Als sie am Morgen aufwachte, merkte sie das etwas nicht stimmte. Es war ruhig. Zu ruhig. Nicht das gekreische ihres fünfjährigen Bruders. Nicht das klappernde Werkzeug ihres Vaters. Nein, nicht einmal das klappernde Geschirr vom Vortag das ihre Mutter jeden morgen abwusch.
Sie stand auf und ging in das Badezimmer. Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, das sich anfühlte als wäre die Gischt der Brandung in ihr Gesicht gespritzt worden.
Sie stand an der Treppe und rief:,, Mum? Dad? Luki?“ Niemand antwortete.
Sie schlich die Treppe hinunter und ging in die Küche. Niemand.
Das Werkzimmer ihres Vaters. Niemand.
Das Zimmer von Lukas. Niemand.
Das Schlafzimmer ihrer Eltern. Ihr könnt es euch denken. Auch hier war keine Spur ihrer Familie.
Sie schaute aus dem Fenster. Das Auto ihrer Eltern stand noch auf der Auffahrt.
Es glänzte im Sonnenlicht wie ein knallroter Apfel.
Auch im Wohnzimmer gab es keine Lebenszeichen.
Nun konnte sie nur noch im Keller nachsehen. Sie war noch nie allein in den Keller hinunter gegangen. Sie hatte früher zu viele schlechte Alpträume gehabt die ihr immer noch eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
Da war er. Der Keller. Kalt und moderig lag er vor ihr. Sie wollte nicht hier hinein gehen, aber sie musste. Er stand hinter ihr und der spitze kalte Dolch bohrte sich in ihren Rücken. Also lief sie vorwärts. Sie tastete sich mit den Füßen voran und stützte sich an den Wänden ab. Sie merkte wie die Kälte ihren Arm hinaufkroch. Kälte, wie der eisige Schnee im Winter der auf deinen warmen Wangen brennt. Die Kälte kroch immer weiter ihren Arm hinauf bis zu ihrem Herzen. Ihr stockte der Atem. Trotzdem. Sie musste weiter gehen, denn er stand hinter ihr und würde ihr notfalls den Dolch in den Rücken rammen. Also setzte sie einen Fuß vor den anderen und tastete sich weiter in den dunklen Raum hinein. Hinter ihr wurde die Tür zugeschlagen. Sie war allein. Allein in dem Raum der so kalt war wie der Winter. Moderiger Geruch stieg ihr in die Nase und sie merkte zu spät, das es wohl eine alte vermoderte Ratte war auf die sie sich gesetzt hatte. Mit einem spitzen Schrei sprang sie auf und lief zur Tür. Sie hämmerte dagegen und rief und schrie bis er die Tür aufmachte. Sein Gesicht war jedes mal unter einer schwarzen Kaputze verborgen. Er nahm den Dolch und stieß ihn ihr zwischen die Rippen.
Dann erst wachte Alexa schweißgebadet auf und ging ins Badezimmer um einen Schluck zu trinken.
Sie öffnete die Kellertür. Kein Licht. Nur um sich zu versichern fragte sie ob dort unten jemand war. Aber es kam keine Antwort. Sie lief wieder in ihr Zimmer. Sie bekam Panik. Nie wären ihre Eltern weggegangen ohne ihr etwas zu sagen. Sie nahm ihr Handy und wählte die Nummer ihrer Mutter. Niemand nahm ab. Panik. Ihre Mutter ging immer an ihr Handy. Immer.
0174... Die Nummer ihres Vaters. Es tutete 5 mal dann nahm er ab.
,,Dad!“
,,Was ist denn Liebling?“
,,Dad wo seid ihr? Mum geht nicht an ihr Handy.“
,,Wir sind Einkaufen Alexa. Möchtest du auch noch was schönes? Ich brige dir was mit.“
Im Hintergrund rief ihr kleiner Bruder ihren Namen.
,,Seid ihr mit dem Fahrrad weg?“
,,Ja. Soll ich dir nun etwas mitbrigen oder nicht?“
,,Öhm... bringst du mir ne Tüte Gummibärchen mit?“
Ihr Vater sagte ja und sie legte erleichtert auf. Ihrer Familie ging es gut. Sie ging in die Küche und schmierte sich ein Brötchen und schmiss sich auf die Couch. Sie zappte durch die Kanäle und schaltete wieder aus. Sie rief Jana an. Ihre beste Freundin. Es nahm jedoch niemand ab.
Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und ihre Eltern waren noch immer nicht da. Sie rief nochmal ihren Vater an. Tut,tut,tut,tut,tut... Niemand ging an das Handy.
Langsam wurde es dunkel. Alexa hatte noch 6 weitere male versuch anzurufen aber nie war jemand rangegangen. Sie machte sich schon wieder sorgen. 20 Uhr und keine Spur von Luki und ihren Eltern. Sorgen, Sorgen, Sorgen. Wo waren die denn nun. Immer noch einkaufen? Bestimmt nicht.
Alexas Sorgen wuchsen mir jeder Sekunde mehr. Um punkt Mitternacht klingelte jemand an der Tür. Sie rannte los und riss die Tür auf. Dort stand ein dicker Polizist und hielt seine Mütze in der Hand.
,,Frau Sievers?“
,,Ja?“ Ihre Stimme zitterte und war ungewöhnlich hoch. Ein Zeichen dafür, dass sie Angst hatte.
,,Ich... Also ich... Ihre Eltern und...“ Er druckste herum und kratzte sich am Kopf.
,,Wollen sie vielleicht erst einmal hinein kommen?“
,,Ja gerne vielen Dank.“
,,Also? Worum geht es? Was ist mit meinen Eltern?“
,,Ihre Eltern und ihr Bruder hatten einen Autounfall. Sie wurden von einem Auto erfasst und gegen einen Baum geschleudert. Sie waren... auf der Stelle... sie sind noch am Unfallort gestorben.
Erst rollte nur eine einzelne Träne. Dann immer mehr. Bald liefen ihr die Tränen in Strömen die Wangen hinunter. Der Polizist frage ob sie mit auf die Wache wollte doch sie rannte hoch in ihr Zimmer und stellte sich ans Fenster. Unten wurde die Haustür geschlossen und der dicke Polizist ging zu seinem Streifenwagen. Alexa sah in den Himmel. Die Sterne glänzten am Himmel wie viele kleine Glassplitter die aus ihrem Herz zu kommen schienen.
Alle denken immer Tränen trocknen wieder. Aber das stimmte nicht. Das merkte sie nun. Nein Tränen sind salzig. Salz trocknet nicht. Es brennt sich in deine Haut ein. Sie schaute sich zum hundertsten mal das Bild aus den Tierpark mit allen an. Sie legte sich in das Bett ihres Bruders. Sie weinte sein Kuscheltier voll und sie schlief in dieser Nacht in seinem Bett.
Am nächsten morgen kam Jana vorbei. Sie sagte nichts. Nahm sie nur in den Arm. So standen sie eine Weile da. Sie schauten sich im Fernsehen einen lustigen Film an doch keine der beiden konnte lachen. Für Jana war dieses Haus ihr zweites zu Hause und ihre zweite Familie.
Drei Tage darauf war die Beerdigung. Alexa brach zusammen. Sie hatte jetzt niemanden mehr. Niemanden. Sie schlief bei Jana. Aber es war einfach alles zu viel. Für Jana natürlich auch aber es war ja nicht ihre richtige Familie. Sie machten einen Ausflug zum See. Das Wasser war so klar das man jeden einzelnen Stein sehen konnte. Sie plantschten im Wasser herum und schwammen und hatten Spaß. Alexa sagte,,Ich bin mal kurz pinkeln und verschwand im Gebüsch. Aber sie lief weiter bis zur Straße. Sie stand auf der knapp 20 Meter hohen Brücke, band sich einen Stein an den Fuß und sprang. Der Stein zog sie immer weiter nach unten. Wenn sich sterben so weich und leicht anfühlt hoffte sie ihre Familie wäre genauso gestorben. Sie schickte eine letzte Träne in den See und dann... Nichts mehr. Nur leere schwärze.
Texte: Sina L.
Bildmaterialien: Sina L.
Tag der Veröffentlichung: 27.07.2012
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