Bett wäre. Sie lächelte und hüpfte vergnügt in ihr Bett, die Musik in ihrem Kopf spielte weiter, bis sie einschlief.

 

Nach einem erholsamen Schlaf sprang sie am Morgen fröhlich aus dem Bett und machte sich für die Schule fertig. Doch bevor sie das Haus verließ, schaute sie noch fix in den Briefkasten und konnte ihr Glück nicht fassen.

3

»Endlich!«, rief Jennifer freudig aus und hielt lachend den langersehnten Brief aus Amerika in der Hand.

Sie rannte an ihren Eltern vorbei direkt in ihr Zimmer, öffnete hastig den Brief, ohne allerdings die Marke zu beschädigen, denn Dennis, ein guter Freund von ihr, sammelte Marken aus allen Ländern, die er bekommen konnte. Begierig las sie, wie die Überfahrt war und was sie dort alles schon erlebt hatte. Sie beneidete Esther darum und träumte davon, selbst einmal dort zu sein, wo alles größer und schöner war.

 

Jessicas Vater bat den Rest der Familie im Bahnhof auf ihn zu warten, er wolle los, um einen Freund zu treffen, der sich um ihre Unterkunft kümmern wollte. Während ihre Mutter sich erstmal setzte, hielt es Jessi nicht lange auf ihrem Platz und schaute sich erst einmal um. Die Bahnhofshalle war erfüllt mit Leben, alles rannte und wuselte durcheinander, ein Wirrwarr aus Stimmen und Geräuschen umgab sie, als sie plötzlich von einem Mädchen angerempelt wurde.

»Sorry«, rief sie und war auch schon wieder im Menschenpulk verschwunden.

Plötzlich bemerkte Jessi, dass ihre Kette fehlte und wusste gleich, wer sie gestohlen hatte. Schnell rannte sie los und sah, dass das fremde Mädchen dabei war den Bahnhof zu verlassen.

»Halt, du Diebin!«, rief sie ihr nach.

Sie drehte sich um, lachte laut und verschwand so plötzlich, wie sie erschienen war. Hinter ihr herlaufen, wäre fatal, dachte sich Jessi. Hier kenne ich mich nicht aus und würde sicherlich keinen Erfolg haben, sie zu fangen. Also trabte sie mit hängendem Kopf zurück zu ihrer Mutter. So hatte sie sich ihre Ankunft in New York nicht vorgestellt.

 

Beim Abendessen erzählte Jennifer ihren Eltern alles haarklein, was Esther ihr geschrieben hatte.

»Stellt euch vor, sie hat Benny Goodman gesehen, das ist unglaublich«, strahlte sie.

Ihre Eltern lachten und freuten sich, dass Esther und ihre Familie gut in Amerika angekommen waren.

»Ich muss gleich rüber zu Dennis, ihm seine Marke geben.«

»Halt, Halt«, sagte ihre Mutter, »das hat Zeit bis Morgen, die Marke läuft ihm nicht weg. Du, junges Fräulein, gehst jetzt erstmal ins Bett, es wird Zeit.«

Murrend gab sie nach und begab sich ins Bett, schnell fiel sie in einen tiefen Schlaf und träumte davon, wie sie und Esther zu Benny Goodman gingen und wie wild dazu tanzten.

 

Jessicas Vater kam endlich wieder und bat seine Familie mit ihm zu kommen, draußen vor dem Bahnhof wartete schon sein alter Freund mit einem Lastwagen. Schnell wurde ihr ganzes Hab und Gut verladen und man fuhr in eine neue Zukunft. Nur Jessi war traurig, weil ihre Kette mit dem Bild ihrer Großeltern gestohlen wurde. Sie schaute traurig aus dem Fenster und plötzlich gingen ihre Augen weit auf, als sie am Savoy Ballroom vorbei fuhren und all die Plätze sah, wo ihre Helden spielten. Sie konnte es kaum erwarten selbst dort reinzugehen und die Musik live mitzuerleben. Doch zuerst hieß das Ziel, ihr neues Zuhause.

 

»Da wären wir«, sagte ihr Vater.

Das Haus war grau und alt, Kinder spielten auf der Straße und aus den Fenstern drangen laute Stimmen. Quer über der Straße waren Wäscheleinen gespannt, wo die frische Wäsche im Wind flatterte. Jessi schaute sich um und sagte zu sich selber: Naja, machen wir das Beste draus.

»So, Leute«, sagte Jessicas Vater, »lasst uns die Wohnung anschauen. Hier beginnt jetzt unser neues Leben.«

Der Flur ihres neuen Zuhauses sah alt und heruntergekommen aus, der Putz bröckelte von den Wänden und es roch auch nicht gerade toll. Wie sollte da erst die Wohnung aussehen, dachte Jessica. Doch als ihr Vater die Türe aufschloss, war sie recht überrascht, die Räume sahen ordentlich aus und durch die Fenster schien überall die Sonne. Naja, sagte sie sich im Stillen, es hätte uns auch schlimmer treffen können.

4

Jennifer machte sich zum Tanzen fertig, nur noch die Schuhe an und dann konnte es los gehen.

»Bleib nicht so lange«, hörte sie noch ihre Mutter sagen, dann war sie auch schon auf dem Weg zum Ausgang. Rasant gings die Treppe hinab und dann nichts wie los zum geheimen Treffpunkt ihrer Swingfreunde.

 

Das Haus in dem man sich traf, lag am Ende einer Seitenstraße, von der kaum jemand Notiz nahm. Was aber allen Beteiligten nur recht war. Jennifer klopfte dreimal gegen die Türe und ein kleiner Spalt öffnete sich, zwei Augen schauten hindurch und sogleich wurde ihr geöffnet. Dennis, ihr bester Freund, war auch schon da und hatte eine Menge Swingplatten dabei, die er sich auf nicht legalem Wege besorgt hatte. Endlich gings los, Glenn Miller, Count Basie, Benny Goodman und alle die Anderen swingten, bis die Bude wackelte. Hier in dieser kleinen Stube konnten sie alles das hören, was leider sonst verboten war und sie in größte Schwierigkeiten hätte bringen können, würden sie dabei erwischt werden.

 

»So«, sagte Jessicas Vater, »wir bringen unseren Kram nach oben und dann gehts rüber zu Beavers. Wir sind zum Begrüßungsessen eingeladen.«

Schnell hatte man sein bisschen Hab und Gut in die Wohnung gebracht, dann gings auch schon nach nebenan, wo die Freunde von Jessis Vater wohnten. Als sie klopften, öffnete ein junges Mädchen mit lockigen Haaren die Türe und erschrak so gleich. Sie lief in die Wohnung und holte ihren Vater, der alle recht herzlich begrüßte. Jessica ging auf das Mädchen zu und warf ihr einen bösen Blick zu.

»Gib mir sofort meine Kette wieder oder Du bekommst mächtig Ärger.«

Selina, so hieß das Mädchen, zögerte keinen Augenblick und holte die Kette hervor und gab sie ihr mit gesenktem Kopf zurück. Für Jessica war der Fall damit erledigt, sie hatte nie wieder ein Wort über diese Geschichte verloren. So ging der erste Abend im neuen zu Hause doch noch glücklich zu Ende.

 

Als die Party im vollen Gang war, hämmerte es plötzlich laut an der Türe. »Mist, die Braunen!«, sagte einer in Panik.

»Los! Macht das ihr rauskommt«, hörte man sie brüllen.

Jennifer rannte nach hinten, dort befand sich ein zweiter Ausgang. Sie hörte noch lautes Schreien und Gepolter hinter sich, dreht sich aber nicht um, sondern lief so schnell sie konnte nach Hause. Immer wieder blickte sie sich angstvoll um, doch sie hatte Glück, niemand war ihr gefolgt. Schnell eilte sie die Treppen nach oben hoch und begab sich in ihr Zimmer. Sie lag noch lange wach und musste an ihre Freunde denken. Was war mit ihnen geschehen? Wie mag es ihnen ergangen sein? Am nächsten Morgen traf sie Dennis und war froh, dass er wohl auch heil davon gekommen war. Doch leider erzählte er ihr, sind alle seine Platten zerstört worden und der Treffpunkt sei auch dicht gemacht worden. Die schönen Stunden mit ihren musikalischen Helden waren nun wohl vorbei.

5

Morgens kurz vor Acht läutete es Sturm bei Jennifers Eltern. Ihre Mutter eilte zur Tür und vor ihr stand Dennis, noch bevor sie sagen konnte, dass Jennifer auf ihrem Zimmer sei, stürmte er an ihr vorbei und direkt auf ihr Zimmer zu. Jennys Mutter schüttelte bloß den Kopf und sagte mehr zu sich selbst: Diese Jugend heut zutage! Dennis klopfte erst gar nicht, sondern trat gleich in Jennys Zimmer, die ziemlich erschrocken drein blickte.

»Setz Dich«, sagte Dennis, »es gibt Ärger. Zwei von unseren Freunden, die mit auf die Wache genommen wurden, haben ausgepackt und uns alle verraten.«

Jenny erschrak bei seinen Worten.

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte sie perplex mit angstvoller Stimme.

»Ich gehe nach Frankreich rüber«, sagte Dennis, »dort bin ich erstmal in Sicherheit. Wenn du willst, nehme ich dich mit.«

 

Jessica und Selina freundeten sich immer besser an. Dass sie Selina nicht verraten hatte, rechnete man Jessica hoch an. Die beiden hingen ständig zusammen und hörten so oft sie konnten ihre geliebte Musik im Radio.

»Mensch, das einmal mitzuerleben wäre toll«, meinte Jessi.

»Nichts leichter als das«, sagte Selina darauf. »Ich kenne da jemanden, der uns in die Clubs oder Konzerthallen bringen kann, auch wenn wir noch zu jung dafür sind.«

»Na, dann los, auf was warten wir noch?«, grinste Jessica.

Die beiden standen an einer Ecke und warteten auf ihren Bekannten.

»Wer ist dieser Mann, auf den wir hier warten?«, fragte Jessi.

»Er ist Fotograf für eine ziemlich namhafte Zeitung. Sein Name ist John Baker Sander. Hat ne Menge toller Fotos geschossen, er kommt überall rein«, lachte Selina.

 

Jennifer war einverstanden, sie wollte mit Dennis nach Frankreich gehen. Die beiden hockten lange zusammen und beschlossen noch diese Nacht nach Frankreich zu flüchten. Der Gedanke die Eltern lange nicht wiederzusehen, trieb Tränen in Jennys Augen. Doch Dennis redete ihr gut zu und meinte, dass es wohl das Beste wäre zu flüchten. Er wollte nicht in irgendeinem Lager zu Tode kommen. Er wollte leben, um das was er liebte zu genießen, seine Musik. Als es Nacht wurde und alles schlief, schlich sich Jenny leise aus der Wohnung. Sie hatte noch einen langen Brief geschrieben. Ihre Eltern sollten sich keine Sorgen machen und alles würde irgendwann wieder gut werden. Sie zog leise die Türe hinter sich zu, zog ihre Schuhe aus und lief geräuschlos, wie eine Katze die Treppe hinunter. Unten vor der Türe wartet bereits Dennis auf sie, beide hatten nur das Nötigste an Gepäck dabei.

»Bist du bereit für die große Reise ins Ungewisse?«, fragte er.

Sie nickte bloß und die beiden tauchten ein in das Dunkel der Nacht.

 

Es dauerte nicht lange und der Fremde erschien. Er war groß, stattlich und sah blendend aus. Seine Kamera hatte er immer um den Hals, so dass ihm nichts entgehen konnte, was eventuell mal wichtig werden könnte. Selina stellte die beiden einander vor und dann ging es auch schon los.

»Wo geht es denn hin?«, fragte Jessica noch etwas zögerlich.

»Soll ein paar Fotos machen im Savoy Ballroom«, sagte er grinsend.

Jessica wäre fast in Ohnmacht gefallen. Wie oft hatte sie diesen Namen gehört? Wie oft davon geträumt einmal selbst dort zu sein und ihre Helden live auf der Bühne zu erleben? Sie war kurz davor, dass ihr größter Traum wahr wurde.

6

Jennifer und Dennis huschten durch die nächtlichen Straßen, immer auf der Hut nicht entdeckt zu werden.

»Wir müssen zu dem alten Fabrikgelände«, sagte Dennis. »Dort wartet jemand auf uns, der uns zum Hafen bringen wird.«

Sie erreichten ihr Ziel, ohne das sie jemand sah. Dort wartete bereits der Wagen auf sie. Es war ein alter Lieferwagen. Ohne viel zu sagen, stiegen die beiden hinten ein, schlossen leise die Klappe und dann ging die Reise los.

 

Jessica, Selina und John liefen geradewegs auf den Savoy Ballroom zu, vor dem sich bereits eine lange Schlange gebildet hatte.

»Kommt mit«, sagte John Baker. »Ich weiß, wie wir schneller rein kommen.«

Dabei grinste er über das ganze Gesicht. Das ließen die Mädels sich nicht zweimal sagen und folgten ihm. John ging um das Gebäude herum zum Hinterausgang, sprach kurz mit einem Mann und gab den Mädchen ein Zeichen, dass sie kommen sollten. Sie rannten gleich nach vorne zur Bühne, um auch ja ganz nah am Geschehen zu sein. Um Ihren Helden so nahe wie möglich zu sein. Jessica glühte vor Vorfreude, nicht mehr lange und dann gings los.

 

Als Jennifers Eltern am Morgen erwachten und in der Küche ihre Nachricht lasen, war die Aufregung groß. Sofort rannte ihre Mutter rüber zu Dennis Eltern, die genauso besorgt waren. Was hatten die beiden bloß vor? Werden sie sich je wiedersehen? Kommen sie wieder nach Hause? All das ging durch ihre Köpfe. Tränen der Verzweiflung flossen, denn zur Polizei konnten sie unmöglich gehen, um ihre Kinder nicht unnötig zu gefährden. Sie konnten nur beten und hoffen, dass alles gut ausgehen würde.

 

Die Fahrt im Lieferwagen kam den beiden endlos vor, zusammen gehockt kauerten sie im Laderaum. Sie erschraken jedes Mal, wenn der Wagen anhielt. Dann hörten sie plötzlich die Stimme des Fahrers, der ihnen sagte, dass sie gleich am Ziel seien und das Schiff schon auf sie wartete. Der Wagen hielt, der Fahrer gab Dennis noch einen Zettel mit, worauf der Name des Schiffes stand, wünschte den beiden noch alles Gute und fuhr wieder in die dunkle Nacht davon.

Da standen die Zwei nun, nur ein wenig Gepäck und die Ungewissheit was alles noch auf sie kommen mag. Doch Zeit für langes Nachdenken blieb ihnen nicht. Sie liefen zum Hafen, fanden rasch das Schiff und gingen an Bord. Dennis ging direkt zum Kapitän, während Jennifer sich noch einmal umsah und eine Träne ihr über die Wange lief. Für wie lange würden sie wohl weg sein? Wird sie je ihre Eltern wieder sehen?

 

In großer Leuchtschrift war zu lesen "THE BATTLE OF THE BANDS" und das hieß, das Chick Webb und seine Band zeigen wollten, dass sie es mit jeder anderen Band aufnehmen konnten. Sie würden die anderen Bands aus dem Haus blasen, wenn es sein musste. Der Saal füllte sich zusehends und die Mädels konnten es kaum noch erwarten, bis sie endlich auf die Bühne kamen und spielten. Sie legten los, als ob ihnen der Teufel im Nacken saß. Es sollte ein unvergessener Abend für alle werden.

7

Jennifer stand noch lange an Deck des Schiffes und schaute zu, wie es langsam ablegte und sich vom Hafen immer mehr entfernte. Dennis atmete auf, endlich sind sie in Sicherheit. Er legte seine Jacke um Jenny's Schulter, weil er sah, dass sie fror. Sie blickte ihn lächelnd an und folgte ihm dann unter Deck. Eine ungewisse Reise für die beiden begann.

 

Jessica, John und Selina gingen beschwingt nach Hause, der Abend war der Höhepunkt in Jessicas Leben. Endlich konnte sie ihre Helden live erleben, ihnen ganz nah sein. Auch John war mit seinen Fotos zufrieden, die konnte er gut an die hiesigen Zeitungen verkaufen und sich ein paar Dollar verdienen. Als sie zu Hause ankamen, begab sich Jessica sofort ins Bett und träumte das alles noch mal. Intensiv, farbenprächtig und laut.

 

Die Überfahrt nach Frankreich verlief ruhig. Die beiden vertrieben sich die Zeit mit lesen, oder hörten ein wenig Musik aus einem alten Radio, was sich an Bord befand.

»Nicht mehr lange und wir sind in Frankreich«, sagte Dennis freudig. »Dann suchen wir uns dort ein kleines Zimmer und schauen uns das Pariser Nachtleben an.«

Jenny musste lachen bei seinen Worten. So leicht wie er, stellte sie sich ihr neues Leben nicht vor. Und die Sorge um ihre Eltern ließ sie ebenfalls nicht zur Ruhe kommen.

 

Jessica saß gelangweilt auf der Treppe zu ihrer Wohnung, als sie John Baker kommen sah.

»Na, junges Fräulein, du schlägst wohl die Zeit tot mit nichts tun?«, lachte er. »Hast du Lust mir ein wenig zur Hand zu gehen?«, sagte er.

»Klar«, erwiderte sie, »was soll ich machen?«

»Ich habe heute Abend einen Auftrag, soll Fotos vom Clubleben in der 52nd Street machen. Da könnte ich jemanden brauchen, der mir hilft.«

»Ist gemacht«, sagte sie freudig strahlend. »Ich bin dabei.«

»Also gut, dann sehen wir uns heute so gegen 20 Uhr«, sagte er und machte sich wieder auf den Weg.

Hätte Jessica gewusst, was in der 52nd Street abgeht, wäre sie garantiert nicht so cool geblieben, so freute sie sich auf den Abend mit John Baker.

 

Es klopfte an die Kabinentüre und der Kapitän trat herein.

»So, ihr beiden, wir sind gleich am Ziel. Ich gebe euch eine Adresse, dort könnt ihr günstig ein Zimmer bekommen. Sagt dem alten Lemon einen schönen Gruß von mir.«

Die beiden bedankten sich und konnten ihr Glück kaum fassen, ein Problem wäre schon mal gelöst. Sie konnten allerdings noch nicht ahnen, dass das ihr kleinstes Problem werden sollte.

8

Endlich war es soweit, sie konnten den Hafen von Marseille erblicken, beide lachten und schauten sich glücklich dabei an.

»Tja, ihr zwei«, sagte der Kapitän, »dann heißt es wohl bald Abschied nehmen.«

Er gab ihnen die Hand und wünschte den beiden alles Gute.

»Ach«, sagte er, »bevor ich es vergesse, der alte Lemon, holt Euch später ab, wartet in der Hafenkneipe auf ihn.«

 

Jessica schaute auf die Uhr, wo bleibt John bloß? Sie war schon mächtig aufgeregt, ihren ersten Job als Assistentin von John Baker musste sie prima machen. Damit er sie auch öfter mitnimmt, in die Clubs und Tanzhallen der Stadt. Endlich bog er grinsend um die Ecke, seine Kamera, wie immer um den Hals gehangen, begrüßte er Jessica und dann gings auch gleich los.

Auf dem Weg in die 52nd Street erzählte er ihr, dass er von der Zeitung einen lukrativen Auftrag bekommen hätte, die ihn nach Europa führen sollte. Er war mächtig aufgeregt und erzählte von nichts anderem mehr. Und dann stellte er die Frage, die Jessi fast aus den Schuhen kippen ließ.

»Wie siehts aus«, sagte er, »hättest du Lust mich nach Europa zu begleiten?«

Ob sie Lust hätte, dachte Jessi, was für eine Frage? Klar hatte sie das und fiel ihm freudig um den Hals. John Baker konnte es nicht verhindern, dass er dabei Rot anlief.

 

Da standen sie nun, nahmen ihre Koffer und suchten die Hafenkneipe, wo sie diesen ominösen Lemon treffen sollten. Sie liefen am Kai entlang und schauten dem Treiben zu. Fischerboote lagen dort und große Frachter aus aller Welt, Seeleute und Händler, alle liefen umher und gingen ihrer Arbeit nach. Dennis hatte genug und fragte mit seinem gebrochenen Französisch, wo hier die Hafenkneipe wäre. Da es dort bloß eine gab, konnte ihm schnell geholfen werden.

»Wir müssen in den "Goldenen Hahn"«, sagte er zu Jenny, die auf ihn gewartet hatte.

Sie liefen los und schon bald konnten sie die Kneipe erblicken, die sicherlich schon bessere Tage gesehen hatte. Als sie dort eintraten, bestätigte sich ihr Eindruck. Ne ganz schön miese Bruchbude, dachten die Zwei. Es wimmelte dort von Seeleuten, die sich amüsierten und sich die Seeluft aus den Kehlen spülten. Es ging erst mal an die Theke und man bestellte sich eine Limo. Sie hofften, dass Lemon nicht allzu lange auf sich warten ließ, denn wohl fühlten sie sich dort nicht.

 

Jessica war so aufgedreht, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte. Das änderte sich aber bald, als sie in die 52nd Street kamen. Aus jedem Club ertönte Musik, hier spielte Coleman Hawkins, dort hörte man das Piano von Art Tatum und nur ein Haus weiter sang Billie Holiday. Überall auf der Straße wimmelte es von Menschen, es roch nach Essen aller Art, man lachte und sang und genoß den Abend. John machte tolle Fotos und Jessica half ihm dabei so gut sie konnte. Sie sammelte Eindrücke, die sie ihr Leben lang nicht vergessen würde. Sie wusste, hier war sie nicht das letzte Mal, so viel Musik hatte sie im Leben noch nicht gehört. Erst früh am Morgen kehrten die beiden heim, man verabschiedete sich und jeder ging seines Weges. Jessi erzählte alles ihren Eltern und zu ihrer großen Freude gaben sie ihr OK zur Reise nach Europa. Nur Selina, ihre beste Freundin war geknickt. Gerne hätte sie die beiden nach Übersee begleitet.

9

Jessi stand schon früh auf. Sie hatte kaum ein Auge zu machen können. Zu aufgeregt war sie, die Freude mit John Baker nach Europa zu fahren war einfach zu groß. Sie saß alleine in der Küche und trank noch schnell einen Kaffee und wartete bis ihre Eltern aufstanden. Diese drückte sie alle beide nochmal und machte sich auf den Weg nach unten, wo John Baker sie abholen wollte. Vor der Türe stand schon ihre Freundin Selina, die Tränen in den Augen hatte. Zu gerne hätte sie ihre Freundin begleitet.

 

Jenny und Dennis schauten ständig zur Tür und hofften das dieser Lemon bald kommen würde. Sie gaben die Hoffnung schon fast auf, als jemand durch die Türe schritt. Er war groß und hager, hatte einen Vollbart und trug seine Haare zu einem Zopf gebunden. Jenny dachte bloß: Bitte, lass das nicht dieser Lemon sein. Doch ihre Bitte erhörte man nicht.

Er kam auf die beiden zu, stellte sich vor und sagte kurz und knapp: »Besser wir verschwinden hier. Hier stehen locker 100 Jahre Knast herum.«

Jenny schaute Dennis ängstlich an, sollten sie diesem Mann ihr Schicksal anvertrauen?

 

Da kam er endlich, John Baker hielt seinen Wagen an und stieg lächelnd aus.

»Na«, sagte er, »da kann ich mir ja das Läuten sparen, bist ja schon reisefertig.«

Jessi lachte und konnte ihr Glück noch immer nicht fassen. Sie drückte nochmal ihre Eltern, die mittlerweile auch nach unten gekommen waren und konnte so manche Träne nicht unterdrücken. Nur Selina war nicht mehr da, sie hatte sich schmollend zurückgezogen.

»Passen sie gut auf meine Tochter auf«, sagte Jessis Vater mit ernster Miene, »hab bloß die Eine«, grinste er danach schon wieder.

»Machen sie sich keine Sorgen, ich bringe sie ihnen wohlbehalten zurück.«

John und Jessis Vater luden noch ihren riesigen Reisekoffer ein und dann ging die Fahrt ins Ungewisse los.

 

»Wo bringen sie uns hin?«, fragte Dennis. »Ist es weit von hier?«

Lemon redete nicht viel. Er ging zu einem klapprigen Wagen und sagte nur: »Steigt ein, ich bringe euch zu einer kleinen Pension. Dort könnt ihr billig wohnen, da seid ihr sicher.«

Jenny hatte kein gutes Gefühl. Aber was solls, dachte sie sich, wir müssen ihm vertrauen, vielleicht ist meine Angst ja unbegründet. Er fuhr mit den beiden ins Künstlerviertel Montmartre, wo die kleine Pension lag, redete kurz mit dem Besitzer und sagte, dass sie ihr Gepäck nehmen sollten, er würde sie jetzt aufs Zimmer bringen.

»Wie« ,sagte Jenny, »nur ein Zimmer?«

»Sorry«, sagte Lemon, »aber mehr ist nicht frei. Ihr werdet ja wohl nicht gleich übereinander herfallen«, grinste er.

Dennis musste unwillkürlich lachen, auch Jenny schmunzelte ein wenig. Dieser Satz hatte das Eis zwischen den dreien gebrochen und sie fühlten sich merklich wohler.

 

John fuhr rasant zum Hafen, wo ihr Schiff vor Anker lag, das sie nach Übersee bringen sollte. Er lud sein Gepäck aus und stöhnte laut, als er Jessis Koffer auslud.

»Was zum Teufel hast du da alles drin?«, schnaufte er.

Jessi zuckte mit den Achseln.

»Also bloß das Nötigste«, lächelte sie.

John fand schliesslich ein paar Kofferträger und so schafften sie alles problemlos in ihre Kabine.

»Geschafft«, seufzte John Baker und setzte sich erschöpft aufs Bett, »Jetzt kann die Reise los gehen.«

10

Jessica und John schauten sich an und sagten fast gleichzeitig, hier sollen wir nun gut 3 Wochen ausharren? Die Kabine der beiden war nicht gerade groß, aber sie wollten, das Beste daraus machen.

»So«, sagte Jessi, »erstmal den Koffer öffnen und die Kleider in den Schrank. Wenn der Riesenkoffer erstmal aus der Kabine ist, haben wir auch mehr Platz für uns.«

Gesagt, getan, Jessi öffnete den Koffer und plötzlich sprang sie zurück, denn es befand sich jemand darin. Es war niemand anders als Selina. Die beiden machten große Augen, als sie sahen, wer da aus dem Koffer purzelte.

»Glaubt ihr zwei ich lasse Euch nach Europa fahren und ich bleibe alleine zu Hause?«, lachte Selina laut.

John war nicht zum Lachen zumute, denn sie fuhr als blinder Passagier mit, das machte er ihr auch unverzüglich klar.

»Aber jetzt, wo du schon mal hier bist, werden wir Dich nicht gleich über Bord werfen.«

Dann musste auch er lachen.

 

Jenny und Dennis verbrachten ihre erste Nacht in dem kleinen Hotel zusammen. Sie lagen dicht nebeneinander und starrten zur Decke, während draußen der Lärm der Nacht zu hören war. Sie waren alleine, sie konnten die Sprache nicht und wussten nicht, wie es nun weiter gehen sollte. Den einzigen, den sie hier kannten, der war Lemon. Aber konnte man ihm wirklich vertrauen? Sie lagen noch eine Weile so da, hörten aus der Ferne der Musik zu, die aus einer Bar herüberschallte und schliefen dann erschöpft ein.

 

Es war Mitte August, die Sonne brannte auf John, als er alleine an Deck stand und übers Meer blickte. Er ging seinen Gedanken nach, als sich eine dunkelhaarige Frau neben ihn stellte. John drehte sich zu ihr und schaute in die schönsten brauen Augen, die er je gesehen hatte. Die Unbekannte lächelte ihn an, so dass John weiche Knie bekam. Er versuchte einen gescheiten Satz zu formulieren, doch er stammelte bloß seinen Namen heraus.

»John heiße ich, also John Baker Sander, meine ich.«

Sie merkte wie nervös er war und lächelte ihn wieder an.

»Mein Name ist Bianca. Darf ich fragen, was sie an Bord machen und wohin die Reise geht?«

John taute allmählich auf und erzählte ihr von seinem Auftrag Fotos zu machen und dass seine Reise ihn nach Frankreich führen wird. Sie plauderten noch eine Weile, dann verabschiedete sich Bianca von ihm. Mit einem breiten Grinsen verließ er das Deck und ging zurück in die Kabine.

 

Dennis war schon wach und besorgte schnell ein Frühstück, während Jenny noch schlief. Als er zurück ins Zimmer kam, stand sie auf dem kleinen Balkon und schaute verträumt über die Dächer von Paris.

»Ist es nicht schön hier?«, sagte sie glücklich und Dennis nickte, während er herzhaft in ein Brötchen mit Marmelade biss.

Jenny lachte, als sie seinen verschmierten Mund sah und sagte oller Fresssack zu ihm. Sie aßen zusammen auf dem Balkon ihr Frühstück und warteten auf Lemon, der sich mit ihnen treffen wollte. Die beiden genossen diesen wunderbaren Sommertag im August 1939.

11

»Was grinst Du denn so?«, fragte Jessi, als John zurück in die Kabine kam.

»Ach«, sagte er lächelnd, »ich hatte bloß ein nettes Gespräch an Deck mit einer charmanten jungen Frau.«

»So so«, lächelte Jessi, »bloß ein Gespräch.«

Selina hatte von dem Ganzen nichts mitbekommen, da sie noch verträumt in den Federn lag und von Frankreich träumte. John und Bianca trafen sich während der Überfahrt noch etliche Male und plauderten über die verschiedensten Dinge, meist erzählte John und sie hörte ihm aufmerksam zu, was ihm aber erst viel später auffallen sollte.

 

Lemon war pünktlich zur Stelle, nahm noch ein Frühstück mit den beiden ein und machte sich bereit den beiden die Stadt zu zeigen. Es war eine aufregende Tour für die zwei. Jenny wusste gar nicht, wo sie zuerst schauen sollte. Bis sie dann endlich vor ihm standen, so groß, so mächtig ragte er in den Himmel. Tausende Male hatte sie ihn auf Bildern gesehen, jetzt stand sie vor ihm, dem Eiffelturm. Sie packte sich Dennis und rannte mit ihm die Treppen rauf, obwohl er doch lieber den Lift genommen hätte. Lemon lachte nur und lief den beiden langsam hinterher. Was für eine Aussicht dachte Jenny, breitete die Arme aus und drehte sich wie ein Kind im Kreis, genoss diesen wunderbaren Moment. Dennis musste sich erstmal setzen, er war mehr als nur platt.

»Die verdammten Stufen«, keuchte er.

Lemon musste bei seinem Anblick lächeln, er war puterrot im Gesicht und nass geschwitzt. Während die Zwei den Ausblick genossen, traf sich Lemon mit einem Mann, der dunkle Kleidung und eine Baskenmütze trug. Die beiden tuschelten miteinander, bevor sie sich trennten. Als er auf Jenny und Dennis zutrat, fragten sie ihn auf den Kopf zu, wer wohl dieser Mann war, denn sie hatten das Treffen bemerkt und sie beobachtet.

Lemon sagte nur knapp: »Nicht hier, kommt mit.«

 

So langsam ging die Reise ihrem Ende zu. Alle waren freudig erregt und konnten kaum erwarten Frankreich zu sehen und zu erleben. Selina wurde nicht entdeckt, war es aber auch leid ständig in der Kabine zu hocken. Aber die Suppe hatte sie sich ja schließlich selbst eingebrockt. John traf sich ein letztes Mal mit Bianca an Deck und war sichtlich traurig über den baldigen Abschied. Bianca merkte das natürlich und lächelte ihn aus ihren großen braunen Augen liebevoll an.

»Die Welt ist klein«, sagte sie, »man läuft sich bestimmt mal wieder über den Weg.«

Hätte John geahnt, was sie damit meinte, wäre er nicht so ruhig geblieben.

 

Wieder zurück in dem kleinen Hotelzimmer erzählte Lemon den beiden, was er eigentlich im Schilde führte. Er ist im Untergrund tätig und weiß ziemlich genau, dass es bald Krieg geben werde. Er und seine Freunde hatten die Befürchtung, das Hitler ein böses Spiel auch mit Frankreich spielen will, das sie mit allen Mitteln verhindern wollen. Jenny und Dennis hörten gespannt zu. Was Lemon erzählte, klang beunruhigend. Sind sie doch schließlich vor den Nazis geflohen, um hier in Sicherheit zu sein.

»Macht euch keine Sorgen, das sind noch alles ungelegte Eier«, lachte er. »So schnell wird er Frankreich nicht bezwingen.«

Wie unrecht Lemon doch hatte.

12

John und Jess hatten ihr Ziel erreicht, das Schiff legte im Hafen von Marseille an und sie gingen ausgelassen von Bord.

»Ich hoffe nur unser Koffer mit Selina kommt unbeschadet durch den Zoll«, sagte John grinsend.

Die beiden begaben sich zur Gepäckausgabe, als John im Gewühl Bianca entdeckte. Ihre Blicke trafen sich und John wollte gerade zu ihr gehen, als sie sich plötzlich umdrehte und in der Menge verschwand.

Jessi schaute ihn grinsend an und meinte nur: »Na so groß war Dein Eindruck ja wohl doch nicht auf sie.«

John verzog kurz seine Schnute und die beiden gingen weiter, um ihren Koffer zu holen, in dem noch immer Selina steckte.

 

Jenny und Dennis waren über Lemons Worte sehr beunruhigt und hofften, dass er mit allem Recht hatte. Um sich abzulenken, beschlossen sie am Abend in einen nahe gelegenen Jazzclub zu gehen. Sie hatten gehört, das dort Django Reinhardt spielen sollte. Das wollten sie sich auf keinen Fall entgehen lassen. Sie verbrachten den Tag in diversen Cafés und als es dämmerte, begaben sie sich zu jenem Club, wo Django spielte. Vor dem Club hatte sich schon eine lange Schlange gebildet und die beiden hatten schon die Befürchtung, das sie nicht mehr rein kämen. Da tauchte plötzlich Lemon auf und winkte die beiden zu sich.

»Kommt Leute, ich habe prima Plätze besorgt, kenne den Besitzer«, lachte er verschmitzt.

Jenny und Dennis strahlten vor Freude und sie wurden nicht enttäuscht, der Abend war klasse, sie tranken, lachten und genossen die tolle Musik.

 

Selina hatte ihre Kofferreise gut überstanden und war heil froh, dass sie aus dem Ding raus war. So machten sich die drei auf die Suche nach einem günstigen Hotel. Nach etlichen Absagen fanden sie schließlich eines, das ihnen zusagte und bezahlbar war. Völlig erschöpft begaben sie sich auf ihr Zimmer. Leider war nur noch eines zu haben, so dass sie es sich zu dritt teilen mussten. Aber man einigte sich darauf, dass die Mädels das Bett bekamen und John die Couch. Die aber schon bessere Zeiten gesehen hatte. Der Blick auf das nächtliche Paris entschädigte sie aber für so manche Unannehmlichkeit. Sie standen vor dem geöffneten Fenster und lauschten dem Klang der Stadt, bis sie endlich ins Bett gingen und erschöpft einschliefen.

 

Als die drei den Club verließen, kam ihnen ein Mann entgegen den Lemon zu kennen schien. Sie sprachen kurz miteinander und dann trennten sich ihre Wege wieder.

»Was gibt es?«, fragte Dennis ein wenig ängstlich.

Lemon druckste herum, bis er schließlich sagte, dass er beunruhigende Nachrichten aus Deutschland habe, mehr wollte er nicht sagen. Die gute Stimmung war dahin. Wortlos gingen sie ihres Weges, man verabschiedete sich und Lemon verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Dennis hakte sich bei Jenny unter und so schlenderten die beiden Richtung Hotel.

 

Es war der 31.August 1939.

13

Die beiden erreichten ihr Hotel ohne das noch was passierte, doch die Begegnung mit dem Fremden und Lemons Verhalten beunruhigte sie doch sehr. Sie redeten noch eine Weile, während sie am Fenster in die Nacht hinaus blickten und begaben sich dann schliesslich ins Bett. Es dauerte nicht lange und sie schliefen ein.

Gegen 6 Uhr am Morgen wurden alle plötzlich wach, es herrschte ungewohnt viel Lärm vor dem Hotel, ein Stimmenwirrwarr riss alle aus den Schlaf. Dennis sprang aus dem Bett, öffnete das Fenster und versuchte mitzubekommen, was dort draussen los war.

»Deutschland hat Polen angegriffen!«, rief jemand zu ihm hoch.

Er erschrak. Jetzt ist es also doch geschehen. Ist jetzt Krieg?, dachte er. Schnell rüttelte er Jenny wach, die wohl als einzige noch schlief und erzählte ihr, was er soeben gehört hatte. Jenny wurde leichenblass und die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Was wird jetzt wohl aus ihren Eltern, was wird aus Deutschland?

 

Auch John, Jessi und Selina wurden von dem Lärm gestört und bekamen mit, was geschehen war. Hm, dachte John, sind wir hier überhaupt noch sicher? Wird Hitler auch Frankreich angreifen? Fragen über Fragen gingen ihm durch den Kopf. Er alleine hätte sich schon irgendwie durchgeschlagen, aber er musste auch an die Mädchen denken, für die er die Verantwortung hatte. Er beschloss erstmal die Ruhe zu bewahren und abzuwarten, wie sich die Lage entwickeln würde.

 

Dennis und Jenny beschlossen sich auf den Weg zu Lemon zu machen. Sie wollten wissen, was er wusste und wie es wohl weiter gehen würde. Sie zogen sich an und verließen das Hotel um ihn zu suchen. Etwas, das sich als schwierig heraus stellte, denn wo er wohnte wussten die beiden nicht. Auf den Strassen herrschte rege Aufregung, Zeitungshändler verkündeten die Nachrichten an jeder Ecke und die Leute rissen ihnen die Exemplare nur so aus der Hand. Sie beschlossen runter zum Hafen zu gehen in der Hoffnung ihn dort zu treffen. Aber das Warten war vergebens, Lemon tauchte nicht auf. Deprimiert machten sie sich zurück auf den Weg ins Hotel. Plötzlich stieß Dennis Jenny mit dem Ellbogen an.

»Mensch! Schau mal, ist das nicht der Typ, den Lemon gestern Abend getroffen hat?«

Jenny sah zu dem Mann rüber und gab Dennis Recht. Das war der Mann, also nichts wie hinterher, vielleicht kann er uns zeigen, wo Lemon ist.

 

John hatte beschlossen in Frankreich zu bleiben, also nahm er seine beiden Mädels und ging mit ihnen in die nächste Brasserie um ein ausgiebiges Frühstück einzunehmen. Es gab Brot, Marmelade, Wurst und Kaffee. Die drei hauten tüchtig rein, hatten sie doch schon seit Stunden nichts mehr gegessen. Während des Frühstücks erzählte er den Mädchen, was passiert war, ließ sie dabei aber seine Unruhe ihnen gegenüber nicht anmerken.

»So«, sagte er, »nachdem er alles verputzt hatte. Jetzt gehts los, laßt uns ein paar tolle Aufnahmen von Paris machen.«

Die drei lachten und machten sich auf den Weg ins Pariser Leben.

14

Jenny und Dennis liefen dem Fremden hinterher, was gar nicht so einfach war, bei dem Gewühl auf den Strassen. Aber irgendwie schafften sie es, den Mann nicht aus den Augen zu verlieren und sahen, dass er in eine schmale Seitenstraße ging, die fast menschenleer war. Sie blieben kurz in einem Türeingang stehen, damit er sie nicht entdeckte, denn er schaute sich immer wieder hastig um. Er wollte nicht entdeckt werden. Nach einer Weile blieb er vor einem alten Haus stehen schaute sich noch einmal um, klopfte dreimal an die Türe und verschwand.

 

Selina, Jessi und John machten sich auf den Weg zum Eiffelturm, John versprach sich eine Menge guter Fotos davon. Als sie ihr Ziel erreichten, schauten die drei nach oben und konnten es kaum erwarten, da hoch zu kommen und von dort die Aussicht über Paris zu genießen.

»Mensch«, sagte John, »das werden bestimmt sensationelle Bilder werden. Los, Mädels«, lachte er, »wer zuerst oben ist.«

Jessi und Selina rannten so schnell sie konnten und bald war John nicht mehr zu sehen. Auf der ersten Plattform machten sie eine Pause und warteten darauf, dass er nun endlich kam. Völlig aus der Puste schleppte er sich die letzten Stufen hoch, wo die Mädels schon lachend auf Ihn warteten.

»Na«, sagte Selina, »der Herr kann wohl schon nicht mehr, dabei ist noch nicht mal die Hälfte geschafft.«

John quälte sich ein müdes Lächeln ab, bevor er seine Kamera nahm und ein paar imposante Bilder machte.

 

»Was machen wir jetzt?«, sagte Dennis ein wenig ratlos.

»Komm wir schauen, ob es einen Hintereingang gibt«, antwortete Jenny und zerrte ihn an seiner Jacke.

Ihm war nicht wohl in seiner Haut, doch Jenny ließ nicht locker. Die beiden liefen ein Stück ums Haus, als sie ihn sahen, den berühmten Hintereingang. Vorsichtig näherten sie sich der Türe und zu ihrer Überraschung stand sie offen. Leise betraten sie das Gebäude und gingen die Treppe hinauf, als sie Stimmen hörten.

»Pssst«, sagte Dennis, »ich glaube, hier sind wir richtig.«

»Ja, das seid ihr«, donnerte eine Stimme aus dem Hintergrund. »Hände hoch, schön langsam und keinen Mucks, sonst...!«

Die beiden taten was die Stimme ihnen befahl, Jenny konnte ihr Herz schlagen hören und Dennis bekam weiche Knie. Endet hier schon ihr Abenteuer?

 

John und seine beiden Models, erreichten nach etlichen Pausen ihr Ziel und schauten vom Eiffelturm über ganz Paris. Er konnte nicht aufhören Bilder zu schießen und die Mädels posierten dazu. Als sie alles im Kasten hatten und am Abend erschöpft aber glücklich in ihrem Hotelzimmer waren, machte sich John daran seine Fotoausbeute im Badezimmer zu entwickeln. Die Mädchen schliefen schon lange, als er sich seine ersten Bilder anschaute. Bei einem der Bilder blieb er hängen und traute seinen Augen nicht, war das nicht die Frau auf dem Schiff mit der er lange gesprochen und sich gut mit ihr verstanden hatte? Er war sich sicher, das war Bianca.

15

John grübelte die ganze Nacht darüber nach und kam doch zu keinem Ergebnis. Vielleicht hatte er sich doch nur getäuscht und die Frau auf dem Foto sah Bianca nur sehr ähnlich? Schliesslich übermannte ihn die Müdigkeit und er schlief am Tisch ein. Als er wieder erwachte, waren Jessi und Selina bereits wach und stellten ihm einen großen Pott Kaffee vor die Nase. Der wunderbare Duft ließ ihn schnell wieder wach werden. Während er seinen Kaffee genoß, schauten sich die Mädels seine Fotos an und kicherten lauthals dabei, bis Selina plötzlich sagte: »Du, John, ist das nicht die Frau auf dem Schiff, die Dir schöne Augen gemacht hatte?«

»Also doch. Ich hatte auch den Eindruck, dass sie das wäre«, antwortete er, »aber war mir nicht ganz sicher.«

Doch! Auch Jessi war sich sicher, dass sie das ist.

»Warum ist sie nicht zu Dir gegangen? Sie muss Dich gesehen haben!«, meinte Jessi, »Schau, sie blickt genau in die Kamera.«

 

Jenny und Dennis wurden nach oben geführt, es war dunkel und es roch muffig. Eine Tür wurde geöffnet und sie sahen eine Gruppe von jungen Leuten, die zusammensaßen und einen Plan studierten. Sie blickten auf, als die beiden herein geführt wurden.

»Wer sind die beiden?«, fragte einer aus der Gruppe.

»Hab sie unten beim herumschnüffeln entdeckt«, sagte der Mann, dem die beiden gefolgt waren.

»Na, da bin ich aber mal gespannt, was ihr zu sagen habt.«

Dennis bekam kein Wort heraus, so antwortete Jenny. Sie erzählte ihnen alles und dass sie auf der Suche nach Lemon waren. Die Anderen hörten ihr aufmerksam zu, dann sagte einer von ihnen: »Also gut, wir bringen euch zu ihm, aber solltet ihr gelogen haben und er kennt euch nicht, dann war es das mit euch beiden!«

Dennis und Jenny wurden gefesselt und bekamen die Augen verbunden, dann brachte man sie nach unten, wo bereits ein Wagen wartete. Kaum dass sie Platz genommen hatten, begann die Fahrt ins Ungewisse.

 

Die dunkelhaarige Frau stand am Fenster und blickte vorsichtig mit dem Fernglas durch das Fenster. Von hier aus hatte sie eine perfekte Sicht genau in das Hotelzimmer von John und den Mädels. Sie hatte ein Lächeln auf den Lippen, als sie bemerkte, dass ihr Plan wohl zu funktionieren schien. Sie hörte vor ihrer Türe Schritte und dann ein Klopfen. Schnell eilte sie zur Türe und öffnete sie sodann. Vor der Türe stand ein adrett gekleideter Mann, der sie freundlich begrüßte.

»Kommen sie herein Herr Oberst«, sagte Bianca. »Es scheint alles zu klappen, wie mir scheint«, lächelte sie, dann schloß sie die Türe.

Die beiden redeten fast zwei Stunden,dann ging der Fremde wieder und Bianca ging erneut zum Fenster und schaute weiterhin in Johns Zimmer. Sie hatte vor es heute Abend zu einer Begegnung kommen zu lassen, um John ganz für sich und ihre Sache zu gewinnen.

16

Den beiden kam die Fahrt schier endlos vor, der Wagen holperte über die Strassen und die Luft in dem Auto war nicht gerade die Beste. Dennis wurde übel, da er eh nicht das Fahren vertragen konnte. Jenny bemerkte das und raunte ihn an: »Fang jetzt bloß nicht noch an zu spucken.«

Er konnte sich noch gerade so beherrschen. Endlich hielt der Wagen an, die zwei hörten Stimmen und dann wurde die Türe geöffnet.

»Endlich! Frische Luft«, stöhnte Dennis.

Sie wurden gepackt und ins Haus gebracht, dort nahm man ihnen die Augenbinden ab.

 

Nachdem die Mädels sich ins Bett begeben hatten, beschloss John noch ein wenig mit seiner Kamera durch das Nachtleben zu bummeln. Immer auf der Suche nach neuen Motiven und ganz nebenbei verspürte er auch ein wenig Hunger. Er schlenderte durch die nächtlichen Strassen der Stadt, in den Pfützen spiegelten sich die Lichtreklame der Läden, er zog den Kragen seines Mantels hoch und folgte den Klängen der Musik, die plötzlich zu hören war. Ohne dass er es bemerkte, folgte ihm jemand. Vor einem Lokal blieb er stehen, hier also strömte die Musik heraus. Klänge die er nur zu gut kannte und liebte, also trat er ein und sah auf der Bühne Django Reinhardt spielen. Er nahm Platz und lauschte seiner Musik. Fantastisch, was dieser Mann auf der Gitarre alles spielen konnte, obwohl er eine verkrüppelte Hand hatte. John bestellte sich etwas zu Essen und machte eifrig ein paar Bilder von dieser Session, als sich plötzlich jemand an seinen Tisch setzte.

 

Da standen sie nun. Sie schauten sich um und sahen in Gesichter von Leuten, die nicht älter waren als sie, als jemand auf sie zutrat und sagte: »Was treibt ihr beiden eigentlich hier?«

Jenny und Dennis waren erleichtert, als sie Lemon erkannten und atmeten erstmal tief durch. Sie erzählten ihm alles und Lemon lauschte ihnen geduldig. Er berichtete den beiden, was die Gruppe um ihn vor hatte. Nachdem jeder sich mitteilte, waren sich Jenny und Dennis einig. Sie wollten bei Lemon und seinen Freunden mitmachen.

»Noch halten wir uns zurück und warten ab, wie sich die Lage entwickeln wird. Aber sollten die Deutschen nach Frankreich kommen,schlagen wir aus dem Hintergrund zu.«

»Naja«, meinte Dennis, »ich glaube nicht, das sich je ein deutscher Soldat nach Frankreich verirren wird.«

»Wenn Du Dich da mal nicht täuscht«, sagte Lemon mit besorgter Stimme.

 

John war überrascht aber eigentlich doch nicht. Also hatte er sich nicht getäuscht, es war tatsächlich Bianca, die er auf dem Eiffelturm gesehen hatte.

»Na, das ist aber eine Überraschung«, lachte John. »Wo kommen Sie denn jetzt her?«

Bianca lachte ihn an und hoffte, dass der Abend ein Erfolg für sie werden würde. Die zwei redeten, aßen und lauschten der Musik. John war Biancas Charme bereits erlegen und merkte nicht, wie sie ihn um den Finger wickelte. Er hatte nur noch Blicke für sie und ihre wunderschönen braunen Augen. John hätte noch ewig so mit ihr da sitzen können, als sie ihm plötzlich einen Vorschlag machte.

»Du, wie wäre es, ich hab auf meinem Zimmer noch eine Flasche Schampus, hast Du Lust?«

Klar hatte er Lust, das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er bezahlte die Rechnung und verließ mit ihr das Lokal, gefolgt von einem dunklen Wagen, der die beiden nicht aus den Augen ließ.

17

Liebe macht ja bekanntlich blind. Sollte John ein Opfer der Liebe werden? Der dunkle Wagen folgte den beiden bis zu ihrem Hotel, dann blieb er stehen, schaltete das Licht aus und wartete. John tänzelte leichtfüßig die Stufen hinauf und schaute sich immer wieder lächelnd nach Bianca um. Er konnte sein Glück kaum fassen, er war doch tatsächlich auf dem besten Weg sich zu verlieben.

 

Dennis und Jenny waren unterdessen fest dazu entschlossen der Gruppe beizutreten und notfalls, so Dennis, auch mit Waffengewalt, sich zu verteidigen. Jenny lachte, hatte er doch noch nie in seinem Leben eine Pistole in der Hand gehabt. Lemon war zufrieden zwei neue Leute in seiner Widerstandsgruppe zu haben, hoffte allerdings, dass es nie zum Äußersten kommen würde.

»Was ist«, sagte er, »habt ihr Lust auf ein paar Schießübungen?«

Dennis war sofort Feuer und Flamme, nur Jenny konnte dem nichts abgewinnen, ging aber mit ihnen mit.

 

Während einer heißen Liebesnacht mit Bianca erzählte John ihr am Frühstückstisch, was er und seine beiden Mädels noch so alles geplant hätten für ihren Aufenthalt in Europa. Bianca hörte aufmerksam zu und lächelte hin und wieder geheimnisvoll. Jessi und Selina waren längst wach und wunderten sich, dass John nicht in seinem Bett lag. Er wollte doch noch was trinken gestern Abend, es wird ihm doch wohl nichts passiert sein? Leichte Panik machte sich bei ihnen breit. Waren sie dann doch ganz alleine in Paris? Wo steckte John denn nur?

 

Die Gruppe machte sich auf den Weg in ein nahe gelegenes Waldstück.

»Hier kann man ungestört ein bisschen in der Gegend herumballern, ohne erwischt zu werden«, lachte Lemon.

Man stellte ein paar Dosen auf und eine nach der anderen wurde umgeschossen. Dann war Dennis an der Reihe. Lemon erklärte ihm kurz, was er zu tun hatte. Er legte an, zielte und flog mit einem Satz nach hinten, landete durch den Rückstoß direkt auf seinem Hintern. Das Gelächter war groß, als er da so saß, genau in die einzige Pfütze gefallen, die es dort gab. Als alle am Lachen waren, musste Dennis am Ende auch über sich selber lachen. Auch Jenny probierte es, sie nahm die Pistole, zielte auf eine der Dosen und während sie abdrückte, schloss sie ihre Augen und traf. Dennis staunte nicht schlecht, als er sah, wie die Dose von der Kugel durch die Luft geschleudert wurde. Lemon klatschte respektvoll Beifall.

 

Jessi und Selina machten sich große Sorgen und verließen das Hotel, um nach John zu suchen. Dabei kamen sie auch in die Nähe des Waldstückes.

»Waren das nicht Schüsse?«, entgegnete Jessi panisch zu Selina.

»Ich glaube ja«, antwortete sie.

Die beiden gingen ein Stück tiefer in den Wald, als sie in der Ferne die kleine Gruppe erblickten. Lemon bemerkte die beiden als erster und forderte die anderen auf die Waffen zu verstecken. Langsam kamen die beiden Mädchen näher, ihnen schlotterten ganz schön die Knie. Lemon und die Anderen kamen ihnen entgegen.

»Was sucht ihr hier?«, fragte er.

Die beiden bekamen kaum ein Wort heraus, doch Jenny sagte zu ihnen, dass sie keine Angst haben müssten, man würde ihnen nichts tun. Jessi und Selina erzählten, was sie hierher verschlagen hatte, doch weder Jenny noch einer der Anderen kannten John oder hatten ihn jemals gesehen. Dann trennten sich wieder ihre Wege. Auch Lemon und seine Freunde verließen den Wald, schließlich musste Dennis ja dringend trocken gelegt werden.

Ohne nur den kleinsten Erfolg begaben sich die beiden Mädchen wieder zurück in ihr Hotel, voller Sorge um John. Ob er noch leben würde? Als die zwei mit hängenden Köpfen ihr Zimmer betraten, saß er da seelenruhig und las in der Zeitung. Die Mädels standen da wie vom Donner gerührt. Jessi konnte sich nicht zurückhalten, sie gab ihm eine kräftige Ohrfeige. Heulend schluchzte sie: »Mach das nie wieder, hörst Du! Lass uns nie wieder hier alleine!«

Dann nahm sie ihn in den Arm und drückte ihn erleichtert. Auch Selina knuddelte ihn wie verrückt.

 

Bianca setze sich in den Wagen, der sofort losfuhr. Sie drehte sich zum Fahrer um und sagte lächelnd: »Er ist genau der Mann, der uns helfen kann unsere Pläne durchzuführen....«

18

John entschuldigte sich bei den beiden Mädels und merkte, dass er einen Fehler machte und einfach fort ging, ohne den beiden Bescheid zu geben. Natürlich erzählte er ihnen, was er die Nacht so getrieben hatte und dass er sich mit dieser Frau vom Schiff getroffen hatte. Jessi und Selina schauten sich schmunzelnd an.

»Da ist aber jemand schwer verliebt«, kicherten die beiden.

John wurde leicht rot dabei, hatten sie ihn doch auf frischer Tat ertappt. Nach einem ausgiebigen Frühstück sagte John, dass er vor habe nach Berlin zu reisen, um sich dort mit Bianca zu treffen und die Berliner Musikszene mal kennenzulernen. Die beiden Mädchen schauten ihn verdutzt an.

»Ist das nicht zu gefährlich, jetzt, wo Deutschland im Krieg ist?«, fragten sie ihn ungläubig.

»Keine Sorge, wir sind Amerikaner und haben nichts zu befürchten, sind ja nicht mit den Deutschen im Krieg. Das sagte auch Bianca«, meinte er zu den beiden, die sich danach etwas beruhigten. »Ich werde sehen, dass ich für Morgen Fahrkarten nach Berlin für uns bekomme.«

 

Jenny und Dennis waren froh nicht mehr alleine in Paris zu sein. Sie hatten neue Freunde gefunden, allen voran Lemon. Im Hotel angekommen begaben sie sich sofort ins Bett, war doch der Tag anstrengend genug gewesen. Sie schliefen schnell ein und fielen beide in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Jenny war als Erste wach und schaute auf das morgendliche Paris. Alles war so still und friedlich, nur hier und da ein Zeitungsbote, der die neuesten Nachrichten verteilte. Sie wollte gerade das Fenster schliessen, da sah sie aus dem Hotel eine Gruppe von drei Personen heraus treten. Hm, dachte sie, das sind doch die beiden Mädchen aus dem Wald, die wir am Vortag getroffen haben, ob das der Mann ist, den sie suchten, grübelte sie. Mittlerweile war auch Dennis wach und auch er erkannte die Mädels sofort wieder. Was die wohl wollen und wohin sie um diese Zeit gehen?

 

John, Selina und Jessi hatten ihre Koffer gepackt und verließen das Hotel, um sich ein Taxi zu nehmen, das sie zum Bahnhof brachte. Ihr Zug ging bereits um 7 Uhr, den wollten sie keineswegs verpassen. Sie hatten Glück, denn an der Ecke stand ein Taxi und so stiegen sie ein, sorglos, wie die drei halt waren. Sie bemerkten nicht die schwarze Limousine, die ihnen folgte. Sie freuten sich zu sehr auf Berlin, als dass sie auf sowas geachtet hätten.

 

Jenny und Dennis allerdings sahen, wie der schwarze Wagen sich gleichzeitig mit dem Taxi in Bewegung setzte. Sie schauten sich an, ohne was zu sagen und dachten beide das gleiche. Da ist was faul an der Sache, aber was sollte man tun? Bis man Lemon informiert hatte, waren sie längst über alle Berge, also beschloss man, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie rannten nach unten, schnappten sich ebenfalls ein Taxi und fuhren den beiden Wagen nach. Vielleicht war das ja auch alles bloß purer Zufall, aber irgendwie glaubten beide nicht so daran. Als sie sich dem Bahnhof näherten, hielten die beiden Wagen vor ihnen an. John, Selina und Jessi stiegen aus und betraten mit ihrem Gepäck den Bahnhof. Aus dem schwarzen Wagen stieg nur eine einzelne Person aus. Eine elegant gekleidete Frau, die ebenfalls das Gebäude betrat. Dennis bezahlte den Fahrer und dann ging es hinterher. Bloß die Gruppe nicht aus den Augen verlieren. Sie folgten ihnen bis zum Bahnsteig und sahen, dass sie den Zug nach Berlin nehmen wollten. Die Frau, die ihnen gefolgt war, stand Abseits von ihnen, so dass John und die Mädchen sie nicht sehen konnten.

»Was nun?«, sagte Dennis, »wir können unmöglich zurück nach Deutschland.«

Er schaute Jenny fragend an. Doch sie zerrte ihn zum Schalter, kaufte zwei Karten nach Berlin und als der Zug schnaufend und dampfend in den Bahnhof einfuhr, stiegen die beiden ein.

19

Jetzt saßen sie also im Zug nach Berlin, ganz wohl war den beiden allerdings nicht bei dem Gedanken dahin zurückzukehren, von wo sie geflohen waren. Als der Zug den Bahnhof langsam verließ, braute sich über Paris ein Unwetter zusammen, als ob es das Unheil ankündigen wollte, was noch über die Welt kommen sollte. Helle Blitze zuckten am Abendhimmel und der Donner grollte unheimlich durch die Nacht, der Regen klatschte hart gegen die Fenster ihres Abteils. Die beiden saßen da, wie zwei begossene Pudel und schauten sich fragend an, ob sie wohl das Richtige getan haben.

 

Unterdessen ging es im Abteil von John Baker und seinen beiden Mädels recht fröhlich zu, sie freuten sich auf die Fahrt nach Berlin, besonders auf das Nachtleben, hatten sie doch schon recht viel davon gehört. Sie schauten gebannt aus dem Fenster und zuckten jedesmal zusammen, wenn es wieder draußen krachte und die grellen Blitze bedrohlich nahekamen. John lachte nur und schoss eilig ein paar Bilder, um die erschrockenen Gesichter von Jessi und Selina festzuhalten.

Jetzt saßen sie also im Zug nach Berlin. Ganz wohl war den beiden allerdings nicht bei dem Gedanken dahin zurückzukehren, von wo sie geflohen waren. Als der Zug den Bahnhof langsam verließ, braute sich über Paris ein Unwetter zusammen, als ob es das Unheil ankündigen wollte, was noch über die Welt kommen sollte. Helle Blitze zuckten am Abendhimmel und der Donner grollte unheimlich durch die Nacht, der Regen klatschte hart gegen die Fenster ihres Abteils. Die beiden saßen da, wie zwei begossene Pudel und schauten sich fragend an, ob sie wohl das Richtige getan haben.

 

Unterdessen ging es im Abteil von John Baker und seinen beiden Mädels recht fröhlich zu. Sie freuten sich auf die Fahrt nach Berlin, besonders auf das Nachtleben, hatten sie doch schon recht viel davon gehört. Sie schauten gebannt aus dem Fenster und zuckten jedesmal zusammen, wenn es wieder draußen krachte und die grellen Blitze bedrohlich nahekamen. John lachte nur und schoss eilig ein paar Bilder, um die erschrockenen Gesichter von Jessi und Selina festzuhalten.

 

Im Wagen dahinter saß alleine Bianca und schaute regungslos aus dem Fenster. Ihre großen dunklen Augen starrten in die Nacht, als sich plötzlich die Türe ihres Abteils öffnete.

»Darf es was zu trinken sein für Sie?«, fragte eine Stimme, es war der Zugstewart der zu ihr sprach.

Bianca winkte ab und er schob seinen Wagen weiter, bis er an das Abteil von Jenny und Dennis kam.

 

Die beiden waren gerade dabei ein wenig einzunicken, als sie die Türe öffnete. Jenny und Dennis trauten ihren Augen nicht, als sie den Stewart sahen, es war Lemon, der die beiden verschmitzt angrinste.

»Ich kann euch zwei Helden doch nicht alleine auf die Deutschen los lassen«, lachte er.

Den beiden fiel ein riesengroßer Stein vom Herzen. Jetzt wussten sie, was immer auch kommen mag, irgendwie wird alles gut.

 

John, Jessi und Selina waren inzwischen in einem tiefen Schlaf versunken und bemerkten gar nicht, dass ein Fremder in ihrem Abteil Platz genommen hatte. Er trug einen langen Mantel aus Leder, dazu einen dunklen Hut, den er sich weit ins Gesicht gezogen hatte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die drei und hatte vor, sie ab jetzt nicht mehr aus den Augen zu lassen. Ob die drei so ruhig geschlafen hätten, wenn sie davon wüssten?

 

Lemon erzählte, dass er den beiden heimlich gefolgt sei, da sie die geheimnisvolle Frau und ihr Begleiter schon länger im Visier hatten. Was John, Jessi und Selina mit dem Ganzen zu tun hatten, wusste er und seine Gruppe noch nicht, das wollte er aber herausfinden. Dennis und Jenny hörten ihm aufmerksam zu und die Spannung in ihnen begann zu steigen. Worauf hatten sie sich da bloß eingelassen, wären sie nicht besser in Frankreich geblieben? Doch dafür war es jetzt zu spät, der Zug rollte immer weiter durch die Nacht Richtung Deutschland. Lemon nahm wieder seinen Wagen und schob ihn weiter durch die Abteile, schließlich wollte er ja nicht auffallen. Erleichtert, doch nicht alleine zu sein, schliefen Jenny und Dennis trotz allem ein.

 

Als der Morgen graute näherte sich der Zug der deutschen Grenze. Die Bremsen quietschten und er kam zum Stehen. Dennis schob das Fenster herunter und schaute dem Treiben auf dem Bahnhof zu. Überall wimmelte es von Soldaten die in irgendwelche Zügen stiegen und sie zu irgendwelchen Zielen brachten. Viele lachten, aber auch so manch einer schaute traurig drein, weil wohl niemand so recht wusste, wo die Fahrt wohl enden würde. Dann begann für die beiden das große Zittern. In den Zug stiegen Beamte der Gestapo ein, um die Papiere der Reisenden zu kontrollieren. Den beiden schlug das Herz bis zum Hals, als sich die Türe öffnete und einer der Beamten nach ihren Ausweisen fragte. Dennis übergab ihm ihre Papiere. Er schaute mit bewegungsloser Miene darauf und gab sie ihnen wortlos zurück, dann verließ er wieder das Abteil. Jenny und Dennis schauten sich bloß sprachlos an und ließen sich entspannt zurück in ihre Sitze fallen. Das wäre geschafft,sagte Dennis,die erste Hürde ist genommen.

 

20

Lemon schob seinen Wagen in die Ecke und verschwand rasch in die nächste Toilette, die sich am Ende des Waggons befand. Er zog sich schnell um und verließ so unauffällig den Zug, wie er ihn betreten hatte. Er tauchte unter im Gewimmel der Menge und verließ den Bahnhof. Dennis, der gerade aus dem Fenster schaute, beobachtete ihn dabei. Eben war er noch sehr erfreut nicht mehr alleine zu sein, nun hatte sich die Lage, da Lemon nicht mehr im Zug war, wieder geändert. Von alldem erzählte er Jenny nichts.

 

Auch John, Selina und Jessi wurden von einem Gestapomitarbeiter kontrolliert, ebenso der Fremde. Doch auch bei ihnen hatten sie nichts zu beanstanden und verließen rasch wieder das Abteil. Kurz darauf ging auch der Fremde aus dem Abteil. John wartete noch eine Weile und sagte den Mädels, dass er sich kurz mal die Beine vertreten möchte. Er ging ein paar Schritte durch den Gang und blieb plötzlich, wie vom Donner gerührt stehen. War das nicht Bianca, die dort im Abteil saß und dann noch mit dem unbekannten Mann? John traute seinen Augen nicht. Da die Vorhänge in ihrem Abteil zugezogen waren, konnte er nur einen Spalt erblicken. Was ihm jedoch wiederrum zu Gute kam, so konnte man auch ihn nicht entdecken. Er stellte sich unauffällig neben die Türe und versuchte zu belauschen, was dort besprochen wurde.

 

»Was hast du vor?«, fragte der Unbekannte.

»Ich werde den Amerikaner dazu bringen, dass er für uns arbeitet. Uns wichtige Informationen beschafft.«

»Und wie willst du das anstellen?«

»Das lass mal meine Sorge sein, ich habe da Mittel und Wege, die zum Ziel führen werden.«

John hatte genug gehört. Geschockt schlich er zurück zu den Mädchen, als plötzlich jemand aus dem Nebenabteil an die Scheibe klopfte. Dennis zeigte auf John, er möge doch mal hineinkommen. Zögerlich betrat er das Abteil,wo Jenny und Dennis ihn baten sich zu setzen. Sie erzählten ihm alles, dass sie ihnen gefolgt sind und auch von Bianca und dem Unbekannten. Er hörte ihnen aufmerksam zu und berichtete dann ebenfalls, was er soeben mitbekommen hatte. Dennis und Jenny versprachen, dass sie John und die Mädchen im Auge behalten werden und baten John sich nichts anmerken zu lassen, was er auch tat. Er verließ das Abteil und ging zurück zu den beiden Mädels. Der Fremde kehrte nicht wieder in ihr Abteil zurück. Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung mit Ziel Berlin.

 

Jenny und Dennis waren aufgewühlt. Was wird sie in Berlin erwarten? Sie blickten gedankenverloren aus dem Fenster, an ihnen huschte die Landschaft vorbei. Wälder, Wiesen, Felder und Flüsse, ab und an kam ein Dorf oder eine kleinere Stadt in Sichtweite, sowie ein Konvoi Armeefahrzeuge, die auf dem Weg ins Ungewisse waren. Irgendwann schliefen die beiden ein und erst durch einen Ruck wurden beide aus dem Schlaf gerissen. BERLIN Hauptbahnhof ertönte eine Stimme. Alles aussteigen, Endstation. Schnell sprangen beide auf und verließen den Zug, gingen die Treppen hinunter in den Bahnhofssaal und setzen sich auf eine der Bänke, die dort vorhanden waren. Sie warteten auf John und seine beiden Mädels. Es herrschte im Bahnhof ein heftiges Treiben, doch nach kurzer Zeit entdecken sie die drei, gefolgt von Bianca und dem Fremden. Jenny und Dennis standen auf und gingen ihnen nach draußen nach, um ihnen auf den Fersen zu bleiben. Was bei der Menschenmenge, die sich hier herumtrieb, gar nicht so einfach war.

 

John und die Mädchen nahmen sich ein Taxi, kurz danach hielt eine schwarze Limousine neben Bianca und ihrem Begleiter. Die beiden stiegen ein und fuhren dem Taxi nach. Auch Jenny und Dennis schnappten sich ein Taxi und sagten dem Fahrer, er solle der Limousine folgen. Der Fahrer nickte bloß, drehte sich zu den beiden um und grinste bis über beide Ohren. »Lemon!«, sagten Dennis und Jenny fast gleichzeitig und mussten laut lachen.

»Tja«, sagte er grinsend, »auf den alten Lemon, ist immer Verlass.«

21

»Mensch, alter Knabe«, lachte Dennis und haute ihm vor Begeisterung auf die Schulter, so dass er fast den Lenker verriss. Jenny warf Dennis einen erschrockenen Blick zu. Lemon raste hinter den beiden Fahrzeugen her, um ja nicht den Blickkontakt zu verlieren, aber stets darauf bedacht nicht entdeckt zu werden.

 

Jessi und Selina blickten unterdessen aufgeregt durchs Fenster des Taxis und staunten nicht schlecht, was in den Straßen von Berlin für ein Trubel herrschte. Fast wie in New York, dachte sich Jessi und schmunzelte dabei. John war weniger entspannt und warf des öfteren einen Blick nach hinten. Natürlich hatte er längst die schwarze Limousine bemerkt, die ihnen seit dem Bahnhof folgte. Jedoch ließ er sich den Mädels gegenüber nichts anmerken. Sie fuhren noch eine Weile, dann stoppte das Taxi vor dem Hotel, in dem sie absteigen wollten. Es lag mitten auf dem Ku-Damm, der berühmten Einkaufsmeile Berlins. John bezahlte den Fahrer, holte das Gepäck heraus und die drei betraten das Hotel. Kaum waren sie eingetreten, da hielt auch der schwarze Wagen vor dem Hotel. Bianca stieg aus und rasch entfernte sich der Wagen wieder. Dann betrat auch sie das Foyer des Hotels, um dort einzuchecken.

 

In einer Seitenstraße hielt Lemon seinen Wagen an, um Dennis und Jenny raus zu lassen. Kaum taten sie das, brauste er auch schon wieder davon.

»Mensch, er hat es auch immer eilig«, lachte Dennis, »Bin mal gespannt, als wen oder was wir ihn als Nächstes zu sehen bekommen.«

Jenny konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die zwei hatten sich ein kleines Etablissement direkt neben dem Hotel ausgesucht. Nachdem sie sich dort angemeldet und ihr Gepäck aufs Zimmer gebracht hatten, beschlossen sie einen kleinen Stadtbummel zu unternehmen, schliesslich war auch Berlin für sie Neuland. Sie schlenderten den Ku-Damm entlang. Überall flatterten Hakenkreuzfahnen im Wind, waren hohe Masten auf denen goldene Adler hockten. Irgendwie eine bedrückende Atmosphäre fanden die beiden und glaubten in einer anderen Welt zu sein. Sie wollten noch eine Tasse Kaffee im Café Kranzler trinken und dann zurück aufs Zimmer gehen.

 

Auch Jessi, Selina und John beschlossen sich ein wenig Berlin anzuschauen. John hatte natürlich wie immer seine Kamera dabei, um ein paar Schnappschüsse zu machen. Die beiden Mädels lachten und waren guter Dinge, drückten sich staunend an den Schaufenstern ihre Nasen platt, überall wimmelte es von Geschäften, Kinos, Varietes und Musikhallen. Ein Menschenwirrwarr wohin man auch schaute, nur John blickte sich immer wieder sorgenvoll um, wollte er doch sicher gehen, dass ihnen niemand folgte, aber sehen konnte er keine verdächtige Person. So verfiel auch er langsam dem Rausch dieser Stadt, Seine Kamera hatte jede Menge zu tun, alles musste er auf Fotos festhalten. Dabei bemerkte er nicht, dass Bianca ihnen auf den Fersen war. Elegant gekleidet, mit einem großen schwarzen Hut, sowie einer dunklen Sonnenbrille schlenderte sie unauffällig hinter den dreien her.

 

Jenny und Dennis genossen derweil ihren Kaffee und Dennis stopfte sich grinsend noch ein großes Stück Sahnetorte in den Mund, als ihn Jenny plötzlich anschubste und rief: »Da schau nur, die drei Amerikaner.«

»Du hast Recht«, sagte Dennis, »und sie werden verfolgt. Siehst Du, die elegante Dame dort, die ihnen folgt?«

Klar haben die beiden Bianca bemerkt und Jenny riss Dennis am Arm hoch und sagte zu ihm: »Los, wir müssen ihnen folgen.«

»Aber, aber, mein Kuchen«, stammelte er ganz enttäuscht.

»Ach,ein bisschen Bewegung tut Dir ganz gut«, lachte sie.

Dennis legte das Geld für Kaffee und Kuchen auf den Tisch und die beiden machten sich auf den Weg direkt ins nächste Abenteuer.

22

Jessi und Selina beschlossen eines der Geschäfte aufzusuchen. Lachend betraten sie den Laden, während John draussen blieb, um die Lage im Auge zu behalten. Er beobachtete das bunte Treiben, als urplötzlich Bianca neben ihm stand und sagte: »Na, erstaunt mich zu sehen?«

»Nein, nicht sonderlich«, erwiderte er.

Bianca war ein wenig erstaunt darüber.

»Du und Dein unbekannter Begleiter folgt uns doch schon seit Paris.«

Sie blickte ihn erschrocken an. Wie konnte er das nur bemerkt haben und was wusste er alles?

»Was habt ihr vor« ,fragte John, »was wollt ihr von uns?«

»Ich möchte, dass Du für uns einige Dinge ausspionierst«, sagte sie. «Dinge, die wichtig für unser Land sind. Du bist Amerikaner und fällst in Frankreich nicht auf.«

»Was, wenn ich mich weigere?«, fragte John.

»Du möchtest doch nicht, dass deinen beiden Begleiterinnen irgendetwas passiert?«

John wurde blass. Was sollte er bloß tun, um das Leben der Mädchen nicht zu gefährden?

 

Dennis und Jenny beobachteten das Gespräch aus sicherer Entfernung. Sie waren ratlos und wussten nicht wirklich, was zu tun sei. Wenn doch bloß Lemon hier wäre, er hätte eine Lösung. Bianca drehte sich lächelnd um und ließ John stehen. Er sah verzweifelt aus. Was hatten die beiden nur miteinander besprochen? John wirkte sichtlich nervös. Er lief hin und her und als schließlich die beiden Mädels aus dem Laden kamen, hatte er es recht eilig weiterzukommen. Jenny und Dennis beschlossen, die kleine Gruppe ab jetzt nicht mehr aus den Augen zu lassen und folgten ihnen auf Schritt und Tritt.

»Mensch«, stöhnte Dennis, »machen die denn mal so gar keine Pause? Meine Füße schmerzen und Hunger hätte ich auch.«

Jenny grinste, als sie ihn so leiden sah, aber sie hatten sich eine Aufgabe vorgenommen und die hieß es nun durchzuführen.

 

Als es allmählich anfing dunkel zu werden und Berlin im abendlichen Glanz der tausend Lichter erstrahlte, beschlossen die drei noch einen Abstecher in einer der unzähligen Klubs zu machen. Eine ihnen unbekannte lokale Jazzband spielte und sie setzten sich hin, tranken etwas und genossen die Musik. Hm, dachte sich John, die Deutschen können ja sogar recht guten Jazz spielen und machte emsig ein paar Bilder von der Session. Er hatte für einen Moment das unangenehme Treffen mit Bianca vergessen, als er ihn sah, den Fremden aus dem Zug. Der Kerl, der sich mit Bianca im Abteil getroffen hatte. Diese Mistkerle ließen sie doch einfach nicht in Ruhe. Die Angst kroch in ihm hoch. Jessi stand auf und begab sich auf die Toilette, da sie doch reichlich viel getrunken hatte. Als sie um die Ecke verschwand, folgte ihr der Kerl. John erschrak, sprang plötzlich auf und lief eiligst zur Toilette, wo der Fremde Jessi am Arm packte und sie bedrängte.

»Hey«, rief er laut, »lass das Mädchen los sonst!«

»Sonst was?«, erwiderte der Unbekannte.

Als John sich ihm näherte, zog dieser plötzlich eine Pistole.

»Keinen Schritt weiter, sonst leg ich Dich um«, sagte er.

John blieb wie angewurzelt stehen. Jessi reagierte geistesgegenwärtig und schlug ihm auf den Arm. John nutzte die Lage und schlug ihn zu Boden. Er packte Jessis Arm und wollte sie wegziehen, da ergriff der Unbekannte seine Pistole und ein Schuss fiel.

 

Jenny und Dennis, die soeben das Lokal betraten, erschraken, als der Schuss fiel und die Gäste von den Stühlen aufsprangen und laut schrien. Die Zwei schauten sich verdutzt an. Was war hier geschehen? Die meisten Gäste verließen fluchtartig die Räumlichkeiten und brachten sich in Sicherheit, bis auf Selina, die wie versteinert auf ihren Platz saß. Jenny und Dennis eilten zu ihr, um sie nach dem Geschehenen zu fragen, als überraschend John und Jessi um die Ecke kamen, blass wie zwei Leichentücher.

»Wir müssen hier weg, so schnell wie nur möglich«, stammelte John völlig aufgelöst.

»Da hat er ausnahmsweise mal Recht«, hörten sie im Hintergrund eine Stimme sagen.

Alle drehten sich fast gleichzeitig um und sahen Lemon dort stehen, er grinste und ging mit ihnen zum Hinterausgang, bevor die Polizei eintraf.

23

Alle folgten Lemon wie die Lemminge. In der Ecke lag der tote Gestapomann, Jenny wurde ganz übel, bei seinem Anblick. Lemon hatte ganze Arbeit geleistet. Genau in die Stirn. Diesen Anblick würde sie wohl nicht so schnell vergessen. Er lief voraus und sprang in einen Lieferwagen und alle anderen hinterher.

»Los, gib Gas«, raunte er den Fahrer an, »die Bullen sind gleich hier.«

Mit quietschenden Rädern Schoß der Wagen los. Dennis konnte sich noch soeben festhalten, sonst wäre er durch den ganzen Wagen geflogen. Der Wagen brauste mit einem Höllentempo durch die Straßen von Berlin.

»Mist«, hörte man Lemon sagen, »die Polente ist hinter uns. Festhalten dahinten, jetzt wirds rasant!«

Damit hatte er noch reichlich untertrieben, der Wagen schleuderte von links nach rechts, sodass allen allmählich übel wurde. Jenny klammerte sich an Dennis fest und John hatte an jeden Arm ein Mädel, das sich ebenfalls an ihm klammerte.

 

Der Fahrer fuhr so schnell er konnte, doch die Wagen der Polizei, sowie der Gestapo waren ihnen auf den Fersen. Dann fielen die ersten Schüsse.

»Runter«, schrie Lemon nach hinten, »jetzt wird es ernst.«

War es nicht schon die ganze Zeit ernst, dachte sich John und warf sich schnell auf den Boden des Lieferwagens. Lemon lehnte sich aus dem Wagen, holte seine Maschinenpistole heraus und ballerte, was das Zeugs hielt, auf die Verfolger. Der Wagen, der ihnen am dichtesten gefolgt war, geriet ins Schleudern. Lemon hatte den Fahrer getroffen und der Wagen knallte mit voller Wucht gegen einen Baum. Er grinste, als er das sah und forderte seinen Fahrer auf nochmal kräftig aufs Gaspedal zu treten, was dieser auch sofort tat. Die Türe der Ladefläche war inzwischen von Kugeln durchsiebt. John und Dennis fürchteten um das Leben der Mädchen und um das ihre. Lemon rief Dennis zu, er solle die Türe öffnen und reichte ihm und John ebenfalls eine Maschinenpistole. Die beiden schauten sich ratlos an, hatten sie doch noch nie solch ein Ding in der Hand gehabt. Doch was blieb ihnen anderes übrig? John trat gegen die Türe und Dennis hielt einfach auf die ihnen folgenden Wagen und feuerte los. John machte es ebenso. Nachdem sie einige der Verfolger ausgeschaltet hatten, drehten sie um, zu hoch waren die Verluste.

 

 

 

Lemon atmete durch.

»Das war knapp«, grinste er.

Der Lieferwagen hielt an einer alten Fabrik, die längst stillgelegt worden war.

»So, Leute«, sagte Lemon, »raus mit euch, wir sind vorerst in Sicherheit.«

John und Dennis sprangen als erste heraus, dann folgte ihnen Jenny und Jessi, nur Selina blieb liegen.

»Hey«, sagte John, »kannst rauskommen, die Gefahr ist vorbei,«

Doch sie rührte sich nicht. Lemon sprang in den Wagen und drehte Selina herum. Eine Kugel hatte sie getroffen. Sie war auf der Stelle tot. Alle standen wie vom Donner gerührt um sie herum. Jenny und Jessi fingen hemmungslos an zu weinen, auch Dennis und John konnten ihre Tränen nicht zurück halten. Selbst Lemon, der harte Hund, musste schlucken. Aber sie mussten weiter, denn die Gestapo würde nicht eher ruhen, bis sie sie geschnappt hatten, das war allen klar.

Schweren Herzens mussten sie Selina zurücklassen. Der Fahrer bekam die Anweisung für ihre Beerdigung zu sorgen, dann fuhr er eiligst davon und die kleine Gruppe machte sich auf den Weg zur nächsten Bahnstation, die sich laut Lemon ganz in der Nähe befand.

24

Ganz in der Nähe ist gut, schimpfte Dennis, mir tun schon vom laufen die Quanten weh! Mit der Entfernung hatte sich Lemon wohl ein wenig verschätzt. Der Bahndamm lag doch weiter entfernt,als er glaubte. Nach einer Weile zu Fuß erreichten sie ihn dann aber endlich, alle ließen sich erschöpft nieder. Nur der harte Hund Lemon stieg hinauf, um zu sehen was sich an der nahegelegen Bahnstation tat. Als er oben war, sah er was er vermutet hatte. Es wimmelte von Soldaten und Gestapo Leuten dort, die den Zug förmlich auseinander nahmen. Mitten im Gewühl stand eine Frau mit schwarzen Haaren und scheuchte die Männer ganz schön hin und her. Das ist doch Bianca, sagte John, der nun ebenfalls, den Bahndamm erklommen hatte. Ja, das ist sie, antwortete Lemon. Sie ist auf der Suche nach uns und wird nicht eher ruhen, bis sie uns hat. Mittlerweile waren auch Dennis ,Jessi und Jenny oben angelangt und sahen, was sich dort unten abspielte. Lemon machte den Vorschlag, das, sobald der Zug sich ihnen näherte, er auf springt, die Waggontüre öffnet und jeden in den Waggon zieht. Der Plan wurde angenommen und so wartete man darauf, das die Lok sich in Bewegung setzte.

 

»Ganz in der Nähe ist gut«, schimpfte Dennis, »mir tun schon vom Laufen die Quanten weh!«

Mit der Entfernung hatte sich Lemon wohl ein wenig verschätzt. Der Bahndamm lag doch weiter entfernt, als er glaubte. Nach einer Weile zu Fuß erreichten sie ihn dann aber endlich, alle ließen sich erschöpft nieder. Nur der harte Hund Lemon stieg hinauf, um zu sehen was sich an der nahegelegen Bahnstation tat. Als er oben war, sah er was er vermutet hatte. Es wimmelte von Soldaten und Gestapo-Leuten dort, die den Zug förmlich auseinander nahmen. Mitten im Gewühl stand eine Frau mit schwarzen Haaren und scheuchte die Männer ganz schön hin und her.

»Das ist doch Bianca«, sagte John, der nun ebenfalls, den Bahndamm erklommen hatte.

»Ja, das ist sie«, antwortete Lemon. »Sie ist auf der Suche nach uns und wird nicht eher ruhen, bis sie uns hat.«

Mittlerweile waren auch Dennis ,Jessi und Jenny oben angelangt und sahen, was sich dort unten abspielte. Lemon machte den Vorschlag, das, sobald der Zug sich ihnen näherte, er auf springt, die Waggontüre öffnet und jeden in den Waggon zieht. Der Plan wurde angenommen und so wartete man darauf, das die Lok sich in Bewegung setzte.

 

Bianca war außer sich vor Wut, dass man niemanden gefunden hatte. Sie war so sehr überzeugt davon, dass man sie dort finden würde.

»Herr Leutnant, nehmen Sie ein paar Männer und die Spürhunde mit und suchen Sie die Gegend um den Bahndamm ab.«

»Zu Befehl«, sagte er zackig, suchte ein paar Männer zusammen und machte sich daran, den Befehl auszuführen.

»Verdammt«, hörte man Dennis sagen, »die kommen mit Köter auf uns zu. Die riechen uns doch drei Meilen gegen den Wind.«

Jenny konnte es sich nicht verkneifen und meinte: »Und Dich gleich als Ersten, weil sie deinen Angstschweiß riechen.«

Er schaute sie nur strafend an. Die Gruppe Soldaten kam ihnen gefährlich nahe. Die Hunde bellten und zogen kräftig an den Leinen, da setzte sich schnauffend die Lok in Bewegung und rollte auf den Bahndamm zu.

»Macht euch bereit«, rief Lemon, »gleich gehts los.«

Als der Zug auf ihre Höhe war, sprang er auf und hüpfte gekonnt auf den Waggon, öffnete die Türe und zog einen nach dem anderen hinein.

Haarscharf, denn die Gruppe mit den Spürhunden erreichte nun ebenfalls den Damm. Erleichtert ließen sich alle auf den mit Stroh ausgelegten Boden des Waggons nieder.

»Das war knapp«, sagte Dennis, »ich sah mich schon im Geiste als Hundefutter.«

Obwohl die Lage ernst war, mussten alle lachen. Nur Jessi saß betrübt in der Ecke und sagte kein Wort. John hockte sich zu ihr und nahm sie in den Arm, zu sehr litt sie unter den Verlust von Selina. Lemon grübbelte schon darüber nach, was sie als nächstes tun sollten, denn eines war sicher, gerettet sind sie noch lange nicht.

 

Bianca war ebenfalls auf dem Bahndamm angelangt und tobte wie eine Furie, als der Leutnant ihr meldete, dass sie wohl hier auf den Zug gelauert haben.

»Verdammt! Diese Mistbande hat uns ausgetrickst. Halten sie den Zug so schnell wie möglich an und bringen sie mir dieses Pack, tot oder lebendig!«

Als der Zug eine Weile gefahren ist, stand Lemon plötzlich auf und sagte zu allen: »Los, wir müssen raus, da hinten kommt gleich ein Fluss. Auf dem bewegen wir uns dann weiter fort.«

Alle sahen ihn verdutzt an. Sie waren erschöpft und wären gerne noch geblieben. Aber, bisher hatte Lemon seine Sache verdammt gut gemacht und er wird schon wissen, was er tut, also folgten sie ihm. In einer Kurve, als die Lok langsam fuhr, sprangen sie alle nacheinander wieder aus dem Zug. Nicht weit von dieser Stelle befand sich der Fluß von dem Lemon geredet hatte. Sie legten eine kurze Strecke zu Fuß zurück, als sie am Ufer einen Lastkahn erblickten. Lemon und John betraten das Boot und der Rest der Gruppe wartete sicher hinter einem Gebüsch. Nach einer Weile erschien John an Deck und winkte ihnen zu, sie mögen doch auch an Bord kommen. Schnell sprangen sie aus ihrem Versteck und gingen ebenfalls an Bord. Dort saß Lemon bereits mit dem Kapitän, ein netter älterer Herr, der die Gruppe herzlich begrüßte. Er war froh ein paar helfende Hände an Bord zu haben.

»So, ihr Landratten«, sagte er lachend, »denn mal Leinen los und ab geht die Fahrt ins nächste Abenteuer.«

 

25

»Na, hoffentlich werde ich nicht noch seekrank«, sagte Dennis grinsend.

»Du weißt schon, dass das hier kein Meer, sondern bloß ein Fluss ist?«, zog Jenny ihn damit auf.

Alle mussten lachen, selbst Jessi konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen.

»Wohin gehts eigentlich?«, wollte John von Lemon wissen.

»Der Kapitän bringt uns von hier erstmal nach Amsterdam. Wenn wir es bis dahin schaffen, schlagen wir uns weiter nach Frankreich durch.«

John nickte bedächtigt und zündete sich sein Pfeifchen an, an dem er lange nicht gezogen hatte. An Bord machte sich jeder irgendwie nützlich, so gut es ging. Die Mädchen kümmerten sich ums Essen und Lemon und John schauten sich auf einer Karte an, wie man am besten Frankreich erreichen konnte.

 

Dennis traf es nicht ganz so gut, wurde er doch vom Kapitän zum Deck schrubben verdonnert. Bianca und ihre Leute fuhren so schnell wie es irgendwie ging hinter dem Zug her, um ihn bei nächster Gelegenheit zu stoppen.

»Da, sehen sie?«, sagte der Leutnant, »Dort ist er. Gleich haben wir die Bande.«

Bianca lachte. »Tja, das hättet ihr nicht gedacht, dass wir uns so schnell wieder sehen?«

Der Fahrer gab Gas und sie brachten den Zug zum Stehen. Es quietschte, als der Lokführer die Bremse zog und langsam kam der Zug zum Stehen.

»Los!«, brüllte sie, »Alle Wagen durchsuchen, aber Dalli!«

Die Soldaten sprangen von den LKW´s und rissen jede Tür auf, schauten hinein und riefen, hier ist nichts, hier auch nichts. So ging es Waggon um Waggon. Bianca tobte außer sich vor Wut.

»Das kann doch nicht wahr sein, sie müssen doch hier sein!«

Doch alles Toben war umsonst, sie hatten sie wieder einmal überlistet. Die Soldaten verließen den Zug und er setzte sich langsam wieder in Bewegung.

»Sie müssen wohl vorher den Zug verlassen haben«, sagte der Leutnant ratlos.

Bianca schaute ihn bitterböse an und raunte: »Sonst wären sie ja wohl hier und uns ins Netz gegangen, sie Blitzmerker. Sie und ihre Truppe sind einfach unfähig! Ich werde dafür sorgen, dass Sie versetzt werden«

Danch stieg sie in ihren Wagen und brauste davon.

 

Die Fahrt auf dem Fluss verlief ruhig. Lemon hatte wieder einmal alles durchdacht und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, sah er doch im Geiste Biancas Gesicht. Wie sie tobte, als sie feststellte, dass die Vögelchen längst ausgeflogen waren.

»Wir kommen gleich an einen Kontrollpunkt«, sagte der Kapitän, »ich schlage vor ihr begebt euch alle in den Laderaum. Dort befindet sich ein Geheimversteck, da wird euch niemand finden.«

Das Schiff hatte Kohlen geladen und hinter einem Berg von Kohle befand sich der Raum. Als die Gruppe sich in dem Versteck befand, sahen sie aus, wie die Neger. Als sie sich so sahen, mussten alle grinsen. Lemon blieb als einziger mit dem Kapitän an Deck. Er hatte sein Aussehen schnell verändert, er trug jetzt einen falschen Bart und hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Zur selben Zeit, als das Schiff den Kontrollpunkt erreichte, bog auch Biancas Wagen um die Ecke und hielt an. Sie stieg aus und gab dem Posten Anweisungen sich genau an Bord umzuschauen. Lemon erschrak kurz, als er sie erblickte, blieb aber die Ruhe selbst, wie man es von ihm gewohnt war. Der Kapitän legte an, Lemon sprang lässig von Bord und machte die Leinen fest.

 

Kaum war das geschehen, betraten die Posten das Schiff, erkundigten sich beim Kapitän wohin die Reise denn ginge und begannen mit der Durchsuchung. Lemon schaute sich das Schauspiel gelassen an, als Bianca zu ihm kam.

»Haben Sie eine Gruppe junger Leute gesehen?«, fragte sie ihn.

Lemon, der recht gut Holländisch sprach, antwortete, dass ihm nichts dergleichen aufgefallen wäre. Bianca schöpfte keinen Verdacht und wendete sich wieder den Posten zu, die das Schiff bereits wieder verlassen hatten, ohne Ergebnis. Der Kapitän bekam die Erlaubnis weiterzufahren und Lemon machte erleichtert die Leinen los, ohne sich ein leises Lachen nicht zu verkneifen. Als sich der Kahn wieder mitten auf dem Fluss befand, kamen alle wieder an Deck.

»Schwarz wie die Neger«, so lachte Jenny, »jetzt aber ab in die Wanne, der Dreck muss runter.«

»Au ja«, lachte Dennis, »wir Zwei zuerst.«

»Das könnte Dir so passen!«, lachte sie, »Einer nach dem anderen.«

»Das haste wieder fein«, gemacht sagte John und zog Lemon an seinem falschen Bart. Er schaute ganz verstört, als er ihn in der Hand hielt, sein Gesichtsausdruck war zu komisch und alle lachten und vergaßen für einen Augenblick in welch einer Lage sie sich befanden.

26

Die Fahrt mit dem Schleppkahn verlief ruhig und so näherten sie sich ihrem Ziel Amsterdam. John und Lemon saßen vorne am Bug des Schiffes und unterhielten sich, während John dabei genüsslich sein Pfeifchen anzündete. Die Mädels kümmerten sich um das leibliche Wohl und Dennis war mal wieder vom Kapitän zum Deck schrubben verdonnert worden.

»Wie geht es weiter, wenn wir in Holland sind?«, wollte John von Lemon wissen.

»Ich kenne dort ein paar Leute die uns weiter helfen werden, so dass wir wohl recht bald wieder in Frankreich sind.«

Lemon kannte gefühlt überall auf der Welt irgendjemand, der ihm irgendwie schon helfen würde. John beneidete diesen Mann, der wohl nirgends so richtig zu Hause war.

 

Kurz vor Amsterdam legte der Kahn an, man verabschiedete sich und ging von Bord.

»So, wir müssen noch eine kurze Strecke zu Fuß laufen, dann nimmt uns ein Wagen auf«, sagte Lemon.

»Deine kurzen Strecken kenne ich«, sagte Dennis halb im Scherz und selbst Lemon musste schmunzeln.

Dieses mal hatte er aber recht, nach nur einem kurzen Fußmarsch erreichten sie die Landstraße und kurze Zeit später erschien der Wagen, so wie Lemon es vorausgesagt hatte. Man stieg rasch ein und los gings. Die Anspannung stand allen ins Gesicht geschrieben. Hatte man sich an Bord doch recht sicher gefühlt, war diese Sicherheit nun wieder verflogen und so saßen alle stumm zusammen und schauten Gedankenverloren aus dem Fenster. Der Lieferwagen bog um die Ecke, als dem Fahrer plötzlich ein »Scheiße!« entfuhr.

»Eine Straßensperre«, stotterte Dennis, »das hat uns gerade noch gefehlt.«

Lemon zog seine Waffe und auch John, sowie Dennis waren zu allem bereit.

»Haaaalt«, rief der Posten und mit ihm kamen drei weitere Soldaten auf das Fahrzeug zu. »Papiere«, sagte er kurz und knapp, aber mit einem bestimmenden Ton. Er blickte in den Wagen und ließ sich die Dokumente geben. Er warf einen Blick darauf, der allen wie eine Ewigkeit vor kam, dann reichte er ihnen die Pässe wieder und wünschte ihnen noch eine gute Weiterfahrt. Man konnte die Steine förmlich plumpsen hören, die ihnen vom Herzen fielen.

 

»Los, gib Gas«, raunte Lemon den Fahrer an, der sich nicht lange bitten ließ und davon brauste. Kaum waren sie wieder unterwegs, da bemerkten sie, dass die Straßenposten ihnen folgten.

»Los, da stimmt was nicht, tritt das Pedal durch«, rief Lemon.

»So eine verdammte Scheiße«, sagte Dennis, »Die haben wohl Lunte gerochen.«

Neben ihnen tauchte plötzlich ein Soldat auf einem Motorrad auf, der ihnen zeigte, sie mögen Rechts ranfahren, doch der Fahrer machte einen Schlenker nach links und das Motorrad machte einen Satz in den nächsten Straßengraben.

Dann ging die Schießerei los. Lemon, John und Dennis feuerten zurück was sie nur konnten, doch ein gezielter Schuss in die Reifen setzte ihrer Flucht ein Ende. Der Fahrer verlor die Kontrolle und krachte mit dem Wagen gegen einen Baum, dabei flog er im hohen Bogen durch die Scheibe und war auf der Stelle tot. Auch die anderen wurden aus dem Wagen geschleudert. Jenny blieb regungslos im Gras liegen, John und Dennis landeten in einem Fluss, der an der Straße vorbei floß. Jessi irrte benommen auf der Strasse umher und wurde sogleich von der Streife festgenommen. Nachdem man John und Dennis aus dem Wasser gefischt hatte, wurden auch sie festgenommen und abgeführt.

»Was ist mit der hier?«, hörte Dennis einen der Soldaten sagen.

»Die hat es hinter sich«, grinste er höhnisch, dann fuhr der Wagen mit ihnen davon.

Entsetzt sah Dennis zurück, er konnte nicht glauben, dass Jenny nicht mehr lebte. Aber wo war eigentlich Lemon geblieben? Die Suche nach ihm blieb erfolglos.

»Was wird jetzt bloß aus uns?«, sagte Dennis und schaute John verzweifelt an, doch auch er konnte ihm das nicht sagen.

27

Lemon schnappte nach Luft. Lange hätte er es unter Wasser nicht mehr aushalten können. Als der Wagen gegen den Baum prallte wurde auch er heraus geschleudert und landete im hohen Bogen im Wasser. Schnell brach er sich ein Schilfrohr ab, steckte es in den Mund und tauchte unter. Durch das Rohr konnte er atmen und so lange unter Wasser bleiben, bis die Soldaten die Suche nach ihm aufgaben. Er sprang eiligst aus dem Wasser und rannte hinüber zu Jenny, die noch immer regungslos im Gras lag. Gut, dass der Soldat nicht genau geprüft hatte, ob sie noch lebte, dann hätte er festgestellt, dass sie atmete. Lemon schnappte sich Jenny und verschwand mit ihr in den Wald, der sich ganz in ihrer Nähe befand.

 

Währenddessen wurden John, Dennis und Jessi zum Revier gebracht, wo man sie verhörte. Die Gestapoleute gingen nicht gerade zimperlich mit ihnen um. Weil sie nichts sagten, wurden sie ziemlich übel zugerichtet, auch Jessi wurde nicht verschont. John und Dennis wurden zurück in ihre Zellen geschleift, weil sie es alleine nicht mehr schafften. Auch Jessi konnte nicht mehr stehen, als man sie zurück brachte. Alle wussten, lange hielten sie diese Misshandlungen nicht mehr aus. John spürte sein Gesicht gar nicht mehr, es war alles geschwollen und ein paar Zähne fehlten ihm auch, Dennis erging es nicht viel besser.

»Wäre ich doch bloß tot, dann könnte ich jetzt bei Jenny sein«, schluchste er.

»Reiß Dich zusammen«, raunte ihn John an, der von der Zelle nebenan alles mit hörte.

»Tut mir leid, John, aber ich muss die ganze Zeit an sie denken.«

»Solange Lemon noch da ist, ist die Hoffnung auch da, denk immer daran«, sagte John zu ihm.

Er wusste nicht wie, aber irgendwie gab dieser Satz ihm wieder neuen Mut und er beschloss sich zusammenzureißen. Es wird schon alles gut.

 

Lemon brachte Jenny in ein nahegelegenes Bauernhaus, wo man sich um sie kümmerte, dann machte er sich wieder auf den Weg um sich um John, Dennis und Jessi zu kümmern. Er hatte bereits einen Plan, um die drei da rauszuhauen. Schnell trommelte er ein paar Leute zusammen und dann fuhren sie los, so schnell sie nur konnten. Lemon kannte die Methoden der Gestapo und wusste, dass die drei das nicht lange durchstehen werden, also war schnelles Handeln nötig und Lemon war ein Freund von schnellen Entscheidungen. Sie hielten mit quietschenden Reifen vor dem Revier, dann sprangen er und seine drei Kumpane aus dem Wagen. Sie traten, ohne lange zu zögern die Türe ein und ballerten los, als ob es keinen Morgen gäbe. Keiner der Soldaten und Gestapoleuten überlebte den Überfall, zu schnell ging alles vonstatten. Sie hatten null Chance gehabt.

 

Aufgeschreckt vom Lärm der Schießerei sprangen John, Dennis und Jessi von ihren Pritschen hoch und schauten nicht schlecht, als mal wieder der gute alte Lemon in der Türe stand und breit grinste. Er öffnete die Zellen und man half ihnen schnell in den bereitstehenden Wagen. Kaum waren alle drin, schoß der Wagen auch schon wieder los, Richtung Ortsausgang. Das Ganze hatte keine zehn Minuten gedauert. Auf dem Weg zum Bauernhaus erzählte Lemon, dass Jenny lebt und sie auf dem Weg der Besserung sei. Die Erleichterung war bei allen groß, ganz besonders bei Dennis.

28

Die Leute aus dem Bauernhaus hießen alle herzlich Willkommen. Lemon kannte sie noch aus seiner Zeit, als er in Holland gelebt hatte. Sie versteckten seit dem Krieg immer mal wieder Flüchtlinge und waren auch im Untergrund tätig. Alle kümmerten sich rührend um Jenny, bis sie wieder auf dem Damm war, dann beschlossen sie sich wieder auf den Weg zu machen nach Frankreich. Lemon hatte vor über Belgien nach Frankreich zurückzukehren, da er sich dort gut auskannte. Aber mal ehrlich, wo kannte er sich nicht gut aus? Als es dunkel wurde, machte sich die kleine Gruppe auf den Weg. Jeder trug einen Rucksack mit Proviant und warmer Kleidung. Die belgische Grenze war nicht sehr weit und führte durch einen dichten Wald, der ihnen genügend Schutz bot. Als sie ein gutes Stück gelaufen sind, hielt Lemon inne.

»Da vorne ist die Grenzlinie«, sagte er. »Alle zehn Minuten kommen deutsche Posten dort vorbei. Wir müssen also rasch sein, damit uns niemand bemerkt.«

Vorsichtig robbte sich die Gruppe durchs Unterholz, immer darauf bedacht, nur kein Geräusch zu machen. Lemon lief ein Stück vor und blieb hinter einer dicken Eiche stehen, so dass alle anderen ihn gut sehen konnten und auf sein Zeichen warteten.

 

Die Stille war gespenstig, nicht mal einen Vogel hörte man, als aus der Lichtung die beiden Posten traten. Sie schauten sich ab und an mal um, rauchten beide eine Zigarette und liefen ihren Weg ab, bis sie in der Dunkelheit verschwanden. Lemon hob die Hand und die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung. Kaum waren sie über die Grenzlinie ließen sich alle im Dickicht fallen, die Erleichterung war ihnen anzumerken.

»Geschafft«, schnaufte John und holte eine Flasche aus seinem Rucksack heraus, nahm einen Schluck und reichte sie jedem weiter.

Jenny musste eine kleine Pause machen, da ihr Fuß bei dem Unfall etwas abbekommen hatte. Dennis und Jessi aßen eins ihrer Brote, die die Bauersfrau ihnen mitgegeben hatte.

 

»Ich will nur ungern treiben«, sagte Lemon, »aber wir müssen los. Uns die Dunkelheit zunutze machen. Auch in Belgien wimmelt es von Deutschen«, mahnte er.

Als es begann zu dämmern, sahen sie in der Ferne ein kleines Dorf.

»Das ist unser Ziel«, sagte Lemon, »Hier kenne ich ein paar Leute, die uns weiter helfen werden.«

Die anderen sahen sich an und mussten unwillkürlich lächeln. Gab es irgendwo auf der Welt einen Ort, wo Lemon mal niemanden kannte? Der Weg zum Dorf führte über ein großes Feld, das ihnen keinerlei Schutz bot, da es bereits abgeerntet war. Also blieb ihnen nichts anderes über, als schutzlos übers Feld zu laufen. Sie hatten die Mitte des Ackers erreicht, als wie aus dem Nichts ein LKW mit deutschen Soldaten auf sie zu kam.

»Scheiße!«, rief John, riss sein Gewehr von den Schultern und eröffnete das Feuer. Lemon und Dennis taten es ihm nach. Die Mädels warfen sich auf den Boden, um nicht getroffen zu werden. Johns erster Schuß war gleich ein Volltreffer. Der Fahrer des Wagens wurde getroffen und steuerte den LKW in den Graben. Die Soldaten sprangen rechtzeitig ab, gingen in Deckung und feuerten zurück. Die drei schossen aus allen Rohren. Damit hatten die Deutschen wohl nicht gerechnet und zogen sich, nach zahlreichen Verlusten zurück.

»Ha ha«, lachte Dennis, »die laufen wie die aufgescheuchten Hühner davon.«

John ließ sich für seinen Meisterschuß feiern und dann machten sie, dass sie schleunigst in Sicherheit kamen.

 

Lemon musste seinen Plan nun ändern.

»Die werden zurückkommen und uns suchen«, sagte er.

Hier bleiben wäre leichtsinnig und würde seine Freunde im Dorf nur unnötig gefährden. Dennis und Jenny machten lange Gesichter. Zu gerne hätten sie sich ein Weilchen ausgeruht, doch die Flucht nach Frankreich ging gnadenlos weiter.

29

Lemon verschwand für eine Weile im Dorf, um ein Fahrzeug für die weitere Flucht zu besorgen, während die restliche Gruppe sich in einem nahegelegenen Waldstück versteckte. Dennis und John beobachteten von dort aus die Straße die in den Ort führte und sahen, wie sich aus der Ferne ein Trupp Soldaten näherte.

»Verdammt«, murmelte John, »Sie kommen früher als erwartet zurück und Lemon ist noch bei seinen Freunden.«

Jenny reichte ihm den Feldstecher, den Lemon ihnen da gelassen hatte. John nahm es und schaute durch. Vorne vor den LKWs fuhr ein offener Wagen und John erstarrte, als er Bianca darin sitzen sah. Lemon saß in der Falle, sie würde ihn erkennen, also beschloß John zu handeln. Rasch berichtete er den anderen was er befürchtete und so beschlossen sie, ebenfalls ins Dorf zu gehen um Lemon, wenn er in Schwierigkeiten war, da rauszuhauen.

 

Der Konvoi fuhr langsam ins Dorf, beobachtet von den Bewohnern die rasch einen Blick hinter den Gardinen auf die Strasse warfen. Der Wagen in dem Bianca saß, hielt plötzlich und ihre Stimme tönte durch die fast menschenleeren Strassen.

»Alles runter von den Wagen! Durchsucht jede Wohnung, jedes Kellerloch! Bringt mir diese Ratten… tot oder lebendig!«, schrie sie mit schriller Stimme.

Die Soldaten schwärmten aus, traten Türen ein, oder zerschlugen Scheiben. Überall hörte man Schreie und zersplitterndes Glas. Bianca stand breitbeinig, die Arme über ihrer Brust verschränkt, auf dem Marktplatz und sah dem Treiben grinsend zu. Sie griff plötzlich in ihre Jackentasche und holte eine Pistole hervor. Mit lächelnder Mine sagte sie: »Diesen Lemon erledige ich persönlich.«

 

John, Dennis, Jenny und Jessi hatten alles aus sicherer Entfernung mitangesehen. Die Waffen, die Lemon ihnen gegeben hatte, hielten sie entschlossen in der Hand. Auch Jenny und Jessi waren zu allem bereit. Eine ganze Weile geschah nichts. Bianca stand unruhig da und fuchtelte mit der Pistole herum. Dann endlich schleppten einige der Soldaten einen älteren Mann herbei, es handelte sich um den Bürgermeister des kleinen Ortes.

»Was soll ich mit dem Kerl?«, fauchte sie die Soldaten an. »Bringt mir Lemon und den Rest dieser verfluchten Bande, ihr Schwachköpfe.«

Der Ranghöchste der Soldaten trat zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Bianca grinste und nahm ihre Pistole und trat dem Mann entgegen.

»Du wirst mir jetzt sagen, wo sich Lemon und seine Freunde befinden, sonst leg ich dich um!«

Der Mann wurde leichenblass, als er den Lauf der Pistole auf seiner Stirn spürte. Bianca spannte den Abzug und wollte gerade abdrücken, als eine Stimme ertönte.

»Halt!«, rief Lemon, »Hier bin ich. Du wolltest mich doch haben? Also lass den armen Teufel gehen.«

Bianca grinste höllisch und drückte ab. Der Mann sackte leblos zu Boden. Lemon war geschockt und nicht in der Lage sich zu bewegen.

»So«, sagte sie, »jetzt bist du dran.«

Sie trat auf Lemon zu und befahl ihm sich auf den Boden zu knien, was er mit einigem Zögern auch tat, dann stellte sie sich hinter ihn und richtete die Waffe gegen seinen Hinterkopf.

 

John und die anderen sahen alles mit Entsetzen an. Wenn sie nicht eingreifen, wird Lemon in wenigen Sekunden tot sein. Jessi nahm ihre Waffe und flüsterte: »Das ist für Selina, ihr Schweine« und drückte ab.

Bianca sackte ohne einen Laut von sich zu geben zu Boden. Jessi traf sie mit einem tödlichen Schuss. Dann begann das Inferno. Es schien, als ob das ganze Dorf plötzlich zu Leben erwachte. Überall aus den Fenstern schoben sich Gewehrläufe und schossen, als ob es keinen Morgen gäbe. Auch John, Dennis und Jenny feuerten aus allen Rohren. Lemon hechtete mit einem gekonnten Sprung in eines der Häuser, um sich in Sicherheit zu bringen.

Nach einer ganzen Weile war plötzlich Stille. Kein Laut mehr zu hören. Die Schüsse waren verhallt und über dem Marktplatz lag dick der Pulverdampf. Nicht einer der deutschen Soldaten war mehr am Leben. John trat als erster aus seinem Versteck und ging langsam auf die leblos am Boden liegende Bianca zu. Alles fuhr ihm durch den Sinn, als er sie das erste Mal auf dem Schiff traf und sie jetzt hier tot am Boden liegen sah. Er musste sich trotz allem eingestehen, sie doch geliebt zu haben. Nach und nach traten auch die anderen aus ihren Verstecken und der Marktplatz füllte sich wieder mit Leben.

 

Die Gruppe stand dicht bei John und hielten sich bei den Händen. Ein breites Grinsen kam allen übers Gesicht, als sie Lemon unversehrt aus dem Haus kommen sahen. Lemon trat zu ihnen und drücke jeden ganz fest an sich. Er war kein Freund großer Worte, aber ein »Danke« kam ihm doch recht leicht von den Lippen. Die Bewohner schnappten sich die Leichen der Soldaten und warfen sie auf einen eiligst herbei geschafften LKW, der sie irgendwohin brachte, um sie dort zu verscharren. Auch Biancas Leiche war dabei.

John blickte dem Wagen noch lange nach, als Lemon ihn aus seiner Lethargie riss mit den Worten: »Nun komm, old Boy, oder willst Du hier Wurzeln schlagen?«

John zuckte kurz zusammen,dann hüpfte er, wie die anderen auch in den Wagen, den Lemon mal wieder organisiert hatte und brauste davon Richtung Frankreich.

30

Die Fahrt Richtung französische Grenze verlief ruhig. Alle schnauften ein wenig durch und Dennis war es sogar gelungen für ein paar Augenblicke die Augen zu schliessen. Wahrscheinlich hätte es niemand bemerkt,wären da nicht ab und an ein paar Schnarchgeräusche zu vernehmen gewesen. Der Rest konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Als sie nicht mehr weit von der Grenze entfernt waren, lenkte Lemon den Wagen in ein kleines Waldstück, das vor ihnen lag. Er hielt das Fahrzeug an und stieg aus. John, Dennis, der mittlerweile wieder hellwach war, sowie Jenny und Jessi blickten sich verwundert an. Was hatte er nun schon wieder vor? Die Antwort bekamen sie sogleich geliefert. Lemon kramte aus dem Kofferraum einige deutsche Uniformen heraus, die er den Männern reichte. Für die Mädels hatte er ein paar leichte Fummel, die sie sich ebenfalls anziehen sollten. Jenny und Jessi verschwanden kurz hinter ein Gebüsch und zogen sich dort um. Als sie wieder hervor traten, mussten die Jungs unwillkürlich grinsen und John konnte sich sogar einen kurzen Pfiff nicht verkneifen.

»Ich hoffe, Du hast eine gute Erklärung für diesen Fummel«, sagte Jenny lächelnd zu Lemon.

In der Tat hatte er die. Hatte doch alles, was er bisher tat, Hand und Fuß gehabt.

»Wir werden deutsche Soldaten spielen, die zurück von einem kleinen Trip nach Belgien kommen... mit ein paar leichten Mädchen im Gepäck«, erklärte er den anderen sein Vorhaben.

Alle waren begeistert von der Idee. Das dürfte wohl ohne Probleme über die Bühne gehen. Dennis übernahm das Reden, wenn sie die Grenzposten erreicht haben. Als Deutscher fiel er am wenigsten auf. Lemon startete den Wagen und fuhr gemächlich Richtung Grenze. Jetzt so kurz vor dem Ziel merkte man ihnen die Anspannung doch an.

»Nur bloß keinen Fehler machten«, schärfte Lemon ihnen allen noch mal ein.

Als sich der Wagen dem Grenzbaum näherte, traten zwei Posten schon aus dem Häuschen heraus.

»Haaalt!«, rief der eine von ihnen und Dennis, der inzwischen den Wagen fuhr stoppte ihn.

»Hallo Kamerad«, sagte Dennis grinsend, »wie ist die Lage?«

»Alles ruhig soweit«, antwortete dieser.

Der andere Posten blickte in den Wagen. John hielt Jenny im Arm, die so tat als schliefe sie und Lemon knutschte mit Jessi auf dem Rücksitz.

»Ihr habt wohl mächtig gefeiert?«, grinste der Posten, »Und euch gleich noch zwei Flittchen aufgerissen.«

Dennis lachte laut: »Ja, so ist es, Kamerad. Die Weiber sind rattenscharf, die nehmen wir mit nach Frankreich.«

»Na, dann will ich euch nicht länger aufhalten. Steckt ihn für uns mit rein«, grinste er schmierig. Dann rief er: »Hans, lass sie durch! Die haben was zu erledigen«, und kehrte in das Wachhäuschen zurück.

Als der Schlagbaum oben war, trat Dennis kräftig aufs Gaspedal. Die Erleichterung war deutlich zu spüren. Ohne jegliche Störung erreichten sie gegen Abend Paris, wo Lemon die Gruppe in einem kleinen Hotel unterbrachte, dessen Besitzer - wie konnte es auch anders sein? - er natürlich gut kannte.

Am späten Abend beschloss die Gruppe noch mal ein Jazzlokal aufzusuchen um sich nach all den Strapazen zu entspannen. Man lauschte der Musik, trank leckeren Wein und das Essen war hervorragend, so dass die Zeit wie im Fluge verging.

»So Leute«, sagte John, »Es wird Zeit. Unser Schiff zurück nach Amerika geht um 3 Uhr in der Früh. Ein wenig Schlaf sollten wir uns noch gönnen«

Jenny und Dennis hatten beschlossen mit John und Jessi an Bord zu gehen. Hier in Frankreich fühlten sie sich nicht mehr sicher. Wer weiß, wann die Deutschen das Land besetzen werden? Nach einem kurzen traumlosen Schlaf klopfte John am Morgen an ihre Türe. Noch verschlafen öffnete Dennis mit zerzausten Haaren und teilte John mit, dass sie gleich runter kämen. Sie packten schnell ihre Koffer und liefen runter zur Strasse, die menschenleer war, nur eine Katze war aus der Ferne zu hören und das Motorengeräusch von Lemons Wagen. Die Koffer wurden verstaut und dann ging es so schnell wie möglich zum Hafen, wo das Schiff bereits auf die Passagiere wartete. John, Jenny und Dennis verabschiedeten sich herzlich von Lemon und dankten ihm für alles. Jessi blieb neben ihm stehen und blickte die drei ernst an.

»Ich komme nicht mit«, sagte sie, »Ich habe hier noch einiges zu erledigen. Grüß mir die Eltern, John«

Sie drückte alle noch mal ganz feste und stieg zu Lemon in den Wagen, der keine Abschiede mochte und rasch davon fuhr. Mit Tränen in den Augen blickten die drei dem Wagen noch eine Weile nach, bis John mahnte an Bord zu gehen. Das Schiff würde nicht ewig auf sie warten.

Als das Schiff den Hafen verlassen hatte stand John noch lange auf dem Deck und ging seinen Gedanken nach. Wie solle er bloß den Eltern von Selina erklären, dass sie nie mehr heim kommt und dass Jessi in Frankreich geblieben ist? War er nicht für sie verantwortlich? Hatte er nicht versprochen, sie wieder heil nach Hause zu bringen? Fragen die ihn die ganze Überfahrt quälen würden.

 

Nach einer guten Woche erreichte der Dampfer sein Ziel New York.

Jenny und Dennis standen schon eine ganze Weile an Deck und blickten auf die Freiheitsstatue. Davon hatten sie immer geträumt und endlich war ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. John brachte die beiden bei guten Freunden unter und machte sich dann mit hängendem Kopf auf den Weg zu Jessis und Selinas Eltern. Viele Tränen flossen an diesem Tag, Tränen die niemals trocknen sollten.

 

Jenny und Dennis kehrten erst nach dem Krieg nach Deutschland zurück. Dennis bereits 1945. Er hatte Sehnsucht nach seinen Eltern und blieb dort bis an sein Lebensende. Die Erinnerung an die Zeit in Amerika behielt er Zeit seines Lebens.

Jenny kehrte 1950 zurück, fand ihre Eltern wohlbehalten wieder, doch die Sehnsucht nach Amerika trieb sie wieder zurück. Sie heiratete, bekam zwei Kinder und war zeitlebens dem Jazz verbunden. Alle zwei Jahre besuchte sie in Deutschland ihre Eltern und ebenfalls Dennis, der inzwischen auch verheiratet und stolzer Vater war.

John kehrte nie wieder zurück nach Deutschland. Er wurde ein berühmter Fotograf, dessen Bilder so manchen Preis gewannen. Er machte sich sein Leben lang Vorwürfe, dass er nicht genug auf die Mädels aufgepasst hatte.

Lemon kämpfte erbittert gegen die Deutschen und seine Spur verlor sich nach dem Krieg. Hier und da berichteten einige Leute ihn gesehen zu haben, aber wo er geblieben ist, weiß bis heute niemand. Er ging so, wie er gekommen war.

Die Eltern von Jessi warteten nach dem Krieg auf ihre Rückkehr. Sie warteten bis an ihr Lebensende vergebens auf sie.

 

ENDE

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.08.2021

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle meine Freunde,besonders der lieben Mone,die mir dabei geholfen hat, das es so ist,wie es ist.

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