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Satinshades





 

Satinshades

 

 

 


 

I. Verborgene Schatten

 

 

 

 

Satinshades

 

I. Verborgene Schatten

 

 

 

Du glaubst ihn zu kennen?
Sieh genau hin. 
Schau dir seinen Schatten an.

1.


 

 

 

Die Angst waberte wie Nebel durch den Raum voller Mädchen.

»Zadou Aldanha.« Eine mechanische Roboterstimme rief ihren Namen. Er schallte metallisch durch den Lautsprecher, der über dem Flachbildschirm hing. Dieser zeigte gerade ein Musikvideo. Fünf junge Frauen bewegten sich in perfekter Synchronizität.

Zadou schluckte die Angst herunter. Die anderen Mädchen beobachteten sie. Sie spürte jeden Blick ihrer Konkurrentinnen, als sie sich vom Stuhl erhob. Ihre Augen tasteten sie nach möglichen Schwächen ab. Pfeile aus Neid und Missgunst bohrten sich in ihren Rücken, während sie den langen Flur entlang schritt. Die Wände waren mit Bildern erfolgreicher Künstler gepflastert. Genau dort würde bald auch ein Bild von Zadou hängen und dieser Tag sollte den Grundstein dafür legen.

Bauch einziehen. Schultern zurück. Sie hatte nur ein paar Minuten. Im Kopf ging sie blitzschnell alles durch, was sie in den letzten Monaten gelernt hatte, dann drückte sie die Klinke herunter.

Zadou hatte eine Chance. Alles oder nichts. Das erste was sie bemerkte, als sie den Raum betrat, waren die spiegelnden Oberflächen. Drei Wände waren vollständig mit Spiegeln tapeziert, dadurch entstand die Illusion, dass sich das Mädchen mit graugrünen Augen und langen bronzebraunen Haaren vervielfältigt hatte. Durch die grelle Belichtung wirkte ihre Haut weiß wie Papier. Zadou kam sich fremd vor.

»Hallo Zadou.« Am Tisch direkt vor ihr saß ein attraktiver Mann im maßgeschneiderten Anzug. Sein dunkelbraunes Haar war mit Gel gebändigt und seine nachtblauen Augen musterten sie gespannt. Es war BaIyon Ferrer, Chef von Music Might Production, einer der größten Entertainmentfirmen Reagos. Sie hatte ihn oft im Fernsehen gesehen. Er entschied, wer es schaffte und wer nicht.

»Hallo Herr Ferrer«, stammelte Zadou. Wo kam diese plötzliche Nervosität her? Sie war doch sonst nicht so aufgeregt.
»Zadou Aldanha. 15 Jahre alt. 1,72 Meter groß. Wohnhaft in Dalxatir, Haupstadt des Landes Reago.«, las eine perfekt geschminkte Frau von ihrem Tablet vor. Ihr hellblondes Haar sah durch die grellen Scheinwerfer fast silbern aus. Zadou schluckte, ihr Hals war plötzlich so trocken wie Schleifpapier. Neben Ferrer und der puppenhaften Frau saßen noch zwei weitere Personen. Ein junger Mann und eine Frau mit Kurzhaarfrisur. Zadou fragte sich, welche Positionen sie bei MMP besetzten.

»Sind die Angaben korrekt?« Die Puppenfrau sah vom handtellergroßen Bildschirm auf. Ihr Blick wirkte seltsam leblos.

»Ja«, beeilte sich Zadou zu sagen.

»Sehr gut. Dann bin ich gespannt darauf zu sehen, was du vorbereitet hast.« Balyon lächelte ihr aufmunternd zu. Ein Grübchen stahl sich in seine Wangen. Er sah wie ein Popstar aus. Gerüchten zufolge konnte er selbst singen. »Fangen wir mit dem Tanz an.«

»Musik«, rief die kurzhaarige Frau neben ihm. Das Wort knallte wie ein Peitschenhieb.

Ruhig. Du schaffst das. Zadou kämpfte die aufwallende Panik nieder. Sie hatte die Choreographie tausend Mal geübt und beherrschte die Schritte im Schlaf. Ihre Nerven durften ihr jetzt keinen Strich durch die Rechnung machen. Zadous Herzschlag rauschte in ihren Ohren. Die ersten Takte des Stückes erklangen. Balyon Ferrer und die anderen beobachteten sie aufmerksam. Zadou vollführte die erste Bewegung.

Es war eine leichte Welle ihrer Arme. Sie sank in den Tanz hinein wie in Watte. Die Musik verschluckte ihre Nervosität. Mit jedem weiteren Schritt kehrte ihre Selbstsicherheit zurück. Sie verlor sich im Tanz, bis sie vergaß, dass sie sich bei der wichtigsten Prüfung ihres bisherigen Lebens befand.

Die Choreographie saß ihr im Blut. Sie atmete durch jede Bewegung. Dann hörte sie die letzten Takte der Musik und es war vorbei. Schneller, als sie gedacht hatte. Schwer atmend versuchte sie in den Gesichtern der Jury ein Urteil zu erkennen. Doch sie schwiegen.

Balyon stützte sein Kinn auf seine Hände. Der Mund der Puppenfrau war zu einem dünnen Strich verzogen. Die Frau mit den kurzen Haaren machte sich Notizen. Der Mann neben ihr, der bisher geschwiegen hatte, wippte mit seinem Fuß. Die Sekunden, die verstrichen, kamen Zadou wie eine Ewigkeit vor.

»Sehr schön.« Balyon klatschte in die Hände.

»Danke.« Zadou verneigte sich leicht. Sie glaubte ihren Ohren nicht. Der Chef von MMP, einer der größten Plattenfirmen des Landes, lobte ihren Tanz.

»Aber unsere Voluntees müssen mehr können«, fuhr er fort.

»Du hast drei Lieder vorbereitet.« Zum ersten Mal sprach der Mann, der ganz außen saß. Sie nahm ihn genauer in Augenschein. Seine halblangen Haare waren violett getönt und bedeckten sein halbes Gesicht.

»Du fragst dich sicher, warum wir dich erst tanzen und dann singen lassen. Die Antwort ist ganz einfach. Die Bühne verlangt euch alles ab. Ihr müsst schwierige Choreographien tanzen und dabei stimmliche Höchstleistungen zeigen.« Die Worte der kurzhaarigen Frau waren abgehackt und hart wie Stockhiebe. Hoffentlich war sie nicht eine der Ausbilderinnen hier. Ihr Unterricht war bestimmt kein Zuckerschlecken.

»Musik.«

Zadou wurde ins kalte Wasser geworfen. Immer noch kurzatmig, versuchte sie sich auf den Titel zu konzentrieren. Es war Meeresrauschen von Missada, einer der bekanntesten Sängerinnen Reagos. Sie war ihr Vorbild und einer der Gründe, warum sie sich bei MMP beworben hatte. Missada Targue hatte ihre Karriere hier begonnen. Als Voluntee.

Zadou wollte in ihre Fußstapfen treten. Das Intro dieser Ballade endete und die erste Strophe begann. Zadou fing an zu singen. Leise, fast wispernd. Sie hatte Missada immer dafür bewundert, wie sich ihre Stimme an das Meeresrauschen des Tracks schmiegte. Ob es bei ihr auch so klang? Im Pre-Chorus wurde ihre Stimme lauter. Zadou hatte diesen Song nicht nur gewählt, weil er ihr gefiel, sondern auch, weil er die Bandbreite ihrer Stimme zeigte. Sie hatte nur wenige Minuten, um die Leute von MMP zu überzeugen. Draußen warteten hunderte von talentierten Mädchen auf ihre Chance. Jede von ihnen freute sich, wenn ihre Konkurrentin einen Fehler machte.

Nach dem zweiten Refrain kam eine instrumentale Bridge, die den letzten fulminanten Refrain einleiten sollte, doch plötzlich verstummte die Musik.

»Danke«, sagte die Frau mit der Männerfrisur eisig. Obwohl es in diesem Raum warm war und Zadou vor wenigen Minuten eine schweißtreibende Choreographie gezeigt hatte, wurde ihr augenblicklich kalt.

Das war kein gutes Zeichen. Sie suchte in den Gesichtern der anderen nach Hinweisen. Ihre Mimik schien festgefroren zu sein.

»Soll ich noch etwas singen? Ich habe noch zwei weitere Lieder vorbereitet«, sagte sie leise.

Niemand antwortete ihr. Die Gesichter der Jury waren ausdruckslose Masken.

Das war es. Zadou ließ die Schultern hängen.

»Wir haben genug gehört.« Balyons Lippen bewegten sich kaum, als er sprach. Er sah sie mit einem neutralen Gesichtsausdruck an, der alles bedeuten konnten. Zadou hätte ihr ganzes Taschengeld dafür gegeben, um seine Gedanken zu lesen.

»Jetzt brauchen wir nur noch ein paar Aufnahmen deines Gesichts.« Ein winziges Grübchen zeigte sich neben seinem rechten Mundwinkel. »So testen wir deine Kameratauglichkeit.«

Auch das noch. Zadou schluckte, als ein untersetzter Mann mit einer Spiegelreflexkamera auf sie zukam. Wo hatte er sich die ganze Zeit über versteckt? Zadou sah sich um. Einer der Spiegel war eine Schiebewand, hinter der sich ein ganzes Kamerateam verbarg.

»Sei ganz natürlich.« Balyon zwinkerte ihr zu. Zadou fuhr sich durch das Haar und versuchte es mit den Fingern zu entwirren. Ihr Tanz hatte es ganz durcheinander gebracht. Jemand richtete einen Scheinwerfer auf sie. Mit einem Seitenblick in einen der gigantischen Spiegel vergewisserte sie sich, wie sie aussah. Gerne hätte sie die Bürste aus ihrer Tasche geholt, die vorne an der Tür lag.

»Wir machen ein paar Porträtaufnahmen. Anschließend Halbporträt und Ganzkörperbilder«, erklärte der Fotograf in einem sachlichen Ton.

Bevor sie etwas erwidern konnte, drückte der Mann auf den Auslöser. Blitzlicht blendete sie. Sie lächelte und stemmte ihre Hände in die Hüften. Es fiel ihr schwer natürlich zu bleiben, wenn sie von so vielen Menschen beobachtet wurde. Nicht irgendwelchen Menschen, sondern wichtigen Leuten von Music Might Production, korrigierte sie sich.

»Das Lächeln ist zu wächsern. Entspann dich. Gib mir mehr Posen. Mehr Ausdrücke«, wies der Fotograf sie ungeduldig an.

Zadou drehte sich ins Profil, sie drückte den Rücken durch und zog ihren Bauch ein.

»Kinn runter. Gesicht mehr zu mir. So ist es gut. Pose halten.« Der Fotograf knipste ein Bild nach dem anderen. Zadou gab sich Mühe und setzte jeden Hinweis um. Die Blitze des Apparates brannten sich in ihre Netzhaut. Das Kamerateam und die Menschen hinter dem Jurytisch verschwammen hinter dem Blitzlichtgewitter zu grauen Schemen, aber sie verschwanden leider nicht aus ihrem Kopf. Zadou musste einen guten Eindruck hinterlassen, komme was wolle.

»Das war es. Ich habe genug Aufnahmen« Der Fotograf senkte seine Spiegelreflexkamera und nickte Balyon zu.

»Perfekt.« Der Chef von MMP erhob sich von seinem Stuhl und kam auf sie zu. Sie war beeindruckt von seiner Größe und schlanken Statur. Er war mindestens 1,90 Meter groß. Sein Blick war zielgerichtet wie eine Kameralinse.

»Jetzt fehlt nur noch das Interview«, meldete sich der Lilahaarige zu Wort.

Jemand aus dem Produktionsteam schleifte einen Metallstuhl über den Boden und stellte ihn vor Zadou.

»Setz dich.« Balyon legte seine Hand auf ihre Schulter. Die Wärme seiner Finger drang durch den Stoff ihres Oberteils. Ihr Körper gehorchte von allein. Balyon Ferrer hatte etwas an sich, das andere Menschen gefügig machen konnte. Doch bevor sie sich mehr Gedanken darüber machen konnte, postierte sich der Kameramann vor ihr. Ein weiterer Mann filmte sie mit einer kleinen Handykamera aus einer anderer Perspektive. Der Chef von MMP trat zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Zadou fühlte sich wie ein Tier im Zoo. Sie war noch nie so vielen Blicken ausgesetzt gewesen.

»Es sind nur ein paar Fragen. Für das Protokoll.« Balyon verschränkte die Finger ineinander. »Warum willst du bei MMP unter Vertrag genommen werden?«

Zadou fühlte, wie ein Zug über sie rollte. Mit einem Interview hatte sie nicht gerechnet, schnell legte sie sich eine Antwort zusammen, die halbwegs angemessen war.

»Music Might Productions bringt seit vielen Jahren die größten Künstler hervor. Es wäre eine Ehre bei ihnen als Voluntee aufgenommen zu werden.« Zadou wusste nicht, ob Balyon diese Antwort gefiel, denn sein Gesichtsausdruck war absolut neutral.

»Wie sehr willst du es?«, stellte er die nächste Frage.

»Sehr.« Zadou schluckte. »Es gibt wenige Dinge, die ich mehr will.«

Die Menschen aus dem Produktionsteam betrachteten sie wie ein kompliziertes Rätsel. Ihre Blicke schüchterten sie ein.

»Bist du bereit Opfer zu bringen?« Für einen winzigen Moment verdunkelten sich Balyons Pupillen.

»Es kommt drauf an.« Zadou fühlte sich unwohl in ihrer Haut. War das ein Test? Konnte sie sich mit einer falschen Antwort alles zunichte machen? »Ich bin bereit viel dafür zu geben, um meinen Traum leben zu können.«

Balyons Mundwinkel hoben sich leicht nach oben. Die nächsten Fragen beantwortete sie selbstsicherer. Es ging darum, wo sie sich in fünf Jahren sah, welche Musikrichtung sie mochte und welche Stars von MMP zu ihren Vorbildern zählten.

»Schnitt.«, rief der Mann, der mit der kleinen Kamera gefilmt hatte.

»Schön, dass du hier warst Zadou.« Balyon streckte seine Hand aus. Zadou ergriff sie zögerlich. Die Aura dieses Mannes umfing sie wie ein Samtmantel. Sie war selten einem Menschen begegnet der so geheimnisvoll war.

»Vielen Dank.« Zadou verbeugte sich. In ihrer Kultur zollte man älteren Personen Respekt.

»Wir melden uns bei dir.«

 

 

 

Turnschuhe quietschten über den Hallenboden, Ein Ball prallte gegen die Wand. Rufe ertönten. Der Sportlehrer pfiff.

Zadou langweilte sich. Sie hatte überhaupt nichts für Mannschaftsspiele übrig, außerdem war sie wieder mal als Letzte ausgewählt worden. Jira hatte sie aus Mitleid in ihr Team gewählt, nachdem Herr Refor sich lautstark geräuspert hatte. Ein Geräusch, um die anderen zu erinnern, dass sie noch eine weitere Mitschülerin hatten.

Es gab fast nichts Schlimmeres als die Ballspiele, die ihr Lehrer sie am Ende der Stunde spielen ließ. Zadou saß herum, während zwei Leute aus ihrer Klasse ihre Mannschaften wählten. Früher hatte sie verzweifelt darauf gewartet, dass ihr Name aufgerufen wurde und nie verstanden, warum sie immer als Letzte auf der Bank saß.

Es hatte stärker geschmerzt, als die Knie, die sie sich aufschürfte, wenn sie beim Hindernisparcour stürzte und es hatte mehr wehgetan, als die Seitenstiche, die sie beim Kilometerlauf bekam. Doch das war lange her. Mittlerweile war es ihr egal, das Mädchen zu sein, das aus Mitleid ins Team gewählt wurde.

»Wie wäre es, wenn du mal den Ball fängst, statt nur dumm herum zu stehen?«, zischte Lona.

»Kümmere dich um deinen Kram.« Zadou hatte nicht vor, sich mehr Mühe zu geben als nötig. Sie brauchte ihre Energie für den Tanzunterricht und wollte sie nicht bei sinnlosen Spielen verpulvern.

Der Ball flog auf sie zu. Statt ihn zu fangen, wich sie aus.

»Mehr Einsatz, Zadou.« Herr Refor setzte die Pfeife an die Lippen. »Noch fünf Minuten.«

Die Stunde endete mit einem unentschieden und einem weiteren Kommentar von Lona. »Herr Refor sollte dir eine Sechs geben.«

»Interessiert dich eigentlich etwas anderes, als mein Leben, Lona? Nein? Dann ist deine Existenz ziemlich armselig.« Zadou wartete nicht auf die Antwort, der drahtigen Blondine, sondern ging mit schnellen Schritten in die Umkleide.

Sie hatte kaum Freunde in ihrer Klasse. Nur Nallit unterhielt sich mit ihr und interessierte sich für sie. Doch das schüchterne Mädchen setzte sich nie für sie ein, wenn Lona und ihre Clique gehässig wurden. Zadou konnte es ihr nicht verübeln, Nallit fürchtete selbst, zum Opfer zu werden, wenn sie ihre Meinung aussprach.

Sie pfefferte ihre Turnschuhe in ihre Sporttasche und beeilte sich, die stickige Umkleide zu verlassen. Die Schule gehörte nicht zu ihren Lieblingsorten. Sie hetzte über die belebten Gänge und wich einer Gruppe Mädchen aus. Wie gerne würde sie in der Pause mit Freundinnen lachen und über Jungs reden, statt ständig auf der Hut zu sein. Sie wusste nicht, warum Lona sie zum Hassobjekt erkoren hatte. Es war irgendwann in der siebten Klasse passiert. Es hatte mit kleinen Sticheleien und Witzen auf ihre Kosten angefangen. Anfangs hatte Zadou geglaubt, dass es aufhören und wie eine graue Wolke vorbeiziehen würde. Doch aus der Wolke war ein Gewitter geworden. Die anderen Schüler fingen an, sie zu meiden und den Gerüchten immer mehr Glauben zu schenken.

Lona hatte am Ende der siebten Klasse herumerzählt, dass Zadou regelmäßig zum Psychiater ging und in eine Klinik eingewiesen werden sollte. Die anderen hatten ihr geglaubt, niemand hatte Zadou gefragt, ob ihre Geschichte der Realität entsprach. Es hatte nicht lange gedauert, bis Zadou ihre ersten Spitznamen erhielt.

Verrückte und Geisteskranke waren noch die harmloseren davon. Wie kam Lona auf diese Ideen? Für Zadou war der Monat vor den Sommerferien, der schlimmste in ihrem Leben gewesen. Niemand hatte ihr zur Seite gestanden. Nallit hatte damals eine andere Schule besucht und war erst in der achten Klasse dazugekommen.

Nicht mal Zadous Eltern wussten davon. Sie vermuteten, dass ihre schlechte Laune von den miesen Noten kam, die sich langsam auf das Zeugnis geschlichen hatten. Ihre Tochter war bis dahin immer gut in der Schule gewesen. So falsch lagen sie gar nicht. Zadou fiel es zunehmend schwerer, zu lernen. Denn die Schule hatte einen bitteren Beigeschmack bekommen. Sobald sie einen Hefter aufschlug und sich mit dem Stoff befassen wollte, musste sie an ihre Klasse denken, in der sie zu einem Phantom mutiert war, das entweder ignoriert oder beleidigt wurde.

Auch den Mädchen aus ihrem Tanzunterricht erzählte sie nichts davon. Dort war sie ein anderer Mensch, eine völlig andere Zadou. Sie wollte einen der wenigen Orte, an dem sie sich wohl fühlte, nicht mit ihren dunklen Gedanken beschmutzen. Im Tanzsaal war sie frei. Sie flog wie ein Vogel, dessen Käfigtür aufgestoßen worden war. Das Singen hatte eine ähnliche Wirkung auf sie.

»Du bist aber früh.« Frau Henders, ihre Musiklehrerin sortierte gerade Notenblätter in einen Ordner, als Zadou die Tür aufstieß.

»Ich dachte, ich könnte kurz ins Studio gehen, solange die anderen noch nicht da sind.« Musik war wie ein Balsam für sie.

»Du hast zehn Minuten.« Frau Henders warf ihr den Schlüssel zu. Nicht alles war schlecht. Es gab ein paar Lichtblicke an ihrer Schule. Nallit, Frau Henders, die Tanz-AG einmal pro Woche und das kleine Studio, das sich im Hinterzimmer des Bandraums befand.

Eine Tür schräg hinter der Tafel führte in den Probenraum, der mit Instrumenten vollgestellt war. Ein Flügel stand mitten im Raum. An den Wänden hingen E-Gitarren und auf einem kleinen Podest befand sich ein Schlagzeug. Zadou mochte diesen Ort, den sich einige Schulbands teilten. Ihr Weg führte sie zwischen zwei Mikrofonständern vorbei zu einer schwarzen Tür.

Sie stürmte in das Studio und lehnte sich an die gepolsterte Wand. Die Stille beruhigte ihre Nerven. Sie war stärker als in der siebten Klasse, Lonas Angriffe taten nicht mehr weh. Zadou hatte ein Granitschild aufgebaut, das alle Attacken abprallen ließ. Jede getrocknete Träne hatte neue Schichten entstehen lassen.

Sie saß noch einen Augenblick in völliger Dunkelheit, dann knipste sie das Licht an. Sie schloss ihren Mp3-Player an die Boxen und schaltete das Mikrofon ein.

Missadas Lied Herzklang schallte gedämpft in die Aufnahmekabine. Schnelle Gitarrenriffe setzten ein, das Schlagzeug imitierte einen Herzschlag. Zadou kannte dieses Lied auswendig. Die Instrumentalversion war ein wenig anders, als das Original aber es genügte ihren Ansprüchen. Sie sang und entließ die Wut, die sich aufgestaut hatte. Der dunkle Nebel verließ ihre Seele. Ihre Stimme war kraftvoll und schenkte ihr Mut.
Wenn meine Stimme eine Waffe wäre, könnte ich Lona damit durch die Luft schleudern. Zadou grinste bei diesem Gedanken.

Gleichzeitig dachte sie an MMP. Das kleine Schulstudio erinnerte sie an das Casting vor zwei Wochen. Balyon Ferrer hatte sich noch nicht gemeldet. Die Leute von Music Might Productions hatten ihre Daten eingespeichert. Sie konnten anrufen, eine Mail oder sogar einen Brief schreiben. Doch bisher herrschte Funkstille. War sie nicht gut genug gewesen, um als Voluntee aufgenommen zu werden? Sie hatte nichts in den Mienen der Leute lesen können.

»Zadou, der Unterricht beginnt gleich.« Frau Henders klopfte an die Tür.

»Ich bin gleich da.«

Die Stunde verlief ohne große Vorkommnisse. Frau Henders spielte ihnen klassische Musik vor und erklärte den Aufbau eines solchen Stückes. Zadou saß mit Nallit in der vorletzten Reihe und lauschte einer Geigenmelodie. Sie war seit jeher fasziniert von klassischer Musik und verstand nicht, warum die meisten gelangweilt in ihren Stühlen hingen. Aber es hatte auch Vorteile. Lona und ihre Schergen Fiola und Belty waren damit beschäftigt, über ihre Smartphones zu wischen und beachteten sie nicht.

Gerade als Zadou sich nach hinten lehnen wollte, drehte sich Lona um. Ihre blonden Augenbrauen berührten sich wie zwei gezackte Blitze und ihre grauen Augen musterten Zadou abfällig.

»Was will sie schon wieder? « Zadou schüttelte den Kopf.

»Dich in kleine Häppchen zerlegen?« Nallit zuckte die Schultern. »Beachte sie einfach nicht.«

Das wollte Zadou, doch Lonas Verhalten ließ ihre Alarmglocken schrillen. Sie stieß Fiola den Ellenbogen in die Rippen und zeigte ihr etwas auf ihrem Handy. Die beiden tuschelten lautstark. Belty, die eine Reihe vor ihnen saß, drehte sich um und starrte neugierig auf den Bildschirm.

Auf einmal ging die Musik aus.

»Kannst du der Klasse erklären, welchen Einfluss die Stilrichtungen der alten Epoche auf unsere Musik hatten, Lona?«, fragte Frau Henders.

»Ich... ja...« Lona ließ ihr Handy schnell in ihrer Handtasche verschwinden. »Die Musik der alten Epoche, ja das waren ganz besondere Stilrichtungen.« Die Blonde plapperte drauflos. Jira kicherte. Fimo und Wain lachten. Lona ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen.

»Aber ist es nicht eigentlich egal, was die Leute damals für Musik gehört haben? Wer hört so etwas heutzutage überhaupt noch? Das ist so veraltet und ätzend«, platzte sie heraus.

»Danke für deine Ausführung.« Frau Henders runzelte die Stirn, »Unsere heutige Musik würde es ohne die Entwicklung in den früheren Jahrhunderten nicht geben. Das solltest du dir vor Augen, führen, wenn du dir das nächste Mal Musik auf dein Handy lädst.«

»Aha.« Lona warf Jira einen giftigen Blick zu, der sie sofort verstummen ließ. Auch den Jungs blieb das Lachen im Halse stecken, als sie eine Grimasse zog.

»Gefahr«, murmelte Nallit. »Wenn sie nicht aufpassen, werden sie die nächsten Opfer.«

»Ich hätte kein Problem, mal aus ihrer Schusslinie zu kommen«, seufzte Zadou. »Oder noch besser: Warum zieht sie nicht auf eine einsame Insel und kommt nie wieder zurück? Dann haben alle Ruhe.«

Ihr Wunsch wurde leider nicht erfüllt. Die Klingel übertönte das klassische Stück, das Frau Henders wieder eingeschaltet hatte. Zadou entspannte sich, der harte Teil des Tages war vorbei.

In einer halben Stunde begann ihre Tanz-AG in der Aula. Heute probten sie das letzte Mal vor ihrem Auftritt am Samstag. Da fand in der Schule eine Spendengala statt. Die unterschiedlichen Arbeitsgemeinschaften präsentierten sich und sammelten Geld für ein Projekt, das sozial benachteiligten Kinder die Möglichkeit gab, im sportlichen oder künstlerischen Bereich gefördert zu werden.

Neben Zadous Tanz-AG traten die Schauspieler, der Chor, die Zirkusgruppe und ein Gitarrenquartett auf. Vielleicht hatten sich in der Zwischenzeit noch einige weitere AGs angemeldet.

»Wir sehen uns dann morgen.« Nallits rotbraune Locken kitzelten Zadous Oberarme. Nallit war ein ganzes Stück kleiner als sie.

»Viel Spaß bei deiner AG. Schade, dass ihr nicht bei der Spendenaktion mitmacht«, sagte Zadou.

»Unser Schwimmteam? Was sollen wir auf der Bühne zeigen? Ein paar Trockenübungen?« Nallit prustete los. Ihre Nase kräuselte sich dabei.

»Witzig wäre es.«

»Ich kann die anderen fragen.« Nallit winkte ihr zum Abschied. Zadou schlenderte über die leerer werdenden Flure. Die meisten hatten es eilig, das Schulgebäude zu verlassen oder zu ihren AGs zu kommen. Doch Zadou hatte Zeit, die Aula befand sich am Ende des Flures. Sie war froh, dass die Tanzgruppe diesen großen Raum erhalten hatte. Sie brauchten Platz, um zu proben. Mittlerweile machten 11 Leute mit. Zadou, Dati und Benko dachten sich abwechselnd die Choreographien aus. Zadou ging im Kopf gerade ein paar Schritte durch, als Benko die Tür aufriss und hinausstürmte-

»Was ist los?«

»Sieh es dir selbst an.« Er kam schlitternd zum Stehen und fuhr sich durch sein raspelkurzes blondes Haar. Das hörte sich nicht gut an. Sie ging hinein und erstarrte.

Auf der Bühne standen dutzende Stühle und Tische. Sie waren aufeinander gestapelt und ineinander verhakt wie ein moderndes Kunstwerk.

»Wer war das?«, stammelte Zadou.

»Dreimal darfst du raten.« Benko kam langsam wieder zu Atem.

»Vorhin sah es noch schlimmer aus«, meldete sich Rila, eine der jüngeren Schülerinnen, zu Wort. »Überall lag Zeitung und zerknülltes Papier.«

»Wir haben es mit vereinten Kräften weggeräumt.« Dati pustete sich eine schwarze Locke aus der Stirn. »Hier sah es aus, als ob ein Orkan gewütet hätte.«

Die Hälfte der Tanz-AG war dabei, Tische und Stühle von dem schiefen Turm zu lösen. Die anderen trugen Papier in Mülltüten hinaus.

»Diese miese...« Zadou ballte ihre Hände zu Fäusten. Wenn die Mädchen ihrer Ballettschule keine Ahnung hatten, welche Attacken sie in ihrer Schule einstecken musste, wusste es ihre Tanz-AG umso besser.

»Lona hat das bestimmt nicht allein gemacht.« Benko sprang auf die Bühne und begann zwei Stühle auseinander zu ziehen.

»Es gibt mehr von ihrer Sorte«, murmelte Zadou und dachte dabei an Belty und Fiola. Lonas Clique, umspannte noch einen Haufen von Leuten, die nicht in ihre Klasse gingen.

Beispielsweise Amdria und Geras aus der 9c, die einen anderen Stundenplan hatten. Lona hatte bei diesem Werk keinen Finger krumm gemacht. Wie auch, sie hätte es in den zehn Minuten nach dem Unterricht nie allein geschafft, die komplette Bühne zuzustellen. Andererseits hätten sie die Pausen nutzen können. Vormittags fanden keine Veranstaltungen in der Aula statt. Zadou traute Lona alles zu.

Zähneknirschend lief sie die kleine Treppe hinauf und begann, mitzuhelfen. Es würde ewig dauern, die Bühne von den Möbeln zu befreien. Wut kochte in ihr hoch.

Sie wollte schreien. Wenn Lona ein Problem mit ihr hatte, fein. Doch warum ließ sie die ganze Tanz-AG darunter leiden? Genau heute, zwei Tage vor ihrem Auftritt?

»Hallo Zadou.« Jemand tippte ihr auf die Schulter.

»Hey Dim.« Zadou war überrascht, Nallits kleinen Bruder hier zu sehen.»Habt ihr nicht schon längst Schluss?«

»Eigentlich schon, aber wir wollten euch bei den Proben zusehen.« Er deutete auf zwei weitere Jungs, die hinter ihm standen. »Das sind übrigens Venni und Nias.«

Zadou verdrehte die Augen. Zu ihrem Glück fehlten ihr nur noch drei 12-jährige Jungen, die nichts mit ihrer Freizeit anzufangen wussten.

»Ist das nicht langweilig?« Zadou musterte die Sechstklässler, die mindesteins einen Kopf kleiner waren als sie.

»Nein«, antwortete einer von Dims Freunden wie aus der Pistole geschossen. Venni, soweit sie sich erinnern konnte. Er trug eine runde Brille, die seine blauen Augen größer erscheinen ließ. Sie waren klar wie ein wolkenloser Morgenhimmel. Hellbraune Wellen lockten sich um das dünne Gestell. Seine Stimme war erstaunlich melodisch.

»Nein? Dann könnt ihr uns gerne helfen. Na,wie sieht es aus?«

Zadou reichte Dim den Stuhl, den sie gerade heruntergetragen hatte.

»Wir hätten lieber zu mir gehen sollen, um Computer zu spielen«, maulte er, nahm das Möbelstück aber entgegen.

»Ich helfe euch gern.« Vennis himmelblaue Augen strahlten.

»Sehr gut. Was ist mit dir, Nias?«

»Wenn es sein muss«, grummelte er und begann den anderen zur Hand zu gehen.

»Mit der zusätzlichen Hilfe sind wir schneller fertig. Danke, Jungs.« Benko streckte einen Daumen nach oben. Tatsächlich lichtete sich die Bühne nach ein paar Minuten und bald hatten sie alle Tische und Stühle heruntergeholt und wieder im Zuschauerraum verteilt.

»Das war unsere Aufwärmung«, rief Dati. »Eigentlich wollte ich etwas anderes machen, aber dazu fehlt uns leider die Zeit.«

Die Aula war nicht nur bei der Tanz-AG begehrt. Nach ihnen war die Percussion-AG an der Reihe. Vielleicht würden ihnen die Trommler fünf Minuten mehr einräumen, doch darauf wollte Zadou nicht spekulieren.

»Machst du die Musik an?«,Sie wandte sich an Benko.

»Den letzten Mix?«

»Genau den.«

Die Gruppe stellte sich auf. Jeder nahm seine Anfangsposition ein. Dann begann das Lied. Benko beeilte sich auf die Bühne zu kommen. Sobald die Musik spielte, betrat Zadou eine andere Welt. Etwas übernahm von ihr Besitz, etwas, was im Alltag nie zum Vorschein kam. Die Musik und der Tanz machten sie zu einer anderen Person.

Am Rande nahm sie wahr, dass sie drei Zuschauer hatte. Dim, Nias und Venni saßen in der dritten Reihe. Nallits Bruder und Nias waren über den Bildschirm eine tragbaren Spielkonsole gebeugt aber Venni beobachtete das Geschehen auf der Bühne gebannt. Er sah sie an und betrachtete jede ihrer Bewegungen konzentriert.

Zadou kannte nicht vielen Jungen, die solch ein Interesse am Tanzen zeigten. Vielleicht sollte sie ihn fragen, ob er Lust hatte, der Tanz-AG beizutreten, wenn er etwas älter war.

Sie probten den Tanz noch vier Mal. Es gab kleine Unsicherheiten bei den Formationswechseln, aber die Choreographien saßen.

Zufrieden sah sie eines der Videos an, dass mit Rilas Handykamera gefilmt worden war. Keine Lona würde sie kleinkriegen, egal was geschah.

2.


 

 

 

 

Sollte sie selbst dort anrufen? Zadou hielt es nicht mehr aus. Zweieinhalb Wochen waren vergangen. Warum hatte sie nicht gefragt, wann sich jemand von MMP melden würde? Oder hatte sie ihre Antwort bereits erhalten?

Ignorieren konnte auch ein klares Nein bedeuten. Vielleicht meldete sich Balyon Ferrer nur bei den Kandidatinnen, in denen er zukünftige Voluntees sah, nicht bei tausend Mädchen, die in seinen Augen keine Chance hatten. Damit ersparte er sich Tränen der Wut und Enttäuschung – alle Geräusche, die geplatzte Träume verursachten.

Es gab Nächte, in denen Zadou aus dem Schlaf schreckte und glaubte, ein Klingeln zu hören. Doch es war nicht ihr Telefon, sondern ihre Nerven, die ihr Streiche spielten.
Montag würde sie bei Music Might Production anrufen und sich Klarheit verschaffen. Heute galt, es gut aufzutreten.

Es war Samstag mittag. In wenigen Stunden begann die Spendenveranstaltung.

»Kommt nicht zu spät«, ermahnte sie ihre Eltern, die am Küchentisch saßen und Tee tranken. »Um 17.00 geht es los.«

»Das hast du uns schon hundert Mal gesagt.« Zadous Mutter umarmte sie.

»Damit ihr es nicht vergesst. Und Papa?« Sie sah ihren Vater prüfend an.

»Ich denke an die Spiegelreflexkamera. Ich werde alles aufnehmen.«

»Super. Es reicht eigentlich, wenn du unsere Gruppe filmst, sonst wird der Akku zu schnell leer.« Sie küsste ihn auf die Wange und ging in den Flur.

»Wenn sie nur so viel Elan beim Lernen hätte«, klagte ihre Mutter. Zadou hielt beim Schnüren ihrer Schuhe inne. War es ihr egal, dass ihre Tochter sie hörte?

»Noten sind nicht das Wichtigste«, erwiderte ihr Vater.

»Danke«, murmelte Zadou. Wenigstens er stellte sich ihren Zielen nicht in den Weg.

Milde Septemberluft wehte bronzebraune Strähnen aus ihrem Gesicht. Es war ein schöner Tag. Gerade kam die Sonne hinter einer Wolke hervor und wärmte ihre Haut. Zadou schlenderte durch die Straßen ihres Viertels. Die U-Bahnstation, befand sich zwei Straßen weiter. Von da aus brauchte sie ungefähr 20 Minuten bis zu ihrer Schule. Sie durchquerte eine kleine Einkaufsstraße. Es war so warm, dass die meisten Cafès draußen noch Tische stehen ließen.

Vor einer Bar saßen ein paar junge Männer und sahen sich einen Sportwettkampf auf einem großen Flachbildschirm an. Sie gröhlten, als ihre Mannschaft einen Punkt machte.

Zadou verdrehte die Augen, sie konnte nicht verstehen, wie Menschen von einem primitiven Spiel so hingerissen sein konnten. Dort geschah nichts aufregendes, alles war vorhersehbar, nur die Trikots der Spieler wechselten. In diesem Moment kam Werbung.

Nicht irgendein Spot, sondern ein Ausschnitt aus einem Musikvideo. Es war das neue Lied von Reyn Yuho.

Ich suche dich schon so lange.

Zadou blieb stehen. Reyn war einzigartig. Ein Künstler musste sein Gesicht erschaffen haben. Es war makellos. Seine Augen hatten drei Farben. Der Ring um die Pupille war beige wie Meeressand. Der zweite blau, wie die Tiefen des Ozeans und der dritte dunkelbraun wie eine Kaffeebohne. Seine Regenbogenhaut trug diesen Namen zurecht. Es waren keine Kontaktlinsen im Spiel, wie er in Interviews mehrfach bestätigt hatte. Zadou kannte niemanden, der solche Augen hatte.

Ich will aufgeben, aber ich glaube, dass es dich da draußen gibt.

Der Sänger fuhr sich durch seine Haare, die er für diesen Clip dunkelblau gefärbt hatte und umklammerte das Mikrofon, als ob sein Leben davon abhing. Er sah durch die Linse der Kamera, durch den Bildschirm direkt in ihre Augen. Zadous Nackenhärchen stellten sich auf.

Ich werde nicht aufhören, zu suchen.

Denn das ist mein Lebenssinn.

War Reyn überhaupt ein Mensch oder eine Computerspielfigur, die zum Leben erweckt worden war? Dieser Sänger zog Zadou in seinen Bann. Seit sie ihn das erste Mal im Internet gesehen hatte, war sie ihm mit Haut und Haaren verfallen. Irgendwann würde sie ihm gegenüber stehen. Auch Reyn war bei MMP unter Vertrag. Wenn sie erst Voluntee wäre, würden sich ihr ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.

»Was für eine Schnulze.«

»Frauen stehen auf so etwas.«

Die Männer am Tisch kommentierten Reyns Auftritt lautstark.

Zadou lachte in sich hinein. Angetrunkene Sportfans gehörten nicht zu Reyn Yuhos Zielgruppe.

»Schaut euch mal die Kleine da an.«

Zadou machte sich einen Kopf kleiner. Die Blicke der Männer wanderten über ihren Körper.

»Komm doch zu uns.«

»Keine Zeit.« Zadou ignorierte die Pfiffe und eilte zum Eingang der U-Bahn. In ihrem Kopf ertönte die Stimme ihrer Mutter.

Du magst es nicht, wenn Menschen dich lange ansehen. Wenn du zu viel Aufmerksamkeit bekommst, verkriechst du dich. Wieso willst du unbedingt ein Voluntee werden? Menschen im Fokus der Öffentlichkeit, haben keine Privatsphäre mehr. Sie können sich nicht einfach verstecken.

Es stimmte nicht ganz. Wenn Zadou auf der Bühne stand, badete sie in der Aufmerksamkeit der Zuschauer, wie in einem warmem Schaumbad. Ihre Mutter hatte keine Ahnung wieviel Zadou das Singen und das Tanzen bedeutete. Ohne ihre Kunst, hätte sie schon längst aufgegeben. Als kleines Mädchen hatte sich Zadou die Bürste ihrer Mutter geschnappt und damit die Lieder aus dem Radio nachgesungen. Sie hatte ihren Eltern immer erzählt, dass ihre Stimme auch mal aus einem schwarzen Kasten ertönen würde. Ihre Eltern hatten damals gelacht, sie hatte als Kind wirklich geglaubt, dass Leute in der Musikanlage saßen.

Später mit 10 Jahren hatte sie ihrer Mutter erzählt, wie sehr sie ein Voluntee werden wollten. Denn sie hatte im Internet herausgefunden, was sie tun musste, um eine Sängerin zu werden. Dieser Wunsch musste ihrer Mutter seltsam vorgekommen sein, denn sie war ein sehr ruhiges Mädchen, das wenig Freunde hatte. Statt mit gleichaltrigen Kindern zu spielen, hielt sie Abstand. Auf dem Spielplatz war sie meistens für sich alleine gewesen.

Viel hatte sich daran bis heute nicht geändert. Sie hatte kaum Freunde und sie hielt sich von den meisten Menschen fern. Doch das stand ihrem Wunsch nicht im Weg. Auf der Bühne liebte sie die Blicke, vor denen sie sich im Alltag oftmals verstecken wollte. Ein Paradox, das für Zadou seltsamerweise Sinn ergab. Außerdem war sie nicht völlig allein. Es gab Menschen in ihrem Umkreis, denen sie sich öffnete. Leute, die die gleichen Ziele wie sie verfolgten, für die Tanz und Musik so wichtig wie das Atmen war. Wenn sie bei ihnen war, konnte sie sich gehen lassen. Benko, Dati, Rila und die anderen aus ihrer AG waren Menschen bei denen sie sich wohl fühlte.

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie beinahe ihre Station verpasste. Sie hüpfte aus der Bahn, bevor die Türen sie einklemmen konnten. Draußen waren die Wolken zu einer grauen Decke verschmolzen.Zu dieser Jahreszeit konnte das Wetter blitzschnell umschlagen. Zadou zog den Reißverschluss ihrer Jacke bis zum Hals. Ein kühler Wind riss an ihrem Rock.

Vor ihr erschien das Schulgebäude. Ein überdimensionierter Pappkarton aus weinroten und ockerbraunen Ziegelsteinen. Ein wenig dahinter der Park und die Turnhalle.

Die Schule gehörte nicht zu den Orten, die sie an einem Samstag freiwillig besuchen würde. Doch heute war ein besonderer Tag. Ihr Magen begann zu kribbeln, als sie durch das Schultor auf den leeren Hof trat. In weniger als zwei Stunden würde sie auf der Bühne stehen.

So leer und verlassen gefielen ihr die Flure viel besser als sonst. Rila kam ihr entgegen. Die Achtklässlerin hatte bereits einen Teil ihres Kostüms an. Sie hatten sich darauf geeinigt, dunkelgraue Hosen anzuziehen. Die Oberteile sollten bunt sein, jeder durfte seine Lieblingsfarbe tragen.

»Hey, sind die anderen schon da?«, fragte sie Rila.

»Fast alle. Benko fehlt noch.«

»Er hat seine eigene Definition von Pünktlichkeit«, meinte Zadou. Der zweite Choreograph der Tanz-AG nahm es mit Uhrzeiten nie ganz genau. Dass er bei der letzten Probe vor ihr in der Aula gewesen war, war ein seltenes Erlebnis. Der Raum neben der Aula diente den AGs als Aufenthaltsraum. Er war bereits sehr voll. Und laut.

Einige Mädchen aus dem Chor machten Stimmübungen, die Gitarrenklänge des Quartetts erzeugten Dissonanzen, die Zadou in den Ohren schmerzten. Doch sie liebte die Vorbereitungen und die letzten Minuten vor dem Auftritt. Zadou suchte sich ein leere Ecke am Fenster und legte ihre Tasche ab. In der Zwischenzeit trudelte Benko ein. Wie immer war er um keine Ausrede verlegen: »Mein Hund hatte Fieber.«

»Fieber?« Dati knuffte ihn in die Seite. »Erst letzte Woche hatte er Husten.«

»Er ist nun mal sehr empfindlich«, verteidigte sich Benko.

Zadou lachte.

»Das ist nicht lustig.« Benko spielte den Beleidigten. »Wenn du wüsstest...«

»Mein Kabel ist kaputt«, rief Dati dazwischen.

Zadou runzelte die Stirn.

»Was machen wir jetzt? Wir brauchen das Kabel, um den Player an die Musikanlage anzuschließen.« Vago, ein weiterer Tänzer ihrer AG warf die Hände in die Luft.

»Keine Panik. Ich weiß, wo ich ein Ersatzkabel finde«, fiel Zadou ein. Es befand sich im Tonstudio. Sie wusste, wo Frau Henders die Schlüssel zum Proberaum und Tonstudio aufbewahrte. Nur der Musikraum musste offen sein. Bevor jemand etwas sagen konnte, sprintete sie durch den Flur.

Es hatten sich bereits viele Leute vor der Aula versammelt und standen in einer Schlange. Eltern, Lehrer, Mitschüler und ihre Freunde redeten durcheinander.

Das Kribbeln in Zadous Bauch überzog ihren ganzen Körper. In den letzten Minuten vor dem Auftritt machte ihr Magen eine Achterbahnfahrt. Ihre Knie wurden weich und ihre Atmung wurde unregelmäßig.

»Bitte sei offen.« Zadou drückte die Klinke herunter. Die Tür war unverschlossen. Rasch durchquerte sie den großen Raum. An den Wänden hingen Porträts von bekannten Komponisten und vergilbte Notenblätter ihrer bekanntesten Stücke. Zadou mochte die Atmosphäre des Musikraums. Sie strich ein wenig Staub vom Deckel des braunen Wandklaviers und betrachtete das Keyboard vor der Tafel.

Wo waren die Schlüssel versteckt? Frau Henders hatte sie so verstaut, dass Zadou und ein paar andere Schüler das Tonstudio nutzen konnten, wenn sie nicht hier war. Doch wo war das?

Ihre Musiklehrerin hatte ihr vor einem halben Jahr gezeigt, wo sie den roten Schlüsselbund suchen musste. Warum fiel es ihr nicht ein? Zadou ging zum Bücherregal und holte ein Buch nach dem anderen heraus. Hier waren die Schlüssel nicht. Auch in der Schubladen des Lehrertisches fand sie nichts weiter als eine Taschentuchpackung und ein paar Stifte.

Die Zeit lief ihr davon. Der Auftritt begann in weniger als einer halben Stunde und sie hatte sich noch nicht mal warm gemacht.

Auf einmal fiel es ihr ein.

Frau Henders bewahrte den Bund im Blumentop auf, der auf dem Fensterbrett neben ihrem Tisch stand. Zadous Hand griff hinein und stieß auf klirrendes Metall.

In Windeseile durchquerte sie den Bandraum und schloss das Tonstudio auf. Sie ließ den Schlüssel außen stecken, damit sie ihn nicht verlegte. Zadou strich behutsam über die Regler des Mischpultes. Der Aufnahmeraum mit den dunklen Schaumwänden war wie eine Insel für sie. Hierher rettete sie sich, wenn die Zeit in der Schule unerträglich wurde. Andere Menschen mochten die Enge und Dunkelheit dieses Raumes nicht, doch Zadou liebte die flauschigen Wände, die alle Töne schluckten. Das Kabel befand sich dort, wo sie vermutet hatte, im obersten Regal eines Schiebeschranks.

Auf einmal knallte die Tür zu. Zadous Herz blieb fast stehen.

Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Sie wurde eingeschlossen. Zadou hämmerte gegen die Tür und drückte die Klinke mit Gewalt herunter.

Nichts geschah.

»Was soll das. Lass mich raus.« Sie ließ das Kabel fallen. Jemand hatte sie eingesperrt und sie wusste wer. Lona oder jemand aus ihrer Clique. Warum hasste sie Zadou so sehr?

Zadou lehnte ihre Stirn an das schwarz lackierte Metall. In einer halben Stunde begann die Veranstaltung. Wann würde jemandem auffallen, dass sie fehlte?

Selbst wenn jemand sie fand, würde er sie nicht befreien können. Denn Frau Henders besaß den zweiten Schlüssel und bis sie hier war, würde die Gala vorbei sein. Zadou hatte nicht mal ihr Handy mitgenommen.

»Hallo? Lasst mich raus«, versuchte sie es erneut. Sie klopfte bis ihre Knöchel wund wurden. In ihrem Kopf ratterte es, sie suchte nach Lösungen, aber wenn sie nicht die Kraft eines Elefanten entwickelte, würde sie hier festsitzen. Die Metalltür auszuhebeln, war utopisch.

Wieviel Zeit blieb ihr noch? Im Tonstudio ohne Fenster vergingen die Minuten ganz anders, als draußen. Ob die anderen schon umgezogen waren?

Plötzlich durchbrach ein Geräusch den Kokon der Stille. Etwas drehte sich im Schloss. Jemand öffnete die Tür. Zadous Augen weiteten sich, als Tageslicht in das Studio flutete.

»Danke«, rief sie und stutzte. »Venni?«

Dims kleiner Freund strich über den Rand seiner Brille. Seine Augen waren wie ein Stück Himmel. Klar, ohne ein einzige Wolke.

»Ich war zufällig hier und habe etwas gehört.« Venni trat von einem Fuß auf den anderen.

»Was machst du an einem Samstag in der Schule?«

Venni deutete zum Klavier. »Frau Henders erlaubt mir, hier zu spielen. Die Tür war schon offen, da dachte ich, jemand ist drin.«

»Verstehe.« Zadou lächelte. Venni erinnerte sie an die Engel, die sie einst bei einer Kunstausstellung gesehen hatte. Sie war damals von den ätherischen Wesen ganz fasziniert gewesen, die der Maler auf Leinwand gebannt hatte. Mit seinen klaren Gesichtszügen, den glänzenden, hellbraunen Haaren und seinen leuchtenden Augen, sah Venni diesen Geschöpfen wirklich ähnlich.

»Außerdem wollte ich mir nachher euren Auftritt ansehen.«

»Wirklich?« Zadou war überrascht.

Er nickte.

»Dann beeil dich, sonst sind die besten Plätze weg. Danke für deine Hilfe. Ohne dich wäre ich verloren gewesen.« Sie strich über sein Haar und wunderte sich, wie samtig es war.

Jetzt durfte sie keine weitere Minute verlieren.

»Da bist du ja endlich. Hast du noch einen Song aufgenommen?«, begrüßte Dati sie, als sie atemlos durch die Tür stürmte.

»Ich wurde eingesperrt. Habt ihr hier irgendwo Lona herumlaufen sehen?«

»Verdammt.«, entfuhr es Benko. »Ich habe sie vorhin gesehen, als ich hergekommen bin. Sie befand sich am Kiosk, auf der anderen Straßenseite, aber ich habe mir nichts dabei gedacht.«

»Sie ist das Böse in Person.« Dati schüttelte sich.

»Wenn sie hier auftaucht, kann sie etwas erleben.« Benko ballte die Hände zu Fäusten.

»Danke aber spart eure Kräfte lieber für den Auftritt.« Zadou war froh, dass die beiden auf ihrer Seite standen. Die nächsten Minuten vergingen wie im Zeitraffer. Ehe sie sich versah, stand sie im Kostüm hinter der Bühne und wartete darauf, dass die Schauspieler ihre Szene beendeten. Applaus brandete auf, das Klatschen elektrisierte Zadou. Mindestens hundert Leute mussten gekommen sein. Ihre Tanz-AG betrat die Bühne. Der Zuschauersaal war abgedunkelt, sie erkannte ein paar Gesichter aus der ersten Reihe. Ihr Mathematiklehrer und Schüler aus ihrer Parallelklasse saßen dort.

Das leise Gemurmel der Leute umhüllte sie wie Watte.

Dann war es soweit, Musik erfüllte den Raum und ließ die Leute verstummen. Die Klänge kitzelten einen verborgenen Aspekt ihres Wesens an die Oberfläche. Es war ein kleiner Funke, der vom Öl des Publikums übergossen wurde und sie zum Brennen brachte.

Dieses Feuer sprang auf die Zuschauer über. Zadou fühlte sich unbesiegbar. Viereinhalb Minuten vergingen in wenigen Sekunden. Sie badete im Applaus der Zuschauer und konnte nicht genug davon bekommen. Die anderen waren aufgedreht.

»Habt ihr gehört, wie ein paar der Leute gejubelt haben?« Rote Flecken zierten Rilas blasses Gesicht.

»Es war super.« Benko wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ich habe einen Schritt verpatzt«, gab Dati kleinlaut bei.

»Es ist bestimmt niemandem aufgefallen«, tröstete Zadou sie. »Du kannst es gut...«

Auf einmal hörte sie einen vertrauten Ton. Die Instrumentalversion von Missadas Herzklang drang aus Zadous Tasche. Wer rief sie an? Sie kramte sich durch Haargummis, Spangen und Lipgloss.

»Hallo?«

»Hallo Zadou.«

Die Stimme kam ihr bekannt vor.

»Hier ist Ulisa Karov von MMP.« Es war die silberblonde Puppe. Ein kalter Roboter.

»Ja?«, krächzte Zadou. In ihre Euphorie mischte sich Nervosität. Gleich würde ihr Schicksal besiegelt werden.

»Wir haben uns alle Kandidatinnen angesehen, die sich beworben haben«, erklärte Ulisa.

Klauen der Angst griffen nach Zadou. Sie wollte die Antwort nicht wissen. Nicht, wenn sie negativ war.

»Und?« Zadous Stimme zitterte. Am anderen Ende der Leitung antwortete ihr Stille. Noch nie waren ihr ein paar Sekunden so lang vorgekommen. Während auf der Bühne die Zeit wie im Flug verging, dehnte sie sich gerade unendlich in die Länge.

Benko musterte sie fragend. Zadou drehte sich weg und betrachtete ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. Sie wollte ihre Emotionen vor den anderen verbergen.

»Du bist dabei. Music Might Producion bietet dir einen Voluntee-Vertrag an.«

Der Boden unter Zadous Füßen gab nach. Sie schwankte und hielt sich an einem Stuhl fest.

Du bist dabei.

Wie oft hatte sie sich diesen Moment in ihrer Fantasie ausgemalt? Er war ihre Rettung an Tagen gewesen, als sie von den anderen gehänselt worden war.

Irgendwann werden sie zu dir heraufschauen, statt dich wie Dreck zu behandeln. Bald werden sie bereuen, dass sie dich nicht gesehen haben.

Sie hatte sich an diese Tagträume geklammert, wenn sie die Tränen im Unterricht nicht mehr länger zurückhalten konnte, mit dieser Vision im Kopf gekämpft, wenn sie glaubte, keinen weiteren Schlag mehr aushalten zu können.

»Bist du noch am Apparat?« Zadou glaubte Besorgnis in Ulisas Stimme herauszuhören.

»Ja.« Zadou schluckte. »Vielen Dank, dass sie angerufen haben. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Ihr fehlten die Worte. Ihr Herz pochte gegen ihre Rippen.

In diesem Moment änderte sich etwas in ihrem Leben. Eine höhere Kraft stellte die Weichen neu.

»Du erhältst die Unterlagen nächste Woche per Post. Wir brauchen die Unterschrift eines Erziehungsberechtigten. Im November beginnt deine Ausbildung bei Music Might Productions..«

Das war in anderthalb Monaten, kalkulierte Zadou.

»Die Details besprechen wir nächste Woche Auf Wiederhören.« Ulisa Karov legte auf.

»Alles in Ordnung mit dir, Zadou? Du siehst aus, als ob du einen Geist gesehen hättest.« Dati musterte sie mit gerunzelter Stirn.

»Ja.« Zadou blinzelte.

Ich habe es geschafft. Langsam sickerte die Erkenntnis durch die Schichten ihres Bewusstseins.

»Ich habe es geschafft.« Es fühlte sich seltsam an, die Worte auszusprechen, die sie tausend Mal gedacht hatte.

»Ich habe es gewusst.« Benko stürmte auf sie zu und hob sie hoch.

»Ich bin bei MMP unter Vertrag«, rief sie.

»Großartig.« Dati jubelte. Rila und Vago klatschten. Ein paar Leute aus der Schauspielgruppe sahen zu ihnen herüber. Benko ließ Zadou herunter und wirbelte sie im Kreis.

»Was gibt es hier zu feiern?« Nallit kam herein, ihre Locken wippten bei jeder Bewegung. Sie hatte Dim und Venni im Schlepptau.

»Dreimal darfst du raten.« Zadou warf Nallit mit ihrer Umarmung beinahe um.

»Entweder hast du die Liebe deines Lebens gefunden oder...«

»Oder ich wurde angenommen.«

»Was?« Nallit entfuhr ein spitzer Schrei.

»Unglaublich oder?« Zadous Kopf drehte sich weiter, obwohl ihr Körper bereits still stand.

»Was ist passiert und warum seid ihr so laut wie ein Haufen Hühner?«, wollte Dim wissen. Nallit erzählte ihrem Bruder in Kürze, dass Zadou unter Vertrag genommen worden war.

»Dann kannst du uns bald Gratis-Karten für die Spielshow bei G-TV besorgen.«

»Wer weiß.« So weit voraus wollte Zadou noch gar nicht denken. Ihr würden sich viele Türen öffnen.

»Diese Show ist doch totaler Quatsch.« Nallit schüttelte den Kopf. »So einen Unsinn siehst du dir an?«

»Das ist kein Unsinn.« Dim stampfte auf.

»Natürlich, diese Show müllt dein Gehirn zu.«

Zadou lachte. Nallit und ihr kleiner Bruder stritten sich häufig.

»Ihr habt gut getanzt«, sagte Venni, der bisher unbeteiligt daneben gestanden hatte. Sie glaubte, Trauer in seiner Stimme zu hören.

»Findest du?«

»Du bist immer gut.« Die Aufrichtigkeit in seiner Stimme verblüffte sie. Er hatte etwas sehr Klares an

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 28.03.2018
ISBN: 978-3-7438-6338-5

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