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Lost in the dark

E.R.Kästner

 

LOST IN THE DARK

 

Der enge Gang nimmt kein Ende.

Schmerzhaft schneidet der schmale Griff der prall gefüllten Baumwolltasche in meine Schulter. Der Inhalt klirrt aneinander und scheint dreißig Kilo zu wiegen. Gläser mit Bio-Bohnen, Mais und Rotkraut, ein Pfund Mehl, eine Flasche Ketchup und diverser anderer Kram. Im Supermarkt habe ich ohne Nachzudenken zugegriffen. Jetzt bekomme ich meine Einkäufe kaum zum Auto transportiert.

P1 steht in weißen Lettern auf einer rot lackierten Tür. Merkwürdig: Ich bin doch mindestens schon fünf Treppen runter gestolpert. Kurz bleibe ich stehen um zu verschnaufen und den Beutel auf die andere Schulter zu hieven. P4 ist mein Ziel, also weiter.

Unter der selbstgebastelten Baumwollmaske, die man zu diesen Zeiten tragen muss, sobald man sich in der Öffentlichkeit bewegt, kann ich kaum atmen und merkwürdigerweise höre ich mit dem Ding auch noch schlecht. Wahrscheinlich bin ich der einzige Mensch auf der Welt, der durch die Nase hört.

Mit einem Ruck reiße ich mir die Maske von Mund und Nase und lasse sie am Hals baumeln. Hier ist keine Sau und sollte mir jemand in dem Treppenhaus entgegen kommen, kann ich sie immer noch wieder anlegen.

Ich atme tief durch. Besser.

Allerdings rieche ich jetzt den von Desinfektionsmitteln nur dürftig übertünchten penetranten Uringestank nur allzu deutlich. Offenbar verwechseln viele Leute diesen Ort mit einer öffentlichen Toilette. Eigentlich rechne ich jedes Mal, wenn ich hier bin, damit, hinter der nächsten Ecke jemanden mit heruntergelassener Hose zu erwischen. Ist mir aber noch nie passiert.

Jetzt schrecke ich zusammen, als die Treppe eine der zahllosen Biegungen macht und mir tatsächlich jemand entgegen kommt. Ein Gesicht, vielmehr nur helle Augen, buschige Brauen, raspelkurze Haare über einer hellblauen Gesichtsmaske tauchen auf meiner Brusthöhe auf. Der Mann erschreckt sich genauso wie ich, obwohl ich in meinen neuen, noch nicht eingelaufenen Doc Martens trampele wie ein Elefant, hat sie mich wohl nicht kommen hören. Er murmelt etwas, weicht zur Seite und drängt sich an die gekachelte Wand, dann ist er vorbei.

Die nächste Tür, rot und braun und rostig. P3.

Wieder wechsele ich meinen Beutel, dazu die Handtasche auf die andere Schulter. Das ist verdammt umständlich, weil ich dazu noch ein großzügiges Stück Käsekuchen auf dem Handteller balanciere. Das konnte ich nicht mehr in den Beutel, geschweige denn meine Handtasche stopfen. Ich bevorzuge Kuchen am Stück und nicht als Fladen.

Meine Schritte hallen in meinen Ohren immer lauter durch das Treppenhaus. Mein Beutel raschelt und klirrt, ich schwitze unter den Armen, meine Handfläche mit dem Kuchen schwimmt.

P4. Endlich.

Bevor ich die Tür öffne - mit dem Ellenbogen und nicht mit der bloßen Hand - hebe ich ein Bein, stelle den Käsekuchen auf dem Oberschenkel ab und fange an, in meiner Handtasche nach dem Parkticket zu wühlen. Das muss ich noch bezahlen und ich suche es lieber in dem relativ hellen Treppenhaus als in dem dunkel zwielichtigen Kellerparkdeck. Meine klebrigen Finger schließen sich um das dünne Stück Papier. Keine Sekunde zu früh, denn ich verliere das Gleichgewicht und kann gerade noch so den Kuchen auffangen. Wäre die Tüte auf den schmuddeligen Boden gefallen, hätte ich ihn nicht mehr gegessen.

Als ich meine Glieder, den Beutel, den Kuchen, die Handtasche und das Parkticket sortiere, fällt mein Blick auf die große Tafel neben der Aufzugtür. Dort ist eine ganze Latte an Ärzten aufgelistet, die im Haus über dem Parkhaus ihre Praxen haben. Radiologen, Frauenärzte, ein Facharzt für Dermatologie namens Dr. Penner. Darüber muss ich zumindest kurz grinsen.

Nach dem Öffnen der P4-Tür bin ich sofort blind. Wenn ich aus dem Hellen ins Dunkle trete, brauchen meine Augen ewig, um sich daran zu gewöhnen. Ich muss unbedingt mal zu einem Augenarzt gehen.

Ich trete auf den rissigen Beton und fühle mich betäubt von Benzindämpfen. Das Parkdeck ist ungewöhnlich leer. Das wundert mich nicht, denn wegen der aktuellen Gefahrenlage haben neunzig Prozent der Läden in der Innenstadt geschlossen. Nur lebensnotwendige Geschäfte wie Lebensmittelhändler, Apotheken und Drogerien sind geöffnet. Ergo ist kaum jemand mit dem Auto in die Stadt gekommen und die meisten Parkhäuser haben geschlossen. Auch das meines Vertrauens und so bin ich notgedrungen in dieses gefahren. Ich nutze es nur im Notfall, denn es ist mir seit jeher unsympathisch. Dunkel, riesig, verwinkelt, dutzende Ein,- und Ausgänge, düstere Ecken, eine Beschilderung die jeder Vernunft spottet. Die niedrige Decke mit den unzähligen Röhren erdrückt mich.

Mein Auto steht gleich rechts hinter einer Mauer, keine zehn Schritte von der Tür entfernt. Ich habe es extra dort geparkt, damit ich es auch ja wieder finde. Dennoch muss ich mich nach links wenden, um den Kassenautomat anzusteuern. Winzige, auf den Boden gemalte Pfeile und das Wort „Kasse“ in Zwei-Punkt-Typo weisen mir den Weg. Da ich beim ersten Mal in diesem Parkhaus gefühlte sechs Stunden die Kasse gesucht habe, habe ich mir genau gemerkt, wo sie ist. Denn die völlig abgetretenen Pfeile sieht nur ein Adlerauge und kein schwitzender, buckelnder, halbblinder Trottel wie ich.

Das Parkdeck wird von diversen Mauern und Pfeilern zur Abtrennung der Parkplätze unterteilt. Die bunten Lackspuren überall sind beredete Zeugen der Fahrkünste der Leute. Allerdings

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 20.04.2020
ISBN: 978-3-7487-3714-8

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