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Leseprobe

 

1. Eine von unendlich vielen Welten

Wie versteinert stehen sie am Rand der Kiesgrube und starren nach unten. Eine Szene, wie in einem Spaghetti-Western.

»Drei Minuten«, verkündet Sitting Bull.

Wer genau hinschaut, bemerkt das nervöse Zucken an Doc Holidays rechtem Auge. »Der letzte Versuch.«

»Irrtum«, korrigiert Wyatt Earp mit rauer Stimme. »Uns stehen so viele Versuche zu, wie wir in den nächsten vier Stunden durchführen können.« Seine Körperhaltung strahlt unerschütterliche Zuversicht aus.

Billy the Kid schüttelt den Kopf. »Das ist doch Haarspalterei. Was für eine Rolle spielt das denn jetzt noch? Wir haben uns eine Woche lang zum Narren halten lassen. Habt ihr das denn nicht gemerkt? Dieser Typ da hat uns die ganze Zeit nur verarscht. Der Trip hierher war reine Zeit- und Geldverschwendung.«

Das Kinn des langhaarigen Revolverhelden zuckt in Richtung des Mannes im Hintergrund. Dieser scheint die Bemerkung nicht gehört zu haben. Er steht breitbeinig in seinem maßgeschneiderten Armani-Anzug da und sieht aus wie der Schwiegersohn, den sich jede Mutter erträumt. Ein Verkaufsmagier. Der Typ, der Inuits Kühltruhen andreht. Seine Kunden haben noch Monate danach das Gefühl, den Deal ihres Lebens gemacht zu haben. Selbst, wenn sie ein Vermögen für etwas ausgaben, das sie nie im Leben brauchen werden.

»Das verstehst Du nicht, Bubi. Für das Diamantencollier im Safe würde ich alles tun.«

Die ältere Dame mit der rauchigen Stimme sieht nicht so aus, als gäbe es noch Platz für ein weiteres Schmuckstück an ihrem Körper. Ganz im Gegensatz zu der jungen Frau in dem schlichten Kleid neben ihr.

»Diamanten im Wert von einer Million Euro«, hört man sie murmeln. »Für den, der es schafft, den Safe zu knacken.« Sie behauptet Wahrsagerin zu sein und versucht noch immer den richtigen Code vorherzusagen. Ständig flüstert sie Zahlen und die absurdesten Wortkombinationen vor sich hin.

»Bei Manitou«, verschafft sich Sitting Bull Gehör. »Von Eurem Geschwätz werden ja die Geister wirr. Vom Reden jedenfalls wird der Tresor nicht aufgehen. Seid endlich still und genießt die Show.«

Im Hintergrund wird weiter genörgelt. »Man hört und sieht ja gar nichts.«

Jemand anders prustet los. »Das Missile fliegt mit fünfzehnfacher Schallgeschwindigkeit. Das wirst du erst hören, wenn der Panzerschrank pulverisiert und der Staub sich gelegt hat.«

»Ruhe jetzt«, donnert der Häuptling. »Der Countdown läuft. Zehn ... neun ...«

Den Rest überlässt er der digitalen Anzeige am Wandmonitor. Endlich kommt die Stille zu ihrem Recht. Mit Macht ergreift sie Besitz von dem Raum.

Noch bevor der Zähler auf Null springt, blitzt es am Boden der Kiesgrube. Greller als die Sonne.

Dann folgt der Knall. Ein Schlag, spürbar bis ins Mark. Dementsprechend ist die Wirkung der Explosion. Sie lässt die Menschen im Bunker taumeln. Einige verlieren den Halt und stürzen. Zwei Stehtische fallen um. Geschirr prallt auf den Boden und geht zu Bruch.

Grollend erhebt sich eine Staub- und Gesteinswolke vom Kraterrand. Große Brocken rasen auf die Beobachter zu und prallen nur wenige Zentimeter vor ihnen dumpf auf eine unsichtbare Wand. Dort zerstieben sie in kleinere und kleinste Steinchen, die zu Boden fallen.

In weiser Voraussicht befinden sich die Tresorknacker in einem Bunker mit meterdicken Mauern. Außenkameras und Mikrofone nehmen Bild und Ton auf. Die Projektion dieser Bilder auf die Wände lässt den Eindruck entstehen, als wäre man mittendrin. In Wirklichkeit sind die Zuschauer mehr als zwei Kilometer entfernt.

Jeder normale Mensch wäre von der absolut realistischen Projektion entweder vor Schreck geflüchtet oder in Ohnmacht gefallen. Doch die Gruppe ist das mittlerweile gewöhnt. Seit einer Woche durchleben sie ein ähnliches Szenario mehrmals am Tag.

Als sich der Staub legt, zoomen die Kameras auf den Würfel im Zentrum. Zunächst hatte sie diese virtuelle Fahrt durch die Luft regelrecht von den Beinen gerissen. Aber auch das ist ihnen nun vertraut. Kaum einer zuckt noch.

Als das Objekt der Begierde raumfüllend vor ihnen steht, setzt ein aufgeregtes Murmeln ein. Rufe werden laut. Die Wucht des Aufpralls rammte den Tresor bis zur Hälfte in den Boden.

»Wow, das Missile ist durchgebrochen.«

»Nein!« Die tiefe Stimme gehört Ben Cartwright.

»Doch! Schau, die Decke ist geschmolzen.«

»Geschmolzen ja aber noch hält sie.«

»Noch ein Schuss und wir sind drin«, grinst der Häuptling zufrieden.

Impressum

Texte: Roy O'Finnigan
Bildmaterialien: Cover: © Nexusplexus | Dreamstime.com - Virtual Technologies Photo
Lektorat: publi4all, Thomas Hoffmann
Tag der Veröffentlichung: 25.03.2016

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