Ich sitze zu Hause an meinem Schreibtisch und schreibe nun schon die fünfte Bewerbung. Ich weiß nicht so recht, wo ich arbeiten möchte und ich muss mich auch mit der Suche nach einer Arbeitsstelle beeilen. Sonst kommt irgendwann irgendein Amt darauf, dass ich gerade weder arbeite noch zur Schule gehe.
Roberto ist mit seinem Vater in den Urlaub gefahren. Robertos Vater hat, seit sein Sohn in die erste Klasse gekommen ist, auf einen Urlaub gespart, der nach der Schule sein sollte. Er hat soviel gespart, dass sie einen Monat wegbleiben können.
»Samuel!« ruft Maria. »Ja, ich komme sofort, ich muss nur noch den Satz fertig schreiben!« rufe ich zurück. »Aber beeil dich!« »Jaja ...« murmele ich und schreibe, so schnell es halt geht, wenn man sauber schreiben muss, meinen Satz zuende. Dann schiebe ich den Stuhl zurück, lege meinen Stift neben die Bewerbung und laufe nach unten.
Maria finde ich vor der Haustür. »Ach, da kommt sie ja.« sagt eine fremde Stimme. Maria kommt mir entgegen. »Ich weiß nicht, wer das ist. Aber ihr habt euch wohl schon einmal getroffen.« Sie geht an mir vorbei und lässt uns alleine. Vor mir steht ein älterer Mann. Er mustert mich. Als sein Blick auf mein Gesicht fällt, grinst er breit.
»Endlich habe ich Sie gefunden. Ich dachte schon, Sie seien von hier weggezogen.« Ich sehe ihn fragend an und mustere ihn ebenfalls von oben bis unten und wieder zurück. »Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor. Aber ich weiß nicht, woher.« Sein Grinsen wird noch breiter. »Wollen wir einen kleinen Spaziergang machen?« ich zucke mit den Schultern. Warum nicht? Ich muss sowieso mal wieder nach draußen. »Warten Sie einen Moment, ich komme gleich wieder.« »Aber gerne.«
Ich drehe mich um, laufe in mein Zimmer und hole meinen Schlüssel. Ich ziehe meine Hausschuhe aus und hole meine Schuhsohlen. Ach, das ist noch nicht bekannt: Ich habe mir von Robertos Vater spezielle "Schuhe" machen lassen, damit ich nicht nach jeder Unternehmung an der frischen Luft zu Konrad rennen muss, damit er meine Fußsohlen unter die Lupe nimmt.
Ich gehe wieder nach unten, verabschiede mich von Maria und gehe mit dem Mann spazieren.
»Sagen Sie mir nun, woher wir uns kennen?« frage ich. »Mein Laden. Sie waren mal bei mir, weil sie Kleidung brauchten, die sie gut anziehen können.« Im meinem Kopf fängt es an zu denken. »Zukunft und Fortschritt!« rufe ich aus. Der Mann lacht. »Genau. Deshalb bin ich auch gekommen, wegen meinem Laden. Ich habe vor, noch mehr Läden von dieser Sorte zu öffnen, und die Universitäten, die sich auf Elektronik spezialisieren, auf den neuesten Stand zu bringen.«
Wir gehen zu einer Bank und setzen uns.
»Als mir eingefallen ist, dass ich einen Nachfolger bräuchte, habe ich fast ein Jahr überlegt, wer geeignet für meinen Laden wäre. Da sind Sie mir eingefallen. Ich wusste erst nicht, zu wem dieses Bild gehört, das durch meinen Kopf spukte. Doch dann ist mir eingefallen, dass mal ein Halbroboter meinen Laden betreten hat. Und ich dachte, Sie wären genau die richtige. Also habe ich begonnen, Sie zu suchen. Und endlich nach vier Jahren habe ich Sie gefunden.«
»Nach vier Jahren? Aber soviele roboterähnliche Wesen gibt es hier in der Gegend gar nicht.« »Das stimmt, aber mir ist etwas dazwischen gekommen. Weshalb ich erst einmal nicht weiter suchen konnte.« Ich nicke.
»Sie wollen also, dass ich Ihr Geschäft übernehme ... Lassen Sie mir bitte etwas Zeit, um über Ihr Angebot ...« »Es ist eine dringende Bitte!« »... Ihre Bitte nachzudenken.« »Sie bekommen ein paar Tage, mehr Zeit kann ich Ihnen nicht geben. Ích stehe unter Zeitdruck.« »Da haben wir etwas gemeinsam.« »Ich rufe Sie an, wenn Ihre Frist abgelaufen ist.« »Warten Sie, können Sie mir ihre Nummer geben?« Der alte Mann sieht mich an. Dann kramt er in seinen Jackentaschen. Er holt einen Schnipsel Papier und einen Stift hervor und schreibt mir seine Nummer auf. Dann gibt er mir den Schnipsel. Er steckt seinen Stift weg, verabschiedet sich von mir und läuft eiligen Schrittes davon.
Die folgenden Stunden und Tage verwendete ich fast nur, um mir Gedanken um das Ange... die Bitte zu machen.
Ich stehe jetzt vor dem Briefkasten und sehe die Post durch. Von den fünf Bewerbungen, die ich geschrieben habe, habe ich zwei verschickt. Auf eine habe ich schon eine Antwort bekommen. Diese kam am Tag darauf. In der Antwort stand, dass ich nicht angenommen werden könne, weil der Beruf zuviele Risiken für mich bereithält. Ich verstehe zwar nicht wo da ein Risiko sein soll, aber egal. Jetzt halte ich einen Umschlag in den Händen von der Firma "Näh fein". Keine Ahnung, wie ich auf die Idee gekommen bin, eine Bewerbung dorthin zu schreiben.
Ich verschließe den Briefkasten wieder und bringe die Post nach drinnen.
Konrad und Maria sitzen in der Küche und trinken Kaffee. »Die Post ist da.« sage ich und verteile die Briefe. Maria hat zwei bekommen und Konrad hat einen bekommen. Ich setze mich zu den beiden an den Tisch und öffne meinen Brief. Maria hat überall ihre Augen. »Warum nimmst du nicht den Brieföffner?« Ich zucke mit den Schultern und nehme das Papier aus dem Umschlag.
Während ich lese, stelle ich fest, dass das die Antwort auf meine zweite Bewerbung ist. Ich habe mich in einer Schule beworben, um dort eine AG zu gründen.
Am Ende des Briefes angekommen, lege ich das Papier auf die Tischplatte und gebe ein Geräusch von mir, welches sich halb stöhnend, halb seufzend anhört.
»Was ist?« fragt Konrad. Ich sehe ihn an. »Ich habe die Antwort für meine Bewerbung bekommen. In dem Brief steht weder, ob ich angenommen wurde, noch ob ich nicht angenommen wurde.« »Gib ihn mir mal.« Konrad streckt mir seine Hand entgegen und nimmt mir den Brief ab. »Jetzt lass ihr doch ihre Briefe.« »Schon gut Maria. Ich habe noch vier andere Stellen ...« »Vier? Ich dachte, du hast nur fünf gesucht ─ und das sind schon genug.« »Stimmt, aber der Mann, der vor ein paar Tagen vor der Tür stand, ist der Inhaber de Ladens "Zukunft und Fortschritt".« Konrad sieht von dem Brief auf. »Sag bloß, er hat dir angeboten, seinen Laden zu übernehmen.« »Ja genau. Deshalb bin ich zur Zeit auch nicht ganz bei der Sache.« Ich sehe Maria wieder an.
»Überleg es dir gründlich. Es ist vielleicht eine Entscheidung fürs Leben.« »Die ist es.« sage ich und stehe auf. »Ich gehe noch mal nach oben.« Konrad nickt.
Oben in meinem Zimmer gehe ich nochmal alles durch.
Ich habe meinen Entschluss gefasst. Ich gehe zum Telefon und rufe Roberto an.
»Hallo?« »Roberto?« »Samuel?« »Ja, genau. Ich habe etwas gefunden, wo ich arbeiten kann. Ich gebe dir die Adresse durch und wir sprechen darüber, wenn ihr wieder in Deutschland seid.« »Ich hole meinen Vater.« Ich warte, bis sich Robertos Vater meldet. Dann gebe ich ihm die Adresse von dem Laden. Dann lege ich auf und rufe den Inhaber von "Zukunft und Fortschritt" an. Er freut sich riesig darüber, dass ich seine Bitte annehme. Morgen soll ich vorbei kommen.
Zehn Uhr Morgens stehe ich vor dem Laden. Ich sehe ihn mir nochmal an, bevor ich eintrete.
»Hallo? Hier ist Samuel, die Halbroboterin!« rufe ich in den Laden hinein, als ich drinnen bin. Keine Antwort.
Die Ladentür öffnet sich und herein treten der Ladeninhaber und noch jemand, den ich aber nicht kenne.
»Nun, Sie hatten mir etwas von einer jungen Frau gesagt, die bereit wäre Ihren Laden zu übernehmen. Wann wollte sie denn kommen?« »Ich habe ihr nur gesagt, sie soll heute vorbei kommen.« Die beiden scheinen mich noch nicht bemerkt zu haben.
»Sie haben ein neues Utensil! Sehr schön, ich glaube, unser Geschäft dürfte sich die nächsten Jahre gut entwickeln.« »Sie wissen es schon? Aber es war nur eine Idee und ich habe noch niemandem etwas genaues erzählt.« Der Fremde zeigt auf mich. Der Ladeninhaber sieht von dem Fremden zu mir.
»Samuel, so früh hatte ich Sie noch gar nicht erwartet!« ruft er aus und will zu mir kommen. Der Fremde hält ihn zurück und flüstert ihm etwas in sein Ohr.
Ich mache einen Schritt auf die beiden zu »Entschuldigen Sie, aber wenn Sie glauben, er möchte seinen Laden an einen Roboter abgeben, dann denken Sie nur zur Hälfte richtig.« sage ich zu dem Fremden. Dieser blickt auf und sieht mich an. »Was soll das heißen?« »Ich sehe von außen aus wie ein Roboter, doch innerlich bin ich ein Mensch.« Der Fremde nickt.
Nach einigem hin und her hat der Fremde verstanden.
Wir setzen uns zu dritt in den hinteren Teil des Ladens. Der Fremde hat ein Schild an die Ladentür gehängt. Auf diesem steht Wichtige Besprechung!!!
»Bevor wir mit dem Laden anfangen, möchte ich gerne Ihren Namen erfahren. Und wenn es nur Ihr Nachname ist!« Der Ladenbesitzer sieht mich erst erstaunt an, dann nickt er. »Leonardo Trauerweide« Ich nicke.
Leonardo Trauerweide und der Fremde sagen mir, worauf ich achten muss. Sie haben das alles bereits aufgeschrieben.
Als ich nun die Rahmenbedingungen und einiges andere bekomme, sehe ich mir alles noch einmal genau an. Und ─ wie es scheint zum Pech des Fremden ─ bemerke ich noch einige Stellen, Kleingedrucktes. Ich mache die Herren darauf aufmerksam. Nun müssen sie mit mir nur noch das Kleingedruckte besprechen.
Am späten Nachmittag erheben wir uns. »Sie können also Ende des Monats anfangen, hier zu arbeiten. Dann hat Herr Trauerweide hoffentlich genug Zeit, die wichtigsten Angelegenheiten zu klären.« Ich verabschiede mich von dem Fremden und Leonardo Trauerweide und gehe nach Hause.
Das Telefon klingelt. »Ich gehe schon!« rufe ich und nehme den Telefonhörer ab. »Hier ist Samuel, wer ruft an?« »Samuel, hier ist Roberto. Kannst du uns heute 16 Uhr vom Flughafen abholen? Jemand hat unser Auto kaputt gefahren, deshalb fliegen wir mit dem Flugzeug zurück.« Ich muss lächeln. Seine Formulierungen sind so niedlich. »Ich werde sehen, was ich machen kann. Ich muss heute noch in den Laden, von dem ich dir erzählt habe, und ich weiß nicht, wie lange das dauert.« »Gut, viel Erfolg! Kannt du mir noch Maria oder Konrad geben?« »Ja.« Ich lege den Hörer neben das Telefon und hole Maria. Konrad ist noch arbeiten.
Maria nimmt den Hörer in die Hand. »Maria am Apparat.« So wie Maria das Gespräch fortsetzt, spricht sie mit Robertos Vater.
Ich sehe auf meine Uhr. Dann laufe ich in mein Zimmer und hole meine Schuhsohlen. »Tschüss Maria, ich gehe mal.« Maria winkt mir kurz zu, bevor ich in der Haustür verschwinde.
In der Fußgängerzone ist heute nicht so viel los. Und in "Zukunft und Fortschritt" ist mehr los als bisher. »Komme ich ungelegen?« frage ich Herrn Trauerweide. Dieser lächelt mir zu, nimmt eine Fahrradklingel aus dem Regal hinter ihm und betätigt sie solange, bis alles still geworden ist. (Randbemerkung: Die Fahrradklingel habe ich gegen eine andere getauscht.)
»Liebe Gäste, Verwandte, Freunde, Kunden und Geschäftsleute! Darf ich Ihnen/Euch meine Nachfolge vorstellen?« Er dreht sich zu mir. Ich komme mir vor wie auf einem Präsentierteller und bin erstmal überrascht und sprachlos.
»Ist die noch zu haben? Elise fehlt ein Arm.« Das ist doch wohl die Höhe! Ich lasse mir doch nicht einfach so meinen Arm amputieren, nur weil ein 16-jähriger Volltrottel meint, seine Puppe ist nicht hübsch genug. »Was denkst du eigentlich von mir? Ich habe mich bereiterklärt, dieses Geschäft hier zu übernehmen und nicht irgendwem meinen Arm zu geben!«, empöre ich mich laut. Ein anderer lacht. »Heinrich, das Mädchen ist ein Mensch und kein Roboter wie deiner es ist!«
Daraufhin schweigt alles. Leonardo braucht einen Moment, bis er sich gesammelt hat.
»Machen wir also weiter im Programm. Ich möchte, dass ihr sie so gut es geht, unterstützt! Ich werde sie natürlich erst einarbeiten, bevor ich gehe.« Leonardo hält inne. Ich sehe ihn von der Seite an.
»Möchtest du noch etwas von dir preisgeben?« Ich überlege kurz und beschließe meinen Namen erst später bekannt zu geben. »Nein.« Leonardo nickt. Dann erzählt er, wie es für ihn war, als ich das erstemal seinen Laden betreten habe.
»Komm morgen acht Uhr. Dann ist dein erster Arbeitstag.« sagt Leonardo, bevor ich den Laden verlasse.
Maria und ich sind beide zu unterschiedlichen Zeiten zum Flughafen gekommen. Ich komme fünf Minuten vor 16 Uhr. Maria ist noch nicht zu sehen. Ich gehe zu einer riesigen Anzeigetafel und rätsele, welcher Flug es wohl sein wird, mit dem Roberto kommt.
Jemand legt mir seine Häde über die Augen. Ich zucke zusammen. »Roberto?« eigentlich wollte ich Maria sagen. Die Hände verschwinden und ich bekomme einen kalten Kuss auf meine Wange. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und lehne mich nach hinten. Dann sehe ich Roberto lächelnd an. Ich spüre die Freude, die durch meinen Körper und meinen Geist strömt. Ich drehe mich ganz zu ihm um und umarme ihn lange. Ich bin so glücklich, dass er wieder da ist.
Robero lacht. Da löse ich meine Umarmung und stelle mich eine Armeslänge entfernt von ihm auf. »Du hast dich verändert«, sage ich zu ihm. Roberto nickt.
Zusammen gehen wir zu Maria und Robertos Vater. Roberto erzählt mir an einem Stück, was er alles erlebt hat.
Wir sind bei Maria und Robertos Vater angekommen und Roberto hört nicht auf zu erzählen. Wir lachen. Roberto unterbricht sich kurz. »Was ist?« »Roberto, hole doch erst mal Luft.« »Wie denn?« Ich sehe ihn an. »Atmest du?« »So wie du oder mein Vater? Nein, das müsstest du doch wissen!« Das klang, als wäre er empört, dass ich so etwas auch nur denke! Ich lache herzhaft. »Sei nicht traurig.« sage ich zu ihm und flüstere ihm etwas in sein Ohr, was nur uns beide etwas angeht.
Dann frage ich Robertos Vater nach seinem Namen. Ich glaube zwar, dass ich das schon getan habe, aber zweimal die selbe Frage zu stellen ist doch auch nicht schlimm. »Igor« Igor also. Hoffentlich merke ich mir das.
Morgens um sieben bin ich in der Küche und mache mir etwas zu essen für den Tag. Neben mir auf einem Stuhl steht mein Rucksack.
Ich habe zurzeit keinen Hunger. Dafür bin ich viel zu aufgeregt!
Eine halbe Stunde später, schultere ich meinen Rucksack, ziehe meine Schuhsohlen an und verlasse das Haus.
In der Fußgängerzone ist heute mehr los als gestern. Vermutlich waren einige Geschäfte geschlossen, weil Leonardo die Inhaber eingeladen hat.
Ich gehe zu Zukunft und Fortschritt. Eigentlich möchte ich den Laden betreten, aber die Türe ist zu. Ich finde auch keine Klingel. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als vor dem Laden zu warten.
Es dauert etwas, bis die Türe aufgeschlossen wird. Leonardo kommt heraus. »Warum bist du noch nicht im Laden? Ich hatte dir doch gesagt, du sollst um acht kommen.« »Die Tür war zu.« »Warum bist du nicht durch den Hintereingang gekommen?« »Ich wusste nicht, dass es einen gibt.« Leonardo sieht mich verwundert an. »Hab ich dir nicht gestern gesagt, dass du den Hintereingag nehmen sollst? Und habe ich dir noch nicht die Schlüssel gegeben?« »Nein.« Leonardo kratzt sich am Kopf. Dann zuckt er mit den Schultern und lächelt. »Dann komm mal rein, damit wir anfangen können.« Ich folge Leonardo nach drinnen.
»Wie sieht es bei dir mit dem Kontakt zu Wasser aus?« »Also ich trinke durchaus Wasser. Beim Abspülen ziehe ich immer Handschuhe an.« Leonardo nickt. »Ich werde mich wohl mit deinem Vater unterhalten müssen.« Hoffentlich macht er jetzt keinen Rückzieher.
»Wir müssen dir den Laden anpassen.« »Wieso müssen wir ihn mir anpassen?« »Er muss in gewisser Weise deinen Bedürfnissen entsprechen.« Ich verstehe überhaupt nichts.
Leonardo erklärt es mir sehr umständlich. »Und was heißt das jetzt?« frage ich ihn, nachdem er mit erklären fertig geworden ist. »Du hast es noch nicht verstanden?« »Nein. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was Sie mir damit sagen wollten.« Leonardo seufzt und setzt sich auf einen Stuhl, der in der Nähe steht.
Da geht die Tür auf und herein tritt Igor. »Störe ich?« fragt er. »Schon gut. Leonardo hat versucht, mir zu erklären, warum wir diesen Laden an meine Bedürfnisse anpassen müssen. Aber ich habe es überhaupt nicht verstanden.« Igor lächelt und legt seine Hand auf Leonardos Schulter. »Hast du endlich jemanden gefunden, der dein Geschäft übernehmen kann?« Leonardo deutet auf mich. Er tut mir Leid.
»Du bist von außen ein Roboter. Du hast eine ganz spezielle Haut. Diese Haut verträgt jedoch nicht alles. Aber um den Laden sauber zu halten, muss er hin und wieder auch mal ausgewischt werden. Oder es müssen Fenster geputzt werden.« Igor macht eine Pause. »Was war denn die eigentliche Frage?« »Ob sie Wasser verträgt.« Igor nickt. Er kommt zu mir und nimmt meine Hand in seine. Er befühlt sie genau. Dann hebt er sie zu seiner Nase und riecht an ihr. Das finde ich etwas eigentümlich. Als er schließlich den Mund aufmacht und seine Zunge raus fährt, ziehe ich meine Hand ruckartig zurück. Ich will nicht angeleckt werden.
»Das hätte nun wirklich nicht sein müssen.« sagt Leonardo. Igor leckt sich seine Hände. »Buä! Ich dachte immer weibliche Roboterhände schmecken besser.« »Ich möchte von niemandem angeleckt werden. Deshalb habe ich meine Hand zurück gezogen.«, erwidere ich.
Igor, Leonardo und ich erstellen einen Putzplan. Auf diesem steht, an welchem Tag ich was putzen muss. Dann erstellen wir eine Tabelle, in der allles aufgelistet ist, was meine Haut nicht verträgt und ich nicht mag.
Leonardo legt den Putzplan und die Tabelle in eine Mappe.
Den Vormittag sind wir eigentlich nur mit Theorie beschäftigt.
Am Mittag macht Leonardo sich etwas zu Essen. Ich stelle mich hinter den Tresen und warte auf mögliche Kunden. Igor verlässt dem Laden wieder.
Als Leonardo aufgegessen hat, löst er mich ab und lässt mich etwas essen. Er sagt »Selbst wenn du ein richtiger Roboter wärst, würde ich dich nicht ununterbrochen arbeiten lassen.«
Nach der Mittagspause erklärt mir Leonardo mit einfachen Worten, wie sich die Preise verhalten. »Hast du auch eine Preisliste, oder muss ich das alles im Kopf behalten?« »Natürlich habe ich auch eine Preisliste. Ich wäre längst wahnsinnig geworden, wenn ich nicht alles aufschreiben würde. Wo wir schon dabei sind: Alles aufschreiben ─ Ich meine damit, du wirst auch Buch darüber führen müssen, was alles im Lager ist.« Oha!
»Komm, ich zeige dir meine bisherige Buchführung.« Ich folge Leonardo in den hinteren Teil des Ladens. Er bleibt vor einem riesigen Regal stehen, in dem sich viele dicke Bücher befinden. Er nimmt sich eine kleine Holzleiter und holt aus dem obersten Fach ein verstaubtes Buch heraus. Er schließt die Augen und pustet den Staub runter. Ich drehe meinen Kopf weg. Dann kommt Leonardo mit dem Buch von der Leiter und schlägt es auf. Die Seiten sind schon etwas älter. Und die Schrift verblasst langsam. An einigen Stellen ist sie kaum noch zu erkennen.
»Das ist das erste Buch, das ich vollgeschrieben habe. Hier stehen alle Produkte von 1928. Von wem ich sie bekommen habe, an wen ich sie weiterverkauft habe, und und und. Lies dir mal diese Seite durch, so gut es geht.« Er gibt mir das Buch. Ich lese mir die aufgeschlagene Seite durch. Ich kann kaum etwas entziffern.
Endlich am Ende angekommen, klappe ich es vorsichtig wieder zu und stelle es an seinen Platz.
Leonardo und ich gehen wieder nach vorne. »Solange kein Kunde kommt, und du nichts anderes zu tun hast, wird es deine Aufgabe sein, die Bücher nachzuschreiben. Hast du einen Füller zuhause?« »Nein, nicht mehr. Ich habe ihn verkauft.« »Dann besorge dir bitte wieder einen. Wenn du einen hast, schreibst du mit ihm in die Bücher. Schreibe die Buchstaben ordentlich nach. Wenn ein Kunde kommt und du noch nicht mit dem Wort fertig bist, sagst du ihm, er soll einen Moment warten.« Ich nicke, denn ich habe ihn verstanden.
»Soll ich jetzt gleich anfangen?« »Ja, warum nicht? Ich werde solange den Laden aufräumen. Ich erwarte noch eine Lieferung von einem Schrottplatz.«
Ich gehe nach hinten, hole das Buch aus dem Schrank, lege es vorne auf den Tresen und laufe in ein Schreibgeschäft. Dort kaufe ich mir einen Füller und Patronen. Dann gehe ich wieder zurück und fange an, abzuschreiben.
Nach einer Seite lege ich den Füller zur Seite und lockere meine Finger. Das Abschreiben ist anstrengend.
Als meine Finger gelockert sind, schreibe ich weiter ab. Gegen Abend lege ich mir ein Lesezeichen zwischen die Seiten und räume das Buch zurück auf seinen Platz.
»Du warst fleissig.« lobt mich Leonardo, bevor ich den Laden verlasse.
19 Uhr komme ich nach Hause. Konrad und Maria haben schon mit Essen angefangen. Ich bringe meine Sachen in mein Zimmer und setze mich dann zu ihnen.
»Wie war dein Tag?« fragt mich Konrad. »Aufregend« Auf eine genauere Antwort wird er noch etwas warten müssen.
»Was hast du denn heute gemacht?« fragt mich Maria. Ich erzähle den beiden, was alles passiert ist. Als ich sage, dass ich ein Buch von 1928 erneuern sollte, stutzt Konrad. »1928? Wer hat denn die Aufzeichnungen gemacht?« »Leonardo« sage ich. »Das kann nicht stimmen! Wir sind im Jahr 2017. Wie alt ist er denn?« »Wohl über 100 Jahre.« sagt Maria. »Ihr habt recht!« sage ich.
Nach dem Essen in meinem Bett rechne ich unsere Entdeckung nochmal durch. 1928 hat Leonardo das erste Buch geführt. Von 1928 bis 1930 sind es zwei Jahre. Bis 2000 sind es ... 62 Jahre. 17 Jahre drauf ... 79 Jahre. 100 Jahre kommen nicht ganz hin. Dennoch ist es verwunderlich, dass er noch immer so fit ist. Ich werde ihn irgendwann einmal fragen.
Ich habe gerade geträumt, mir würde jemand eine Blumenvase über den Kopf kippen und daraufhin würde ich einen Kurzschluss bekommen. Das kann doch nicht stimmen. Ich bin doch kein Roboter! Ich wache auf und knipse das Licht an. Eine Tatsache lässt mich nicht zur Ruhe kommen.
Leonardo muss um jeden Preis zwischen 89 Jahre und 99 Jahre alt sein! Ich glaube nicht, dass er ab seinem ersten Atemzug schon schreiben, lesen und Geschäfte machen konnte.
Ich stehe an dem Buch von 1928 und versuche zu verstehen, was ich eben schreibe. Die Tür geht auf. »Einen Moment, ich bin gleich da. Ich muss nur noch etwas zu Ende schreiben.« sage ich. Ich schreibe die Zeile fertig, klappe das Buch zu und lege den Füller daneben.
Im Laden steht Roberto. »Hallo« sage ich. »Hallo« erwidert er. »Du arbeitest jetzt hier?« Ich nicke. »Ist Leonardo da?« »Ja, soll ich ihn holen?« Roberto nickt.
Ich gehe im Laden zwischen den Regalen umher und suche Leonardo. Ich wäre fast über ihn gestolpert. »Ach hier bist du. Igors Sohn will mit dir sprechen.« »Ich dachte schon, er kommt nie auf die Idee, sich hier mal blicken zu lassen. Wie weit bist du mit schreiben?« »Es geht voran.« Leonardo nickt und läuft mir hinterher.
Er und Roberto verschwinden im hinteren Ladenteil.
Ich stelle mich wieder an das Buch und schreibe weiter.
In der letzten Zeile muss ich die Patrone wechseln.
Nachdem ich mit 1928 fertig bin, gehe ich nach hinten und sage Leonardo, dass ich mit schreiben fertig bin. Er nimmt das Buch und sagt, ich solle Mittagspause machen.
Ich gehe wieder nach vorne und esse.
Drei Stunden später kommt Roberto nach vorne und umarmt mich. »Ich hoffe, ich war dir vorhin nicht zu kalt. Aber ich habe Leonardo lange nicht mehr gesehen. Mein Vater hat mich zu ihm geschickt.« Ich nicke freundlich und lächele erleichtert.
»Was macht Leonardo jetzt?« frage ich Roberto. »Er sieht sich das Buch an, das du ihm gebracht hast.«
Es dauert nicht lange und Leonardo kommt. »Ich muss mit dir über deine Schreibarbeiten sprechen.« Leonardo klingt ernst. »Ich kann nichts entziffern von dem was du geschrieben hast.« »Ich kann auch nichts von dem entziffern, was da steht. Tut mir Leid, aber diese Schrift habe ich nicht gelernt. Für mich sieht das aus wie Kindergekrakel.« »Das ist kein Kindergekrakel! Das ist Steno. Ich habe meine Aufzeichnungen in Steno verfasst.« »Ich kann nichts dafür, dass du in einer anderen Sprache geschrieben hast.« »Ich habe auf Deutsch geschrieben. Aber 1928 habe ich nunmal Steno-Unterricht gehabt. Ich wollte eigentlich ein anderes Geschäft betreiben und Protokolle schreiben. Aber ich wurde nicht angenommen. Und so habe ich eben dieses Geschäft hier eröffnet.«
»Wie alt warst du da?« frage ich. Leonardo schweigt.
Roberto sieht von dem einen zum anderen. »Was ist? Warum streitet ihr euch?«
»RAUS! ALLE RAUS!« schreit Leonardo. Ich hole meine Sachen. Dann ergreifen Roberto und ich die Flucht.
»Samuel? Du hast schon Schluss?« fragt mich Igor.
Roberto und ich sind zu ihm gerannt. Dass Roberto gekommen ist, hat Igor nicht gewundert, aber dass ich auch noch komme, wundert ihn doch. Während ich verschnaufe, erzählt Roberto seinem Vater von unserem Streit.
»Und ich dachte immer, das soll ein Witz sein.« »Wieso ein Witz?« frage ich verständnislos. »Steno ist eine Schriftart mit Geschichte.« sagt Igor. »Sind das nicht alle Schriftarten?« fragt Roberto. Igor lächelt.
»Stenographie ist eine Kurzschrift, deren Schriftzeichen eng und flüssig aneinander liegen. Stenographiert wird im Reichstag. Der Reichstag ist eine Versammlung der Politiker. Dort wird besprochen, was alles getan werden muss. Also, bei jeder Versammlung sitzt ein Schreiber dabei, der Stenographieren kann.« »Wofür ist dieses Stenographieren denn nun gut?« fragt Roberto. Igor lacht und legt seinem Sohn die Hand auf den Kopf.
»Stenographiert wird, damit man schnell etwas aufschreiben kann.« »Sag das doch so und versuche nicht erst, auf die Geschichte zurückzugreifen.« Ich lächele nachfühlend zu Roberto. Er merkt es nicht.
»Aber warum schreibt er denn in Steno seine Bücher?« Igor zuckt mit den Schultern.
»Da fällt mir noch etwas ein. 1928 hat er dieses Buch geschrieben. Wann hat er denn das Geschäft eröffnet?« »Fünf Jahre vorher. Aber es hat etwas gebraucht, bis er merkte, dass er nicht alles im Kopf behalten kann.« »Wie alt war er als er den Laden eröffnet hat?« frage ich weiter. »Lasst mich denken. Mit 19 hatte er seinen Abschluss in der Tasche. Dann hat er eine Stelle gesucht und an unterschiedlichen Orten Praktika gemacht. Bis dahin war er 25. Mit 30 hat er den Laden geöffnet.« »Mit 30? Wie hat er es denn geschafft, solange zu überleben?« Igor zuckt mit den Schultern.
»1893 ist er geboren. Jetzt haben wir 2017. Dann ist er jetzt ...« »124 Jahre!« sagt Roberto. Igor und ich sehen uns an. »So alt wird kein Mensch!« sage ich. »Du hast recht. Dann müsste er eigentlich ...« Ich bin mir sicher wir denken das selbe. Leonardo muss ein Roboter sein!
Ich habe zu Hause angerufen und Bescheid gesagt, dass ich bei Roberto bin und nicht weiß, wann ich nach Hause komme.
Igor hat Leonardo angerufen und ihn gebeten, herzukommen.
Nach Ladenschluss habe ich mich versteckt.
Nur wenig später kommt Leonardo.
Leonardo, Roberto und Igor setzen sich in den Raum, in dem ich mein Versteck habe.
Igor stellt Leonardo die erste Frage. »Wie bist du 124 Jahre alt geworden?« »Das, mein Junge, ist und bleibt mein Geheimnis.«
Roberto stellt die zweite Frage. »Warum hast du dich mit Samuel gestritten?« »Wir haben uns nicht gestritten. Ich wollte sie nur darauf aufmerksam machen, dass sie ordentlicher schreiben muss.« »Du warst viel zu hart! Es gibt nicht so viele Menschen, die Stenographieren lernen. Außerdem glaube ich, dass dein Buch schon sehr alt ist. Deshalb war es bestimmt nicht einfach, deine Aufzeichnungen nachzuschreiben. Du warst zu hart zu dem Mädchen.« sagt Igor. »Mag sein. Ich bin noch immer wütend, dass man mich nicht angenommen hat. Deshalb habe ich meine ersten Aufzeichnungen auch in Steno niedergeschrieben.« Und ich bekomme seine Wut zu spüren? Wir müssen unbedingt einen anderen Weg finden.
Igor und Roberto löchern ihn noch etwas mit Fragen. Ich will mir die Antworten darauf aber nicht merken.
Acht Uhr stehe ich wieder im Laden. Leonardo ist bei Roberto und Igor geblieben. Ich habe mich gestern Abend nachhause geschlichen, als er im Bad war.
Ich habe mir das Buch von 1929 aus dem Regal genommen. Jetzt schreibe ich daran. Meine Hand schmerzt wieder. Ich beende die Zeile und lege den Füller zur Seite. Während ich meiner Hand eine Pause gönne, fällt mir meine Mappe ein. Ich weiß, wo Leonardo sie abgelegt hat.
Ich hole sie und sehe in den Putzplan. Da steht für heute: Staubwischen.
Ich lege die Mappe zurück an ihren Platz und besorge mir eine Atemmaske, Handschuhe, einen Maleranzug und eine Taucherbrille.
In dieser Montur gehe ich mit Staubwedel, einem Eimer Wasser und einem Lappen durch den Laden. Es gibt vieles, das noch verstaubt ist.
Staubwischen macht Spaß. Nur darf ich das auch nicht zu lange machen. Sonst erhitzt sich mein Körper zu sehr. Das zieht eine Menge Folgen nach sich. Deshalb muss ich bereits nach einer Stunde die Montur wieder ausziehen. Im Laden steht jemand, der erschrickt, als ich in meiner Putzmontur komme.
Ich ziehe mir die Atemmaske und die Taucherbrille als erstes runter. Danach ziehe ich den Rest aus und lege alles hinter den Tresen.
»Was kann ich für Sie tun?« frage ich höflich. Die Person, die erschrocken war, erschrickt noch mehr und ist kurz davor, die Besinnung zu verlieren. Ich laufe zu ihr und nehme sie in die Arme. Dann biete ich ihr einen freien Stuhl an.
Sie ist eine ältere Frau. Ihr Haar ergraut bereits.
Als sich die Frau wieder gefangen hat, frage ich sie erneut, was ich für sie tun kann. Sie lächelt. »Entschuldigen Sie, aber so oft begegne ich solchen Leuten wie Ihnen nicht.« Ich lächele zurück. »Kein Problem. Ich bin daran gewöhnt. Aber nach was suchen Sie denn?« »Ich suche den Ladeninhaber.« »Haben Sie eine Beschwerde?« »Oh, nein! Ich habe keine Beschwerde. Aber ich möchte einfach wissen, ob er mir bekannt ist.« »Nun, dann muss ich Sie enttäuschen. Leonardo ist heute unpässlich. Aber vielleicht versuchen Sie es morgen nochmal.« »Wo kann ich ihn denn finden?« Die Alte sieht nicht so aus, als könnte ich sie von Leonardo fernhalten. Also gebe ich ihr die Adresse von Igor und Roberto. Sie bedankt sich bei mir und verlässt den Laden.
Ich gehe wieder hinter den Tresen und restauriere das Buch von 1929 weiter. Dieses ist ab der Mitte nicht mehr in Steno geschrieben. Stattdessen muss ich jetzt Altdeutsch schreiben. Das Problem bleibt ─ die Worte ergeben keinen Sinn.
»Hallo.« Ich schrecke auf. Fast hätte ich ein Wort durchgestrichen. Ich rette den Buchstaben. Dann lege ich den Füller zur Seite und sehe mir den Kunden an, der mir gegenüber steht.
»Hallo.« sagt er nocheinmal. »Hallo.« antworte ich dieses mal und komme hinter dem Tresen vor. »Was kann ich für dich tun?« Der Junge vor mir ist höchstens 16 Jahre alt.
»Ich bin an der Universität Professor und wollte mich hier mal umsehen.« Mit 16 Jahren Professor? Das ging aber fix!
»Was genau suchst du?« »Ich suche etwas, das ich für meine Forschungen benutzen kann. Wir wollen nächste Woche einen Roboter in Stillstand bringen.« Ich erschrecke. »Warum das denn? Und was macht ihr dann mit ihm?« »Der Roboter ist schon viel zu alt. Eigentlich ist er ein Mensch. Aber irgendwie ist er zu einem Roboter geworden. Das wollen wir uns nächste Woche genauer ansehen. Wenn Sie wollen, kommen Sie doch nächsten Mittwoch 15 Uhr in die Uni. Wissen Sie, wo sie ist?« »Jaja.« antworte ich.
Ich lasse den jungen Professor alleine weitersuchen und gehe zu meinen Sachen, um mir den Termin aufzuschreiben.
»Ich habe etwas gefunden. Wieviel kostet es?« Der Junge hält mir etwas hin. »Moment, ich komme gleich wieder.« sage ich zu ihm und hole das Buch von 2017. Ich schaue darin nach, was der junge Professor kaufen will und wieviel es kostet. Dann vergleiche ich die Artikel mit den geschriebenen. »Was denkst du davon? Ist es noch gut?« Ich weiß nicht recht, wie ich meine Frage sonst formulieren soll.
Er sieht sich an, was er da gefunden hat. Wir feilschen um einen guten Preis. Dann bezahlt er und geht mit seinen neu erworbenen Gegenständen aus dem Laden.
Den Rest des Tages kommt niemand mehr. Ich schaffe es immerhin noch fünf Seiten zu schreiben.
Dann stelle ich das Buch wieder an seinen Platz und schließe den Laden ab, bevor ich mich auf den Heimweg mache.
Punkt 15 Uhr bin ich mit einigen Studenten der Uni und anderen Personen in dem Forschungsraum der Universität.
Der junge Professor erhebt sich mit lauter Stimme aus der Gruppe. »Es freut mich, dass alle gekommen sind, die ich darum gebeten habe. Sie wissen alle, warum wir hier heute versammelt sind. Dennoch möchte ich den Grund wiederholen.
Wir haben einen Menschen hier, welche der älteste in unserem Ort ist. Er hat es, durch einen mir unbekanntem Grund geschafft, 124 Jahre alt zu werden. Ich spreche von Leonardo Trauerweide! Dem Ladeninhaber von "Zukunft und Fortschritt". Für die, die es nicht wissen: "Zukunft und Fortschritt" steht in der Fußgängerzone.
Leonardo Trauerweide hatte noch sehr viel vor. Doch ich konnte ihn dazu überreden, hierher zu kommen. Er wird von seinem Sohn und seinem Enkel begleitet. Doch ich muss dazu sagen, dass wir seinen Enkel nicht auseinander nehmen werden!« Der junge Professor macht eine kurze Pause. Dann sagt er noch etwas über den genauen Ablauf der "Operation".
Nach dieser Einweisung betreten Leonardo Trauerweide, sein Sohn Igor und sein Enkel Roberto den Raum. Roberto stellt sich zu mir. Igor führt seinen Vater zu dem Tisch, auf den er sich legen soll. Leonardo legt sich auf den Tisch.
Als er dort liegt, sieht er sich in dem Raum um. Sein Blick bleibt an mir hängen. Seine Augen suchen meine und finden sie. Ich gehe zu ihm hin. Als ich direkt neben ihm stehe, fasst er mein Handgelenk. »Ich vererbe dir meinen Laden. Werde glücklich!« Er lässt mich wieder los. Ich warte einen Augenblick, dann gehe ich zurück zu Roberto.
Roberto und ich sehen zu, wie Studenten, Professoren und andere Personen verschiedene Werkzeuge nehmen. Dann wird Leonardo Zyankali gespritzt.
Sein Körper wird geöffnet. Heraus läuft unaufhaltsam Blut. Niemand fängt es für eine Blutspende auf. Es ist vergiftet.
»Kommt näher, ihr beiden.« Roberto und ich kommen näher, bis wir fast genau an dem Tisch stehen.
Leonardos Herz schlägt noch. Moment! »Sein Herz schlägt noch? Aber ich dachte, Zyankali ist hochgiftig.« Der Professor neben mir nickt. »Deshalb sind wir hier.«
Roberto und ich sehen zu, wie Leonardo verblutet und seine inneren Organe nach und nach ausbluten. Als er vollständig verblutet ist, schlägt sein Herz noch immer.
»Nehmt sein Herz heraus.« sagt jemand. Meine Augen sind nur auf den Toten gerichtet.
Leonardo wird das Herz herausgenommen. Darunter befindet sich etwas seltsames.
Mit erhobenen Händen treten die jungen Studenten und auch Roberto etwas zurück. Ich bleibe stehen. »Hat jemand Handschuhe für mich?« frage ich, ohne den Blick von dem seltsamen Ding abzuwenden. Jemand gibt mir ein Paar Handschuhe. Ich ziehe sie an und nehme das Ding heraus. An ihm klebt Blut. Es ist noch nicht einmal angerostet! Es sieht genauso aus wie das Herz eines Menschen.
»Gebt Roberto auch ein Paar Handschuhe. Dann zeigt mir das Herz.« Roberto tritt neben mich. In seinen behandschuhten Händen hält er das Herz. Ich vergleiche die beiden Herzen miteinander.
Der weitere Verlauf fesselte mich so sehr, dass ich erst im Nachhinein merkte, dass ich die Führung übernommen hatte.
Wir nahmen seinen ganzen Körper auseinander und es stellte sich heraus, dass er seinen ganzen Körper mit alter Technik vermischt hatte. Seine Hautgewebe, seine Venen, sogar sein Blut und sein Auge.
Wenn man es so sieht, ist er ein Zombie aus einem Horrorfilm.
»Du warst gut, Samuel. Was hälst du davon, wenn ich dir im Laden helfe? Wir könnten uns abwechseln.« Ich sehe Roberto an. Wir stehen vor der Universität. Der Eingriff ist seit drei Stunden vorbei, doch wir sind erst jetzt aus der Universität gekommen. Ich musste vorher noch mit den Professorren verhandeln, was wer bekommt. Die Universität bekommt das Herz und die ganzen Gewebe. Ich werde mir im Lauf der Woche die Venen, Arterien, sein rechtes Auge und noch ein paar Kleinigkeiten abholen.
»Warum nicht? Wenn du Zeit hast, würde ich sagen, du kommst morgen mal in den Laden.« »Abgemacht!« Roberto und ich geben uns die Hände. Dann gehe ich nach Hause.
Zuhause sitzt Maria im Wohnzimmer und liest ein Buch. »Wo ist Konrad?« frage ich sie. »Er musste heute in die Universität. Dort sollte ein Roboter auseinander genommen werden.« Maria legt ein Lesezeichen zwischen die Seiten und klappt das Buch zu. »Warum fragst du?« »Ich hatte gedacht, er wäre bei dir.«
»Wie war es im Laden?« »Ich war heute nicht im Laden. Ich war auch in der Universität. Soll ich dir sagen, wer der Roboter war? Es war Leonado Trauerweide. Der, von dem ich den Laden bekommen habe.« Maria sieht mich an. Dann kommt sie zu mir und nimmt mich in ihre Arme.
Am nächsten Morgen stehe ich wieder im Laden und nehme mir das Buch von 1929 aus dem Regal. Ich lege es vorne auf den Tresen und kopiere weiter. Am Ende der Seite schweifen meine Gedanken ab, zu Leonardo. Warum hat mir niemand gesagt, dass die drei verwandt sind. Und warum ist er auch ein Halbroboter ... Ich verstehe das nicht!
Die Tür geht auf und Roberto kommt herein. Er hat eine Regenjacke an und eine Kapuze übergezogen. Er nimmt die Kapuze runter und kommt zu mir, auf die andere Seite des Tresens. Ich unterbreche meine Grübeleien. »Hallo. Zieh deine Jacke aus. Du kannst sie an die Garderobe hängen.« Roberto geht nach hinten und hängt seine Jacke an den Haken.
Dann kommt er zu mir hinter den Tresen und stellt sich neben mich. Zusammen starren wir aus dem Laden in die nasse Fußgängerzone.
Roberto unterbricht uns nach einer Minute. »Komm. Denk nicht darüber nach.« Ich weiß, er meint Leonardo.
Ich nicke und sehe ihn an. »Also gut. Lass uns überlegen, wie wir vorgehen.« »Ich habe schon eine Idee. Du machst den Laden Vormittags und ich Nachmittags.« sagt Roberto. »Dann hast du mehr zu tun als ich. Das geht nicht.« »Wie lange ist er sonst immer geöffnet?« »Von morgens um neun bis abends halb sieben.« »Wir runden die letzte Stunde auf. Dann ist er bis 19 Uhr geöffnet.« »Warte, das beste wird sein, wir schreiben das auf. Ich hole schnell etwas zum schreiben.« Ich gehe an Roberto vorbei und hole mir von meinen Sachen Schreibzeug.
Als ich wiederkomme, sehe ich, wie Roberto sich mit der alten Frau unterhält, die vorgestern schon einmal da war. Als sie mich sieht, spricht sie mich an. »Sie haben mir doch diese Adresse gegeben. Als ich dort war, war dort zu. Ich war gestern hier, da war auch zu. Ist er denn heute da?« »Es tut mir Leid, dass Sie ihn die letzten zwei Tage nirgends angetroffen haben. Aber bevor ich Ihnen etwas von ihm sage, möchte ich wissen, in welcher Verbindung Sie zu ihm stehen.« »Ich glaube, ich bin seine Frau.« »Was?« »Dann sind Sie auch 124 Jahre alt?« »124 Jahre? Mein lieber Junge. Es gibt keinen Menschen, der es geschafft hat, 124 Jahre alt zu werden. Ich bin 80.« »Wie können Sie dann seine Frau sein?« frage ich sie. Denn ich glaube nicht, dass ihr der Altersunterschied nicht aufgefallen ist. »Nun, wir haben uns kennengelernt, als ich 16 war. Da habe ich ihn einmal gefragt, wie alt er sei. Er sagte mir, er sei genauso alt wie ich. Als ich ihn fragte, warum er dann nicht in die Schule geht, sagte er, er habe Privatunterricht zu Hause. Als wir beide dann 22 waren, wollten wir Kinder bekommen. Doch das funktionierte nicht so recht. Mit 31 ist er auf einer Baustelle auf einen Kran geklettert. Als er wieder runter kletterte, passte er nicht auf und stürzte. Während er im Krankenhaus lag, habe ich sein Geschäft weiter geführt.« »Dann tut es mir Leid, Ihnen das sagen zu müssen: Ihr Mann ─ Leonardo ─ ist 124 Jahre alt geworden. Er hat sich mit einem Roboter vermischt. Gestern ... wie soll ich Ihnen das sagen?« »Ich verstehe schon. Danke, dass Sie es mir gesagt haben.« Die Frau verabschiedet sich von uns und geht.
Ich schreibe auf, dass der Laden eine halbe Stunde länger geöffnet hat.
Dann rechnet Roberto aus, wie lange der Laden insgesamt geöffnet hat. »Er hat elf Stunden auf. Dann machen wir es doch so: Du machst die ersten fünfeinhalb Stunden und ich die letzten fünfeinhalb Stunden.« Damit bin ich einverstanden und schreibe es gleich so auf. »Dann kopiere ich in meiner Arbeitszeit weiter die Bücher von 1929 bis 2000. Du kannst ja dann in deiner Arbeitszeit wischen und aufräumen.« Roberto ist einverstanden. Ich schreibe alle Veränderungen auf. Heute machen wir den Laden noch zusammen. Morgen fangen wir dann mit unserer Änderung an.
Ich ─ Samuel ─ stehe morgens halb neun im Laden und bereite mich auf meine Arbeitszeit vor. In einer halben Stunde öffne ich den Laden. Jetzt erstelle ich einen Arbeitsplan für heute.
Neun Uhr hole ich das Buch von 1929 und kopiere weiter. Ich komme sehr gut voran. Der Gedanke daran, heute nicht elf Stunden im Laden stehen zu müssen, ermutigt mich und feuert mich an. Ich schreibe schnell und sauber. Bereits vier Stunden später bin ich fertig. Ich stelle das Buch wieder auf seinen Platz. Vorne im Laden richte ich das Schaufenster her. Die restlichen eineinhalb Stunden kommt niemand. Ich packe am Mittag mein Mittagessen aus. Da kommt auch schon Roberto.
Ich sage ihm, was ich getan habe und zeige ihm den Arbeitsplan für heute. Er übernimmt den Laden und schickt mich nach draußen, damit ich meine Pause machen kann.
Ich bin Roberto und Robotermensch.
Samuel habe ich nach draußen geschickt. Sie macht jetzt ihre Mittagspause.
Ich sehe mir den Arbeitsplan an. Dort steht, dass ich Staubwischen darf. Das mache ich, wenn Samuel wieder kommt. Sie hat mir gezeigt, wo das Buch ist. Das Buch, in dem alles steht, was dieses Jahr hier verkauft und gekauft wird. Das Geschäftsbuch.
Samuel betritt den Laden und ich frage sie, wie ich das mit dem Staubwischen machen soll. Sie erklärt es mir ganz genau. Dann sagt sie, sie muss in der Uni noch etwas von meinem Opa holen. Sie verlässt den Laden und ich sehe ihr nach, bis sie weg ist. Dann mache ich mich daran, Staub zu wischen. Am Anfang ist es noch etwas ungewohnt. Doch nach und nach beginnt es mir Spaß zu machen und ich komme gut voran. Ich merke nicht, wie die Zeit vergeht.
Da steht mir plötzlich jemand gegenüber. Es ist Samuel. Sie hat die Körperteile von Leonardo in den Armen. Ich nehme ihr etwas ab. Wir gehen in den Eingangsbereich des Ladens und laden dort die Teile ab. Ich räume das Putzzeug auf. Dann gehe ich wieder zu Samuel. Ich führe Buch darüber, was wir für neue Teile bekommen haben. Sie sortiert es. Dann räumen wir es in das viel zu volle Vorratslager.
Samuel schickt mich in den Laden. Sie hat gehört, wie jemand den Laden betreten hat. Ich gehe nach vorne. Dort steht eine Frau. Sie sieht seltsam aus. Sie hat einen Stoppelbart und ist so groß wie mein Vater. Das verstehe ich nicht. Die Frau sucht einen Arm. Den Arm eines Roboters. Ich sage zu ihr, dass wir keinen echten Roboterarm haben. Aber sie besteht auf einen Arm. Ich sage zu ihr, dass wir einmal im Laden herumsuchen können. Die Frau geht gleich zu Regal eins. Ich gehe nach hinten zu Samuel und nehme ihr einen Arm von Leonardo ab. Den zeige ich der Frau. Die Frau sieht mich an. »Genau so etwas habe ich gesucht.«
Die Frau und ich gehen mit dem Arm zum Tresen und schauen in das Buch. Ich hole Samuel dazu. Denn ich weiß nicht, wieviel die Frau für den Arm bezahlen muss. Ich darf ihn ihr nicht schenken. Das kommt mir falsch vor. Ich darf ihn ihr aber auch nicht zu teuer verkaufen. Samuel sagt, wenn die Kundin schon einen echten Roboterarm sucht, dann hat sie bestimmt auch eine Vorstellung von dem Preis. Ich frage die Frau, ob Samuel recht hat. Diese nennt mir den Preis, an den sie gedacht hat. Mir erscheint er nicht ganz korrekt und so lege ich noch 15 Cent drauf. Der Arm ist neu in dem Laden. Die Frau zahlt 1500,15 € und verlässt mit dem Arm das Geschäft. Samuel geht ihr hinterher und dreht das Schild an der Tür auf geschlossen.
Dann schreibe ich noch den Preis des Armes in das Buch neben das Wort "Arm".
Samuel und ich gehen nach draußen. Samuel schließt den Laden ab. Morgen wollen wir den Laden zusammen putzen.
Roberto und ich ─ Samuel ─ haben uns für heute zum Putzen verabredet. Der Laden bleibt geschlossen.
Roberto und ich wechseln uns mit Staubwischen ab. Ich fange heute an. Etwa eine halbe Stunde wische ich Staub. Roberto wischt danach Staub. Bis Mittag sind wir in einem Teil des Ladens mit Staubwischen fertig. Wir machen eine Pause. Ich esse und trinke. Roberto sitzt neben mir und entspannt sich.
Nach unserer Pause machen wir weiter. Wir sehen uns an, was wir da entstaubt haben. Roberto sucht in den Büchern nach den Artikeln. Er versteht vieles nicht von dem was da geschrieben steht. Also helfe ich ihm. Aber auch ich verstehe nur wenig. Wir beschließen, uns die nächste Woche mehr in dem Laden umzusehen, wenn wir arbeiten. Zwischendurch klopfen mal Kunden an die Tür. Dann tue ich so, als wäre ich einer dieser seelenlosen Haushaltsroboter aus den USA. Ich persöhnlich halte nicht viel von denen. Aber Roberto sagt, sie seien besser als diese Hunde aus Japan.
"Ich raste noch aus! Was hatte denn Leonardo für ein System?" "Beruhige dich, Samuel. Wir machen für heute Schluss. Nächste Woche komme ich auch morgens. Wir sortieren dann den Laden nach einem neuen System. Und wenn ein Kunde kommt, übernimmst du ihn." Ich sehe mich in dem Laden um. "Einverstanden. Dann machen wir für heute Schluss und ich helfe dir dann, in deiner Arbeitszeit." Roberto nickt. "So machen wir es."
Ich schließe den Laden ab. Roberto bringt mich nach Hause. Ich nehme an, er will verhindern, dass ich mir unnötige Gedanken mache.
Samuel steht vor dem Laden als ich komme. Ich nehme ihr den Schlüssel ab und schließe auf. Drinnen richten wir in dem Laden ein totales Chaos an. Es gefällt uns beiden nicht. Wir nehmen alles aus den Schränken und legen es auf den Fußboden. Als ein Kunde kommt, muss Samuel sich durch das Chaos kämpfen. Dann öffnet sie die Ladentür und entschuldigt sich für das Chaos. Der Kunde fragt, was wir hier machen. Samuel sagt, wir richten den Laden neu ein. Da sagt der Kunde, dann müssen wir den Laden vorerst schließen.
Der Kunde geht wieder. Samuel und ich beraten uns. Wir halten es für das beste, wenn wir den Ratschlag des Kunden annehmen. Samuel klebt einen Zettel an die Tür. Auf dem Zettel steht, dass der Laden wegen Umräumarbeiten geschlossen ist. Ich weiß nicht was Umräumarbeten sind. "Umräumarbeiten sind das, was wir hier machen." Jetzt habe ich verstanden.
Unsere Mittagspause müssen wir im Laden machen. Die Tür ist versperrt.
Als wir wirklich alles aus den Schränken genommen haben, klingelt das Telefon. Ich tauche in den riesigen Haufen unter, der bis unter die Decke reicht. Als ich bei dem Telefon angekommen bin, hat es aufgehört zu klingeln. Ich rufe nach Samuel. Doch Samuel hört mich nicht. Ich muss sie noch drei weitere Male rufen, bis sie mich hört. "Was ist?" ruft sie zurück. "Brauchen wir noch etwas?" rufe ich zu ihr. "Werkzeug. Wir sollten die Regale auseinader bauen und in den Hof stellen!"
Ich gehe auf Werkzeugsuche. Als ich welches gefunden habe, holt Samuel es bei mir ab. Sie schraubt die Regale auseinander und ich bringe die Regalteile in den Hof. Als alle Regale abgebaut sind, ist der Haufen nicht mehr ganz so hoch.
Ich schaffe es, Samuel davon zu überzeugen, dass sie in den Hof geht und eine Pause macht.
Als Samuel den Laden wieder betritt, sieht sie auf ihre Uhr. "Roberto, wir müssen Schluss machen, es ist schon neun!" "Ich habe gar nicht bemerkt wie schnell die Zeit vergeht. Gehen wir nach hinten?"
Samuel wartet auf mich, bis ich bei ihr angekommen bin. Wir bereiten uns in dem Laden ein Nachtlager. Nicht viel später bin ich eingeschlafen.
Ich wache auf, als ich Samuel höre. Samuel ist vorne. Sie telefoniert. Als sie mich sieht, verabschiedet sie sich und legt auf. "Ich habe meine Eltern angerufen. Soll ich Igor auch noch anrufen?" "Nein das mache ich selber." Ich rufe Igor an. Er ist froh, dass ich mich bei ihm melde. Er sagt, wenn wir Hilfe brauchen, dann sollen wir bei Konrad anrufen. Ich verspreche, mich bei Konrad zu melden wenn wir Hilfe brauchen. Dann lege ich auf.
Mit frischem Tatendrang machen Samuel und ich uns über den Haufen her. Alles was alt und kaputt aussieht, kommt in den Hof. Alles was neu und noch nicht kaputt aussieht, bleibt im Laden. Der größte Teil des Haufens landet im Hof.
Samuel und ich wenden uns der Vorratskammer zu. Ich öffne die Tür, da fallen mir die neuesten Teile entgegen. Samuel packt mich an den Armen und zieht mich zur Seite.
Als alles runtergerollt und runtergefallen ist, bearbeiten Samuel und ich diesen Teil nach dem selben System. Hier sind viel mehr Teile noch in guter Verfassung.
Nach dem Sortieren öffne ich die Ladentür. Der Laden wird gelüftet. Samuel geht nach draußen und kauft für die ganze Woche Nahrungsmittel. Ich stelle mich solange vor den Laden und warte auf sie.
Samuel kommt zurück und wir stellen alles zu unserem Nachtlager.
Samuel hat eine alte Schreibmaschine gefunden. In die legt sie Papier ein. "Das kann doch gar nicht so schwer sein." sagt sie und versucht zu schreiben. Aber der Schreibmaschine fehlt Tinte. Samuel nimmt das Blatt wieder heraus und legt die Schreibmaschine zu den anderen Sachen in den Hof.
"Wollen wir weiter diese wackeligen Regale benutzen, oder legen wir uns andere wackelige Regale zu?" fragt mich Samuel. Wir stehen im Hof und betrachten alles, was sich dort befindet. "Gibt es hier einen Schrottplatz?" frage ich sie. "Sicher." "Dann los. Wir bringen das Zeug hier auf den Schrottplatz. Vielleicht gibt es dort jemanden, der uns helfen kann." sage ich. Als wir alles auf eine Reihe geliehener Bollerwagen gepackt haben, fällt Samuel Konrad ein. Ich laufe zurück in den Laden und rufe bei Konrad an. Wir verabreden uns auf dem Schrottplatz.
Die Fahrt zu dem Schrottplatz nimmt viel Zeit in Anspruch. Samuel musste nach einer Stunde zurückrennen und den Laden abschließen. Eine halbe Stunde später kam sie wieder. Sie half mir, die Kette wieder ins rollen zu bringen. Dann ging sie nach hinten und schob.
Wegen uns müssen PKW-Fahrer, LKW-Fahrer, Motorradfahrer, Busfahrer und sogar Fahrradfahrer stehen bleiben.
Auf einmal fällt mir das Ziehen sehr schwer. Ich mache Halt und verschnaufe. Dann sehe ich nach hinten. Es sind an die 15 Bollerwagen, die wir miteinader in Verbindung gebracht haben. Ich laufe nach hinten zu Samuel. Samuel spricht mit einem Polizisten, der sie für einen Scherzartikel hält. Ich löse Samuel ab. "Wir wollen den Verkehr nicht aufhalten. Vielleicht können Sie den Verkehr so regeln, dass er auf die Gegenspur verlegt wird. Wir wollen zum Schrottplatz. Wenn wir dort sind, dann ist die Straße frei." "Kommen Sie dann zurück?" fragt mich der Polizist. "Ich nehme es an!" antworte ich. Die Polizei fragt mich, warum ich diese riesige Schlange ziehe und nicht mein Roboter. "Ich musste meinen Rücken etwas erlösen." "Dann schieben Sie jetzt wieder und lassen Ihren Roboter ziehen." Ich verrate der Polizei nicht, dass Samuel ein Mensch ist. Ich helfe ihr, die Wagen wieder in Bewegung zu bringen. Dann gehe ich nach hinten und schiebe. Die Polizei regelt den Verkehr.
Endlich! Nach etwa fünf Stunden kommen wir an dem Schrottplatz an. Als Samuel ruft, dass wir da sind, lasse ich mich auf meine Knie fallen. Ich muss mich ausruhen. Auch wenn ich ein Roboter bin!
"Da seid ihr ja. Ich dachte schon ihr kommt nicht mehr." Samuel und ich haben uns soweit erholt, dass wir zu Konrad gegangen sind. Samuel erzählt ihrem Vater, warum wir so lange gebraucht haben.
Danach sieht sich Konrad an, was wir mitgebracht haben. Vieles bleibt auf dem Schrottplatz. Wir nehmen nur einen gefüllten Bollerwagen mit zurück. Die anderen 14 werden, so leer wie sie sind, wieder aneinander gekoppelt und dann den ganzen Spaß zurück.
Kaum, dass wir zurück sind, legt sich Samuel auf ihren Schlafplatz und schläft ein.
Am nächsten Tag fahren Samuel, Konrad und ich zu einem Möbelhaus. Dort suchen wir geeignete Regale. Samuel fährt mit Konrad zurück und ich mit den Möbellieferanten. Ich gehe nach hinten. Als auf einem Rastplatz die Polizei den Inhalt des Lasters kontrolliert, verstecke ich mich ganz hinten.
Als ich beim Ausladen helfe, kommt auch Samuel dazu. Wir stellen die Möbel im Hof ab und geben den Lieferanten 10 € Trinkgeld. "Das ist doch viel zu viel." sagen sie. "Nein, das ist es nicht. Sie haben uns einen großen Gefallen getan." sagt Samuel. Die Lieferanten steigen wieder in ihren Laster ein und fahren davon.
Für Samuel und mich fängt jetzt der stressigste Teil an. Wir müssen die Möbel aufbauen!
Als wir am Ende des Tages die Möbel aufgebaut haben, machen wir eine große Pause. Samuel schläft ein bisschen.
Als sie ausgeschlafen hat, gehe ich auch etwas schlafen.
Als auch ich mich erholt habe, hängen wir Preisschilder an die Artikel.
Ich muss Samuel hochheben, damit sie einige leichte Artikel ganz oben unter die Decke in die beiden Hängematten legen kann.
Dann stelle ich die größten Artikel ─ das sind nur zehn Stück ─ gut verteilt in dem Laden auf.
Den Rest verteilen wir in große und kleine Regale.
Als wir fertig sind, betrachten wir unser Werk. Der Laden ist sauber. An der Decke hängen Hängematten mit Artikeln. Das Schaufenster ist noch leer. Die Regale sind luftig, locker verteilt ─ wie Samuel meint ─ und auch sonst sieht der Laden nicht mehr so düster aus wie vorher.
Samuel breitet ihre Arme aus und umarmt mich. Ich sehe sie an. In mir macht sich ein neues Gefühl breit. Es hat etwas mit Samuel zu tun. Da bin ich mir sicher.
Ich öffne meine Arme. Samuel rutscht an mir herunter, bis sie reglos auf dem Boden liegen bleibt. Ich lege meine Hand auf ihr Gesicht. Sie ist ganz kalt! Ich eile zu dem Telefon und rufe Konrad an.
Wenig später kommt Konrad. Er hat meinen Vater mitgebracht und noch zwei andere, die ich nicht kenne.
Ich erzähle ihnen von unserer Woche. Die Frau nickt und reicht mir kurz ihre Hand. "Ich bin Silvia." Ich nicke und stelle mich ihr vor. Danach gibt mir der Professor von letztem Mittwoch seine Hand "Leo." ich nicke. Dann sehe ich wieder zu Samuel. Konrad kniet an ihrer einen Seite. An der anderen Seite sitzt Igor. Silvia legt eine Tasche auf den Boden, die ich noch nicht bemerkt habe.
"Deine Tochter ist kalt." sagt Silvia. "Wenn unsere Theorie stimmt, dann brauchen wir Gewebe von deinem Sohn." Silvia sieht Igor an. Igor sieht mich an. "Bist du bereit, Samuel etwas von dir abzugeben?" Ich trete näher. Leo hält etwas spitzes in seiner Hand. Es ist ein spezielles Messer. Mit diesem Messer lässt sich Samuels Haut schneiden. Ich halte ihm meine Hand hin. Silvia nimmt ein anderes Messer. Damit lässt sich meine Haut schneiden.
"Bist du bereit?" fragt Silvia. "Ja." sage ich. Silvia ritzt meine Haut auf. Es fühlt sich unangenehm an. Leo ritzt in Samuels Haut. Um die geritzte Stelle wird ihre Haut blau.
Konrad holt aus dem Rucksack viele kleine Taschen. Aus einer diesen Taschen nimmt er ein weiteres Werkzeug.
Nach und nach kommen immer mehr Werkzeuge zum Vorschein. Mir wird ein Teil meiner Haut abgenommen. Silvia und Igor behandeln mich. Ich sitze mit dem Rücken zu Samuel. Deshalb weiß ich nicht, was mit ihr passiert.
Silvia klebt mir etwas großes auf meine Hand. "Was ist das?" frage ich sie. "Ein großes Pflaster. Ich habe dem Pflaster noch einige Flüssigkeiten hinzugefügt. Sie sorgen dafür, dass deine Haut wieder zu wächst. Weil du kein Mensch bist, verhält sich auch deine Haut etwas anders. Leo, habt ihr Samuel schon Blut entnommen?" Silvia streckt ihren Arm aus. Als ich ihre Hand sehen kann, liegt darauf eine Spritze mit einer roten Flüssigkeit. "Ist das Blut?" frage ich. "Ja, das ist Samuels Blut. Dein Vater wird es dir spritzen. Er kennt dich besser."
Silvia gibt ihm die Spritze. Mein Vater prüft die Spritze. Dann säubert er eine Stelle an meiner Seite. Er legt die Nadel der Spritze an und spritzt langsam Samuels Blut in mich hinein.
Es dauert etwas, bis er die Nadel wieder draußen hat. Silvia klebt mir noch ein Pflaster auf die Stelle, wo Igor mich gespritzt hat.
"Wenn dir schwindelig wird, oder du merkst wie du müde wirst, dann leg dich hin." sagt Silvia. Dann geht sie meinem Vater hinterher. Ich drehe mich nun um. Samuel liegt noch immer da. Aber sie sieht anders aus. Ich weiß nicht genau warum.
Während ich Samuel ansehe, überfällt meinen Körper eine unbekannte Schwere.
Als ich meine Augen öffne, liegt Samuel direkt neben mir. Ich setze mich auf. Ich muss wohl eingeschlafen sein. "Samuel. Hörst du mich?" Samuel öffnet ihre Augen. Sie starrt einen Moment in die Luft. Dann dreht sie sich zu mir. Sie sagt nichts. Sie nimmt einfach meine Hand. Dann lächelt sie. Wir sehen uns wortlos an. Samuel lacht. Sie sieht mich an und lacht. Sie setzt sich auch auf. "Du siehst ganz anders aus." "Wie denn?" frage ich. "Ich weiß nicht, anders eben." "Du siehst auch anders aus." sage ich zu ihr.
Sie bemerkt das große Pflaster auf meiner Haut. "Hast du dich geschnitten?" fragt sie. "Nein. Silvia hat mir ein Stück meiner Haut abgenommen." "Hoffentlich erklärt sie das noch. Wo ist sie eigentlich?" Ich zucke mit den Schultern.
Sameuel und ich stehen auf. Noch immer halten wir uns fest. Wir gehen gemeinsam durch den Laden. Hinter einem Regal finden wir eine kleine Versammlung. Es sind mein Vater, Leo, Konrad, Silvia und Maria. Sie spielen Karten. Samuel tippt Leo an. Leo dreht sich zu uns um. "Ach, ihr seid aufgewacht. Mama, ich bin sicher, Samuel und Roberto wollen wissen, was wir mit ihnen gemacht haben." Silvia legt ihre Karten ab und steht auf.
Wir setzen uns etwas abseits auf den sauberen Boden. Silvia sieht uns an und lächelt.
"Als Samuel aus deinen Armen gerutscht ist, hat sich zwischen euch eine Verbindung aufgebaut. Was diese Verbindung bewirkt, werdet ihr selber merken.
Wir haben aus Samuels spezieller Haut ein Stück heraus geshnitten und ein passendes von Roberto eingefügt. Dann haben wir Roberto Samuels Blut gespritzt. Um es einfach zu sagen, jeder hat jetzt etwas des anderen. Das wird euch ein Leben lang binden."
Das ist es also. Ich sehe Samuel mit anderen Augen.
Tag der Veröffentlichung: 14.06.2016
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