Cover

Evolution 5.0

 

 

 

Evolution 5.0

Mutation

 

 

Von Roy O'Finnigan

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden«

Zitat: Arthur Clarke

1. Auflage, Juli 2018

© Roy O'Finnigan – alle Rechte vorbehalten.

 

Cover: © designenlassen.de

Lektorat: Thomas Hoffmann, www.publi4all.de

Korrektorat: Sarah Kohrs, www.sarah-kohrs.de

 

 

c/o AutorenServices.de

König Konrad Str. 22

36039 Fulda

 

roy.ofinnigan@t-online.de

www.royofinnigan.de

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1. Sieg und Niederlage

2. Trennungen

3. Familienplanung

4. Menetekel

5. Begegnung mit einem Einhorn

6. Überzeugungsarbeit

7. Verführung

8. Behördenkram

9. Selbsthilfe

10. Vorsehung

11. Nur ein neuer Tanzpartner?

12. Annäherung

13. Sturm im Cyberspace

14. Cyberüberfall

15. Schlachtplan

16. Glossar

 

 

 

1. Sieg und Niederlage

  1. Sieg und Niederlage

2053:

 

»Komm schon, Sam! Wir machen ein Rennen!«

Sophie dreht am Gas und ihr Motorrad heult auf. Sam seufzt. Warum müssen es unbedingt diese Benzinmotorräder sein? Er hasst die Dinger. Relikte aus einer niedergegangen Epoche. Aus der Zeit gefallen wie Ärzte, die eine Diagnose stellen, oder Menschen, die Texte auf einer Tastatur tippen.

Die Maschinen machen einen Höllenlärm, sind unzuverlässig und stinken. Sam seufzt und ergibt sich seinem Schicksal. Mittlerweile kennt er seine Freundin lange genug. Er wusste, dass sie ihn zu einem Wettrennen herausfordern wird. Diesmal hat er etwas Besonderes vorbereitet.

Auch heute wartet Sophie nicht, ob er bereit ist. Ohne ihm eine Chance für einen fairen Start zu geben, braust sie davon. Sam beeilt sich hinterherzukommen. Willig folgt das Bike der gewundenen Passstraße. Im Grunde hat er nichts gegen Wettkämpfe. Aber seine Freundin legt es notorisch darauf an, bis zum Äußersten zu gehen. Maximales Risiko. Alles darunter ist für sie inakzeptabel.

Das war schon immer so. Selbst bei ihrer ersten Begegnung auf seines Vaters Ranch. Sam erinnert sich. Sie lief ihren Eltern voraus und rannte auf ihn zu. Schlank, knallenge Jeans und eine rote Bluse. Schon von weitem hatte sie das Windrad entdeckt. Als sie an ihm vorbeikam, rief sie nur, »komm mit!« Sie eilte einfach weiter. Ohne sich vorzustellen, ohne Begrüßung und ohne sich umzudrehen, um zu sehen, ob er folgt.

Dann kletterte sie auf den Turm und stoppte erst, als sie auf dem höchsten Punkt stand. Besser gesagt balancierte. Dass direkt neben ihr die Flügel durch die Luft schnitten, schien sie gar nicht zu bemerken. Sam weiß nicht mehr warum, aber er folgte ihr. Schnell stieg er zu dem hübschen Mädchen hoch bis es nicht mehr weiter ging.

Ganz oben auf der Spitze gab es nur Platz für einen. Sie dachte nicht daran, den Platz zu räumen. Zufrieden schaute sie auf ihn herab. Damals vermutete er, das schwarzhaarige Mädchen wollte ihm demonstrieren, dass sie als Weiße über ihm als Halbblut steht.

Schon bald zeigte sich jedoch, dass es ihr nur um eines ging. Sie wollte stets die Erste sein. Wenn jemand besser war als sie, forderte sie ihn solange heraus, bis sie gewann. Sophie wurde nie müde, es immer und immer wieder zu versuchen.

Schon als kleines Kind brauchte sie Freunde um sich, die bereit waren, sich jederzeit mit ihr zu messen. Sam mochte das nicht. Trotzdem machte er es immer wieder. Damals war er noch zu jung, um es zu verstehen, aber er hatte sich auf den ersten Blick in sie verliebt. Deshalb tat er alles, um ihr nah zu sein. So gesehen unterscheidet sich der heutige Wettkampf nicht von allen vorhergehenden.

Der Tag begann vielversprechend. Sam liebt den Geruch seiner Heimat. Früh morgens ist er am stärksten, wenn die Sonnenstrahlen das Land erwärmen und die Feuchtigkeit aus dem Boden verdampft. Dann strotzt die Luft nur so von den würzigen Erddüften des Napa Valleys. Mit tiefen Zügen atmet er sie ein und bereitet sich mental auf das Kommende vor.

Er kennt die Passstraße bis ins kleinste Detail. Er weiß bei jeder Kurve haargenau, wie er sie nehmen muss.

Als der entscheidende Moment da ist, dreht er bis zum Anschlag auf. Der Motor gibt seine akustische Zustimmung und zeigt ihm damit an, dass er zum Äußersten bereit ist. Seine Maschine reagiert mit einem Satz nach vorne. An dieser Stelle kann man einige Kurven fast gerade durchfahren. Zumindest, wenn man der ins Gesichtsfeld eingeblendeten Verkehrslagenanzeige seiner Augmented Reality vertraut, dass niemand entgegenkommt.

Seine schulterlangen Haare flattern hinter ihm her, als er sich flach über den Lenker duckt. Vielleicht liegt es an seinen indigenen Vorfahren, deren Gene sich in seinem Gesicht widerspiegeln. Vielleicht an der besonderen Situation. Jedenfalls sieht es so aus, als jage ein Falke seine Beute über die Passstraße.

Der Abstand zum Motorrad vor ihm verkürzt sich. Er kann seine Vorfreude kaum unterdrücken. Endlich eröffnet sich ihm eine Chance, es der ewigen Siegerin zu zeigen. Wenigstens einmal im Leben will er schneller sein als Sophie.

Monate intensiven Trainings liegen hinter ihm. Jetzt ist er im Flow. Alles ist eins. Die Straße, die Maschine, er selbst. Sein Vater lehrte ihm diese Meditationstechnik. Ein uraltes Ritual aus einer Geisterbeschwörungs- zeremonie. Seine schwarze Motorradkombi mit türkisen Navajosymbolen passt perfekt dazu.

Ein wunderbares Gefühl. Pures Adrenalin fließt durch seine Adern. Meter um Meter holt er auf. Schon ist er direkt hinter ihr. Gleich wird die Stelle kommen, an der er überholen kann. Es ist die einzige Stelle, die so kurz vor dem Ziel noch dafür in Frage kommt. Sam geht das Überholmanöver in Gedanken zum millionsten Mal durch. Soll er es wagen? Alles ist perfekt. Er muss es tun. Es gibt kein Zurück. So eine Chance bekommt er nie wieder. Im Grunde genommen ist es Wahnsinn, auf einer Passstraße in einer Kurve innen zu überholen. Aber es gibt keine Alternative. Er hatte sämtliche Varianten durchprobiert und verworfen.

Sophie legt ihr Motorrad in die Kurve. Ihr roter Schutzanzug glänzt in der Sonne. Sam folgt der Bewegung. Er muss nur die Geschwindigkeit halten und sein Motorrad flacher legen als sie. Der Rest ist angewandte Mathematik. Auf der Innenseite ist der Radius kleiner und demzufolge der Weg durch die Kurve kürzer. So würde er an ihr vorbeikommen und hätte gewonnen. Zum ersten Mal. Der Sieg ist zum Greifen nah. Es kann nichts schiefgehen. Sam hat es oft genug simuliert. Doch dieses Mal ist es real.

Noch nie spürte er das Leben so wie in diesem Moment. In seinen Adern fließt pures Adrenalin. Endlich bekommt er eine Ahnung, was seine Freundin an diesen Extremsituationen so liebt. Mittlerweile ist er auf Höhe ihres Hinterrades. Sein Knie schwebt nur Millimeter über der Straße.

Sam sieht das Unheil wie in Zeitlupe auf sich zukommen. Es gibt keine Möglichkeit, der Katastrophe auszuweichen. Er liegt so flach in der Kurve, dass seine Reifen auf dem Split sofort den Halt verlieren. Sein Motorrad rutscht seitlich in ihr Hinterrad.

Die Fahrerin bekommt keine Chance zu reagieren. Sophies Bike schleudert, sie verliert die Kontrolle, prallt gegen einen Felsbrocken am Straßenrand und wird im hohen Bogen durch die Luft gewirbelt. Das Geräusch des Aufpralls der Maschine brennt sich für immer in sein Gedächtnis ein.

Er rutscht zusammen mit seinem Motorrad über die Straße. Alles um ihn herum verschwimmt und ein Heulen martert seine Ohren. Sämtliche Airbags werden ausgelöst und dämpfen den Aufprall an der Felswand. Trotzdem verliert er das Bewusstsein.

 

***

 

Das Mädchen passt den Moment ab wie ein Krokodil, das im trüben Wasserloch auf seine Beute lauert. Den Augenblick nutzend, als ihr Vater zurück in den Stall geht, schwingt sie sich auf den Hengst.

Das Tier ist nicht mit Geduld gesegnet. Es wartet nicht, bis ihm die Reiterin die Sporen gibt. Es galoppiert sofort los. Auch verschwendet es keinen Gedanken daran, den Korral durch das Gatter zu verlassen. Stattdessen springt es über den Zaun.

»Yipppiiiieeeehhh« schreit die Kleine und spornt das Pferd an. »Schneller Wakanda, schneller!«, ruft sie ihm zu und legt sich flach über den Hals des Hengstes. Ihre Haare flatterten hinter ihr her wie ein Panther, der versucht sie einzuholen.

Sam überlegt nicht lange, sondern schwingt sich ebenso auf sein Pferd und galoppiert seiner Freundin hinterher. Wie immer die Augen fest auf die rote Bluse gerichtet.

Erst jetzt kommt ihr Vater aus dem Stall gerannt. Ihm bleibt nur noch, den Staubfahnen hinterher zu sehen.

Sophie genießt es, am Limit zu reiten. Sie spornt ihr Pferd zur Höchstleistung an. Sie weiß, dass es gefährlich ist, in dem Gelände so schnell zu reiten. Gerade das reizt sie. Für den Hengst ist sie eigentlich noch zu klein. Das spornt sie noch mehr an. Ihre Sinne sind aufs Schärfste gespannt. Neben ihr fliegt die Landschaft vorbei, alles verwischt. Vor sich nimmt sie jedes noch so kleine Detail wahr.

Sie fühlt sich eins mit ihrem Pferd. Es reagiert auf die geringste Bewegung von ihr. Mit sicherem Instinkt lenkt Sophie den Hengst. Größeren Hindernissen weicht sie aus, über kleinere springt sie hinweg. Schon taucht der Fluss vor ihr auf. Zu dieser Jahreszeit führt er wenig Wasser. Sie überquert ihn im vollen Galopp. Nur in Momenten wie diesen lebt sie wirklich. Der Rest ist grau und eintönig. Erst am anderen Ufer angekommen, verlangsamt sie das Tempo und dreht sich nach Sam um.

Sophie ist enttäuscht. Sam ließ sich auf der kurzen Strecke eine halbe Meile abnehmen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis er endlich ankommt.

»Wie schaffst du es nur, so viel aus Wakanda herauszuholen?«, fragt er atemlos. »Ich bin so schnell geritten, wie ich konnte. Trotzdem habt ihr mich abgehängt.«

Das Mädchen wirft den Kopf in den Nacken und schaut ihn von oben herab an.

»Das sieht aber nicht danach aus«, erwidert Sophie scharf. »Vielleicht liegt es daran, dass du die Peitsche benutzt. Wakanda braucht das nicht. Ich bitte ihn, über die Weide zu fliegen und er tut das für mich. Vielleicht solltest Du das auch mal probieren.«

Bevor Sam Gelegenheit bekommt etwas zu erwidern, blitzt es in ihren braunen Augen auf. Sie gibt Wakanda die Sporen und galoppiert an ihm vorbei, wieder zurück zu der kleinen Ranch. Er sieht ihr nach. Das Bild verblasst und er ist wieder auf der Straße. Er wundert sich, warum ihm alle Knochen wehtun. Wieso er auf dem Boden liegt. Er erinnert sich.

Trotz seiner Schmerzen erhebt er sich und macht sich auf die Suche nach Sophie. So wie sie durch die Luft geflogen ist, befürchtet er das Schlimmste. Ihr Motorrad ist Schrott. Über ihm schrillt ein Adler.

Der Geruch von heißem Öl und Benzin wabert über den Trümmern. Es ist ihm egal, ob sie explodieren werden oder nicht. Zum ersten Mal verspürt er Angst um seine Freundin. Hat er einen Fehler gemacht? Sein Herz rast. Wo ist sie? Er schaut sich um und sieht sie etwa zwanzig Meter unterhalb der Straße auf einem Felsen liegen.

Es dauert, bis er hinuntergeklettert ist. Dabei muss er an frühere Wettrennen denken. Sophie liebt das Risiko. Nichts kann ihr extrem genug sein. Noch nie ist ihr etwas dabei passiert. Noch nie kam Sam so nahe an sie heran wie heute.

Jetzt liegt sie regungslos vor ihm. Die Airbags Ihrer Kombi zerfetzt von den scharfen Kanten der Felsen, Arme und Beine unnatürlich verdreht. Sams Herz setzt aus. Sie ist tot.

Trotz der Schmerzen in den Beinen kniet er sich neben sie und checkt den Health-State-Monitor. Doch sie lebt noch. Sams Puls beruhigt sich etwas. Ein Notfallteam ist alarmiert, wird aber achtundvierzig Minuten bis hierher brauchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sophie überlebt, liegt bei fünfundsechzig Prozent.

Fünfundsechzig Prozent! Sam rauft sich die Haare. Er legt den Kopf in den Nacken und schreit seinen Seelenschmerz heraus. Felswände werfen den Schall zurück. Das kalte Echo erschüttert ihn.

Der Health-State-Monitor warnt ausdrücklich davor, sie zu bewegen. Sam weiß, dass die Verletzungen sehr schlimm sein müssen. Niemand hört seine Schreie.

Da er sonst nichts für sie tun kann, streicht er ihr die Haare aus dem Gesicht. Die Zeit steht still. Sam weiß, dass er sich schuldig fühlen sollte. Er kann es nicht. Stattdessen denkt er daran, wie oft er Sophie von solchen Stunts abbringen wollte, doch sie überredete ihn immer wieder zum Mitmachen.

Dabei war sie wenig zimperlich. Wenn er nicht wollte, setzte sie ihre weiblichen Reize ein oder die Drohung, ihn zu verlassen. Das wirkte jedes Mal. Oft fragte er sich, warum sie so ist.

Was hätte er tun können, den Unfall zu vermeiden? Hatte er nicht alles versucht? Sam hatte sogar ein spezielles Interface entwickelt, in der Hoffnung, dass sie sich Ihren Kick hin und wieder in einer virtuellen Umgebung holen würde. Aber Sophie hatte das von Anfang an abgelehnt.

Es sei ihr nicht real genug, sagte sie. Das sei alles nichts gegen echte Gefühle und echte Gefahr. Obwohl jeder bestätigt, dass sich die Gefühle im Holovers vollkommen natürlich anfühlen. Nur Sophie nicht. Sie ist nicht Jeder.

Um da einen Unterschied zu spüren braucht es schon einen sechsten Sinn. Vermutlich lag es eher an dem Aufwand, sich das MOTRAQ-Geschirr anzulegen. Zugegeben, acht Minuten sind nicht gerade kurz. Trotzdem. Er optimierte sogar den Stromverbrauch der Actionszenen, damit der Akku länger durchhält. Alle seine Bemühungen fanden keine Gnade in Sophies Augen.

Lieber fuhren sie stundenlang an besondere Orte, um sich dort von Klippen oder Brücken herabstürzen zu können. Oder wie heute ein Motorradrennen abzuhalten.

Mit Sams Verbesserung der Interfaces war Sophie stets unzufrieden. Nie genügten sie für den Adrenalinrausch, den sie zum Leben braucht.

2. Trennungen

  1. Trennungen

»Lass mich in Ruhe mit deinen virtuellen Welten«, keift Sophie streitlustig. Obwohl zu schwach, um aufzustehen, ist sie bei diesem Thema kategorisch kompromisslos. Das gibt Anlass zur Sorge. Nicht nur für Sam, sondern auch für ihre Eltern und Freunde. Die Ärzte griffen tief in die Trickkiste der Medizin der 2050-er Jahre, um ihr Leben zu retten. Ob sie von den zahlreichen Knochenbrüchen, inneren Verletzungen und einem doppelten Wirbelsäulenbruch vollständig genesen wird, ist nicht sicher.

Die Hoffnung, dass sie nach dem Motorradunfall endlich zur Vernunft kommen würde, war verfehlt. Trotz ihrer schweren Traumata schmiedet sie schon wieder Pläne. Auf keinen Fall wird sie so weitermachen können. Jeder in ihrer Familie versuchte, es ihr zu sagen. Vergeblich.

Es wurde Kriegsrat gehalten und Sam um Hilfe gebeten. Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf ihm. Er schaut sich in Sophies Krankenzimmer um. Es ist freundlich eingerichtet und mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet. Die medizinische Überwachungstechnik ist dezent versteckt. Und trotzdem liegt hier eine schwerverletzte Person. Sophie kann sich kaum bewegen und ist vollständig auf fremde Hilfe angewiesen.

Meist schläft sie. Sam hofft, sie umstimmen zu können, solange der Schock des Unfalls noch anhält. Deshalb nutzte er einen der wenigen Wachmomente, um mit ihr zu reden. Bisher verläuft es nicht gut. Er zupft sich sein Hemd zurecht, das er offen über einem T-Shirt trägt und krempelt die Ärmel hoch.

»Sophie, hör mir doch einfach mal zu! Deine Liebe zu Extremsportarten ist gefährlich. Ich möchte nur, dass du weniger riskante Alternativen in Betracht ziehst. Meine Simulationen sind die Besten der Welt. Das hast du selbst gesagt. Du kannst dir dort jederzeit einen Kick holen. Gefahrlos und so oft du willst.«

Sophie funkelt ihn an. Obwohl ihr Kopf fixiert ist, lässt sie ihn nicht aus den Augen. Sam versucht mit seiner Körpersprache Zuversicht auszustrahlen. Es gelingt ihm nicht.

»Und wenn sie die Besten sind. Das ist alles nichts gegen echte Gefühle und echte Gefahr. Bist du so schwer von Begriff? Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass die künstlichen Welten bei mir nicht funktionieren.«

»Bei allen anderen schon«, kontert Sam.

»Bei allen anderen«, höhnt Sophie. »Dass ich nicht lache. Es gibt Millionen so wie mich. Nichts kann das wahre Leben ersetzen. Du hast es vorhin selbst gesagt. Wie soll man sich einen Kick holen, wenn man von vornherein weiß, dass es gefahrlos ist?«

Sam seufzt. Aus ihrer Sicht betrachtet hat sie recht. Der Motorradunfall ist der beste Beweis. In der wirklichen Welt gibt es immer Überraschungen. So sehr er sich auch bemüht, die Realität kann er mit seinen Programmen nicht ersetzen. Aber er kann versuchen, so nahe wie möglich ranzukommen.

»Okay, meine Action-Szenarien sind noch nicht ganz perfekt. Aber ich arbeite daran. Ich bin kurz davor, einen Prototypen zu testen, der das elektromagnetische Feld des Gehirns abtastet und stimuliert. Damit kannst du Gefühle im Holovers noch realistischer empfinden. Das wird dich überzeugen.«

»Niemals!«, ruft sie wütend. »Hör auf mit deinen verdammten virtuellen Action- Simulationen! Ich will jemanden der das wahre Leben und wahre Gefühle mit mir teilt. Keinen Nerd, der den ganzen Tag vor dem Computer hockt und sich in multidimensionalen Cyberwelten vergräbt.«

Der Beschimpfte wirft einen Blick zum Fenster. Die untergehende Sonne malt den Himmel über den Hügeln gelb und rosa. Er liebt seine Heimat und verbringt so viel Zeit wie möglich im Freien. Heute erreicht die Stimmung zwar sein Auge, aber nicht sein Herz.

»Von wegen den ganzen Tag vor dem Computer rumsitzen«, protestiert Sam und schüttelt den Kopf. »Du weißt, dass das nicht stimmt. Außerdem sind meine Simulationen wesentlich gesünder als deine Aktivitäten. Ich liebe dich und ich würde es nicht ertragen, dich noch einmal halb tot vor mir liegen zu sehen.«

»Pah! Du liebst mich, weil ich eine lebendige Frau bin. Kein Programm kann mich je ersetzen. Wenn das alles ist, worüber du mit mir sprechen willst, dann brauche ich dich nicht. Dann kannst du auf der Stelle verschwinden. Am besten du simulierst dir eine Freundin.«

Sam bemüht sich, die letzte Bemerkung zu ignorieren. Trotzdem ist er im Inneren aufgewühlt. Am liebsten würde er im Zimmer auf und abmarschieren, um wenigstens etwas von seiner emotionalen Energie abbauen zu können. Da Sophie den Kopf nicht drehen kann, bleibt er am Fuß des Bettes stehen. Seine Finger trommeln auf den Metallbügel.

»Aber meine Action Spiele sind perfekt geeignet zum Training. Ich habe damit geübt. Diesmal hätte ich dich geschlagen.«

Sophie wirft ihm einen abschätzenden Blick zu. Über der Nase bildet sich eine steile Falte.

»So, du glaubst also, du kannst mich mit deinen Programmen besiegen?«, fragt sie verbissen. »Was hast du denn trainiert? Mich von der Straße zu schubsen? Ha! Mit solchen Tricks arbeitest du jetzt also. Du erträgst es nicht, dass du mich noch nie besiegt hast. Ich warne dich. Auch mit unfairen Mitteln wird dir das niemals gelingen.«

Sam erschrickt. So wütend und abweisend hat er seine Freundin noch nie erlebt. Wie kann sie so etwas von ihm denken? Bestimmt eine Nachwirkung des Schocks.

»Sophie, was redest du? Ich liebe dich! Wie kannst du glauben, ich hätte das absichtlich gemacht?«

»Tatsache ist, dass du mich von der Straße gerammt hast. Das hat verdammt weh getan.«

Am liebsten hätte Sam das Thema gewechselt. Aber das geht nicht. Er muss es ihr sagen.

»Ich kann ja verstehen, dass du wütend auf mich bist. Trotzdem musst du damit aufhören. Du darfst so nicht weitermachen.«

»Wer sagt das? Du? Hör zu, Feigling-«, spuckt sie ihm entgegen, »Was ich tue oder nicht, bestimme immer noch ich selbst. Lieber bin ich tot als in deine Simulationswatte verpackt. Da wird man ja stumpfsinnig. Wenn du die Realität nicht aushältst, ist das dein Problem. Von Einem, der mich hinterhältig von der Straße räumt, lasse ich mir nichts verbieten. Gar nichts! Kapierst du das?«

Sam sieht sie bekümmert an.

»Sophie, versteh doch. Es tut mir in der Seele weh. Ich würde dir nie etwas verbieten. Es sind die Ärzte. Sie haben deine Psyche analysiert und-

»Und was?«, unterbricht sie ihn scharf. Sam zuckt zusammen. Sie ist kurz davor zu explodieren. Am besten, er bringt es jetzt schnell über die Bühne.

»Das Psychoanalyseprogramm diagnostizierte, dass du mit deiner Sucht nach Risiko dich und andere gefährdest. Deshalb musst mit einer Therapie beginnen. Du hast die Wahl: entweder freiwillig oder unter Zwang.«

Vermutlich hätte sie ihn jetzt tätlich angegriffen, wenn die Schienen und Fixierungen nicht wären. Sam sieht, welche Mühe es sie kostet, sich zu beherrschen. Sie durchbohrt ihn mit ihrem Blick. Sam spürt, wie sich in ihr etwas verändert. Er kann ihr nicht länger in die Augen sehen. Sein Blick wandert zum Fenster. Die Sonne verbrennt gerade den Horizont.

Schließlich bricht Sophie ihr Schweigen. »Verschwinde«, sagt sie mit einer Feindseligkeit, die er bei ihr nicht für möglich gehalten hätte. Eine kalte Hand greift nach seinem Herzen und drückt zu.

»Sophie, ich …«

»Verschwinde. Ich will dich nie wieder sehen.«

Sam weiß, dass es aus ist. Er sieht den Bruch in ihren Augen. Der Boden unter ihm wankt. Alles dreht sich. Mit letzter Kraft taumelt er aus dem Zimmer. Sophies und seine Eltern sehen ihn gespannt an. Schwer an den Türrahmen gelehnt schüttelt Sam den Kopf. Zu mehr reicht seine Energie nicht.

Als ihn seine Mutter in die Arme nimmt, kann er seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Er schämt sich nicht. In diesem Moment ist ihm alles egal. Alles. Sein Herz ist gebrochen. Er spürt nichts mehr.

 

***

 

»Herr Lee, bitte stellen Sie die Rückenlehne wieder senkrecht. Wir landen in wenigen Minuten.« Sam blinzelt die Service-Androidin verschlafen an. Einen Moment lang ist er froh, aus dem Alptraum aufgewacht zu sein.

Während des Flugs hatte er wieder von Sophie geträumt. Er hofft, dass in Berlin sein Schmerz nachlässt. Dass er in einer neuen Umgebung auf andere Gedanken kommen und Sophie mit der Zeit vergessen kann.

Der Vorschlag kam von seinen Eltern. Sie organisierten alles. Er war zu nichts in der Lage. Am Flughafen schoben sie ihn regelrecht in die Maschine.

Sam schaut nach unten. Die virtuelle Projektionstechnik erlaubt es ihm, durch den Boden des Flugzeugs zu sehen. Es ist Mitte April und die Sonne gibt ihr Bestes, die Vegetation aus dem Winterschlaf zu wecken. Dank Schallunterdrückung gleitet er lautlos über ein Blütenmeer hinweg. Zwischen den Obstbäumen tauchen Häuser auf. Er ist überwältigt von den Farben. Ganz anders als das trockene und staubige Kalifornien.

Fast meint er, den Frühling zu riechen. Er kann sich diesem Zauber nicht entziehen. Ein zartes Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen. Mit einem Mal ist er gespannt darauf, das Geburtsland seiner Mutter kennenzulernen.

 

3. Familienplanung

  1. Familienplanung

2038:

»Eine halbe Million Euro?«

Ivanna schlägt sich eine Hand vor den Mund. Der Schreck lässt sie schwindeln. Mit unsicheren Schritten stöckelt sie zur nächstbesten Sitzgelegenheit. Ohne sich dessen bewusst zu werden, streichen ihre Hände das Kleid glatt, bevor sie sich in die Ledercouch fallen lässt.

Soeben noch von einem Hochgefühl getragen, schleudert sie ihr Mann eine emotionale Klippe hinab. Wieso gerade jetzt? Marek sieht keinen Grund zur Aufregung. Aus der Küche kommend reicht er ihr ein Glas Wasser. Er ist die Ruhe selbst.

»Ich finde den Preis angemessen. Er ist der Beste. Also gerade gut genug für uns.«

Wie auf Autopilot greift Ivanna nach dem Glas und trinkt es in einem Zug aus. Über den Rand des Trinkgefäßes sieht sie zu ihrem Mann hoch. Noch nicht einmal das Sakko seines Anzuges hat er abgelegt. Den obersten Hemdknopf wie immer geöffnet. Lässig und verdammt gut aussehend steht er vor ihr. Nach ein paar tiefen Atemzügen fühlt sie sich besser.

»Gibt es keine andere Lösung?«

Sein freundliches Lächeln ändert nichts daran, dass seine Augen Nein sagen.

»Liebling, wir haben das doch schon tausendmal besprochen. Es gibt keine. Du hast A gesagt und jetzt musst du auch B sagen.«

Bei Marek hört sich alles immer so einfach an. Für Ivanna sind die Dinge viel komplizierter.

»Das ist alles, was wir haben. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so viel kostet«, erwidert sie. Wieder dieser Schwindel. Vielleicht doch zu viel Champagner? »Kann das denn nicht noch warten? Warum gerade jetzt?«

Ivanna schließt die Augen und nimmt ihr ViDA ab. Das Gerät zur visuellen Datenaugmentation besteht aus einem angedeuteten Brillengestell und dient zur Bereicherung des Blickfeldes mit digitalen Informationen und Objekten. Viele Menschen haben sich so daran gewöhnt, dass sie es am Kopf tragen, ob sie es brauchen oder nicht.

Als sie die Augen wieder öffnet, sind die teuren Kunstwerke und die üppigen Zimmerpflanzen verschwunden. Nüchterne Realität breitet sich aus. Das Wohnzimmer ihres Appartements in Neukölln ist spartanisch eingerichtet. Die Möbel sind ausgesuchte Designerstücke mit deutlichen Gebrauchsspuren, die in der digitalen Realität dagegen wie neu aussehen.

Marek setzt sich neben seine Frau und drückt sie an sich. Sie legt ihren Kopf auf seine Schulter.

»Weil jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, Ivanna. Wir wünschen uns schon so lange ein Kind. Unser Vortrag auf der Benefizgala war ein durchschlagender Erfolg. Du warst großartig. Allein wie du Doktor Neuburg den Kopf verdreht hast. Seinen Auftrag haben wir so gut wie sicher in der Tasche!«

Da ist sie wieder. Seine Stimme. So beruhigend. So vertrauenerweckend. Sie könnte ihm stundenlang zuhören, ohne ein Wort verstehen zu müssen. Einfach nur dem Klang lauschen. Trotzdem ist ihr nicht wohl bei der Sache. Es geht ihr zu schnell.

»Sei nicht so voreilig. Er ist unser erster Kunde und noch haben wir ihn nicht. Der Hacker kostet uns pro Jahr eine halbe Million Euro. Vielleicht sollten wir die Sache doch noch einmal überdenken. Zumindest abwarten, bis wir finanziell besser abgesichert sind.«

Braune Augen bohren sich in ihr Gesicht, in dem für einen kurzen Moment Ungeduld aufblitzt.

»Wir müssen das jetzt entscheiden. Spätestens morgen früh muss ich dem Hacker Bescheid geben. Sonst nimmt er einen anderen Auftrag an. So eine Chance bekommen wir nie wieder.«

»Muss es unbedingt der sein?«

»Es gibt nicht viele mit dessen Fähigkeiten. Für das, was wir brauchen, kann man nicht einfach irgendeinen nehmen.« Mareks Ausdruck versteift sich.

»Wir sind uns doch einig, dass unser Kind keine genetische Laune von Mutter Natur sein soll, oder?«

Er macht eine kurze Pause. Dass Ivanna nicht widerspricht, fasst er als Zustimmung auf.

»Fast vier Jahre haben wir an dem Genom gearbeitet. Es ist perfekt. Sie wird genau so, wie wir sie uns vorgestellt haben.«

»Ja sicher, das wird sie«, stimmt Ivanna zu. Sie nickt und vertieft ihren Blick in das leere Glas in ihren Händen. Dann sieht sie ihn an. In ihren Augen schimmert Unsicherheit.

»Designerkinder sind verboten.«

»Genau!« Marek hat bei der Sache weder ein schlechtes Gewissen noch Skrupel. »Deshalb brauchen wir den Hacker. Er wird alle Daten so manipulieren, dass ihr künstliches Genom bei keiner Kontrolle auffällt.«

»Und wenn es doch herauskommt? Alles ist irgendwo gespeichert. Es gibt unendlich viele Kopien. Programme analysieren ständig sämtliche Daten. Kein Mensch kann sagen, nach welchen Algorithmen sie das tun und welche in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren verwendet werden.«

»Deshalb brauchen wir auch den Besten.«

Mareks Zuversicht ist unerschütterlich. Draußen zieht ein Sturm auf. Die ersten Regentropfen klatschen ans Fenster. Sie hinterlassen große Spritzkreise auf den staubigen Scheiben.

Marek überprüft beiläufig die Wetterdaten in seiner Augmented Reality. Die Vorhersage über den lokalen Verlauf des Unwetters zeigt Böen bis zweiundsechzig Kilometer pro Stunde und Vierundzwanzig Liter Regen pro Quadratmeter an. Kein Grund zur Sorge, stellt er beruhigt fest.

»Glaub mir, kein Programm und kein Mensch wird je dahinterkommen.«

Ivanna nimmt ihm die Brille ab. Sie will, dass er sich mit der Realität auseinandersetzt. Bevor sie sich entscheiden, soll er die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind. Ohne computergenerierte Manipulationen.

Ihr Mann blinzelt kurz, lässt sich aber nicht beirren. Seine Augen sind nach wie vor auf sie fixiert. Das ist unfair. Die platinblonde Genetikerin kann nicht anders, als sich darin zu verlieren. Sie unterdrückt den Impuls, mit den Händen durch seine braunen Locken zu streichen. Er bemerkt ihr Zögern.

»Vier Jahre harte Arbeit. Wir beide sind die Besten auf diesem Gebiet. Jetzt haben wir die Möglichkeit, es zu beweisen. Eine größere Herausforderung und Erfüllung für eine Wissenschaftlerin gibt es nicht. Du weißt, dass ich Recht habe. Und ich weiß, dass du es willst.«

Das markante Kinn als Zeichen seiner Willensstärke und das Gesicht mit den braunen Augen, das so viel Charisma ausstrahlt. Darin findet sie Ruhe und die Gewissheit, dass alles, was er entscheidet, richtig ist. Trotzdem ist sie noch nicht zufrieden.

»Da ist noch etwas, was mich beunruhigt.«

Der Genetiker hebt erstaunt die Augenbrauen.

»Der IQ von Zweihundertvierzig ist vielleicht doch etwas übertrieben. Ich fürchte, dass sie es damit schwer haben wird, einen Freund finden. Wir leben zwar in der Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts, aber manche Dinge ändern sich wohl nie.«

Marek zögert. »Sie soll als Künstlerin Karriere machen. Da ist ein fester Freund sowieso nur hinderlich«, meint er sachlich.

Ivanna antwortet mit einem Blick, der sich wie Dolche in seinen Kopf bohrt. Draußen treiben Windböen den Regen ans Fenster. Ein Feuer prasselt im Kamin vor sich hin. Im Hintergrund sorgt Klaviermusik für eine entspannte Stimmung. Eine zeit- und namenlose Komposition für abendfüllende Gespräche.

»Also gut«, lenkt er ein. »Wenn es Dir so wichtig ist, reduzieren wir den IQ eben auf Einhundertachtzig. Das macht das Genom etwas stabiler und kann nie schaden.«

»Einhundertachtzig Punkte sind vielleicht immer noch ...«, überlegt Ivanna laut.

»Also weniger geht fast nicht«, unterbricht sie Marek. »Das wird sonst unglaubwürdig bei diesen Eltern.« Stolz reckt er dabei seine Brust heraus. »Außerdem, du willst doch nicht, dass unsere wunderhübsche Tochter ein doofes Blondchen wird.«

Ivanna rutscht auf ihrem Sitz hin und her und zupft an ihrem Kleid herum. Wie leichtfertig ihr Mann mit den Eigenschaften ihres Kindes umgeht. Ist es richtig, was wir tun? fragt sie sich. Wir entscheiden über schicksalsbestimmende Attribute eines Menschen. Wie bei einer Ware aus dem Katalog.

Sie ist von ihren Gefühlen zerrissen. Einerseits der Konflikt mit Moral und Gesetz. Auf der anderen Seite der Stolz, als Wissenschaftlerin mit ihrem Mann ein perfektes Genom erschaffen zu haben. Sie ist eine Frau, die endlich Mutter werden möchte. Erst vor ein paar Wochen bekamen sie die Genehmigung. Bei Elf Milliarden Menschen keine Selbstverständlichkeit. Schließlich siegt ihre Sehnsucht nach einem Kind.

 

4. Menetekel

  1. Menetekel

2040:

»Pass auf, jetzt kommt ein Hammerschuss. Der ist unhaltbar.«

Luca hat keine Augen für den Ausblick über den Comer See. Für ihn ist er selbstverständlich. Voll auf den Ball konzentriert nimmt er Anlauf und drischt ihn Richtung Tor. Der Schuss ist einem Weltfußballer auf dem Höhepunkt seiner Karriere würdig. Francos Parade ebenso. Aus dem Stand hechtet er zum Ball und wehrt ihn zur Seite ab. Derart von der Bahn abgelenkt, sucht sich das Spielgerät als neues Ziel das Fenster des Gartenhäuschens. Klirrend durchbricht es die akustische Zielanzeige.

»Volltreffer«, jubelt Luca.

Franco teilt seinen Enthusiasmus nicht. Vorsorglich zieht er die Schultern ein und schaut sich ängstlich um, ob es jemand gesehen hat.

 

***

 

»Bist du verrückt geworden, ihm das Fußballspielen zu verbieten?«, schimpft Chiara. Sie stemmt die Hände in die Seiten und beugt den Oberkörper vor.

Giovanni muss sich zurückhalten. Wenn sie zornig ist, findet er seine Frau besonders reizend. Er genießt den Anblick. Trotzdem ist es nicht ratsam, sie lange zu provozieren.

»Wir haben keine Wahl. Das Risiko ist zu hoch«, verteidigt er sich.

»Das Risiko?« Chiara zieht die Augenbrauen hoch, was sie in seinen Augen noch attraktiver macht. »Ist das alles, woran du denkst? Oh, was bist du doch für ein Rabenvater. Einem neunjährigen Jungen das Fußballspielen verbieten. Es ist sein Leben. Sein ein und alles. Das kannst du ihm nicht wegnehmen!«

Chiara gestikuliert wild. Sie versprüht so viel Energie, dass die Luft zwischen ihnen knistert. Ihre Haare greifen diese Anregung gierig auf und nähren damit ihre Renitenz.

»Chiara, es liegt nicht an mir«, entgegnet er lauter werdend. Giovanni lässt sich von den Gefühlen seiner Frau mitreißen und liefert nun seinen Beitrag zu den emotionalen Energiefeldern zwischen ihnen. Die toskanische Essküche ist solche Auseinandersetzungen gewöhnt. Mit stoischer Ruhe ertragen die Töpfe und Pfannen an der Wand ein weiteres Wortgefecht der Tescos.

»Nicht an dir? Dass ich nicht lache. Wer hat es ihm verboten? Ich oder du?«

»Ich musste es tun«, schreit Giovanni es heraus. »Die Versicherung zwingt uns.«

»Nie ...« Chiara unterbricht die begonnene Antwort, als die Worte ihr Gehirn erreichen. Für einen Moment ist es still genug eine Nadel fallen zu hören. »Die Versicherung?«

Giovanni nickt und zieht einen sorgfältig gefalteten Ausdruck aus der Tasche. Chiara reißt ihn an sich. Ihre Augen scannen den Text. Sie braucht nur Sekunden, den Inhalt zu erfassen.

»Die haben die Prämie verdoppelt«, ruft sie empört. »Was denken die sich, wer sie sind? Ich werde sie verklagen. Wenn es sein muss bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.«

Giovanni seufzt. Er nimmt seine Frau in die Arme.

»Setz Dich doch.«

Die schüttelt den Kopf, dass die Locken fliegen.

»Chiara, das hat keinen Sinn. Du weißt doch, dass zigtausende solcher Klagen bereits gescheitert sind. Die Analyseprogramme, die die verwenden, sind angeblich unfehlbar. Wenn die einmal ein Risiko berechnet haben, dann kann kein Mensch mehr etwas dagegen tun.«

Die Italienerin ballt die Hände zu Fäusten. Das Papier zwischen den Fingern knistert. Ihre Knöchel treten weiß hervor, als versuche sie, die Tinte aus ihm herauszuquetschen.

»Das ist so unfair. So gnadenlos!« Der temperamentvollen Mutter stehen Tränen in den Augen. »Luca kann doch nichts dafür, dass seine Bänder und Sehnen empfindlicher sind als der Durchschnitt. Diese gottverdammten kack Genanalysen. Die müssen verboten werden.«

»Beruhige dich«, beschwichtigt Giovanni und drückt seine Frau fester. »Du hast recht. Wir müssen einen Weg finden, dass Luca weiter Fußball spielen kann.«

Chiara starrt auf das Schriftstück in ihrer Faust.

»Da steht, dass es Medikamente gibt, die die Widerstandsfähigkeit der Bänder und Sehnen erhöhen. Wenn er die nimmt, wird die Risikoeinstufung reduziert.«

»Das schon, aber die sind teuer. Wir können entweder die Medikamente bezahlen oder die höhere Prämie. Unter dem Strich macht es kaum einen Unterschied. Außerdem haben die Arzneimittel Nebenwirkungen«.

Die Schultern des Jungen auf der Treppe sacken herab, als er das hört. Seine Eltern können ihn nicht sehen. Vor Spannung hält er den Atem an.

»Wir werden das Geld auftreiben. Egal wie«, versichert seine Mutter.

»Das werden wir«, verspricht Giovanni. »Trotzdem wird er sein Fußballspiel einschränken müssen.«


Er verstand nicht alles, worüber seine Eltern sprachen. Er weiß auch nicht, wer oder was die Analyseprogramme sind. Nur eines weiß er sicher. Er hasst sie. Er ballt die Hände zu Fäusten und schleicht sich in sein Zimmer.

5. Begegnung mit einem Einhorn

  1. Begegnung mit einem Einhorn

2043:

»Mama, was tust du da?«

Die Frau hebt den Kopf und staunt ihr Kind an.

»Schätzchen, was machst du denn hier? Ich dachte, du bist in deinem Zimmer. Was ist mit deinen Matheaufgaben?«

»Ich bin fertig. Mir ist langweilig.«

Das Mädchen schaut sich um. Ihre Mutter liebt es, umgeben von Pflanzen zu arbeiten. Deshalb ähnelt der Raum eher einem Dschungel als einem Arbeitszimmer. Selbst ihr Tisch fügt sich nahtlos ein. Er besteht aus einer dicken Holzscheibe, geschnitten aus einem jahrhundertealten Eichenstamm.

Der Kopf des Kindes wandert hierhin und dahin. Sie sucht nach einem Versteck, wo ihre Mutter sie suchen soll. Dann entdeckt sie das dreidimensionale Objekt, das über dem Arbeitstisch schwebt.

»Das ist aber ein schönes Einhorn!«, ruft es.

»Gefällt es dir?«, fragt die Mutter. »Möchtest du auch ein Einhorn haben? Wenn du brav bist, bekommst du es vielleicht zum Geburtstag.«

Sie macht ein paar Bewegungen mit den Händen. Schon galoppiert das schneeweiße Fabeltier über eine Wiese. Die Kleine mit den blonden Locken nähert sich dem Objekt ihres Interesses. Es legt seine Hand in den Weg des Tiers. Das Einhorn springt in hohem Bogen darüber.

So schnell gibt das Kind nicht auf. Beim zweiten Versuch legt es seinen Arm in die Laufrichtung. Das virtuelle Tier schnuppert an der Hand. Nach erfolgter Prüfung galoppiert es ein Stück den Arm hoch und springt dann wieder auf die Wiese. »Das kitzelt«, kichert das Mädchen und zieht den Arm zurück.

Die Mutter runzelt die Stirn. Das ViDA ihrerTochter arbeitet mit einem Vibrationstrick, um den Tastsinn zu stimulieren. Das Gehirn eines Kindes lässt sich offenbar täuschen, indem es die Anregungen mit der erwarteten Berührung in Verbindung bringt. Bei ihr selbst funktioniert das nicht so gut.

Nachdem die Kleine das Fabeltier eine Weile beobachtet hat, greift sie plötzlich entschlossen zu. Doch es rutscht durch ihre Hand hindurch. Wie Wasser, das zwischen den Fingern versickert. Fragend sieht sie ihre Mutter an.

Die schüttelt den Kopf. Ihre schulterlangen leicht gewellten Haare folgen der Bewegung. »Das ist mein Einhorn. Das möchte bei mir bleiben. Wenn Du möchtest, kannst ein Echtes haben. Aus Fleisch und Blut.«

Das Mädchen greift sich an den Kopf und schaut über ihre Mutter hinweg zur Decke hoch. Für einen kurzen Moment blitzen ihre smaragdgrünen Augen auf.

»Aber Mama, Einhörner gibt’s doch nur im Märchen. Die kann man nicht verschenken«, belehrt sie ihre Mutter.

»Doch ich kann das«, erklärt die Frau im Brustton tiefer Überzeugung. »Ich bin eine große Fee aus Fantasia. Wenn ich will, kann ich Einhörner herbeizaubern. In jeder Farbe. Welche würde dir denn gefallen?«

»Also Mama, manchmal bist du echt peinlich«, beschwert sich das Kind und verdreht die Augen. Ich bin kein Baby mehr, das sich mit deinen Märchengeschichten abspeisen lässt. Jetzt sag schon, was du da tust.«

Die Mutter seufzt. Die Erziehung eines hochbegabten Kindes hatte sie sich einfacher vorgestellt. Obwohl ihre Tochter erst viereinhalb Jahre alt ist, beschleicht sie immer öfter das Gefühl, eher mit einer Erwachsenen zu reden, als mit einem Kind.

»Na schön«, resigniert sie. »Ich designe Haustiere für andere Menschen.« Mit einer Geste öffnet sie für ihre Tochter einen Zugang in ihre Augmented Reality.

Das Nachwuchsgenie runzelt die Stirn und betrachtet nacheinander die zusätzlichen Diagramme, Grafiken und Tabellen, die mit dem Einhorn in Verbindung stehen. »Wie designst du sie?«, fragt sie schließlich.

Mit vorgerecktem Kinn fokussiert sie ihre Mutter. Diese schaut auf die Uhr und seufzt ein weiteres Mal. Später Vormittag. Eigentlich wollte sie bis Mittag mit dem Einhorn fertig sein. Sie hatte es dem Kunden versprochen. Andererseits will sie die Neugierde ihres Kindes nicht unbefriedigt lassen. Sie lehnt sich in dem weißen Ledersessel zurück und streckt die Arme aus.

»Komm auf meinen Schoß meine Große. Dann erkläre ich es dir in Ruhe.«

Warme Sonnenstrahlen fallen durch das offene Fenster. Die Mutter schließt die Augen, dreht ihr Gesicht zur Sonne. Frühlingsduft weht ins Zimmer.

Akustikmodulaturen wandeln den Berliner Lärm in angenehme Waldgeräusche um. Das System ist gut, aber nicht perfekt. Bei dem Versuch, extreme Geräusche zu kompensieren, entstehen manchmal die absurdesten Misstöne. Man meint dann, einen Geist durchs Zimmer fliegen zu hören. Ein anderes Mal das Brüllen eines Dinosauriers oder das Tschilpen eines exotischen Vogels.

Das Mädchen ist die Geräuschentgleisungen gewohnt. Bei dem Balzruf eines Pteranodons muss es regelmäßig kichern.

»Ich nehme die Gene eines Tieres und verändere sie so, wie der Kunde es haben möchte. Ich kann es größer oder kleiner machen, indem ich den Knochenbau verändere, ich kann die Muskulatur kräftiger oder schwächer machen, die Farbe des Fells verändern. Fast alles lässt sich anpassen.«

Während sie spricht, verändert sie Parameter an einem Bedienfeld. In Echtzeit wird angezeigt, wie die Veränderungen sich an dem Tier auswirken.

»Und wo hast du das Genom für das Einhorn her?«

Die Frau runzelt die Stirn und staunt über die präzise Frage ihrer Tochter. Sie kann kaum glauben, dass die das alles auf Anhieb verstand. Ohne sich etwas anmerken zu lassen fährt die Mutter mit der Lehrstunde fort.

»Ich habe als Ausgangsmaterial das Genom eines Pferdes genommen, das einem Einhorn ähnlichsieht. Dann habe ich gezielt einzelne Gene verändert, um einen zierlichen Knochenbau, gespaltene Hufe, ein geschraubtes Horn auf der Stirn und das schneeweiße Fell zu erzeugen.«

»Dann sieht es zwar aus wie ein Einhorn, aber es hat immer noch den Charakter eines Pferdes.«,

Das Mädchen spitzt die Lippen und legt den Kopf zur Seite. Demonstrativ nimmt es sein ViDa ab und legt das Kunststoffgestell auf den Tisch. Es ist eines der neuesten Modelle, bei denen die Netzhautdatenprojektoren kaum zu sehen sind.

Aufmerksam betrachtet die Kleine das Gesicht ihrer Mutter. Nicht die geringste Regung entgeht ihr. Ein schrilles Zirpen von draußen lässt Mutter und Tochter zusammenfahren. Die Frau ist sich der strengen Prüfung durch ihr Kind bewusst. Sie weiß, was das bedeutet.

»Das ist kein Problem für mich«, fährt sie unbekümmert fort. Ich weiß genau, welche Gene dafür zuständig sind und wie ich sie verändern muss, um die Charaktereigenschaften zu bekommen, die der Kunde haben will.«

Das Mädchen schließt die Augen und greift sich ans Kinn. Es lässt sich Zeit mit seiner Antwort.

»So ein Tier möchte ich nicht«, erklärt es schließlich. Draußen schiebt sich eine Wolke vor die Sonne. Doch es ist der kühle Blick ihrer Tochter, der die Frau frösteln lässt.

»Wieso denn nicht?«, fragt sie und runzelt die Stirn.

»Wenn du alles bestimmst, wie es aussieht und welche Eigenschaften es hat, dann ist es kein Tier mehr. Dann ist es nichts weiter als eine Biomaschine, die deinen Befehlen gehorcht.«

Man sieht es dem Mädchen an, wie ernst es ihm mit dieser Feststellung ist.

»Nein, mein Kind. So ist es nicht«, verteidigt die Mutter ihre Arbeit. »Es ist nach wie vor ein Tier, das einzig und allein seinen Instinkten gehorcht. Alles was ich mache, kann früher oder später auch in der Natur vorkommen. Nur dauert es dort viel länger. Ich helfe nur der Natur auf die Sprünge.«

»Das Einhorn tut mir leid.«

Tränen glitzern in den Augen des Kindes.

»Wieso tut es dir leid? Es ist ein Tier wie jedes andere auch.«

»Nein Mama. In der Natur haben alle Tiere Eltern. Dieses Einhorn hat keine.« Entschlossen wischt das Kind die Tränen weg. »Ein Glück, dass ich euch habe«, sagt das Mädchen plötzlich und umarmt seine Mutter so fest es kann.

6. Überzeugungsarbeit

  1. Überzeugungsarbeit

2051:

Grinsend schießt der blonde Lockenkopf eine Ladung Farbe in Richtung des Lehrers. Die futuristische Kanone auf ihrem Schreibtisch erzeugt ein passendes Abschussgeräusch, der Flug des Projektils wird von einem schrillen Pfeifen begleitet. Mit einem Schmatz liebkost die Flüssigkeit ihr Ziel. Giftgrüner Schleim tropft vom Lehrkörper herab und platscht auf den Boden. Die Schützin unterdrückt ein Kichern. Der Lehrer redet ungerührt weiter.

»Zu komisch«, murmelt sie.

»Was ist so komisch?«, fragt ihre beste Freundin über den geheimen Kommunikationskanal. Die Blondine nimmt Miriams Avatar neidisch zur Kenntnis. Die sexy Figur mit dem rotweißen Badeanzug ist für zwölfjährige Mädchen definitiv verboten. Wäre ihr Kanal im Schul-Cybernet sichtbar, würde dieser Avatar von der Zensur herausgefiltert und mit einem Verweis geahndet.

»Wow! Du musst mir unbedingt sagen, woher du das Teil hast«, fordert Vilca. Gleichzeitig öffnet sie ihre Augmented Reality für Miriam. Dafür benutzte sie eine Geste, die sie sorgfältig vor dem Tutor verbirgt.

Beim Anblick des verschleimten Lehrers staunt die bewunderte Freundin mit offenem Mund.

»Mach das sofort weg. Du weißt, dass du einen Verweis bekommst, wenn sie dich noch einmal erwischen«, ermahnt Miriam ihre Freundin.

Doch die Ruhestörerin denkt nicht daran aufzuhören. Schon gar nicht, wenn ihre Freundin mit so einem Avatar auftrumpft. Stattdessen schickt sie animierte Schweinchen ins Rennen, die mit rosa Zungen den Vortragenden ablecken. Die Mädchen kichern.

»Fräulein Tomaček, darf ich fragen, was an meinem Vortrag so lustig ist?« Der Lehrer schaut mit ernstem Gesicht auf sie herab. Dermaßen unsanft aus der virtuellen Welt gerissen findet sich Vilca alleine in ihrem Zimmer sitzend. Der Unterrichtsraum und ihre Mitschüler sind verschwunden. Nur der Tutor ist noch da und sieht aus, wie man sich einen Geschichtslehrer vorstellt. Leider.

Die Schülerin ärgert sich darüber, dass sie ertappt wurde, aber sie fühlt sich kein bisschen schuldig.

»Nichts. Das ist ja gerade das Problem«, antwortet sie frech auf die Frage.

Der Tutor blinzelt. Seine Augen wandern zwischen Vilca und imaginären Fixpunkten hin und her.

»Ich verstehe das nicht. Mein Lernoptimierungsalgorithmus hat errechnet, dass der Unterricht optimal auf deine Persönlichkeit und Lernbedürfnisse abgestimmt ist.«

Die Blondine kneift die Augen zusammen.

»Dann hat Ihr Algorithmus einen Fehler. So wie Sie Geschichte vermitteln, langweilt mich das zu Tode.«

Die Miene des Geschichtsdidaktikers verfinstert sich.

»Gut. Dann sollten wir das mit deinen Eltern besprechen. Am besten gleich.« Der Avatar erstarrt. Vilca weiß was das bedeutet. Er spricht gerade mit ihrer Mutter und behält sie gleichzeitig im Auge. Es wird vermutlich nicht lange dauern, bis sie in ihr Zimmer gestürmt kommt. Sie fragt sich, was schiefgelaufen ist. Ein Verdacht drängt sich auf.

Bevor das Mädchen den Gedanken weiterspinnen kann, kommt auch schon ihr weiblicher Elternteil mit wehenden Haaren und flatterndem Rock ins Zimmer geschossen. Ohne Umschweife kommt sie zum Punkt.

»Jetzt habe ich aber genug von deinen Faxen«, schimpft sie. »Wenn du glaubst, du brauchst wegen deiner Hyperbegabung deinen Unterricht nicht ernst zu nehmen, hast du dich geirrt.«

»Aber Mama«, verteidigt sich die Schülerin mit dem Ausdruck perfekt gespielter Unschuld, »da ist ein Fehler im Lernprogramm. Da kann ich doch nichts dafür. Der Geschichtsunterricht geht total an meinen Bedürfnissen vorbei.«

»Gegen diese Behauptung protestiere ich energisch«, wehrt sich das Lernprogramm. »Ich funktioniere einwandfrei. Ich unterrichte Millionen Schüler. Kein Einziger macht solche Schwierigkeiten wie ihre Tochter, Frau Tomaček.«

Mit der Bemerkung begibt sich das Programm, ohne es zu ahnen, auf gefährliches Terrain. Für Ivanna hat die Integrität der Familie nach außen höchste Priorität. Sie warnt ihn mit einem misstrauischen Blick. »Und wie viele sind dabei mit einem IQ von einhundertachtundsiebzig?«, fragt sie kühl.

Das Programm ist auf solche Herausforderungen bestens vorbereitet.

»Die Intelligenz des Kindes ist nur einer der Faktoren, welche in die individuelle Adaption eingehen. Mit einer theatralischen Geste zaubert er eine Liste in die Luft. »Das sind alle Parameter, die ich berücksichtige«, erklärt er, »und hier die Werte ihrer Tochter auf einer Skala von eins bis zehn ...« Au Backe, schießt es Vilca durch den Kopf, als sie das sieht. Sie weiß, dass sie in Schwierigkeiten ist. Die Werte sind alle falsch. Zwangsweise, denn sie benutzt ein Programm zum besseren Schutz ihrer Privatsphäre. Dummerweise ist das verboten. Dabei hatte sie versehentlich nicht zugelassen, dass das Lernprogramm Daten über sie sammelt. Jetzt muss sie sich schnell etwas einfallen lassen, um zu retten, was noch zu retten ist.

»Die Daten in Ihrer Liste sind irrelevant. Es ist sonnenklar, dass die falsch sind. Die Frage ist doch, wieso Sie die falschen Daten haben«, greift das Mädchen das System an.

»Deine Einstufung basiert auf deinem Verhalten und deinen Lernfortschritten«, kontert das Programm. Der Lehrer blickt streng auf seine Schülerin herab. »Dein ungebührliches Verhalten zeugt von schlechter Erziehung und ist durch nichts gerechtfertigt.«

Wider Erwarten erhält Vilca Unterstützung von ihrer Mutter.

»Was erlauben Sie sich?«, empört sich Ivanna. »Meine Tochter ist bestens erzogen. Der Fehler muss in der Auswertung ihres Verhaltens liegen. Es ist eindeutig ein Problem des Lernprogramms.«

So geht das noch eine Weile hin und her. Zufrieden grinst Vilca in sich hinein. Sie ist sich sicher, dass niemand herausfinden wird, dass alles an ihrem Privatsphärenschutzprogramm liegt. Der Dealer versicherte ihr, dass das Programm nicht aufspürbar ist. Solange sich ihre Mutter mit dem Lernprogramm streitet, bleibt sie die lachende Dritte.

***

 

»Wieso können wir uns nicht im Rainbow Club für virtuelle Kids treffen?«, textet Miriam.

Vilca seufzt hörbar unter der Bettdecke, wo sie sich vor den Überwachungskameras in ihrem Zimmer versteckt. Langsam tippt sie auf ihrem SmartCom-Bildschirm. Das ist alles andere als ein Smarter Communication Computer. Mit den eingeschränkten Nutzerrechten bleibt ihr nichts anderes übrig als Buchstabe für Buchstabe per Hand einzugeben. So zu kommunizieren ist sie nicht gewohnt.

»Weil ich eine Woche Cybernet-Verbot habe. Ich darf es nur zum Lernen benutzen und jede Abfrage läuft über einen Filter, den meine Eltern kontrollieren. Selbst meine Rechnerleistung haben sie auf das Nötigste reduziert.«

»Oh Mann. Da hast du dir ja was Schönes eingebrockt. Eine Woche. Das ist ja eine Ewigkeit. Deine Eltern sind echt streng. Spätestens nach zwei Tagen würde ich vor Langeweile sterben.«

»Ich bin jetzt schon tot«, textet Vilca zurück. Sie überprüft das verbleibende Datenvolumen. Selbst die paar Bits für die Textnachrichten muss sie umständlich von den erlaubten Anfragen abzweigen. »Zum Glück wissen meine Eltern von diesem uralten Textnachrichtenprogramm nichts. Das stammt aus Zeiten, als man noch Bildschirme und Tastaturen benutzte.

»Komm doch zu mir«, schlägt Miriam vor. »Sag ihnen, dass wir zusammen lernen. Da können sie nicht nein sagen.«

»Schön wärs«, murmelt Vilca. »Habe auch Hausarrest«, antwortet sie kurz.

»Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wieso du so streng bestraft wurdest. Es war doch nur ein Scherz. Niemanden ist etwas passiert. Das Lehrprogramm ist doch kein Mensch, dessen Gefühle man verletzen kann. Also echt. Deine Eltern übertreiben maßlos.«

Vilca stöhnt. Soll sie es ihrer Freundin sagen oder nicht? Schließlich entscheidet sie sich, ihr Geheimnis mit Miriam zu teilen.

 

***

 

Ivanna staunt ihren Mann an. »Woher wusstest du, dass sie ein illegales Programm zum erweiterten Schutz ihrer Privatsphäre benutzt?«, fragt sie ihn.

Marek steht mit dem Rücken zur wandhohen Fensterfront ihres Wohnzimmers. In der Hand hält er ein mundgeblasenes Weinglas, mit dem er eine rubinrote Flüssigkeit schwenkt. Leises Knistern von einem offenen Feuer erfüllt den Raum.

»Von dem Hacker, den ich engagierte über unsere Privatsphäre zu wachen. Du weißt schon, derjenige, der dafür sorgt, dass bestimmte Dinge geheim bleiben, die unbedingt geheim bleiben müssen«, gibt er unumwunden zu.

Ivanna stellt ihr Glas ab, schlägt die Beine übereinander und verschränkt die Arme. Ihre Augenbrauen treffen sich über ihrer Nase.

»Und wann hattest du vor, mir das zu sagen?«, bohrt sie mit frostiger Stimme nach.

Marek lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Die stimmungsvoll gedimmte Beleuchtung wird mit dem Flackern des Feuers verstärkt. Er nimmt einen Schluck aus seinem Glas in der Hoffnung, dass seine Gattin dem Beispiel folgt. Ein bisschen Alkohol kann nicht schaden. Vielleicht löst das ihre Anspannung.

Er vertreibt sich die Zeit, indem er das Aroma seines Weins analysiert. Er riecht Vanille und Zimt. Im Abgang schmeckt er auch die Lakritze heraus. Der Tabak entzieht sich seiner Wahrnehmung. Laut Werbung sollte man ihn riechen.

Eisblaue Augen fixieren ihn von unten herauf. Schließlich greift Ivanna nach ihrem Glas und nippt an dem Wein. Nach kurzer Überlegung entschließt er sich, ihr unumwunden die Wahrheit zu sagen.

»Es erschien mir nicht wichtig genug, dich damit zu behelligen. Du machst aus solchen Dingen immer gleich eine Staatsaffäre.« Obwohl Ivannas Ausdruck sich noch weiter verfinstert, fährt er unbekümmert fort.

»Ich dachte mir, unsere Tochter braucht das Gefühl gewisse Freiräume zu haben. Jeder hat seine kleinen Geheimnisse. Ich wusste ja Bescheid und konnte gegebenenfalls korrigierend eingreifen ...«

»Ach«, höhnt Ivanna eisig. »Das hat ja prima geklappt mit dem Eingreifen. Ich muss dich wohl daran erinnern, dass auf die Benutzung solcher Programme empfindliche Strafen stehen. Da sie noch ein Kind ist, fällt das auf uns zurück.«

Marek nickt beiläufig. Per Augensteuerung dreht er die Heizung höher. Vielleicht entspannt sich seine Frau ja, wenn es wärmer wird. Ein bisschen Kiefernduft aus der Heimatmo-Box kann auch nicht schaden. Für sie beide wird die höhere Heizleistung als stärkeres Feuer in ihrer Augmented Reality übersetzt. Es knistert lauter im Kamin.

»Genau dafür haben wir den Hacker. Der passt auf, dass wir keine Probleme mit den Behörden bekommen.«

Ivanna steht auf, geht zur Feuerstelle und stellt sich mit dem Rücken davor. Wohlig saugt sie die Wärme in sich auf und betrachtet ihren Mann. Der Feuerschein flackert in seinem Gesicht. Hinter ihm die Lichter der Großstadt. Sie weiß, dass fast alles eine Illusion ist. Die Glasfront besteht in Wirklichkeit aus einer Wand mit schlichten Fenstern. Auch der Blick auf die nächtliche Großstadt ist in Wahrheit weitaus weniger spektakulär.

Sie nimmt einen tiefen Schluck von dem edlen Getränk. Um herauszufinden was echt und was virtuell ist, bräuchte sie nur das ViDA abzunehmen. In Mareks Gehirn zu schauen, ob sie ihm trauen kann, ist nicht so einfach.

»Was weißt du noch über unsere Tochter, das du mir verschweigst?«, fragt sie plötzlich.

Der Genetiker zuckt die Schultern.

»Sie benutzt andere verbotene Programme, die aber alle harmlos sind. Zum Beispiel eines, mit dem sie sich heimlich mit Miriam während der Schulstunden unterhalten kann.«

Ivanna schüttelt den Kopf.

»Harmlos? Das sehe ich nicht so. Sie soll sich gefälligst auf den Unterricht konzentrieren.«

»Komm schon«, beschwichtigt Marek. »Wir haben in der Schule auch geschwätzt. Das ist bei Kindern doch ganz normal.«

Marek registriert, wie seine Frau ihre kirschroten Lippen aufeinanderpresst.

»Du weißt, dass Vilca individuelle Lernprogramme braucht, um ihre Persönlichkeit zu stabilisieren. Jede Abweichung davon ist ein Risiko. Außerdem sind sie viel zu teuer. Wir können nicht erlauben, dass sie ihre kostbare Zeit mit nutzlosem Geplapper und belanglosem Zeug verschwendet«, kontert die Mutter.

Er nimmt einen weiteren Schluck und spürt den einzelnen Geschmacksnoten nach, während der Rebensaft über seine Zunge fließt.

»Schon«, stimmt er zu, »aber unsere Tochter ist keine Maschine. Ab und zu braucht sie auch etwas Zeit für sich und zum Spielen.«

»Spielen?«, fragt Ivanna und stellt ihr Glas auf den Kaminsims. Alles, was unsere Tochter interessiert, ist ihre Karriere als Sängerin. Und wir sollten alles tun, was wir können, um sie darin zu unterstützen.«

Mit ein paar Schritten ist Marek bei seiner Frau. Er stellt sein Glas so nah wie möglich neben ihres.

»Ich bin mir da nicht so sicher. Neben der Schule, dem Gesangsunterricht und Tanzstunden hat sie jetzt schon einen Zehnstundentag.«

»Sie braucht das«, stellt Ivanna trocken fest. Mit verschränkten Armen steht sie ihm gegenüber. Immerhin sind ihre Lippen wieder entspannt, stellt er fest. Marek widersteht dem Drang, sie zu küssen.

»Und jetzt soll noch eine Stunde Aikido dazukommen. Meinst du nicht, dass das allmählich zu viel wird für sie?«, fragt er stattdessen.

»Nein, ganz und gar nicht«, bleibt die Mutter bei ihrer Linie. »Im Gegenteil. Das ist gut für sie. Speziell dieser Kampfsport schult Gleichgewichtssinn und Koordinationsfähigkeiten. Das ist wichtig für ihre Bühnenchoreographie.«

»Da magst du recht haben. Aber trotzdem finde Ich das Alles für ein zwölfjähriges Mädchen ein bisschen viel.« Marek legt die Hände auf die Taille seiner Frau und zieht sie zu sich heran. Sie hält die Arme verschränkt.

Er weiß um seine Wirkung auf Ivanna. Der gut aussehende Genetiker schaut ihr tief in die Augen. Er spürt, wie sie sich etwas lockert.

»Ich weiß nicht«, zögert sie. Trotzdem legt sie ihre Hände auf seine Schultern. Sie zupft an seinem Hemd herum. Marek zieht sie noch fester an sich heran. Er lässt sie seine Muskeln spüren.

»Ich habe ihre Leistungen analysiert. Sie wird auf Dauer bessere Ergebnisse erzielen, wenn wir mehr Freiräume geben. Es braucht gar nicht so viel. Im Wesentlichen kommt es darauf an, dass sie das Gefühl hat, mehr selbst gestalten zu können.«

Noch bevor seine Frau antwortet, sieht er an ihren Augen, dass er sie überzeugt hat.

»Na gut«, lenkt sie ein. »Der Leistungsanalyse kann ich schlecht widersprechen. Vorausgesetzt, sie hält meiner Überprüfung stand. Falls dem so ist, sollten wir ihr Pflichtprogramm kürzen, damit unsere Kleine mehr Zeit für sich bekommt. Meinetwegen können wir ihr auch ihren Tagesablauf etwas flexibler gestalten. Aber das Aikido wird nicht gestrichen. Darauf bestehe ich.«

»Okay«, stimmt Marek zu. »Dann habe ich aber auch eine Bedingung. Die Strafe für den kleinen Scherz mit dem Lernprogramm ist zu hart. Sie hat jetzt zwei Tage ohne Internet hinter sich. Das sollte reichen. Ich denke, sie hat verstanden, dass sie sich in erster Linie selbst schadet, wenn sie die teuren adaptiven Lernprogramme mit falschen Daten füttert.

 

***

 

Als Marek das Zimmer seiner Tochter betritt, findet er ein durch und durch gelangweiltes Mädchen. Sie liegt auf dem Bett und starrt an die Decke. Neben ihr liegt ein altes Papierbuch. Geschlossen.

»Was willst du?«, fragt sie mürrisch ohne den Blick von der Decke abzuwenden.

Marek versucht, seine Tochter mit einem Lächeln aufzuheitern.

»Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass Dein Cyberspace-Verbot ab sofort aufgehoben ist.«

»Wag‘ es bloß nicht, mich zu verarschen«, brummt Vilca. Die Decke scheint wesentlich interessanter als ihr Vater.

»Nie im Leben«, beteuert Marek und setzt sich zu ihr auf das Bett. »Dafür hat es mich viel zu viel Aufwand gekostet, deine Mutter zu überzeugen.«

Vilca richtet sich überrascht auf.

»Echt, du hast es geschafft, Mama zu überzeugen? Wie?«

Mareks grinst breit und streichelt ihre Wange. »Das, mein Kind, bleibt mein Geheimnis.«

Für Vilca ist die Sache damit noch nicht erledigt.

»Und was ist mit der Software zum Schutz der Privatsphäre?«, fragt sie betont und rechnet mit dem Schlimmsten. Ihr Vater zuckt die Schultern.

»Von mir aus ist das okay. Das macht doch jeder. Nur sollte man so schlau sein, sich nicht dabei erwischen zu lassen.«

»Aber ...«, Vilcas Mund steht offen. Ihr bleibt die Spucke weg.

Marek hebt warnend die Hand. »Wehe du sagst Ivanna, was ich gesagt habe. Nicht ein Sterbenswort!«, unterstreicht er mit dem Zeigefinger. »Sonst ist wieder der Teufel los.«

Er steht auf, um zu gehen. An der Tür angekommen ruft ihn Vilca zurück. Er dreht sich zu ihr um und wird mit einem strahlenden Lächeln beschenkt.

»Danke Papi!«

7. Verführung

  1. Verführung

2054:

Der gutaussehende Mann zelebriert sein Entree in das Nachtcafé. Sein Auftritt löst ein Raunen bei den Gästen aus. Er genießt es, wie sich alle Köpfe nach ihm umdrehen. Für einen Moment hält die Welt den Atem an. Nur für einen Augenblick, aber dem jungen Adonis genügt die Aufmerksamkeit für seine Zwecke. Zufrieden bahnt er sich einen Weg durch die Menschenmenge Richtung Bar. Willig weichen die Gäste vor seinen ausladenden Flügeln zurück.

Luca lächelt in sich hinein. Engel zu sein, bringt eben auch Vorteile mit sich. Noch mehr gilt das für gefallene Engel. Wenn die wüssten! In Wahrheit ist seine Kleidung grau und unscheinbar. Auch musste er sich ein paar Jahre älter machen, als er ist, sonst hätte ihn der Türsteher-Roboter am Eingang nicht durchgelassen.

Alles kein Problem mit Augmented Reality. Sie macht die physische Realität zur Nebensache. Wie jemand aussieht und was er ist, bestimmt allein die digitale Signatur. Aber nur für den, der sie sich zu Nutzen machen weiß. Luca hat sie gemeistert. Natürlich nur, wenn alle mitspielen und Augmented Reality verwenden. Aber das tut ja heutzutage jeder.

An der Bar angekommen bestellt Luca zwei Cocktails. »Mit echtem Alkohol und Zucker?«, fragt der Barkeeper.

»Was denn sonst?«, erwidert der Italiener herablassend. »Ich bestelle doch keinen Mai Tai, um dann mit langweiligen gesundheitssystemkonformen Ersatzstoffen abgespeist zu werden. Sehen Sie meine virtuell eigeblendete Freigabe für Alkohol und Zucker nicht?«

Um seiner Forderung Gewicht zu verleihen, breitet er seine Schwingen aus. Die Geste verdunkelt die halbe Bar. Einige Leute weichen unwillkürlich vor den Flügeln zurück, obwohl es in Wirklichkeit nichts gibt, das sie bedroht.

»Wie der Herr meint«, kommentiert der Cocktailmixer mit der liebenswürdigen Herablassung eines echten Wiener Kellners. Luca genießt das Ergebnis. Eine weitere Streicheleinheit für sein Hacker-Ego. Traditionellen Mai Tai bekommen selbst Erwachsene in öffentlichen Bars nicht so leicht. Zwei sind praktisch unmöglich, nachdem die Gesundheitsbehörden weltweit das Kriegsbeil zum Kampf gegen Alkohol und Zucker ausgruben. Immerhin entspricht ein Mai Tai bereits der halben Monatsration eines Durchschnittserwachsenen.

Das minderjährige Hackergenie sieht sich um. Er ist auf der Suche nach einer bestimmten Person. Ein paar Sekunden später entdeckt er sie auf seinem virtuellen Schirm. Die junge Frau sitzt zusammen mit einer Freundin an einem der kleinen Tischchen. Sie unterhalten sich angeregt. Ihr Outfit ist bunt und eine verwirrende Mischung mehrerer Styles, die genauso wenig zusammenpassen, wie eine Badehose und Schlittschuhe zu einem Fisch.

Man kann davon halten, was man will. Luca findet diesen Stilmix okay, aber er ist sich nicht sicher, ob es ihr auch gefällt. Es passt nicht zu ihrer Persönlichkeit. Doch sich so zu zeigen, ist gerade mal wieder in.

Ihr virtuelles Styling könnte sie jederzeit auf Knopfdruck ändern. Das funktioniert allerdings nur bei jenen, die sich an die Spielregeln halten. Luca tut das nicht. Er sieht die Welt und die Menschen so, wie sie wirklich sind. Die Zielperson ist bei weitem nicht so schlank, wie sie glauben machen möchte. In Wahrheit trägt sie einen grauen Jumpsuit. Das Teil sitzt so eng, dass sie darin wie eine schlecht verpackte Presswurst aussieht. Eigentlich steht er auf wohlproportionierte Frauen. Aber nicht, wenn sie sich so unvorteilhaft kleiden.

Der Italiener ist froh, dass er sie so nicht den ganzen Abend sehen muss. Das würde seinen Plan erschweren. Also schaltet er auf Augmented Reality um. Gleichzeitig aktiviert er ein Spezialprogramm, das ihm bei seinem Vorhaben unterstützen soll.

Damit es jeder mitbekommt, stellt der Barkeeper klirrend zwei Designergläser auf den Tresen. Verziert wie es sich gehört, mit Obststückchen und einem Papierschirmchen. Damit macht sich Luca zu dem Tisch der Damen auf. Mit halb ausgebreiteten Flügeln schreitet er durch den Raum. Die Cocktails hält er wie eine Monstranz vor sich. Er ist sich der Aufmerksamkeit sämtlicher anwesenden Damen sicher. Doch ihm kommt es nur auf Eine an. Gebannt beobachtet sie ihn.

Als die junge Frau erkennt, dass er auf ihren Tisch zusteuert, weiten sich ihre Augen. Beiläufig nimmt Luca die angezeigte Zustandsveränderung in seiner Augmented Reality zur Kenntnis. Puls und Hauttemperatur ihres Gesichts nehmen zu. Status: ‚Interessiert' wird angezeigt. Kein schlechter Start. Er gratuliert sich.

Sie streicht sich mit den Fingern durchs Haar. Ein schüchternes Lächeln. Er setzt sich an den Tisch, ohne zu fragen. Demonstrativ stellt er einen seiner Drinks vor der Dame ab.

»Ein Gruß aus der Hölle von dem Boten Gottes. Extra für dich.«

Ihr Blick wendet sich von dem Mai Tai ab. Sie legt den Kopf schief und sieht Luca von der Seite an. Dazu verzieht sie Augenbrauen und Mund. Ihr Puls wird noch schneller.

»Das kann ich mir nicht leisten«, sagt sie. Das Glas bleibt unberührt stehen. »Ich habe meine Zuckerration für diesen Monat fast aufgebraucht. Bei Alkohol bin ich für zwei Monate im Minus.« Braune Augen versenken sich in schwarze. Luca fesselt ihren Blick. Ihr angezeigter Status steigert sich auf leichte Erregung.

»Nimm ihn und lass mich auch probieren«, drängt die Freundin.

Er wirft einen Blick auf ihre Freundin. Die Brünette ist hübsch aber nicht sein Typ. Der Italiener beugt sich vor und greift nach der Hand der Schwarzhaarigen.

»Du kannst. Das geht auf mein Konto.«

Erschrocken zieht sie ihre Hand zurück. Der Puls sinkt. Die Statusanzeige warnt vor abkühlenden Interesse. Das geht ihr zu schnell, informiert die Dating App. In Gedanken verdreht Luca die Augen. Darauf wäre er auch alleine gekommen. Das Programm empfiehlt ein Kompliment zu machen.

»Du hast wunderschöne Augen«, folgt Luca dem Rat.

Die Frau zögert. Ihr Blick wandert zu dem Glas. Einen echten Mai Tai hatte sie schon lange nicht mehr.

»Übrigens, ich heiße Luca«, stellt er sich vor.

»Klingt italienisch«, kommentiert die Frau. Sie verzichtet darauf, sich vorzustellen. Luca lässt das durchgehen. Er kennt ihren Namen sowieso. Ebenso ihre Vorlieben.

»Ist es auch, Signorina. Warst du schon einmal in Roma?«

Der Engel aus der Hölle nimmt einen großzügigen Schluck von seinem Getränk und lässt sich Zeit, den Genuss vorzuführen.

Sie schüttelt den Kopf. Wieder wandert ihr Blick zu dem Glas. Luca weiß, dass verbotene Dinge die junge Frau reizen. Allerdings ist sie auch schüchtern. Deshalb hebt er seine Flügel und schirmt den Tisch vor den Blicken der Gäste ab. Ihre Freundin weiß, was von ihr erwartet wird. Diskret zieht sie sich zurück und verschwindet in der Menge.

Mit einer Geste ermuntert er seine Auserwählte zu trinken. Noch immer kann sie sich nicht entscheiden. Um ihre Hände davon abzuhalten nach dem Glas zu greifen, spielt sie mit ihren Haaren. ‚Mehr Romantik', empfiehlt die Dating App. Gerne greift er den Ratschlag auf.

»Es gibt in Roma noch ein paar Cafés wo man bei Kerzenschein abends draußen sitzen kann, molto romantico«, erklärt Luca. »Frühling ist genau die richtige Zeit dafür. Nicht zu heiß und es duftet überall nach Blumen. Tief in der Nacht, wenn nach und nach die Lichter ausgehen, sieht man sogar Sterne.«

Erneut fängt er ihren Blick mit seinen Augen ein. »Wenn du deine Augmented Reality mit mir teilst, kann ich uns ein bisschen Romantik herbeizaubern. Nur für uns zwei.«

Das zieht. Die Dating App zeigt wieder beschleunigten Puls und zunehmende Erregung. Sie gibt ihm den Code. Er vermeidet tunlichst, eine Reaktion zu zeigen, als er feststellt, dass sie ihm lediglich einen Gastzugang gewährte. Das ist noch nicht die Berechtigungsstufe, die er braucht, aber er zweifelt nicht daran, dass er den Rest auch noch bekommt.

Luca startet ein vorbereitetes Programm. Auf dem Tisch erscheint eine Kerze. Sie flackert und mit ihr tanzen die Schatten. Langsam ändert sich die Umgebung. Als die Umwandlung beendet ist, sitzen die beiden in einem malerischen Café. Allein. Grillen zirpen zu italienischer Musik, die leise im Hintergrund spielt. Die Geräusche des Wiener Nachtcafés sind dank aktiver Geräuschunterdrückung verschwunden.

Lucas Blick geht hoch zum Sternenhimmel. Die junge Frau gibt einen anerkennenden Laut von sich.

»Fantastisch! So etwas habe ich noch nie gesehen«, bewundert sie das Kunstwerk.

Als sie schließlich das Glas greift, weiß der Casanova, dass ihr Herz ihm gehört. Sie nippt zuerst und nimmt dann einen großen Schluck. Die Frau fährt mit der Zunge über ihre Lippen. Sie lässt sich Zeit dabei. Braune Augen versinken in Schwarzen.

Luca tastet vorsichtig nach ihrer Hand. Diesmal lässt sie die Berührung zu. Der Rest ist ein Kinderspiel. Bei ihr zu Hause erhält er einen unbeschränkten Zugang zu ihrer virtuellen Realität. Die romantische Szene mit dem italienischen Café beeindruckte sie dermaßen, dass sie nicht genug davon bekommen kann.

Der Italiener ist mit sich selbst mehr als zufrieden. So sehr er das Zusammensein mit der Frau genießt, für ihn ist sie doch nur ein Mittel zum Zweck. Neben der sexuellen Befriedigung erhält er weit mehr von ihr, als er selbst in seinen kühnsten Träumen zu hoffen wagte.

Er glaubt es anfangs nicht. Aber seine Berechnungen lassen keinen Zweifel. Immer wieder prüfte er sie. Immer wieder gelangte er zum gleichen Ergebnis über den Ablauf zukünftiger Geschehnisse.

Der Zugangscode, den er von der Frau bekam, ist der Ursprung einer unvermeidlichen Ereigniskette. Nur ein kleiner Dominostein, aber einmal angestoßen, werden immer größere fallen.

Es wird Jahre dauern, sein Ziel zu verwirklichen. Doch der Fall des letzten Steins in dieser Kette ist vorherbestimmt. Er wird ihm den Schlüssel zu praktisch unbegrenzter Macht in die Hände spielen.

 

8. Behördenkram

  1. Behördenkram

Deutschland. Das Land der Regeln, Vorschriften und Gebote. Sam hätte sich nie träumen lassen, welche Ausmaße eine gesetzliche Verkehrsstromoptimierung annehmen kann. Seit gefühlt Stunden versucht er dem freundlichen Herrn von AlpTourist klarzumachen, dass er dieses Wochenende einen Ausflug auf den höchsten Berg Deutschlands unternehmen möchte.

»Nein, Huber. Ich möchte keinen Trip auf die Zugspitze in vierzehn Monaten buchen. Samstag habe ich Zeit. Das ist übermorgen.«

Der Archetyp eines Bayern in krachlederner Trachtenuniform zeigt sein Mitgefühl. Sam analysiert die Mimik des Avatars in seiner Virtual Reality. Ob dahinter ein Mensch steckt? Vermutlich nicht. Der hätte mittlerweile aus Zeitgründen längst das Gespräch beenden müssen, schlussfolgert Sam.

Man sitzt sich gegenüber an einem rustikalen Holztisch in einem Holovers. Die virtuelle Welt gestaltet nach einem Klischee, auf das sich die norddeutsch-internationale Gemeinschaft einigte, wie bayerische Almhütten auszusehen haben.

Zu Hause wäre er einfach losgefahren. Zumindest in Kalifornien geht das problemlos. In Deutschland nicht. Das Land ist eines der am dichtest besiedelten weltweit. Das erzwingt strikte Kontrolle der Verkehrsströme. Besonders am Wochenende in Richtung Alpen, behauptet Huber.

Er hätte sich nie mit diesem Agenten eingelassen, wenn nicht unbedingt nötig. Kein Transportmittel lässt sich ohne Genehmigung buchen. Huber ist das Nadelöhr, durch das man sich quetschen muss, um diese zu erlangen. Seine Mutter sagte nichts von solchen Schwierigkeiten, als sie ihm die Sehenswürdigkeiten Deutschlands anpries.

Hinter der Animation des Vertreters von AlpTourist steht ein Programm, dessen kognitive Fähigkeiten auf tieflernenden Algorithmen beruhen. Der Kalifornier gesteht ihm zu, dass es sich um besonders ausgetüftelte handelt. Trotzdem beschränk es sich auf die äußeren Rahmenbedingungen. Die wahre Leistung dieser Maschinenintelligenz ist es, die angebotenen Optionen ausgesprochen interessant erscheinen zu lassen.

Dafür arbeitet sie mit allen psychologischen Tricks. Sam hingegen will unbedingt dem Programm seinen Reisewunsch schmackhaft machen. Er beschließt, einen letzten Versuch zu starten. Falls das nicht fruchten sollte, plant er auf kreative Alternativen auszuweichen.

»Huber, ich gebe dir Zugriff auf meinen Studienplan. Daraus geht eindeutig hervor, dass es nur dieses Wochenende geht.«

Mit einer Geste gibt Sam die Daten frei. Hubers freundlicher Gesichtsausdruck erstarrt für einen Moment, während er die Informationen verarbeitet. Das Ergebnis entspricht nicht den Erwartungen des Studenten.

»Sam, ich danke dir für dein Vertrauen. Deine Daten werden selbstverständlich nur für diese Transaktion verwendet und danach gelöscht. Ich verstehe dein Problem, aber zu meinem allergrößten Bedauern sehe ich trotzdem keine Möglichkeit für einen Besuch der Zugspitze für diesen Samstag. Als Alternative schlage ich einen Besuch im Freilichtmuseum Glentleiten vor. Das liegt hoch über dem Kochelsee. Von dort hat man einen traumhaften Blick auf die Alpen inklusive der Zugspitze.«

Sam studiert die eingeblendete Karte. Immerhin wäre er dann schon in der Nähe. Vielleicht ergibt sich ja vor Ort eine Chance.

»Es tut mir leid. Der Zugspitzgipfel ist ausgebucht. Das gilt für alle. Egal ob man aus Berlin oder einem Ort in der Nähe anreisen möchte. Auch von Glentleiten aus kommst du nicht auf den Gipfel. Für begehrte Termine buchen manche schon auf Jahre im Voraus. Ich kann dich natürlich auf die Warteliste setzen, aber bei der Länge strebt die Wahrscheinlichkeit für dieses Wochenende gegen null.«

Sam reißt die Augenbrauen in die Höhe. Das Programm scheint Gedanken lesen zu können. Womöglich unterschätzte er die Algorithmen. Offenbar sind sie Meister darin, Körpersprache zu interpretieren. Er nimmt sich vor, bei Gelegenheit zu checken, wer den Code schrieb.

»Nehmen wir mal an, Geld spielt keine Rolle. Welche Optionen gäbe es dann?«, will Sam wissen.

Huber schüttelt so energisch mit dem Kopf, dass der rasierpinselartige Busch auf seinem Hut wackelt. Enola, Sams digitale Assistentin behauptet, das Teil heiße ‚Gamsbart'. Sam muss über die Bezeichnung schmunzeln. Seines Wissens haben Gämsen keinen Bart. Er persönlich akzeptiert den Brauch, sich Tiertrophäen anzustecken. Immerhin gehörten echte Adlerfedern zur Stammestracht seiner Vorfahren.

»Du hast nicht genügend Geld für andere Optionen«, belehrt ihn Huber.

Fasziniert registriert der Student, wie Huber gleichzeitig Bedauern und Sympathie ausdrückt.

»Egal, ich will es wissen.«

Huber zögert noch einen Moment. Sam versteift sich.

»Na gut«, seufzt Huber. »Aber auf deine Verantwortung. Mach' mir keine Vorwürfe, wenn du geschockt bist.«

Neben dem Agenten erscheint das Angebot. Säße Sam nicht bereits auf einem Stuhl, hätte es ihn umgehauen. Der Preis bewegt sich in astronomischen Größenordnungen. Nicht nur für seine Verhältnisse.

»Das ... ist in der Tat beeindruckend«, gibt der Student zu.

Huber hebt die Schultern. »Du wolltest es unbedingt wissen.«

Aufgrund Sams Körpersprache fühlt sich das Programm genötigt eine Erklärung nachzuschieben.

»Es ist einfach eine Angelegenheit von Angebot und Nachfrage. Man leiht sich einen Oberklassewagen. Gegen einen Aufpreis bekommt man die Erlaubnis, am Samstagmorgen um zwei Uhr dreißig auf der Autobahn von Berlin nach Garmisch-Partenkirchen zu fahren. Mit zweihundertneunzig Kilometer pro Stunde ist man in zwei und einer halben Stunde da. Zu diesen Konditionen sind noch zwei Plätze frei.«

Deutschland, das Land der schnellen Autos. Auch darauf hatte ihn seine Mutter hingewiesen. Wo andere einen Schnellzug hin bauen, rast hier der Individualverkehr. Für den, der es sich leisten kann.

Dem Studenten reicht's. Mit einem trockenen »Danke« und einer eindeutigen Geste beendet er das Gespräch. Während er noch über den tieferen Sinn der deutschen Verkehrsstromoptimierung grübelt, kommt sein Zimmergenosse heim.

Obwohl er ihn bereits ein paar Wochen kennt, staunt Sam immer noch, wie der Bodybuilder es schafft, durch die Tür zu kommen, ohne steckenzubleiben.

»Hallo Urs«, begrüßt er ihn.

Mit einem »Tag Sam« und Bikerstiefelgepolter baut sich der Besitzer der Muskelberge vor ihm auf. Keine Kleidergröße scheint ihm gerecht zu werden. Normaler Stoff auch nicht. Der Kalifornier vermutet, dass sein Zimmergenosse aus diesem Grund irgendwann auf Ganzlederoutfit umstieg.

Der Berliner besitzt ein feines Gespür für die Gemütslage seiner Mitmenschen.

»Was ist los? Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«

Urs lässt sich mit Schwung in seinen Ledersessel fallen. Obwohl XXX-L dimensioniert, protestiert das Sitzmöbel knarzend gegen die Belastung.

In kurzen Worten erläutert der verhinderte Zugspitztourist die Situation.

»Ah, ich sehe, du hast dich mit AlpTourist angelegt«, erwidert sein Kommilitone mit breitem Grinsen. »Das ist ein typischer Anfängerfehler.«

»Was meinst du damit?«

Der Bodybuilder zwinkert mit einem Auge und deutet auf sein ViDA. Sam versteht die Geste als Andeutung, dass er ein vertrauliches Gespräch wünscht. Urs malt mit den Händen Zeichen in die Luft. Nachdem er damit fertig ist, wendet er sich Sam zu.

»So, jetzt können wir ungestört sprechen.«

»Moment mal«, unterbricht ihn Sam. »Du befürchtest, dass uns hier jemand belauscht?«

Der Gedanke bereitet ihm Unbehagen. Unwillkürlich nimmt er die Einrichtung ihrer Studentenbude in Augenschein. Auf den ersten Blick wirkt sie spartanisch. Ein Bett, ein Schrank und ein Schreibtisch. Für jeden. Küche und Bad separat; Meisterwerke multifunktioneller Zweckraumgestaltung. Die Wände in neutralem Weiß gehalten.

Auf den zweiten Blick - visuell erweitert über sein ViDA - sieht das Ganze bereits viel gemütlicher aus. Die Projektion von Bildern und Daten direkt auf die Netzhaut verändert die physikalische Realität. Obwohl es sich dabei um einen optischen Trick handelt, lässt sich das Gehirn leicht täuschen. In Sams künstlicher Welt lebt er an einer Flussbiegung unter freiem Himmel. Dort, wo in seinem Paradies ein Tipi steht, ist die Küche, das Bad direkt am Wasser und ihre Server stehen hinter der Couch.

Beim Anblick des Sitzmöbels stutzt er. Auf ein Zeichen hin wird es durchsichtig und gibt den Blick auf die Internetschnittstelle frei. Alle elektrischen Geräte sind darüber mit dem Cyberspace verbunden, Symbole und Graphiken visualisieren die Datenströme. Nichts Auffälliges. Die Überwachungs- und Schutzprogramme hatte er natürlich sofort nach dem Einzug installiert. Sollte er etwas übersehen haben? Der Berliner bemerkt seine Besorgnis.

»Offiziell natürlich nicht. Aber sicher ist sicher. Mit WLAN kann man durch Wände sehen und aus den Vibrationen einer Fensterscheibe Sprache extrahieren. Es gibt immer und überall einen Datenjäger auf der Suche nach verwertbarem Material.«

Na, wenn's weiter nichts ist, denkt Sam.

»Und was hast du unternommen, um das zu unterbinden?«

Urs wirft ihm einen abschätzenden Blick zu. Schließlich zuckt er mit den Achseln. Er greift in die Luft, als pflücke er einen Apfel und wirft ihn Richtung seines Mitbewohners.

»Warum nicht? Ich denke, ich kann dir vertrauen«, begründet er seine Handlung.

Geschickt fängt Sam das zugeworfene Objekt auf. Es handelt sich um einen Schlüssel. Der Kalifornier befestigt ihn an seinem virtuellen Schlüsselring. Mit dieser Aktion erscheinen die Programme und Maßnahmen, die sein Zimmergenosse zum Schutz ihrer Privatsphäre getroffen hat in Sams Augmented Reality. Gleichzeitig lässt er ihn seine Version ihres Studentenapartments sehen.

Durchschnitt, verrät ihm sein Expertenblick bezüglich der Schutzprogramme innerhalb weniger Sekunden. Mehr sollte für eine normale Studentenbude auch nicht notwendig sein. Viel interessanter findet er Urs' Wohnwelt. Seiner nicht unähnlich. Nur, dass der Berliner in einer Blockhütte haust, die jeden erdenklichen Luxus bietet.

Sam zieht die Augenbrauen hoch.

»Ich bin beeindruckt, was du aus unserem schlichten Appartement gemacht hast«, wendet er sich an den Bodybuilder.«

Dieser fasst das als Kompliment auf.

»Nicht wahr? Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, das zu arrangieren. Deine ist aber auch nicht schlecht. Ich liebe virtuelle Welten und Spiele. Vor allem World of Cyberdreams. Wollen wir zusammen mal einen Level spielen?«

»Ein anderes Mal gerne«, lehnt Sam das Angebot ab. »Jetzt muss ich mich erst mal um den Huber von AlpTourist kümmern. Sonst wird das nichts mit dem Wochenende.«

Urs nickt.

»Genau. Was du brauchst, ist das hier.«

Wieder greift er ein Objekt aus seiner Augmented Reality und wirft es Sam zu.

»Fährst du eigentlich alleine oder nimmst du jemanden mit?«, will Urs wissen, während Sam die App startet.

Interessiert schaut sich der Kalifornier nacheinander die verfügbaren Optionen an. Dann hebt er den Kopf. Urs‘ Ledersessel steht in Sams digital angereicherten Welt mitten auf einer Wiese. Ein Schmetterling mit blauen Flügeln sitzt auf der Lehne.

»Alleine. Es sei denn du hast Lust und kommst mit.«

»Tut mir leid, mein Freund, aber ich habe dieses Wochenende schon was Besseres vor. Da kannst du nicht mithalten.« Ein geheimnisvolles Lächeln spielt um seine Lippen.

»Verstehe. Ein echtes Date oder eines im Holoversum?«

Urs druckst etwas herum. Dann entschließt er sich, mehr zu erzählen.

»Ich habe in World of Cyberdreams ein Mädchen kennengelernt. Sie ist echt gut und ihr Avatar sieht voll krass aus.«

Sam schüttelt belustigt den Kopf. Nebenbei untersucht er Urs‘ App auf seine Fähigkeiten.

»Jeder kann sich in der virtuellen Realität einen geilen Avatar schnitzen. Das heißt gar nichts. Nicht mal, dass da wirklich ein Mensch dahintersteckt.«

Der Bodybuilder beugt sich mit einem selbstbewussten Grinsen im Gesicht vor. Der Schmetterling flattert verschreckt davon.

»Mich täuscht man nicht so leicht. Du hast natürlich Recht. Die Avatare im Cyberspace sind eine Wundertüte. Was drin ist, weiß man erst nach dem Öffnen. Deshalb habe ich mit ihr beim letzten WoC Spiel gewettet. Wenn ich gewinne, muss sie mir ein unmanipuliertes Selfie schicken. Rate mal, wer gewonnen hat.«

Sams Augenbrauen schießen nach oben.

»Hoppla, das sind aber keine legalen Methoden.«

Urs schaut seinen Zimmergenossen verwundert an.

»Aber Hallo. Natürlich ist das legal. Ich habe ihr ein Angebot gemacht und sie hat zugestimmt. Sie hätte auch nein sagen können.«

»Sicher ist es das«, erwidert der Kalifornier beiläufig ohne den Blick von den Daten abzuwenden. Seine Augen springen zwischen Codesegmenten und Symbolen hin und her. »Doch bei deiner App ist das definitiv nicht der Fall.«

Der Bodybuilder richtet sich in seinem Stuhl auf und lässt seinen Blick auf dem Kalifornier ruhen.

»Sag mal, bist du wirklich so naiv oder tust du nur so? Natürlich ist das Tool illegal. Anders geht das doch nicht. Auf jeden Fall war ich schon mal auf der Zugspitze. Aber du wirst nie dahin kommen, wenn du weiter so moralisierst.«

Urs hat Recht, pflichtet ihm Sam in Gedanken bei. Legal ist so einem Regelwächter wie Huber nicht beizukommen. Um da was zu bewirken, muss man direkt in dessen Datenstruktur eingreifen. Dazu muss man erst mal zu dem Speicherort vordringen. Behördendaten werden von ausgeklügelten Sicherheitsprogrammen geschützt. Diese zu umgehen ist kein Kavaliersdelikt. Deren Daten zu manipulieren noch weniger.

Sams digitaler Assistent meldet sich zu Wort. Aus dem Nichts materialisiert sich ein Androide mit angedeuteten weiblichen Zügen und metallischer Oberfläche in einem warmen Goldton. Ihre Augen schimmern blau. Mit einem Nicken erteilt er der Roboterfrau das Wort. Kritisch verfolgt Urs den Vorgang.

»Darf ich daran erinnern, dass das technische Vermögen, Regeln und Gesetzte zu umgehen, jemanden noch lange nicht das recht dazu gibt, es zu tun.« Die Stimme der Androidin klingt weich mit einem synthetischen Akzent.

»Ha, dass ich nicht lache.« Urs klatscht mit den Händen auf die Lehnen. »Genau darum geht es ja. Die Gesetze sind nicht fair.«

Die Assistentin wendet sich ihm zu. »Doch. Der Platz auf dem Gipfel ist nun mal begrenzt. Es können nicht alle Leute gleichzeitig da rauf. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.«

»Sam, wo hat dein Homunkulus seine Daten her? Das stimmt doch hinten und vorne nicht.«

Der Kalifornier hebt die Augenbrauen und schaut Enola an. Die Frage bleibt unausgesprochen im Raum.

»Es stimmt. Die Behörden vergeben die Plätze nach einem Bewertungsschema«, gibt sie zu. »Darin gehen verschiedene Faktoren ein. Unter anderem, wie oft man schon da war und zeitliche Alternativen. Die Reihenfolge der Anmeldung ist nur ein Kriterium von vielen. Das ist so ähnlich wie mit der Kreditvergabe. Ein Algorithmus entscheidet, was man zu welchen Konditionen bekommt oder nicht. Niemand kommt auf die Idee, dieses Verfahren in Frage zu stellen.«

»Pfff«, macht Urs, »das ist doch nur offizielles Behördenblabla. Das hat nichts mit der Realität zu tun. Jeder weiß doch, dass da noch ganz andere Parameter mit einfließen.«

Der Berliner wendet sich seinem Zimmergenossen zu. »Hey, du lässt dich doch von so etwas nicht beeinflussen. Falls ja, habe ich dich völlig falsch eingeschätzt. Enttäusch mich jetzt bloß nicht.«

Diesmal ist es die Androidin, die einen fragenden Blick auf Sam wirft.

»Schon gut, Enola. Wir können ihm vertrauen. Du kannst offen sprechen.«

»Was ...?«, schießt Urs hoch.

Knarzend geht der Stuhl in seine Ausganglage zurück. Die Androidin geht ein paar Schritte, begleitet vom leisen Surren virtueller Elektromotoren. Vor dem Bodybuilder bleibt sie stehen. Ihre Blicke verhaken sich.

»Sie haben vollkommen recht Herr Schweizer. In Europa ist es wie überall auf der Welt. Der wichtigste Faktor in dem Algorithmus ist der Citizen Score. Je höher der ist, desto schneller bekommt man, was man möchte.«

»Ha, ich wusste es«, triumphiert der Berliner. »Je angepasster man lebt, desto mehr wird man vom System bevorzugt. Deine - wie heißt sie noch? - Enola ist die schlauste Cyberassistentin, die mir je begegnet ist. Alle Achtung Sam, die hast du gut ausgebildet.«

Enola bedankt sich mit einem Flirtblick und streicht ihm über die Wange, während sie sich Sam zuwendet.

»Soll ich dir helfen?«

»Programmanalyse«, nickt ihr Meister.

Innerhalb weniger Sekunden füllt sie die friedliche Flusslandschaft mit Codefenstern, Diagrammen und Symbolen für Hilfsprogramme. Sam geht herum und schaut sich die Anmerkungen seiner Assistentin zu den verschiedenen Befehlszeilen an. An einer Stelle bleibt sein Blick hängen.

Er winkt Urs heran und deutet mit dem Finger darauf. »Dein Programm stammt aus der Kodierfeder eines Profis. So viel ist sicher. Schau mal hier. So programmiert einer, der weiß, was er tut.«

Der Bodybuilder geht los, um sich die Passage genauer anzusehen. Dabei macht er einen Bogen um Enola und wirft ihr einen abschätzenden Blick zu. Sie lächelt mehrdeutig.

»Eine wirklich interessante Assistentin hast du da. Das ist definitiv nicht Standard. Schade, dass sie nur virtuell existiert.«

Da Sam nicht antwortet, schaut er sich den Abschnitt an. Stirnrunzelnd hebt er den Kopf.

»Ich verstehe von solchen Sachen nicht viel. Ich bin kein Programmierer, sondern Anwender. Wieso probierst du die App nicht einfach aus? Dann siehst du schon was sie kann. Vom Anschauen alleine wirst du jedenfalls nie herausfinden, ob sie was taugt oder nicht.«

»Du hast recht. Aber bei einem Eingriff in Behördendaten kann man nie vorsichtig genug sein. Um so ein Programm beurteilen zu können, braucht es jahrelange Erfahrung und ausgefeilte Analysewerkzeuge. So wie meine.«

Urs lehnt sich zurück und schaut seinen Zimmergenossen von oben herab an.

»Aha.«

»Ja«, erwidert Sam trocken, Urs presst die Lippen zusammen. Der Kalifornier sieht darüber hinweg.

»Programmstart vorbereiten«, kommandiert er seine Assistentin. Hier und da greift er mit Befehlen und Gesten korrigierend ein. Als sich eine Hand schwer auf seine Schulter legt, hält er inne. Urs dreht ihn zu sich herum. Sam versucht sich dem Druck zu widersetzten, aber gegen diese Kraft ist er chancenlos. Hinter Urs scheint sich ein Unwetter zusammenzubrauen.

»Jetzt hör mal gut zu Häuptling staubiger Windhund. Du ziehst hier eine imposante Show ab«, knurrt er. »Aber mich führt man nicht so leicht hinters Licht. Wir reden hier von der besten App, die man in Europa kriegen kann. Ich habe eine Menge Geld dafür bezahlt und sie bestimmt schon dutzende Male eingesetzt. Ohne die geringsten Probleme. Und da kommst du mit deinem großspurigen Getöse daher und spielst dich als Fachmann auf. Für wen hältst du dich?«

Sam hebt beschwichtigend die Hände: »Schon gut, beruhige dich. Ich bin nur vorsichtig.«

Er schüttelt Urs' Hand ab und startet die App. Gespannt schaut er auf seine Wächterprogramme. Seine Stirn wirft Sorgenfalten. Nichts rührt sich. Schließlich konfiguriert er die Behördendatenbank um und verwischt seine Spuren mit Enolas Hilfe. Zu guter Letzt erscheint die Genehmigung als digitales Zertifikat in ihrer Augmented Reality.

Noch bevor Sam reagieren kann, greift sich Urs das Dokument. Sein Blick ist eindeutig: Siehst du, ich hab’s dir doch gesagt.

Der Kalifornier zuckt die Schultern und beendet das Programm.

»Nimm’s mir nicht übel, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellan ...«

»Unerwartete Aktivitäten«, unterbricht Enola.

»Daten blockieren und Programm einfrieren«, befiehlt Sam.

»Was bedeutet das?«, fragt Urs und greift sich an den Kopf. Warnsymbole blinken auf und Datenfenster öffnen sich. Der triumphierende Blick des Berliners ist echter Besorgnis gewichen. »Jetzt sag schon«, drängt er seinen Zimmergenossen zur Eile. Er stößt einen Fluch aus, als die Genehmigung in seinen virtuellen Händen beginnt sich aufzulösen.

Währenddessen schiebt der Kalifornier Symbole auf einem virtuellen Bildschirm hin und her. Seine Bewegungen sind schnell und zielorientiert. Datenpakete flirren durch die Luft. Flüsternd erteilt er Enola Anweisungen. Nichts scheint die Konzentration der beiden stören zu können. Die virtuelle Welt hält den Atem an.

Die Zugspitzbesuchserlaubnis stabilisiert sich. Mit einem Hieb auf ein Okaysymbol beendet er seine Aktion. Urs holt tief Luft.

»Mann, was war da los? Zum Glück ist die Genehmigung dageblieben.«

Sam hebt den Kopf. Sein Blick ist ernst

»Dein Programm, in das du so viel Geld investiertest, funktioniert. Es tut, was es soll, und ist echt gut darin. Allerdings spioniert es dich aus. Es schickt die Daten an jemanden. Ich kann dir nicht sagen an wen, aber es ist bestimmt nicht die Heilsarmee.«

Der Bodybuilder zuckt zurück. »Was? Das ist ja ungeheuerlich.« Dann ballt er die Hände zu Fäusten. »Wenn ich den Kerl erwische, breche ich ihm sämtliche Knochen. Kannst du ihn aufspüren?«

»Ich denke schon. Zum Glück hat Enola aufgepasst und die sensiblen Daten zurückgehalten. Wir haben ihm nutzlose Informationen geschickt mit einem Köder. Wenn er anbeißt, haben wir ihn.«

»Gut«, brummt der Berliner. »Na, wenigstens hast du die Genehmigung«, stellt er fest und wedelt mit dem Dokument in der virtuellen Luft herum. Ohne mein Programm wärst du immer noch meilenweit davon entfernt, den höchsten Berg Deutschlands zu sehen.«

»Es gibt auch noch andere Alternativen«, entgegnet Sam lächelnd.

»So, welche denn?« Gespannt beugt Urs sich vor.

»Zum Beispiel ein virtueller Besuch.«

Der Berliner bricht in schallendes Gelächter aus. »Das ist nicht dein Ernst. Das kann man nie und nimmer mit einem Besuch vor Ort vergleichen. Keine Gefühle, keine Gerüche, kein Geschmack. Das ist doch todlangweilig.«

Sam lächelt selbstbewusst und schweigt, was die Neugier des Berliners weckt. Aufmerksam beobachtet er das Gesicht seines Zimmergenossen.

»Was verbirgst du vor mir?«, will er wissen.

»Wart’s ab.«

 

9. Selbsthilfe

  1. Selbsthilfe

Luca macht halt vor einer Wand. Sie ist blau und erstreckt sich von seinem Standpunkt aus nach links und rechts ins Unendliche. Direkt vor ihm prangt das Logo der Versicherung. Darunter sticht der Iris-Scanner wie ein Zyklopenauge hervor. Er zählt nicht mehr, wie oft er schon den Scanner austricksen wollte. Anfangs hasste er ihn. Mit der Zeit wurde er für ihn der Inbegriff von emotionsloser Bösartigkeit. Aber Gefühle helfen hier nicht weiter. Luca lernte, sie zu kontrollieren. Mittlerweile lässt er den Scanner unter dem gleichen Mangel an Gefühlen leiden.

Langsam verwandelt sich seine menschliche Gestalt in einen Serviceroboter. Er geht drei Schritte nach rechts, dreht sich wieder der Wand zu um und marschiert direkt in sie hinein.

Nachdem Luca sich den Zugang zum Cyberspace der Angestellten beschafft hatte, war es ihm gelungen herauszufinden, wie der Serviceroboter auszusehen hat. Trotzdem bedurfte es zahlreicher Versuche und Abwandlungen, bis er die genaue Konfiguration hinbekam. Heute gleitet er zum ersten Mal unbeanstandet durch die Wand, der Höhepunkt seiner besessenen Arbeit. Ein Hochgefühl breitet sich in ihm aus.

Luca muss blinzeln. Er ist überrascht von dem hellen Licht und der geschäftigen Betriebsamkeit im Holovers der Versicherung. Avatare laufen emsig umher, Datenpakete sausen durch die Luft und alle möglichen Dienste und Programme bieten sich an oder führen Aufträge aus.

Er weiß, was er will, hat aber nur eine ungefähre Vorstellung, wie er es erreichen kann. Schließlich war er noch nie hier. Dank seiner Recherchen verfügt er über genug Informationen, um sich zurechtzufinden. In seiner Umgebung sind dutzende Serviceroboter, die aussehen wie er. Deshalb beschließt er, vorerst diese Gestalt beizubehalten.

Luca macht sich auf zum Rechenzentrum. Dort angekommen wird er von zwei Sicherheitsdroiden aufgehalten. Die beiden sehen nicht nur einschüchternd aus, sondern sind eine ernstzunehmende Gefahr. Eine ihrer Aufgaben ist es, beim geringsten Zweifel möglichst viel Code von dem beanstandeten Programm sicherzustellen. Je mehr sie davon bekommen, umso einfacher ist es für die Versicherung, die Identität des Eindringlings festzustellen.

Luca zeigt seinen vorbereiteten Auftrag. Während der eine ihn sorgfältig überprüft, lässt ihn der Andere nicht aus den Augen. Unterdessen wagt Luca nicht die kleinste Bewegung. Schließlich geben sie ihr Okay und lassen ihn passieren.

Sein selbsterteilter Auftrag besteht darin, das Backup zu inspizieren. Das verschafft ihm einen Überblick über die Dateistruktur und Zeit, um mehr Informationen zu sammeln. Endlich findet er die gesuchte Datei. Er öffnet sie, nimmt eine kleine Änderung vor und speicherte sie wieder ab. Jetzt muss er nur noch das Original beschädigen, damit die Datei mit Hilfe des Backups vom automatischen Reparaturprogramm wiederhergestellt wird. Das ist ein unauffälliger Routinevorgang. Das Problem ist, an die Originaldatei heranzukommen. Dazu braucht er einen anderen Auftrag. Es würde dauern den zu generieren. Das stört ihn nicht. Luca hat auf diesem Trip genug Informationen gesammelt. Er kann jederzeit wiederkommen.

 

***

 

Lucas Vater kratzt sich am Kopf. Er sitzt am Küchentisch und beugt sich tief über das e-Papierdokument. Er weiß nicht, was er davon halten soll. Entweder ein schlechter Scherz oder ein Wunder. Um an Letzteres zu glauben, hat er schon zu viel erlebt.

Giovanni stemmt sich vom Stuhl hoch. In der Hand das Schriftstück, den Blick starr darauf gerichtet, wäre er beinahe in seinen Sohn hineingelaufen. Erst im letzten Moment zuckt er zurück. Luca steht vor ihm, lässig an den Türrahmen gelehnt. Seine Lippen deuten ein Lächeln an.

»Wie lange stehst du schon hier?«

»Wollte mir gerade ein Bier holen. Du warst so in das Dokument vertieft, dass ich dich nicht stören wollte.«

Giovanni betrachtet seinen Sohn. Er schaut ihm tief in die Augen. Wortlos übergibt er ihm das Schriftstück.

Luca runzelt die Stirn. Den Blick auf seinen Vater gerichtet.

»Was ist das?«, erkundigt er sich.

»Von der Versicherung«, murmelt Giovanni. »Lies es.«

Luca senkt den Blick auf das e-Papier. Er weiß, was drin steht. Trotzdem tut er überrascht.

»Mama«, ruft er mit einer Stimme, dass das ganze Haus erzittert. »Komm schnell. Die Versicherung hat uns geschrieben, dass sie alle sportlichen Einschränkungen für mich zurücknehmen. Und nicht nur das. Sie entschuldigen sich für das Versehen und zahlen die zu viel gezahlten Beiträge mit Zinsen zurück.«

Chiara kommt aus dem Wohnzimmer angeschossen. Mit offenen Augen starrt sie auf das Dokument, das ihr Luca hinhält. Dann stößt sie einen Freudenschrei aus und hüpft vor Aufregung auf und ab. Ihre Locken lassen sich davon anstecken und springen mit ihr um die Wette.

»Ich glaube nicht an Wunder. Nicht an solche«, murmelt Giovanni und schüttelt den Kopf.

»Ich schon«, widerspricht sein Sohn. Endlich haben sie ihren Fehler eingesehen. Endlich!«

 

10. Vorsehung

  1. Vorsehung

»Wer ist das?«, erkundigt sich Vilca ohne die Person ihres Interesses aus den Augen zu lassen.

»Wer?«, fragt Miriam, dem Blick ihrer Freundin folgend.

»Na, der Junge da drüben bei der Säule. Der ist total weggetreten. Ich möchte wissen, womit der sich so intensiv beschäftigt, während alle anderen Party machen.

Miriam folgt ihrem Blick.

»Ach der. Ja, der ist mir auch schon aufgefallen. Hat sich mal wieder total abgeschottet.«

»Sein Statusetikett zeigt nur seinen Namen und, dass er Computerwissenschaften studiert. Sonst nichts«, bemerkt Vilca und runzelt die Stirn. Ein Gedanke schießt ihr durch den Kopf. »Weißt du etwa mehr über ihn?«

»Ja«, antwortet Miriam geheimnisvoll lächelnd. »Samuel Lee ist vor ein paar Wochen aus Kalifornien gekommen, um hier zu studieren. Seine Mutter stammt aus Deutschland. Sein Vater gehört zum Stamm der Navajos.«

»Woher weißt du das alles?« Vilca stellt sich hinter ihre Freundin und beobachtet den Amerikaner über deren Schulter hinweg. Sie deaktiviert ihr ViDA, um ihn so zu sehen, wie er wirklich aussieht. Der Pferdeschwanz und die schwarzen Haare sind echt, stellt sie fest. Die lässige Kleidung auch. Mit präzisen Gesten manipuliert er irgendwelche Daten, die nur er sehen kann.

Miriam schaut ihre Freundin neugierig an. »Sag mal, du interessierst dich doch nicht für ihn, oder?«

»Nein«, antwortet die Sängerin wie aus der Pistole geschossen. »Wie kommst du denn da drauf? Ich habe mich nur gefragt, was es so Wichtiges zu tun gibt, dass er sich mitten in der Party nur mit sich selbst beschäftigt. - Wie intensiv er seine Gestik einsetzt.«

Die brünette Jugendfreundin lässt sich nicht ablenken. Ihr Blick ruht auf der Sängerin.

»Naja, sieht gut aus, groß, sportliche Figur, etwas Melancholisches um die Augen. Also, wenn ich nicht schon einen Freund hätte ...«,

Vilca wendet sich von dem Jungen ab und schaut ihre Freundin ernst an.

»Du, der hat während meines Auftritts die ganze Zeit nur mit ‚was-immer-das-ist' herumgespielt. Das ist doch nicht normal. Ich glaube, der hat mir gar nicht zugehört.«

Miriam kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie legt ihre Hand auf Vilcas Arm.

»Rede keinen Unsinn. Wenn du singst, hören alle zu. Kein Mensch würde sich das entgehen lassen.«

»Der schon. Ich glaube, der will von Mädchen überhaupt nichts wissen«, flüstert die Sängerin.« Nebenbei zieht sie ihre Freundin zur Seite, um sich vor ihren Fans zu verstecken. Das hier ist ihr zu wichtig. Sobald man sie entdeckt, ist es vorbei mit der privaten Unterhaltung.

»Außer seinem Namen gibt er im Cyberspace nichts von sich preis«, bleibt Vilca beim Thema. »Jetzt sag schon, woher du das alles über ihn weißt«, drängt sie.

Sie muss sich zusammenreißen, um sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen. Miriam schaut sie mit großen Augen an.

»Da ist aber eine neugierig. Mir kannst du nichts vormachen«, grinst sie verschwörerisch. »Ich sehe es an deinen Augen.«

Vilca verzichtet auf eine Antwort und mahnt ihre Freundin stattdessen mit einem ungeduldigen Gesichtsausdruck.

»Ich weiß es von ihm«, klärt Miriam die Sache endlich auf.

»Du hast mit ihm gesprochen?«, staunt Vilca.

»Ja, stell dir vor. Er aß alleine in der Mensa. Da habe ich mich zu ihm gesetzt und ein paar Worte mit ihm gewechselt. Sehr gesprächig ist er nicht.«

»Ich verstehe ...« Weiter kommt sie nicht. Sie sind entdeckt worden. Ihre Fans stürmen auf sie ein und fordern mit Nachdruck die Aufmerksamkeit der Sängerin. An die Weiterführung der Unterhaltung ist vorerst nicht zu denken.

Die nächsten Minuten ist Vilca mit Smalltalk und Autogrammgeben beschäftigt. Sie wird mit Komplimenten überschüttet. Man lobt ihren Auftritt, wie gut ihr Kleid mit ihren Augen harmoniert, ihre Flechtfrisur und dass sie mal wieder der Star des Semesterfests ist. Die Begeisterung ihrer Fans kennt keine Grenzen.

Im Gegenzug wird von ihr Aufmerksamkeit erwartet, und sei es nur ein flüchtiger Blick zu jedem. All das wickelt sie routinemäßig ab.

In Gedanken ist sie bei dem Schwarzhaarigen. Irgendetwas an ihm zieht sie an, aber sie kann nicht sagen, was. Vielleicht die Art, wie er seine Haare mit einer Lederschnur gebändigt hat. Oder das Animalische. Sie fühlt sich regelrecht herausgefordert, weil der Fremde sie nicht beachtet.

Vilca ist es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. So wie jetzt. Am liebsten würde sie einfach zu ihm hingehen und ihn ansprechen. Die Sängerin beschließt, das nicht nötig zu haben. Zu ihrem Weltbild gehört, dass die Jungs die Initiative ergreifen. Darüber hinaus möchte sie im Moment keine Aufmerksamkeit erregen. - Seltsam, grübelt sie, seit wann stört es mich, was andere über mich denken?

Ein hochgewachsener Blondschopf pflügt sich selbstbewusst durch die Menge. »Hi Darling, deine Performance war Weltklasse«, begrüßt er sie mit englischem Akzent.

Besitzergreifend legt er seinen Arm um die Sängerin und gibt ihr einen satten Kuss auf den Mund. Vilca war so in Gedanken versunken, dass sie ihren Freund Rob erst jetzt bemerkt. Sie zuckt regelrecht zusammen, als er sie so unvermutet vereinnahmt. Vilca erwidert die Umarmung, lächelt ihn an und lässt sich von ihm an einen Tisch zu seinen Freunden führen.

 

11. Nur ein neuer Tanzpartner?

  1. Nur ein neuer Tanzpartner?

Einige Wochen später ist Vilca keinen Schritt weitergekommen. Die Sache mit diesem Amerikaner lässt sie nicht los. Sie stand ein paar Mal kurz davor, ihn anzusprechen. Jedes Mal kam etwas dazwischen.

Einmal hatte sie sogar absichtlich ihre Tasche neben ihm vergessen. Anstelle es zu bemerken und sie zu ihr bringen, blieb er einfach sitzen und spielte weiter mit seinen virtuellen Daten. Noch immer fragt sie sich, was er da treibt.

Zu seiner Ehrenrettung muss sie zugeben, dass er nicht viel Zeit hatte, zu reagieren. Miriam hatte die alleinstehende Tasche kurz darauf bemerkt und ihr gebracht. Als Folge ihres frustrierten Blicks hatte ihr Miriam Hilfe angeboten. Sie hatte dankend abgelehnt.

Mittlerweile erwägt sie ernsthaft, das Angebot ihrer Freundin in Anspruch zu nehmen. Wo ist sie überhaupt? Und diesen Sam hat sie heute auch noch nicht gesehen. Donnerstags sollte er eigentlich hier sein. Schlecht gelaunt verbringt sie fast den ganzen Tag an der Uni. Später lässt sich dann von einem selbstfahrenden Elektrotaxi zu ihrer Tanzschule fahren.

Dort wartet eine Überraschung auf sie. Ihre Laune bessert sich schlagartig, als ihr die Tanzlehrerin Samuel Lee vorstellt.

Das Arrangement sieht vor, dass die Schule einen Tanzpartner für Vilca stellt. Alle Versuche, einen dauerhaften Tanzpartner zu finden, sind bisher gescheitert. Trotz des Überangebots an Jungs um sie herum brachte bisher keiner die Disziplin auf, ihr professionelles Training über längere Zeit durchzuziehen. Dass die Tanzschule Sam engagierte, bedeutet, dass er wirklich gut sein muss. Das hofft sie zumindest.

»Was ist denn mit Miguel?«, fragt sie ihre Tanzlehrerin.

»Miguel hat sich heute Morgen krankgemeldet. Ich fürchte, es ist etwas Ernstes. Zum Glück bewarb sich vor ein paar Wochen Sam als Hospitant bei uns. Sonst hätten wir heute ein Problem gehabt, einen geeigneten Partner für dich zu finden.«

Ja, was für ein Glück, stimmt Vilca in Gedanken zu. Das verspricht eine aufregende Stunde zu werden.

»Das tut mir leid für ihn. Bitte richte ihm aus, dass ich ihm gute Besserung wünsche«.

Es tut ihr tatsächlich leid um Miguel, trotzdem kann sie ihre Vorfreude auf das Tanzen mit Sam kaum verhehlen. Ein Gefühl wie Schmetterlinge im Bauch breitet sich in ihr aus.

Auch Sam wundert sich über seine neue Tanzpartnerin. Als leidenschaftlicher Tänzer wollte er in Deutschland nicht aus der Übung kommen. Normalerweise hätte er das auch als eine gute Gelegenheit betrachtet, Mädchen kennenzulernen, aber im Moment steht ihm nicht der Sinn danach. Ihm geht es nur ums Tanzen.

Verdutzt stellt er fest, dass er das hübscheste Mädchen der Uni im Arm hält. Er kann kaum glauben, dass er ausgerechnet mit ihr seinem Lieblingssport nachgehen soll. Das Mädchen ist fast so groß wie er. Sam spürt sofort an der Körperspannung, wie ernst sie die Sache nimmt. Noch etwas fällt ihm auf: Ihren smaragdgrünen Augen scheint nicht die geringste Kleinigkeit zu entgehen.

»Naa, wie ist es, mal etwas anderes als virtuelle Objekte in den Händen zu halten?«, fragt sie ihn unerwartet.

Mit allem Möglichen hat er gerechnet aber nicht damit. Diese Ansage bringt Sam so aus dem Konzept, dass er seinen Einsatz verpasst.

Es stimmt. Er hat tatsächlich in letzter Zeit intensiv an der Weiterentwicklung seiner Gehirn-Computerschnittstelle für das Holovers gearbeitet. Praktisch jede freie Minute. Vilcas Worte öffnen ihm die Augen. Kein Wunder, dass er sich schwertut, Anschluss zu finden.

Bemerkenswert ist allerdings, dass es ihr aufgefallen war. Er schenkte der Sängerin kaum Beachtung. Sie zieht so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass es auf einen mehr oder weniger sowieso nicht ankommt. Außerdem sah er sie nur als ein typisches It-Girl, das von einem halben Indianer aus dem staubigen Kalifornien sowieso nichts wissen will. Verschwendete er deshalb keinen weiteren Gedanken an sie?

Das fängt ja gut an, denkt Vilca. Sie kann sich eine Bemerkung über den verpatzten Einsatz nicht verkneifen. Übermütig lächelt sie ihn an.

»Ich sehe schon, ohne deine Augmented-Reality-Spielsachen fällt es dir schwer, dich zu konzentrieren. Oder lenk‘ ich dich zu sehr ab?«

Die ist ganz schön eingebildet, urteilt der Kalifornier.

»Entschuldigung«, ist alles, wozu Sam sich hinreißen lässt.

Vilca bereut sofort ihr provokantes Auftreten. Sams tiefe Stimme lässt sie innerlich vibrieren. Zu stolz, sich zu entschuldigen, schenkt sie ihm wenigstens ihr wärmstes Lächeln. Das verfehlt seine Wirkung nicht.

Sam ist nun konzentriert bei der Sache und leistet sich keinen weiteren Patzer. Vilca und Sam lernten Tanzen auf unterschiedlichen Kontinenten. Deshalb verfügen sie über ein unterschiedliches Repertoire an Figuren. Mit Hilfe von Vilcas Tanzlehrerin bekommen sie das schnell auf die Reihe. Das Mädchen ist von jeder neuen Figur begeistert. Sie lernt schnell. Einmal vortanzen reicht.

Sam verfügt über ein ausgeprägtes Gefühl für Rhythmus und Takt. Sein Vater sagte immer zu ihm, dass sei ein Erbe seiner indianischen Vorfahren. Vilca ist das erste Mädchen, das da mithalten kann.

Am Ende ihrer ersten Tanzstunde weiß Vilca bestens über seine persönlichen Verhältnisse und Vorlieben Bescheid. Sie weiß, dass er mit neun Jahren zu tanzen begonnen hatte, sein Vater von den Navajos abstammt, seine Mutter aus Freiburg kommt, er im siebten Semester studiert, und dass er Rocksongs und Balladen mag. Sein Lieblingsmusiker ist Joe Cocker. Seine Lieblingsfarbe ist Grün. Und sie brachte in Erfahrung gebracht, dass er sich mit seiner Freundin gestritten hatte, kurz bevor er nach Berlin kam.

Es wurmt sie allerdings, dass er nichts darüber erzählte, was er ständig in seiner virtuellen Blase treibt. Sie wüsste zu gerne, womit er sich so intensiv beschäftigt.

Sams Erkenntnisse fallen deutlich bescheidener aus. Immerhin fand er heraus, dass Vilcas Eltern die Firma »AnimalCreations« gehört, sie Biologie und Musik gleichzeitig studiert und dass er sie in Kürze wiedertreffen wird. Das Mädchen hatte sich mit einem »Bis Übermorgen, Sam« verabschiedet und verschwand so schnell wie ein scheues Reh, wenn ein Wolf auf der Lichtung aufkreuzt.

Der Student denkt noch eine Weile über seine neue Tanzpartnerin nach. Sie ist freundlich, unkompliziert und alles andere als eingebildet oder hochnäsig. Ein bisschen frech ist sie zwar, aber das kann man durchgehen lassen.

Obwohl er drei Jahre älter ist, kann das Energiebündel tanztechnisch mithalten. Lediglich bei den Standard-Tänzen ist er etwas besser. Die lateinamerikanischen liegen ihr im Blut. Die Tanzlehrerin sollte Recht behalten. Jeden zweiten Tag mit Vilca zu tanzen verspricht anstrengend zu werden. Trotzdem. Mit ihr über das Parkett zu schweben ist das reinste Vergnügen.

 

12. Annäherung

  1. Annäherung

Rob kommt schnell dahinter, dass Vilca einen neuen Tanzpartner hat. Er selbst hatte das auch versucht, gab aber bereits nach ein paar Wochen wieder auf. Ihm fehlt es an Talent und Ausdauer, um regelmäßig mit ihr diesen Sport zu betreiben. Bisher machte er sich über Vilcas Tanzpartner keine großen Gedanken. Bei Sam spürt er, dass etwas anders ist.

Rob ist nicht der Typ, der lange wartet. Kurzerhand stellt er Sam auf dem Uni-Campus zur Rede. Seinem Charakter entsprechend sucht er sich einen passenden Moment, um Sam vor Vilca bloßzustellen. Mit möglichst vielen Zeugen. Einen friedlicheren Ort hätte er sich dafür nicht aussuchen können: Auf der kleinen Wiese stehen Liegen und Bänke im Schatten der alten Linden.

Eine der Liegen ist von Sam belegt. Er geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach. Wie immer ist er darin so versunken, dass er Rob und sein Gefolge erst bemerkt, als der ihn anspricht.

»Sehr mutig von dir, dich auf meine Liege zu legen«, raunzt dieser ihn an.

Sam lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. »Deine Liege? Wo steht das? Gehört wohl eher der Uni.«

Rob baut sich breitbeinig vor Sam auf und verschränkt die Arme.

»Du verstehst wohl nicht, wie das hier läuft. Da du neu bist, erkläre ich es dir. Aber nur einmal. Also sperr deine Indianerohren auf und pass auf.«

Zwischendurch muss selbst jemand wie Rob Luft holen. Geduldig wartet Sam ab. Er ahnt, was kommen wird.

«Das hier ist mein Stammplatz und die anderen Sitzgelegenheiten sind für meine Freunde reserviert.«

Sam wirft einen kurzen Blick auf Vilca. Die bemerkt das und schaut zur Seite. Das nimmt er ihr nicht übel. Sie sind lediglich Tanzpartner. Mit wem sie befreundet ist, geht ihn nichts an.

»Kein Grund, mit mir zu streiten. Es gibt freie Plätze für uns alle. Niemand macht dir etwas streitig.«

»Ich glaube, du hast noch immer nicht verstanden. Für Primitivlinge wie dich gibt es hier keinen Platz. Also verschwinde.«

Sam weiß, dass es keinen Sinn hat nachzugeben. Typen wie Rob geben keine Ruhe, bis man ihnen ihre Grenzen aufzeigt. Obwohl der Campus lückenlos von Kameras und Drohnen überwacht wird, beschließt er das sofort zu erledigen. Was immer die Konsequenzen sind, alles ist besser als sich auf Dauer von ihm belästigen zu lassen.

»Ich denke nicht daran. Ich habe die gleichen Rechte wie jeder andere hier.«

Mehr braucht es nicht um Rob zu provozieren. Mit einem Knurren stürzt er sich auf Sam und versucht ihn von der Liege zu reißen. Doch Sam hat Erfahrung mit solchen Typen. Er rechnete mit einem Angriff: Blitzschnell rollt er sich seitlich von der Liege so, dass die Attacke ins Leere geht.

Von seinem eigenen Schwung getragen stürzt Vilcas Freund nach vorne auf die Pritsche. Nur mit Mühe kann er sich rechtzeitig abstützen. Ungeschickt stößt er mit dem Schienbein gegen die Kante. Der tollpatschige Angriff verbunden mit einem ‚Aua' entlockt seiner Gefolgschaft herzhaftes Gelächter.

Das stachelt Rob erst recht an. Er verzerrt sein Gesicht zu einer Fratze und geht mit Schlägen und Fußtritten auf den Kalifornier los. Der verteidigt sich eine Zeitlang, aber Vilcas Freund ist ein erfahrener Kampfsportler. Schließlich landet er einen Treffer an Sams Schläfe, der ihn zu Boden schickt. Obwohl der Kalifornier bewegungslos liegen bleibt, gibt ihm Rob noch einen Tritt in die Rippen. Als er zu einem weiteren Kick ausholt, packt ihn Vilca am Arm und reißt ihn zurück.

Es kommt immer wieder vor, dass sich Jungs wegen Vilca prügeln. Schon früh hatte sie es sich zur Regel gemacht, sich rauszuhalten. Für die groben Sachen hat sie ja Rob. Aber sie kann nicht zusehen, wie jemand, der wehrlos am Boden liegt, getreten wird. Noch dazu bei einem Jungen, der ihr etwas bedeutet.

»Hör auf, Rob«, beschwört sie ihn. »Du siehst doch, dass er bewusstlos ist und sich nicht wehren kann. Was soll denn das? Das hast du doch gar nicht nötig«.

Rob ist in Fahrt und verwaltet einen gehörigen Überschuss an Testosteron.

»Von dir lasse ich mir gar nichts vorschreiben«, schreit er und versucht ihr den Arm auf den Rücken zu drehen.

Mit der Anwendung seiner Judotechnik unterschätzt er seine Freundin. Diese befreit sich mit einer eleganten Drehung aus seinem Griff und kontert. Per meisterhaft ausgeführten Armhebel wirft sie ihn zu Boden. Obwohl der Grasboden den Sturz abfedert, bleibt er benommen liegen.

Vilca beugt sich über Sam, der gerade wieder zu Bewusstsein kommt.

»Ahh«, stöhnt er«, und greift sich an den Kopf. Dann sieht er Rob am Boden liegen. »Oh, wer hat den denn flach gelegt«?

Vilca sieht ihn besorgt an. »Bist du okay?«

Sam blinzelt. »Ich denke schon. Allerdings dröhnt mir der Schädel«.

»Kein Wunder«, stellt sie trocken fest. »Wenn du vorhast, dich weiterhin mit solchen Typen zu prügeln, solltest du besser vorher üben. Ich kann dir Lo Hoon Kwoons Dojo wärmstens empfehlen.«

Mittlerweile kommt der Sicherheitsdienst der Universität angelaufen. Der Trupp besteht aus einem Anführer in schwarzer, polizeiähnlicher Uniform und drei kräftig gebauten, humanoiden Robotern, die nicht so aussehen, als ob sie Spaß verstünden. Man fackelt nicht lange und nimmt Vilca, Sam und Rob kurzerhand mit. Jeder der Streithähne wird von einem Roboter am Handgelenk gehalten.

Die Aufzeichnungen zeigen schnell, dass Rob mit der Schlägerei anfing. Der versucht, sich herauszureden, und behauptet, dass er provoziert wurde, aber das interessiert den Präsidenten nicht.

Er zitiert die einschlägigen Regeln der Universität und betont die notwendige Strenge. Mit einer Weltbevölkerung von über elf Milliarden wird aggressives Verhalten nirgendwo toleriert. Der Leiter verkündet, dass er Rob im Wiederholungsfall von seiner Lehranstalt verweist.

Da sowohl Vilca als auch Sam auf eine Anzeige verzichteten, kommt Rob mit einhundert Stunden Sozialdienst und der Teilnahme an einer Aggressionsbewältigungstherapie noch gut weg.

Auf dem Weg nach Hause brütet Sam über Vilcas Rat. Einerseits widerstrebt es ihm wertvolle Zeit für Kampfsport zu verschwenden. Andererseits gerät er als Halbblut immer wieder in Situationen, in denen er sich verteidigen muss. Deshalb würde es nicht schaden, ein paar Tricks zur Selbstverteidigung zu kennen. Außerdem nagt Robs K.O.-Schlag an seinem Selbstbewusstsein.

Dass er im Dojo auf Vilca trifft, wundert ihn kaum. Ein wenig erstaunt ist er jedoch, dass ihr Training immer nach seinem stattfindet. So kann sie ihm ausführlich zusehen, wie er sich als Anfänger abmüht. Ob das Zufall ist?

Nach einigen Wochen ist sich Vilca noch immer nicht über ihr Verhältnis zu Sam im Klaren. Nachdem er nun auch mit regelmäßigem Kampfsporttraining begann, sehen sie sich fast jeden Tag. Trotzdem hat er sie noch nicht einmal gefragt, ob sie mit ihm ausgehen möchte. Das ist ihr noch nie passiert. Das kratzt an ihrem Stolz.

Anfangs wollte sie abwarten, ob er das Programm mit ihr länger als vier Wochen durchhalten würde. Der Rekord unter Tanzpartnern von der Uni liegt bisher bei knapp einem Monat. Jetzt tanzen sie schon über sechs Wochen zusammen ohne, dass etwas passiert ist.

Sie fragt sich, ob er es nicht heimlich mit seiner KI treibt. Er wäre nicht der Einzige, der heutzutage nur noch Cybersex mit Computergeschöpfen hat. Vilca zieht eine Schnute. Kann sie es mit einer intelligenten Computeranimation aufnehmen? Möchte sie das überhaupt? Diese Enola ist gefährlich perfekt.

Das Mädchen wirft einen Blick in ihren Ankleidespiegel. Sie hat mehr zu bieten als jede Cybertussi. Viel mehr. Sie ist ein Mensch aus Fleisch und Blut mit echten Gefühlen für Sam. Außerdem ist sie hochbegabt und steht kurz davor mit ihrer Gesangskarriere durchzustarten.

Sie dreht sich einmal um ihre Achse und streicht mit den Händen über ihr Designerkleid. Es passt wie angegossen. Vilca betrachtet ihr Ebenbild von unten nach oben. Hübscher als diese Enola ist sie allemal.

Die Sängerin schüttelt den Kopf, dass die Locken fliegen. Sie versteht nicht, wie jemand sie so lange zappeln lassen kann. So blind kann er doch nicht sein, dass er die Zaunpfähle, mit denen sie ihm winkt, nicht sieht.

Schließlich beschließt sie, den ersten Schritt zu unternehmen. Das hatte sie noch nie nötig. Für Sam wird sie eine Ausnahme machen. Am Wochenende geben ihre Eltern eine Party für Geschäftsfreunde. Dafür braucht sie ohnehin eine Begleitung. Nachdem mit Rob Schluss ist, lädt sie Sam ein und will ihn ihren Eltern vorstellen. Sie findet es passend, dass er für Rob einspringen muss. Er schuldet ihr das.

 

13. Sturm im Cyberspace

  1. Sturm im Cyberspace

»Hey, nicht so schnell«, beschwert sich Urs, der sich wie Aya müht, Sam zu folgen.

Sam lacht, dreht sich im Laufen um und ruft den beiden zu: »Das ist alles nur virtuell, befreit euren Geist, dann seid ihr genauso schnell wie ich.«

Er rennt so zielstrebig auf die Burgmauer zu, dass Urs befürchtet, Sam wird in sie hineinrennen und sich eine blutige Nase holen. Doch es kommt anders. Fasziniert beobachtet er, wie sein Zimmergenosse kurz vor dem erwarteten Aufprall springt und dann die Wand entlang nach oben weiterläuft. Einfach so, als ob die Gesetze der Physik für ihn nicht gälten.

Schließlich erreicht er selbst die Mauer, springt und landet hart auf seinem Hintern.

»Verdammter Mist. Das tut richtig weh!«, beschwert er sich. Das Gesicht schmerzverzerrt.

Aya versucht es gar nicht, sondern bleibt neben ihrem Freund stehen. Sie reicht ihm die Hand. Urs greift danach und zieht, die zierliche Aya fällt auf seinem Bauch. Stirnrunzelnd nimmt sie die Tatsache zur Kenntnis. Sie greift in seine dunkelbraunen Haare und ballt die Hände zu Fäusten.

»Au«, protestiert der Berliner, »das tut weh.«

»Im Ernst?«, lacht die Chinesin. »Stell dich nicht so an.«

Sam ist inzwischen auf dem höchsten Turm angelangt. Unter sich hört er Urs fluchen. Nicht die geringste Anstrengung ist ihm anzusehen. Er ist bestens gelaunt.

»Wird Zeit, dass du dich an die Möglichkeiten der virtuellen Realität gewöhnst. Solange du die gewohnten Regeln aus der realen Welt mitbringst, wirst du immer wieder auf die Nase fallen.«

Aya dreht sich auf den Rücken und schaut zu Sam hoch. Noch immer liegt sie auf ihrem Freund. Sie spürt dessen Muskeln durch seine Lederkluft und ihren Kampfanzug hindurch, während sie Sams Avatar betrachtet. In dieser Welt nennt er sich Cyclone.

Durchtrainiert und mit nacktem Oberkörper thront er auf der Spitze des Turms. Seine Haare hält ein Lederband im Zaum, seine Beine stecken in einer Lederhose mit Fransen. Als Schuhwerk benutzt er weiche Stiefel.

Als er die Arme ausbreitet, strömt etwas Magisches in die Welt. Man spürt seine Macht, dunkle Wolken ziehen auf und verdichten sich zu einem Wirbelsturm. Die Windhose berührt den Boden, der Trichter kommt auf sie zu. Der Wind zerrt an ihren Haaren. Die Luftmassen verhaken sich in Urs' Lederkluft.

Vorsichtshalber legt sie die Arme ihres Freundes um sich, damit er sie festhält. Wie real sich der Sturm anfühlt! Sie spürt den Regen auf der Haut. Es wird kalt.

So gelungen die Simulation ist, Aya findet, dass es jetzt reicht. Sam hat seinem Hackerpseudonym ausreichend Ehre gemacht. Sie schreit, so laut sie kann, aber bei dem Getöse ist sie sich nicht sicher, ob er sie hört.

»Hör jetzt auf, Cyclone. Wir glauben es Dir ja.«

Zur Antwort schickt der Gott Äolos einen Blitz nach unten, der in einen Baum neben Aya fährt. Es kracht und donnert. Sie schreit vor Schreck. Auch Urs zuckt zusammen.

»Hey, brich mir nicht die Rippen«, ermahnt sie ihn.

Es riecht nach Ozon, Rauch und verbranntem Holz.

»Jetzt habe ich aber genug«, schreit sie.

In ihrer Wut vergisst sie, darüber nachzudenken, was geht oder nicht. Wie aus ihren Rollenspielen in WoC gewohnt, formt sie mit den Händen eine Feuerkugel, die sie Cyclone entgegen schleudert.

Der ist davon so überrascht, dass er nicht versucht, sie abzuwehren. Die Feuerkugel trifft ihn mitten in der Brust. Vor Schreck taumelt er über die Brüstung und stürzt schreiend vom Turm. Doch er fängt er sich und landet elegant am Boden.

Seine Brust sieht übel verbrannt aus. Es riecht nach verkohltem Fleisch. Schlagartig ist der Sturm vorbei und es scheint wieder die Sonne.

»Das geschieht dir recht«, schreit Aya. »Ich hoffe, es tut ordentlich weh.«

Cyclone schaut herab auf seinen Avatar. Seine Wunde beginnt zu heilen. Innerhalb weniger Sekunden ist der Brandfleck verschwunden.

»Autoxa, ist dir klar, was gerade passiert ist?«

Aya ist immer noch so wütend, dass ihr gar nicht auffällt, dass er ihr Pseudonym aus WoC benutzt.

»Du hättest mich mit deinem Blitz beinahe gegrillt und hätte ich mir beim Sturz vom Turm das Genick brechen können.«

Der Windgott legt den Kopf schief und sieht sie noch eine Weile an, um ihr Zeit zu geben, das Ganze zu verarbeiten. Dann dämmerte es der Chinesin.

»Oooohhh, das war ja viel realer als alles, was ich bisher in der virtuellen Welt erlebt habe. Ich vergaß tatsächlich, dass alles nur eine Simulation ist.«

»Genau. Es hat sich gelohnt, unsere Avatare so aufwendig zu entwickeln. Verstehst du jetzt, warum wir Personenrepräsentatoren brauchen, die alle Funktionen des menschlichen Körpers nachbilden, von einem vollständigen Skelett mit Muskeln über Nerven und Organe bis zu einem Kreislauf mit Herz und Blutgefäßen?

Unsere Avatare sind Lichtjahre weiter, als die animierten dreidimensionalen Körper, die wir bisher als Präsenzsymbole im Holovers eingesetzt haben. Deshalb ist es dir möglich, wie in der realen Welt zu empfinden und deinen Avatar genauso zu steuern.«

In diesem Moment trübt ein Schatten Sams Freude. Er denkt wieder an Sophie. Schlagartig ist er zu Hause in Napa Valley im Krankenzimmer, als er sie zum letzten Mal sah. Er fragt sich, wie es gelaufen wäre, wenn er damals so eine Simulation gehabt hätte. Vielleicht wäre es dann nie zu dem Unfall gekommen.

Aufgrund Ayas Reaktion glaubt er, nun einen Entwicklungsstand erreicht zu haben, dass es reicht Sophie davon zu überzeugen sich ihre Adrenalinkicks in der virtuellen Welt zu holen. Er spürt, wie ein Lichtstrahl sein Herz erreicht und die Schatten vertreibt. Die Welt erscheint auf einmal heller und farbiger.

»Ja schon«, brummt Urs und reißt ihn aus seinem Tagtraum. »Trotzdem ist der Aufwand immer noch zu groß. Wir haben ja erlebt, dass deine Idee schon ganz gut funktioniert, mit elektromagnetischen Mikrofeldern das Gehirn zu stimulieren. Aber ...«

Der Bodybuilder schnippt mit den Fingern. Wie von Geisterhand verschwindet die virtuelle Welt und die drei finden sich in der physikalischen Realität wieder. Der Raum hat die Größe einer Turnhalle. Es gibt keine Fenster und die Wände sind in künstlichem Grün gestrichen. Der einzige Anhaltspunkt für die Augen sind ihre farbigen Anzüge.

So schnell Sams gute Stimmung aufpoppte, ist sie wieder weg. Getötet von Urs mit wenigen Worten. Am liebsten hätte ihm Sam eine geballert. Doch der Berliner fährt ruhig fort.

»Schau uns doch an. Wir hängen in unseren Spezialanzügen wie Marionetten von der Decke. Nur damit wir uns in der virtuellen Welt frei bewegen können, ohne uns in der realen blaue Flecken zu holen. Oder gar die Knochen zu brechen.«

»Sei nicht so streng mit Sam«, ermahnt Aya ihren Freund. »Immerhin bereitete uns seine Gehirn - Computer Schnittstelle das intensivste Spielgefühl, das wir jemals hatten.«

Sam betrachtet die zierliche Chinesin. Ihr enganliegender Anzug lässt keinen Spielraum für Interpretationen. Seiner aber auch nicht. Anders lässt sich die Druckstimulation der Haut nicht bewerkstelligen. Sich da reinzuzwängen ist jedes Mal ein Kraftakt.

Dazu kommt noch die Seilaufhängung. Diesen Aufwand tut man sich nicht einfach nebenbei an. Es ist nicht massentauglich, aber ernsthafte Cybernauten nehmen das gerne auf sich, wenn dafür das besonders tiefe Eintauchen in eine virtuelle Welt als Belohnung winkt.

Man nennt das ›Holovers‹. Künstliche Welten, deren Potenz lediglich den Einschränkungen der menschlichen Fantasie oder der Kreativkraft von Computeralgorithmen unterliegt. Je nachdem wer oder was sie schuf.

Aya wirft ihm ein aufmunterndes Lächeln zu. Das muntert den Erfinder nicht auf. Aber es festigt es seinen Entschluss. Die MOTRAQ Apparaturen zum Übertragen von Bewegungen sind einfach zu aufwändig. Dieses Problem muss er ein für alle Mal beheben. Es gibt nur eine Lösung für die vollkommene Verschmelzung der realen und der virtuellen Welt über das menschliche Gehirn.

Und er, Sam wird sie bauen. Koste es, was es wolle. Für die Chance, wieder mit Sophie zusammen sein zu können, ist er bereit, alles zu geben.

 

14. Cyberüberfall

  1. Cyberüberfall

Der Bezirk Neukölln ist seit jeher problematisch. Eine explosive Mischung aus Szenelokalen, durchgeknallten Künstlern und illegalen Aktivitäten aller Art. Die Armutskriminalität entwickelte sich mit der Zeit zu fest etablierten Berufszweigen. Es fällt auf, wenn Bewohner sich normal benehmen. Aber das gibt es in diesem Bezirk nicht. Die effizienzmaximierten und sozialnormierten Ameisen des Digitalkollektivs halten es hier weder aus, noch werden sie geduldet.

Städteführer, egal ob digital oder human, weisen auf die Gefahren in diesem Gebiet hin. Hierher kommt niemand, der nicht weiß, was er tut. Das ‚Gardengnome' ist einer der Gründe zu kommen. Es gehört zu den angesagtesten Clubs in Berlin.

Die Lokalität stellt eine Insel mit sicheren Hafen inmitten eines Ozeans dar, auf dem haushohe Cybererpressungs-Wellen und Drogenhandels-Orkane ihre Urgewalten austoben.

Wer die Schutzzone leichtsinnig verlässt, begibt sich in Gefahr. Ein Pärchen tritt ins Freie. Er ist mittelgroß, schlank und stellt zurzeit blonde Haare zur Schau. Die Menschen halten ihn für Anfang Zwanzig. Laut Geburtsurkunde ist er achtundvierzig. Sie ist zweiundsechzig mit dem jugendlichen Aussehen eines It-Girls.

Sie lernten sich auf der Tanzfläche kennen. Nicht zufällig. Ein Algorithmus errechnete, dass sie zusammenpassen. Sie mussten sich nicht einmal vorstellen und das peinliche erste Ansprechen übernahm auch die Dating-App. Sie gab ihnen auch die Anleitung für sämtliche Schritte bis zum ersten Kuss.

Das Programm konnte nicht ahnen, welches Unheil es für die beiden heraufbeschwor. Der Alkohol, die heiße Musik, kombiniert mit ihren Pheromonen taten ihr Werk. Sie mussten dringend nach draußen.

Ihre Schritte knirschen auf dem Kies. Die Luft ist kühl und es riecht nach Müll und menschlichen Ausdünstungen. Aber das stört sie nicht. Sie bleiben stehen und lassen ihren Trieben freien Lauf.

»Alter«, flüstert es hinter einem verrosteten Müllcontainer außerhalb der Sicherheitszone. »Noch zwei Schritte und ich hätte sie gehabt.«

»Voll krass. Mach näher ran«, drängt ihn sein Kumpel.

»Hey Alter, du hast null Peilung«, mault der Erste. Sein Markenzeichen ist ein Gerät so groß wie ein Aktenkoffer, das er auf dem Schoß balanciert und mit einem Stift bedient. »Chill down. Ich kann nicht näher ran. Diese Sicherheitseinrichtung ist vom Feinsten. Ein Wunder, dass sie uns noch nicht entdeckt haben.«

Nervös schaut er sich um. Jedes Mal, wenn er glaubt, das Surren einer Drohne zu hören, zuckt er zusammen.

»In der Tat«, brummt ein Dritter. »Wenn ihr zwei Dösbaddel nicht sofort die Klappe haltet, werden sie das mit Sicherheit. - Ruhe jetzt und Geduld. Die kommen schon. Das sagt mir mein Bauchgefühl.«

Alle drei tragen Tarnanzüge, Gesichtsmasken und Handschuhe, die schon über mehrere Generationen in Gebrauch sind.

In diesem Moment kommen ein paar dieser Stretchlimos aus dem vorigen Jahrhundert angefahren. Aus den Türen strömt eine Gruppe Best-Ager, unter ihnen ein betagter Sänger. Einer vom alten Schlag. Einer, der sich noch traut, die Regeln individuell auszulegen. An ihm haben sich die Vermarktungsstrategen des ewigen Jugendlichkeitsimperativs die Zähne ausgebissen. Die Spuren exzessiven Genusses von Sex, Drugs und Rock’n’roll trägt er wie eine Auszeichnung.

Der taghelle Platz vor dem Club bietet die perfekte Bühne für solche Auftritte. Das Pärchen fühlt sich von der ausgelassenen Gesellschaft gestört und zieht sich weiter in die Schatten zurück.

»Hast du’s?«, fragt der Zweite seinen Kumpel mit dem IMSI-Catcher.

»Na klar Mann. Bin doch kein Vollidiot«, nickt dieser. »Ich habe alle Drohnen voll korrekt neutralisiert und die SmartComs der Zielpersonen laufen jetzt über unsere Pikozelle.«

»Dann los«, befiehlt der Boss.

Die schnellen Schritte der Sicherheitsstreife bringen den Kies zum Knirschen. Wie üblich besteht das Team aus einem Menschen und einem Roboter als Partner. Breitbeinig platzieren sie sich vor dem Pärchen. Das Surren der Elektromotoren des Androiden erstirbt.

»Guten Abend Herrschaften. Sicherheitsdienst. Legitimieren Sie sich«, befiehlt der Humanoide.

Die frisch Verliebten zucken erschreckt zusammen. Hastig rücken sie ihre Kleidung zurecht. Der Frau schießt die Schamesröte ins Gesicht, was gar nicht so recht zu ihren neongrünen Strähnen passen will. Beide bestätigen mit einer Geste die Abfrage ihrer Identität. Automatisch werden die Daten mit ihren biometrischen Merkmalen abgeglichen.

Der Security Mann stellt eine ernste Miene zur Schau. Er ist groß, kräftig gebaut und hat etwas Militärisches an sich. Der Androide besticht hingegen mit nüchterner Mechanik. Seine humanoiden Züge sind nur angedeutet. Die funktional optimierte Kombination aus Karbonfasern, Hydraulik und Elektromechanik verleiht ihm die Aura einer eigenen Spezies.

»Herr Berger und Frau Müller: Sie wissen, dass sexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit verboten sind.«

»Was heißt hier sexuelle Handlungen?«, versucht sich der junge Mann zu verteidigen. »Wir haben uns lediglich geküsst. Außerdem kann man das hier im Schatten wohl kaum Öffentlichkeit nennen«, gibt er sich schlagfertig.

Der Wachdienstler zieht ihn am Arm. »Kommen Sie mal mit da rüber. Sie sind viel zu nahe am Rand des Sicherheitsbereiches. Meine Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass Ihnen nichts passiert.«

Das ertappte Paar folgt dem Rat und besiegelt damit endgültig sein Schicksal. Als sie den Fehler merken, ist es zu spät. Jemand drückt ihnen von hinten einen Stunner ins Genick und lähmt sie mit einem Elektroschock. Ihre Körper erschlaffen und sinken zu Boden.

Die Maskierten packen zu und ziehen sie in eine Art Unterstand als Sichtschutz vor unliebsamen Aufklärungsdrohnen. Der Boss baut sich vor ihnen auf und stemmt die Hände in die Hüften.

»Also ihr zwei Turteltäubchen es läuft folgendermaßen. Ich will eure Identität. Ihr könnt sie mir freiwillig geben oder ich hole sie mir mit Gewalt. Jeder Versuch, Widerstand zu leisten ist zwecklos. Wie ihr bestimmt schon gemerkt habt, seid ihr vollständig gelähmt. Das wird auch so bleiben, bis ich bekommen habe, was ich will.«

Während er das sagt, nehmen seine Helfer den beiden ihre ViDAs und ihre SmartComs ab. Die beiden Gefangenen blinzeln wütend, weil sie sich nicht wehren können.

Der Boss setzt sich eine der Brillen auf. Automatisch aktiviert sie sich und projiziert Daten auf seine Netzhaut. ‚Identifikation erforderlich' steht dort. Er geht neben Berger in die Hocke und packt ihn am Kragen. Dann zieht er sein Messer und hält es ihm an den Hals.

»Wenn ich gleich deine Lähmung aufhebe, gibst du mir dein Masterpasswort. Versuchst du zu schreien, bist du tot. Hast du mich verstanden?«

Der Boss sieht an Bergers Augen, dass der verstanden hat. Es wird keine Schwierigkeiten geben. Er nickt einem seiner Leute zu und der verpasst dem Gefangenen eine Injektion in den Unterarm. Nach ein paar Sekunden lässt die Lähmung nach.

»Das Passwort«, knurrt der Boss. Gleichzeitig drückt er die Klinge noch fester auf den Hals. Wieder einmal zeigt sein Talent, Leute einzuschüchtern, Wirkung. Berger verrät die Zugangsdaten. Seine Stimme zittert.

Erst danach wird ihm bewusst, was er gerade getan hat. In dem Versuch, die Situation noch zu retten, reißt er seinen ganzen Mut zusammen.

»Damit werden Sie nicht davonkommen.«.

»Aber sicher doch«, gibt sich der Boss gelassen. Trotz der Maske kann man sein herablassendes Grinsen spüren. »Ihr seid nicht die ersten und werdet nicht die letzten sein, deren Identität ich mir angeeignet habe.«

Mit diesen Worten setzt er ihm wieder sein ViDA auf. »Von jetzt an werde ich jeden deiner Schritte überwachen. Wenn du zur Polizei gehst oder irgendjemanden davon erzählst, muss ich leider eines deiner Verbrechen zur Anzeige bringen.«

»Da werden Sie sich schwertun. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.«

Der Boss schüttelt mitleidig den Kopf.

»Tststs. Wie naiv ihr Digitalbürger doch seid. Dank lückenloser elektronischer Datenverarbeitung und Totalüberwachung kann ich deinen gesamten Lebenslauf neu schreiben. Mal sehen, was wir da so haben. Wie würde dir eine Karriere als Verbrecher gefallen? Schon in der Schule mit Drogen gedealt, Mädchen vergewaltigt, Jugendknast und dann endgültig auf der schiefen Bahn gelandet.«

Berger muss schlucken.

»Das geht allein schon von meiner Persönlichkeit her nicht«, versucht er sich selbst Mut zu machen.

»Ganz im Gegenteil. In deinem Persönlichkeitsprofil steht, dass du zu Gewalt neigst und ein gestörtes Verhältnis zu sozialen Normen und Gesetzen hast. Ist alles schon vorbereitet. Ich brauche nur auf den Knopf zu drücken. Soll ich?«

Der Finger des Datenganoven schwebt über der virtuellen Entertaste.

»Nein, bitte tun Sie das nicht«, keucht Berger. Fieberhaft sucht er nach einem Ausweg. »Geht es um Geld? Ich gebe Ihnen, was Sie wollen.«

Das Grinsen des Bosses wird breiter.

»Natürlich geht es um Geld. Aber deins habe ich doch schon. Keine Sorge, ich nehme nicht alles auf einmal.«

Besorgt schaut Berger zu, wie sich der Dieb an seinem Konto bedient. Dann richtet dieser einen Dauerauftrag ein, der monatlich einen beträchtlichen Teil seines Gehaltes auf ein Konto überweist. Schließlich zaubert er noch einen Vertrag über Datenästhetik aus dem Nichts, den er in Bergers Namen unterzeichnet.

»Es muss ja alles seine Ordnung haben«, erklärt er an Berger gewandt. »Du kannst mir doch nicht einfach so Geld überweisen. Das würde sofort das Finanzamt auf den Plan rufen.«

Zufrieden schließt er alle offenen Dateien mit einer Geste und klopft seinem Opfer auf die Schulter.

»So das hätten wir. Solange du brav weiterarbeitest und mir mein Geld pünktlich überweist, verpflichte ich mich, stets für deine tadellose digitale Präsenz zu sorgen.«

15. Schlachtplan

  1. Schlachtplan

»Sam, sie rennen mir die Türe ein. Alle wollen deinen Brain-Field-Modulator haben.«

Der Kalifornier betrachtet nachdenklich seinen Freund. Wie gewohnt lümmelt Urs auf seinem Sessel mit den Füßen über der Lehne. Noch immer wirkt der Stuhl deplatziert auf Sams Wiese. Er selbst sitzt im Gras.

»Ich dachte, du findest ihn gar nicht so gut.«

Urs schüttelt den Kopf. »Da musst du mich missverstanden haben. Es ist tausendmal besser als alles, was es so gibt. Natürlich kann man noch das eine oder andere daran verbessern.«

Seine Augen suchen nach einer Reaktion in Sams Gesicht. Wie wird er reagieren? Bloß nicht die Laune verderben, sorgt sich der Berliner. Seinem Erfinderfreund scheint eine möglichst natürliche Gehirn-Computer Schnittstelle unheimlich wichtig zu sein. Wenn man es richtig anstellt, liegt hier die Chance für ein kleines Vermögen.

»Ich weiß nicht so recht. Im Moment ist es ein klobiges Monster und frisst Energie wie ein Schiffsdiesel Anfang des Jahrhunderts. Es kostet viel Zeit und Geld, so etwas produktionsreif zu machen. Lieber arbeite ich an einem neuen Konzept. Ich fürchte, dass der BFM in einer Sackgasse endet.«

Urs runzelt die Stirn.

»Vergiss das neue Konzept. Das hält dich nur davon ab, Geld zu verdienen. Darum kannst du dich kümmern, wenn du mit der derzeitigen Version ein Vermögen gemacht hast.«

Sam kräuselt die Stirn und legt seinen Kopf schief. Ein Schmetterling flattert herbei und setzt sich auf den Ledersessel. Offenbar betrachtet er ihn als seinen Lieblingsplatz. Urs schenkt seinem Besucher einen flüchtigen Blick.

»Komm schon Sam. Hier ist mein Vorschlag. Ich kümmere mich um die Produktion und den Vertrieb deines Cyberinterfaces. Das bringt Geld in die Kasse, das du dringend zur Verwirklichung deiner neuen Ideen brauchst.«

Der Schmetterling breitet seine Flügel aus und tut so, als gäbe es tatsächlich eine Sonne, die ihn wärmt. Sam ist nicht überzeugt. Er möchte nicht Zeit in etwas investieren, das bestenfalls einen Zwischenschritt darstellt. Seine Vision geht weiter. Viel weiter. Der Erfinder versucht noch einmal, seinen Zimmergenossen von der Idee abzubringen.

»Urs, das schaffst du nicht alleine. Selbst wenn Aya dir hilft und ihr beide das Vollzeit macht.«

Urs lächelt in sich hinein. Er mag den Kalifornier, aber Sam fehlt jeglicher Geschäftssinn. Immerhin hat er seinen Freund jetzt da, wo er ihn haben wollte. Der Rest ist nur noch eine Kleinigkeit, meint der Berliner.

»Natürlich nicht. Aber ich kenne die richtigen Leute. Zufälligerweise sind die alle bei der Party morgen dabei. Da können wir uns mit ihnen zwanglos darüber unterhalten.«

»Oh die Party«, stöhnt Sam. »Du weißt doch, dass ich keine Zeit für sowas habe.«

Urs blickt ihn skeptisch an und richtet sich umständlich auf. Der Lepidoptera flüchtet und flattert im Kreis, bis sich die Lage beruhigt hat. Dann lässt er sich auf Urs' Knie nieder. Der scheint das nicht zu bemerken.

»Sam, das kaufe ich dir nicht ab. Sei nicht so schüchtern. Lern' ein paar Leute kennen. Knüpfe Kontakte. Das ist immer nützlich. Netzwerken nennt man das.«

»Na schön«, gibt sich der Partymuffel geschlagen. »Apropos Zufall. Da ist nicht zufällig ein Neurologe dabei?«

Urs grinst über beide Ohren und klatscht in die Hände. »Aber sicher doch. Paul wird auch da sein. Du wirst ihn mögen.«

 

***

 

Urs hat nicht zu viel versprochen. Allein die Dekoration ist es Wert, zu kommen. Sam ist beeindruckt. Die Villa in Grunewald darf man ohne zu übertreiben, auch als ein kleines Schloss bezeichnen. Das Grundstück entspricht den Ansprüchen des Gebäudes. Es ist bereits dunkel, als sie ankommen. Überall glitzern Lichter. Fackeln weisen den Weg. Es spielt eine Liveband. Zwischen den Gästen tummeln sich als Kraken dekorierte Servierroboter und sorgen dafür, dass kein Wunsch unerfüllt bleibt.

Die Partyräumlichkeiten folgen dem Motto Tiefsee. Geschickt platzierte Lichteffekte und Projektionen perfektionieren den Eindruck, sich unter Wasser zu befinden. Die Bar erinnert an ein Korallenriff und statt der Decke spiegelt sich weit oben die Meeresoberfläche.

»Wolltest du mir nicht deinen Freund Paul vorstellen?«

Urs' Blick wandert suchend umher. Über ihnen zieht ein Megalodon vorbei. Sowohl der Urzeithai als auch der Berliner ignorieren sich gegenseitig.

»Allerdings. Keine Ahnung, wieso er nicht gekommen ist. Normalerweise versäumt der keine Party. Schon gar nicht eine wie diese. Ich weiß nicht, was mit dem los ist. Seltsam, wie er sich in letzter Zeit benimmt.«

»Wie meinst du das?«, will Sam wissen.

Seine Augen folgen einer Meerjungfrau, die ganz dicht an ihm vorbeischwimmt und ihm zuzwinkert. Hinter sich zieht sie eine Haarschleppe her, die kein Ende nehmen will.

»Naja so zurückgezogen. Geradezu abweisend. Echt merkwürdig ...«

Urs Blick erstarrt. Man sieht, wie ihn das Verhalten und Fehlen seines Freundes beschäftigt. Plötzlich fasst er einen Entschluss.

»Komm wir fahren zu ihm.«

»Jetzt?«, erstaunt sich Sam. »Es ist schon nach Mitternacht.«

»Wieso nicht? Jetzt ist er sicher zu Hause. Wir sind hier fertig und ich will wissen, was mit ihm los ist. Dass er nicht gekommen ist, macht mir echt Sorgen.«

 

***

 

»Wer ist da?«, will eine verschlafene Stimme wissen.

»Mach auf Paul. Ich bin’s. Urs.«

»Egal was es ist. Geh weg. Ich bin müde. Ich muss morgen früh raus«, tönt es dumpf von drinnen.

»Nein. Wir müssen reden. Ich gehe nicht, bevor du nicht die Tür aufgemacht hast.«

»Spinnst du? Komm morgen wieder. Oder besser übermorgen.«

Sam schaut seinen Freund vorwurfsvoll an. »Hör auf, ihn zu quälen. Denk an die Nachbarn. Mit deinem Sturmläuten weckst du das halbe Haus auf. Das gibt Ärger.«

Als hätten sie nur auf das Stichwort gewartet, öffnen sich just in diesem Moment die Türen rund um Pauls Appartement. Androiden treten heraus. Einer von ihnen eröffnet das Wort. Sam hegt den Verdacht, dass sie ihn per maschineninterner Abstimmung zum Sprecher wählten.

»Meine Herren, ich muss doch sehr bitten«, schnarrt der blecherne Hausdiener los. »Bitte beenden Sie unverzüglich diese Ruhestörung, sonst melde ich das der Polizei.«

Wenn sich Urs einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, lässt er sich nicht so leicht davon abbringen. Er zeigt dem Roboter die Zähne. Es schert ihn nicht, ob er das als Grinsen oder als Drohung interpretiert. Dann wendet er sich ab und hämmert mit der Faust an die Tür.

»Jetzt mach endlich auf. Wenn es nicht wichtig wäre, würde ich nicht um diese Zeit kommen.«

Sam ist das peinlich. Auf der Suche nach einem Fixpunkt fällt sein Blick auf das Türschild: Paul Berger. Die dazu gehörenden digitalen Ergänzungen weisen ihn als Neurobiologen aus. Sollte das der Experte sein, den er braucht?

»Wehe es ist nicht existentiell.« Schlurfende Schritte nähern sich. Dann geht die Tür auf. Paul wirkt verschlafen und das Arrangement seiner blonden Haare ist weit davon entfernt, sich Frisur nennen zu dürfen. Misstrauisch beäugt er Sam.

»Wer ist das?«

»Ein Freund«, erklärt Urs und schiebt sich durch die Tür. Paul fehlt bei weitem die Statur, um sich diesen Muskelbergen zu widersetzen. Ohne Gegenwehr lässt er sich zurückdrängen.

Sam sieht sich in der Wohnung um. Sie ist groß und stilvoll eingerichtet. Schwarz und weiß dominieren. Oder besser dominierten. Hier müsste dringend mal wieder saubergemacht werden, stellt der Erfinder fest. Überall liegen Sachen herum und wo früher Oberflächen spiegelten, liegt jetzt Dreck. Staubflocken wabern durch die Luft. Es muffelt nach körperlichen Ausdünstungen. Sams Geruchsinn beharrt darauf, dass irgendwo ein Käse vor sich hingammelt.

»Setzt euch«, lädt der unfreiwillige Gastgeber ins Wohnzimmer, während er sich der Länge nach auf die Couch fallen lässt. Sogleich fährt er wieder hoch und wischt mit Schwung T-Shirts, Hemden und Socken auf den Boden. »Bier ist im Kühlschrank. Du weißt ja, wo der steht.«

Während Urs Richtung Küche verschwindet, materialisiert sich Enola in Sams Augmented Reality. Nur für ihn sichtbar gibt sie ihm ein Zeichen. Er nimmt es stumm zur Kenntnis.

»Da ist kein Bier«, tönt es aus der Küche.

»Pech gehabt«, kommentiert Paul lapidar.

Urs baut sich vor seinem Freund auf und stemmt die Hände in die Hüften. »Was ist eigentlich mit deinem Hausdroiden?«

»Was weiß ich. Kaputt, Akku leer, abgehauen. Such dir was aus.«

Der Berliner betrachtet seinen Freund, als hätte dieser Mickey Mouse die Ohren abgeschnitten. »Paul, ich erkenne dich kaum wieder. Was ist denn los mit dir? Du kannst dich doch so nicht gehen lassen.«

»Kann ich, wie du siehst.« Paul schließt die Augen. »Also jetzt schieß los. Nütze die paar Sekunden, bevor ich wieder einschlafe.«

Angesichts der Lage entschließt sich Urs für einen Frontalangriff.

»Paul, das muss aufhören. Du musst wieder am Leben teilnehmen. Ich weiß auch schon wie. Sam braucht dringend jemanden wie dich. Er möchte die Schnittstelle zwischen Gehirn und Computern verbessern. Das könnte der Virtual Reality endgültig zum Durchbruch verhelfen.«

Paul schüttelt sich. Ein Schauer läuft seinen Rücken herunter.

»Geh' mir vom Acker mit diesem Mist. Von diesen Dingen habe ich die Nase voll.«

»Aber Paul«, versucht Urs seinen Freund zu motivieren. »Du bist Neurobiologe. Einer der Besten auf diesem Gebiet. Das muss dich doch interessieren.«

Für einen Moment scheint seine Neugier geweckt. Ein Funke Begeisterung blitzt in seinen Augen auf. Dann verzerrt sich sein Gesicht. Wütend dreht er sich zur Seite. »Verschwindet. Alle beide.«

Urs setzt zu einer Antwort an aber Sam unterbricht ihn. »Lass gut sein Urs. Es ist spät und dein Freund ist übermüdet. Lass uns gehen.«

Wieder holt Urs Luft, um etwas zu sagen. Sam schüttelt den Kopf und zieht ihn am Arm. »Wir kommen ein andermal, wenn er bessere Laune hat und die Luft wieder atembar ist.«

Ehe sich Urs versieht, sind sie draußen.

»Was sollte das Sam? Hast du den Verstand verloren? Du kennst Paul nicht. Wir waren kurz davor ihn zu überzeugen.«

»Nein waren wir nicht.«, schüttelt der Kalifornier den Kopf. »Ganz sicher nicht.«

»Aber ...«

»Ich erklär es dir später.« Sam wirft einen Blick über die Schulter. Nichts regt sich im Gang, oder doch? »Los komm, verschwinden wir von hier.«

 

***

 

»Was macht dich so sicher, dass Paul erpresst wird?«

»Enola, meine digitale Assistentin, hat es mit dreiundneunzig prozentiger Wahrscheinlichkeit errechnet.«

»Eh-no-la«, wiederholt Urs den Namen und betont dabei jede Silbe. »Also ich traue diesen Digital-Faktoten nicht.«

»Meine ist anders. Das ist kein nullachtfünfzehn Standard. Sie ist mein Werk. Ich habe sie selbst programmiert.«

Urs versucht, ihn mit seinen Augen zu durchdringen.

»Wir werden sehen. Wenn es stimmt, was du gesagt hast, ist er in ernsten Schwierigkeiten. Wir müssen ihm helfen.«

Sam bläst die Backen auf und lässt die Luft geräuschvoll entweichen. »Puh, das wird nicht so einfach. Da ist ein Profi am Werk.«

»Für den Schöpfer einer halbintelligenten KI kann das doch kein Problem sein. Ich bin mir sicher, dass du Paul helfen kannst.«

Bei dem Wort ‚halbintelligent' zieht Sam eine Braue hoch. Seine Gedanken kreisen jedoch um den Freund seines Zimmergenossen. Ein Neurobiologe ist genau das, was er braucht, um seine Gehirn-Computer Schnittstelle verbessern zu können. Er traut Urs zu, ihn zum Mitmachen zu überreden. Zum ersten Mal bekommt er eine Chance, seinen Traum zu verwirklichen. Diese auszulassen würde er sich nie verzeihen.

»Wäre es nicht besser, wir würden zur Polizei gehen?«, mischt sich Aya in die Diskussion ein.

»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Es gibt bestimmt einen Grund, warum Paul nicht selbst die Polizei eingeschaltet hat«, meint Urs.

Aya betrachtet ihren Freund eingehend. Dieser erwidert ihren Blick. Vertrau mir, ich kenne Paul schon seit ewigen Zeiten, sagen seine Augen. Ein blauer Schmetterling setzt sich auf ihren Arm. Sie ist zum ersten Mal, in Sams Virtual Reality zu Gast.

Die Chinesin ist fasziniert von der Mischung aus modernen und traditionellen amerikanischen Kulturelementen, mit denen der Kalifornier sein Ambiente gestaltet. Im Moment sitzen sie zu dritt auf einer Wiese um ein Feuer herum. Sie und Urs auf einem Ledersessel, Sam im Schneidersitz auf dem Boden.

Noch mehr bewundert sie, wie echt das alles wirkt. Das Feuer wärmt ihre Haut und es riecht nach Blumenwiese. Noch nie spürte sie derart differenzierte sensorische Wahrnehmungen. Sie empfindet diesen Ort als real und kann kaum glauben, dass sie in Wahrheit in Urs' Studentenbude sitzen. Für Aya ist die Welt perfekt und sie versteht nicht, was Urs und Sam glauben daran noch verbessern zu müssen.

Nachdenklich betrachtet sie den Schöpfer dieser künstlichen Welt. Mit T-Shirt, Jeans und Turnschuhen ist er gekleidet wie jeder andere. Nur seine Haartracht findet sie gewöhnungsbedürftig. Als Diplomatentochter kam sie schon viel herum, aber Männer mit Zöpfen kennt sie nur aus uralten chinesischen Büchern.

»Fragen wir doch Enola, was sie empfiehlt«, schlägt sie überraschend vor.

Urs beugt sich vor. Gespannt schauen alle auf Sam. Dieser zuckt die Schulter und aktiviert seine Assistentin mit einer Geste. Enola materialisiert sich aus dem Nichts neben ihrem Meister.

»Du hast die Frage gehört. Was ist das Beste für Paul?«

Der Blick von Sams Assistentin geht ins Unendliche, während sie eine Antwort berechnet.

»Ich habe zu wenige Daten für eine vollständige Analyse. Pauls Verhalten deutet auf starke Verzweiflung hin. Das heißt, jemand muss viel gegen ihn in der Hand haben. Er wird rund um die Uhr überwacht und kann deshalb nicht selbst zur Polizei gehen.
Ich vermute stark, dass der oder die Erpresser über umfassende Möglichkeiten verfügen, Daten zu manipulieren. Daher ist es nicht auszuschließen, dass es ihm schadet, wenn wir das der Polizei melden«.

»Du meinst also auch, wir sollen ihm helfen?«

Enola wendet sich Urs zu.

»Nein, das soll am besten ein professionelles Team machen. Eine der großen Agenturen, die sich auf Datenintegrität spezialisiert haben.«

»Das kostet ein Vermögen«, stellt Urs fest. Dabei sieht er Sam an. »Die Vorschläge deiner KI sind wenig praktikabel.«

»Deine finanziellen Mittel reichen tatsächlich nicht dafür«, erklärt Enola. Dabei blendet sie seinen exakten Kontostand ein. Urs bekommt große Augen.

»Keine Sorge«, beruhigt ihn die KI mit einem Mona-Lisa-Lächeln. »Der Betrag ist nur für dich sichtbar. Allerdings, wenn ihr drei zusammenlegt, könnte es reichen.«

Urs steht vor Staunen der Mund offen. Aya schaut irritiert. Sam grinst zufrieden.

»Doch vermutlich wird das nicht nötig sein. Erstens werdet ihr es doch versuchen, wie ich aus euren Persönlichkeitsprofilen entnehme und zweitens ist Paul sowieso unterwegs zu euch. In zweiunddreißig Minuten wird er da sein.

»Enola, ich hatte dich nicht autorisiert die Persönlichkeitsprofile meiner Freunde zu lesen!«, empört sich Sam.

Die KI zuckt mit den Schultern. »Aber du hast es mir auch nicht verboten.«

»Warte, warte«, bremst Urs. Sein Blick wandert zwischen Sam und der Androidin hin und her. »Das ist jetzt aber nicht echt. Das hast du doch irgendwo in deinem Programm als Subroutine eingebaut. Stimmt's?«

»Schon möglich«, konzediert Sam, um die Situation nicht weiter aufzuheizen. Das bringt ihm einen vorwurfsvollen Blick seiner digitalen Assistentin ein.

»Sam, deine KI ist wirklich beeindruckend. Aber ich möchte, dass du ihr sagst, dass sie in Zukunft die Finger von meinen persönlichen Daten lassen soll.«

»Meine auch«, wirft Aya ein.

Der Erfinder zuckt die Schultern. »Enola, du hast es gehört. Ab jetzt sind die Daten von Urs und Aya tabu«, kommandiert Sam. Nach außen gibt er sich zerknirscht, aber innerlich ist er stolz auf sein KI Programm.

»Wie ihr befehlt, Meister«, verbeugt sich die Androidin. Nicht ohne dabei einen Schmollmund anzudeuten.

»Beeindruckende Vorstellung«, gibt Urs zu. »Das hat mich überzeugt. Mit diesen Fähigkeiten können wir es mit jedem Gegner aufnehmen.«

»Nun mal langsam. Paul kommt in ein paar Minuten, wir wissen nicht genau, was los ist, und da wollt ihr es mit Profihackern aufnehmen?«, gibt Aya zu bedenken.

Sam erhebt sich.

»So schwierig ist das nicht. Vor allem darf der Gegner nicht entkommen. Das ist wie beim Virtual Reality-Spiel. Darin seid ihr ja Experten. Passt auf, wir machen es so: -«

...

Tja, tut mir leid aber das ist das Ende der Leseprobe.

Wenn ihr neugierig geworden seid und wissen wollt, wie‘s weitergeht, dann schaut mal hier vorbei:

royofinnigan.blogspot.de

Oder bei Amazon. Einfach »Evolution 5.0« eingeben.

16. Glossar

  1. Glossar

ANEBs: Programme bzw. Algorithmen zur Analytischen Entscheidungsberatung

 

AnimalCreations: Firma zur Produktion und Vermarktung kundenspezifisch designter Tiere. Gegründet von Ivanna und Marek Tomaček

 

Akustikmodulator: Schallwandler, der Geräusche selektiv ausblendet. Zum Beispiel Straßen- oder Fluglärm

 

Archäopteryx: Urvogel, Übergangsform zwischen theropoden Dinosauriern und Vögeln

 

Augmented Reality: Computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. In Praxis Einblendung und / oder Überlagerung digitaler Informationen in das Gesichtsfeld

 

Avatar: Künstliche Person oder ein grafischer Stellvertreter einer echten Person

 

Äolos: griechische Windgottheit

 

Basilisk: Mystisches Tier, dessen Blick versteinert oder tötet

 

Bionik Roboter: Lebewesen (Mensch), der wie ein Roboter ein Programm abarbeitet

 

Brainware Link Technology / BLT: Sams Firma zur Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Gehirn–Computerschnittstellen

 

Brain-Field-Modulator: Gehirn-Computerschnittstelle. Stimuliert Neuronen im Gehirn mit Hilfe eines punktgenau gesteuerten Magnetfeldes (Transkranielle Stimulation).
Liest Neuronenaktivitäten durch ebenso punktgenaue Messung des elektromagnetischen Feldes

 

Brainbots: Siehe auch → Symbots: Nanomaschinen, die an Neuronen andocken und den Zustand an den → Holoport funken. Sie stimulieren einzelne Neuronen. Mit Brainbots kann dem Gehirn eine virtuelle Welt vorgegaukelt werden, die als völlig real empfunden wird

 

Catome: → Nanobots. »Cyber Atome«. Mikromaschinen (winzige Roboter), die beliebig zu größeren und komplexeren Maschinen kombiniert werden können.

 

Cybernet: Weiterentwicklung des Internets. Allgegenwärtig verfügbar

 

Cyberwelten: digital erzeugte Welten

 

Cyborg: Roboter, Maschinenwesen

 

Deep Learning: (zitiert nach Wikipedia) »Tiefgehendes Lernen«, bezeichnet eine Klasse von Optimierungsmethoden künstlicher neuronaler Netze, die zahlreiche Zwischenlagen (engl. hidden layers) zwischen Eingabeschicht und Ausgabeschicht haben und dadurch eine umfangreiche innere Struktur aufweisen. In Erweiterungen der Lernalgorithmen für Netzstrukturen mit sehr wenigen oder keinen Zwischenlagen, wie beim einlagigen Perzeptron, ermöglichen die Methoden des Deep Learnings auch bei zahlreichen Zwischenlagen einen stabilen Lernerfolg.

 

Drohne: Mehr oder weniger selbständig fliegendes Flugobjekt.

 

EUIC: European Intelligence Community: Europäischer Geheimdienst. Schließt Europäische Cyber Terror Defense (CTD) mit ein

Genom: Erbgut eines Lebewesens

 

Heath-State-Monitor: Gerät zum Überwachen der Körperfunktionen. Zeigt den Gesundheitszustand eines Menschen an.

 

Holoport: → Mediator: Steuert Kommunikation zwischen Brainbots und dem Cybernet

 

Holovers: Virtuelle Welt

 

Interface: Schnittstelle

 

KI: künstliche Intelligenz, basierend auf Computeralgorithmen, z. B.: → Deep Learning Algorithmen

 

Lepidoptera: Lateinischer Name für Schmetterling

 

Matrix: Science Fiction Film aus dem Jahre 1999. Die Handlung des Films spielt überwiegend in einer virtuellen Welt, die von einer KI regiert wird. Die virtuelle Welt ist von der realen Welt nicht zu unterscheiden (wenn man davon absieht, dass in der virtuellen Welt die Gesetze der Physik für manche Menschen scheinbar nicht gelten).

 

Mediator → Holoport: Steuert Kommunikation zwischen Brainbots und dem Cybernet

 

Metamaterial: Spezielles Material mit einem negativen Lichtbrechungsindex. Damit ist es möglich Licht um einen Gegenstand herumzuleiten. Der Gegenstand wird dadurch unsichtbar

 

MOTRAQ: »Motion Tracking Equipment«. Exoskelett, mit dem Bewegungen eines Menschen auf den Avatar in der virtuellen Welt übertragen werden. Ein Exoskelett ist ein außenanliegendes Gerüst, dass die Gelenke und Achsen nachbildet. Es übernimmt so die Bewegungen und überträgt sie in die virtuelle Welt.

 

Nanobots: → Catome, Mikromaschinen (winzige Roboter), die beliebig zu größeren und komplexeren Maschinen kombiniert werden können.

 

Niflheim: »Dunkle Welt«, Reich aus der nordischen Mythologie

 

Nukleotidsequenzer: Maschine, die DNS Sequenzen (z. B.: Gene) aus einzelnen Nukleotiden zusammensetzt. Nukleotide sind die Grundbausteine der DNS

 

Pteranodon: Flugsaurier mit langem Schnabel und bis zu 6 Meter Flügelspannweite

 

Protagonisten:

Realwelt Name / Cyberspace Pseudonym

Angelica Wong / Emerald Dragon

Aya Cheng / Autoxa

Enola / Enola

Ivanna Tomaček

Luca Tesco/ Booter

Marek Tomaček

Paul Berger / Zero

Samuel Nyol Lee / Cyclone

Sophie Lincoln / AceBuster

Urs Schweizer / Arnold

Vilca Tomaček / Phire

Walter Westmore / Phewl

Werner Hofer / Proxy Clobber

Cho Hsien / Yseria

 

SIRP: Schall-Resonanz-Impuls Waffe. Wirkt durch einen Schallimpuls, der einen heftigen Stoß erzeugt oder alternativ zerstörerisch durch auslösen einer Resonanzkatastrophe.

 

SmartCom: ‚Smart Communication Device‘. Weiterentwicklung des Smartphones

 

Symbots: → Brainbots. Nanomaschinen, die an Neuronen andocken und den Zustand an den → Holoport funken.

Stimulieren einzelne Neuronen.
Mit Brainbots kann dem Gehirn eine virtuelle Welt vorgegaukelt werden, die als völlig real empfunden wird

 

Transkraneale Stimulation: Stimulation von Bereichen im Gehirn durch außen angelegte starke Magnetfelder

 

ViDA: »Visual Data Augmentation«. Brillengestell oder Kontaktlinsen, die Daten direkt auf die Netzhaut projizieren, um damit das Gesehene mit digital aufbereiteten Informationen anzureichern. Das Ausblenden von Dingen oder Personen ist ebenso möglich.

 

Virtual Reality: virtuelle Realität. Künstliche, digital erzeugte Welt

 

World of Cyberdreams: Computerspiel mit künstlichen Welten. Wird von mehreren Spielern gemeinsam benutzt so, dass jeder eine eigene Spielfigur steuert.

 

Yggdrasil: Weltenbaum. Begriff aus der nordischen Mythologie

 

Impressum

Cover: designenlassen.de
Lektorat: Thomas Hoffmann / Sarah Kohrs
Tag der Veröffentlichung: 12.08.2018

Alle Rechte vorbehalten

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