Cover




WERWÖLFE IN DER UKRAINE UND VAMPIRE IN ROCK GROVE?



Branko saß rittlings auf dem Gatter der Pferdekoppel und sah trübsinnig den halb gezähmten Pferden seines Vaters beim unbeschwerten Toben zu. Seit Wochen vergingen für ihn die Tage endlos grau in grau.
Ohne Melissa fühlte er sich wie amputiert. Er träumte jede Nacht von ihr, sehnsüchtig und qualvoll. Und tagsüber erlebte er in Gedanken ständig die glücklichen Stunden, die sie miteinander verbracht hatten … wieder und immer wieder.

Kräftige, energische Schritte näherten sich ihm von hinten. Branko musste sich nicht umsehen, er erkannte ihn überall.
Sein Vater Alexej, Rado äußerlich so ähnlich, genauso hochgewachsen wie er, mit muskulösem Oberkörper und breiten Schultern, lehnte sich neben ihm an das Gatter. Er stützte seine kräftigen tätowierten Arme auf den Zaun und betrachtete eine Weile ebenfalls stumm die Pferde.

Branko wandte seinen Kopf und brummte abwehrend: „Also los, was willst du?“

Sein Vater Alexej, scheinbar nicht viel älter als dreißig Jahre, strich sich mit einer gebräunten Hand die langen schwarzen Strähnen aus dem Gesicht und seufzte: „Sohn, du bist hier vor zwei Monaten plötzlich aufgetaucht, offensichtlich unglücklich und ohne jede Lebenslust.
Du willst nicht darüber reden, was dir widerfahren ist. Bis jetzt hast du dich nicht ein einziges Mal verwandelt, gehst nicht mit uns jagen und beteiligst dich nicht an unseren Reiterspielen. Rado und Dunja wollen mir auch nicht sagen, was du für einen Kummer mit dir herumträgst.
Ich habe geduldig gewartet, aber jetzt ist es genug! Also, wie heißt die Frau und warum seid ihr nicht mehr zusammen?“

Branko starrte ihn an und beobachtete genau seine Reaktion, als er langsam antwortete: „Sie ist eine Sterbliche!“
Erstaunt zog Alexej eine Augenbraue hoch und grinste dann: „Seit fast 1500 Jahren warte ich darauf, dass mein einziger Sohn, der königliche Erbe der letzten Skythen, sich endlich für eine Frau entscheidet, damit unsere Linie nicht AUSSTIRBT“, hier musste er über seinen eigenen Witz lachen, „und dann kneifst du?“

„Sie weiß doch nichts von uns, weiß nicht, was wir sind! Ich hatte Angst, dass sie mich verabscheut! Und ich hatte Panik, sie ungewollt zu verletzen oder sogar zu töten …“ murmelte Branko unglücklich.

Alexej wurde nachdenklich: „Warum hast du es ihr nicht erzählt, oder war es doch nicht so ernst zwischen euch? Du bist doch sonst nicht feige, Krieger!“

Verzweifelt ließ Branko die Schultern hängen.
„Ich hätte es nicht ertragen, ihr aus Versehen etwas anzutun!“

Sein Vater seufzte: „Du würdest nie eine Frau, die du liebst, verletzen. Auch nicht als Wolf, vertrau mir! Lass uns was trinken gehen! Dabei erzählst du mir alles von ihr – wirklich alles!
Danach bin ich mit meiner Geschichte dran! Du hast mich nie nach Einzelheiten über deine Mutter gefragt. Es wird Zeit, dass du dich dafür interessierst, mein Sohn!“

Branko rutschte vom Gatter hinunter und folgte seinem Vater verwirrt über den schmalen Pfad zum Farmhaus. Auf der Veranda ließ Alexej sich auf die Holzbank fallen, griff darunter und holte eine angebrochene Flasche Wodka und zwei Gläser hervor.

Während sie tranken, erzählte Branko mit leuchtenden Augen lebhaft von seiner ersten Begegnung mit Melissa. Von ihren lustigen T-Shirts, von ihrem Interesse für die Skythen - hier bekam Alexej einen Lachanfall - von ihrer wachsenden Beziehung, sogar von ihren intimsten Momenten.

Als Branko endlich fertig war, lehnte Alexej sich entspannt zurück und seufzte: „Sohn, du bist ein Trottel! Haust einfach ab und überlässt deine Frau kampflos deinem blutsaugenden Freund!“

Er schüttelte den Kopf und fuhr fort: „Aber jetzt bin ich mit meiner Geschichte dran. Deine Mutter ist bei deiner Geburt gestorben, so viel weißt du.
Damals, 495 nach Christus, waren die Medizin und vor allem die Hygiene, noch längst nicht so weit wie heute. Frauen und Kinder starben oft während oder kurz nach der Entbindung. Das betraf natürlich nicht unsere wölfischen Frauen mit ihren unsterblichen Genen und den Selbstheilungskräften. Aber deine Mutter Hanka war eine ganz normale Sterbliche!“

Fassungslos sah Branko ihn an. „Was? Meine Mutter? Aber wie hast du …Ich meine, wie konntest du mit ihr …?“

Sein Vater grinste anzüglich: „Na, wie wohl? Diese Aufklärungsgespräche haben wir bereits vor knapp 1500 Jahren geführt, erinnerst du dich? Wir haben ganz normalen Sex gehabt. Und sie war längst nicht die erste oder letzte sterbliche Frau in meinen Armen. Ich hatte keine Probleme damit, meine Verwandlung und meine körperliche Stärke dabei zu beherrschen, nie!“

Branko schluckte: „Aber Rado ...“
Verächtlich winkte Alexej ab: „Mein kleiner Bruder war damals völlig unerfahren und viel zu ungeduldig! Was da passiert ist, war schrecklich. Ich habe ihm anschließend geholfen, aufzuräumen und die Spuren zu beseitigen.
Aber du bist mein Sohn, hast die gleiche starke Selbstbeherrschung wie ich. Und dieselbe Fähigkeit zur bedingungslosen Liebe! Los, geh wieder nach Amerika und hol dir deine Frau zurück!“

Branko schüttelte den Kopf. „Sie wird mir nie verzeihen, dass ich sie verlassen habe … Und selbst wenn sie trotz allem ihr Leben mit mir verbringen will - wie soll ich später damit fertig werden, dass sie älter wird und irgendwann stirbt?“

Beschwörend sah Alexej ihn an. „Sie muss aber gar nicht älter werden! Du hast dich nie für das Thema interessiert, weil du bisher keine Sterbliche kanntest, die dich in dieser Weise berührt hat, oder?
Wenn eine Sterbliche einen unserer Welpen austrägt, ist sie danach ebenfalls unsterblich und erhält auch unsere Selbstheilungskräfte, wenn sie die Entbindung überlebt. Der einzige Nachteil wäre, dass sie sich später nie in eine Wölfin verwandeln könnte. Aber da könnt ihr bestimmt beide gut drauf verzichten, oder?“

Branko fragte misstrauisch nach: „Wieso spricht da nie jemand offen drüber? Ist das geheim, oder verboten? Oder was?“

Alexej lachte: „Nein, aber es kommt so selten vor! Wie schon gesagt, die medizinischen Bedingungen bei einer Geburt sind für sterbliche Frauen erst in den letzten hundert Jahren erheblich verbessert worden.
Und durch unsere allgemeine Zurückhaltung gegenüber allen Fremden passiert es nicht oft, dass dauerhafte Beziehungen zu Sterblichen entstehen. Aber ich kenne mindestens drei Paare, bei denen es funktioniert hat in den letzten hundert Jahren.“

Überwältigt von den ganzen Informationen lehnte Branko sich zurück und schloss die Augen. Er sah Melissa vor sich, für immer an seiner Seite, mit einem Wolfswelpen im Arm …

Entsetzt fuhr er hoch. Oh Gott, wie konnte er sich nur anmaßen, ihr so etwas zuzumuten!

Alexej beobachtete ihn besorgt und seufzte: „Okay, gewöhn dich erst mal selbst an den Gedanken. Aber solange du hier bleibst und nachdenkst, erwarte ich von dir, dass du dich bei uns in Zukunft wie ein echter Krieger und skythischer Thronerbe benimmst! Ich will dich reiten und jagen sehen! Was sollen denn unsere Leute von meinem einzigen Sohn denken!“

**********

Melissa vermied in den folgenden Tagen jeden Kontakt zu Alain duMont oder den Hunters. Sie ignorierte alle Telefonanrufe und befasste sich auch nicht mehr mit den angefangenen Artikeln für den ‚Waldboten‘.

Stattdessen vertiefte sie sich wieder in ihr Lieblingsthema: die Skythen. Sie erhoffte sich so Ablenkung von ihren Grübeleien über Brankos unerklärliches Verschwinden und Alains mysteriöse Unehrlichkeit.

Sie verfasste Stammbäume der geschichtlich bekannten Könige der Skythen. Trug alle Fakten über ihr Aussehen, ihre Tätowierungen, ihre Kleidung, ihre Waffen, ihren Schmuck, ihre Ernährung, ihre Beerdigungszeremonien und ihre religiösen Rituale zusammen.

Und je intensiver sie sich mit diesem scheinbar ausgestorbenen Volk und seiner Lebensweise beschäftigte, desto stärker wurden ihr die Ähnlichkeiten mit den Hunters und besonders Branko bewusst.

Unmöglich! Undenkbar! Sollten tatsächlich Nachkommen der Skythen überlebt haben?
Hatten Branko und Dunja nicht davon gesprochen, dass ihr ‚Clan‘ sich kaum mit Fremden mischte? Aber warum sollten sie diese wunderbare direkte Abstammung von den Skythen geheim halten?
Oder wussten sie vielleicht selbst nichts davon? Fasziniert forschte sie weiter.

Und las zwischendurch immer wieder genervt die wirren Warnungen in Franks regelmäßigen E-Mails:

Wundert sich niemand, dass SIE sich in den letzten zehn Jahren äußerlich kaum verändert haben? Warum bleiben sie nie länger an einem Ort? Was haben sie zu verbergen? Wie alt sind sie wirklich? Und WAS sind sie?



Melissa klappte energisch den Laptop zu und sah gelangweilt aus dem Fenster.
Strahlende Nachmittagssonne …

Sie beschloss, mal wieder Tante Elisabeth im Altersheim zu besuchen.

***********

Melissa saß neben Tante Elisabeth am Fenster und blätterte in dem alten Fotoalbum. Ihre Großtante blickte abwesend hinaus und lächelte vor sich hin.

Gelangweilt betrachtete sie weiter die kleinen vergilbten schwarz-weißen Fotos von Tante Elisabeth und Großmutter Rosemarie, die sie als junge Mädchen zeigten. Katharina hatte tatsächlich große Ähnlichkeit mit Elisabeth.

Melissa bemerkte, dass eins der Fotos stark verknickt war und sich bereits fast vollständig aus dem Album gelöst hatte. Vorsichtig versuchte sie, das Foto wieder zu befestigen. Dabei rutschte darunter eine weitere, bisher versteckte Fotografie heraus.

Verblüfft griff sie danach und betrachtete neugierig ihren Fund.

Das Foto zeigte ein junges Liebespaar in einer hellen Mondnacht unter einem Apfelbaum.
Der Garten hinter dem Pub in Rock Grove.
Elisabeth als junges Mädchen, höchstens zwanzig Jahre alt.

Und Alain duMont. Vor ungefähr 75 Jahren. Genauso schön, jung und strahlend wie heute.

Melissa keuchte entsetzt. Wie war das möglich?

Warum geht der Blasse nur nachts aus? Warum isst er kaum etwas? Warum taucht er plötzlich wie ein Geist irgendwo auf? Wie alt ist er wirklich? Übermenschliche Kräfte, eiskalte Haut, übermenschliche Geschwindigkeit, ein Monster! Vampir! Vampir! Vampir!



Oh Gott! Wurde sie jetzt langsam wirklich verrückt? Hatte Frank sie mit seinem Wahn bereits angesteckt?

Aber der Abend, als sie Alain hier bei Elisabeth beobachtet hatte, wie ein Liebespaar?
Es gab keine andere mögliche Erklärung!

Melissa steckte das Foto ein und sprang auf. Was nun?
Wenn Alain erfuhr, dass er entdeckt war? War er gefährlich?
Wo sollte sie hin? Es gab keine Rettung vor einem Vampir! Oder doch?

Die Hunters!
Wenn jemand sie vor einem Vampir beschützen konnte, dann nur die wilden Hunters mit ihrem ererbten Kriegerblut!

Melissa rannte zu ihrem Pegasus, startete den Motor und raste panisch über die Landstraßen.


ENTHÜLLUNGEN



Die Dämmerung setzte bereits ein, als Melissa endlich den Waldweg erreichte, der zum Blockhaus führte.
Sie fuhr kein bisschen langsamer, raste gefährlich nah an den dicht stehenden Bäumen vorbei.
Fuhr mit aufheulendem Motor quer über die Lichtung direkt auf das hell erleuchtete Blockhaus zu und bremste scharf.

Vor der offenen Eingangstür stand Rado breitbeinig mit vor der Brust verschränkten Armen und sah ihr besorgt entgegen.

Melissa ließ den Motor laufen, sprang aus dem Auto und lief panisch auf ihn zu.
Direkt vor ihm gaben ihre Knie nach. Sie schluchzte hysterisch und fiel ihm taumelnd in die starken Arme.

„Alain ist ein Vampir! Ein gottverdammter Vampir! Hilf mir!“

Rado fing sie auf, trug sie schweigend ins Haus und legte sie auf eines der Sofas in der Nähe des Kamins.
Sofort kam Dunja herbeigeeilt und nahm Melissa tröstend in den Arm. Fragend sah sie zu Rado auf.

Der hob eine Augenbraue und sagte seelenruhig: „Sie hat behauptet, Alain sei ein Vampir!“

Dunja rief laut nach Kolja und starkem Whisky, nahm Melissa fester in die Arme und redete beruhigend auf sie ein.
Wenige Minuten später erschien Kolja mit einer Flasche Whisky und flößte ihr ohne zu zögern einen großzügigen Schluck ein.

Rado machte den beiden ein unauffälliges Zeichen und verschwand wieder nach draußen.

Drinnen fing Melissa an, leise und hektisch, immer wieder unterbrochen von hysterischem Schluchzen, von ihrem Verdacht zu erzählen.
Von Franks Warnungen, ihren eigenen Beobachtungen und dem versteckten alten Foto.

Kolja murmelte fast unhörbar: „Dafür polier ich Branko eigenhändig die Fresse, dass er uns hier den Schlamassel überlassen hat und einfach abgehauen ist.“

Zornig hieb Dunja ihm einen Ellenbogen in die Seite und zischte: „Sei still!“

Melissa bemerkte die kleine Auseinandersetzung gar nicht. Sie zitterte und klammerte sich an Dunja.
Undeutlich nahm sie wahr, dass Rado draußen leise mit jemandem sprach. Telefonierte er etwa mit der Polizei? Was konnten die denn schon tun?

Dann öffnete sich die Tür und Rado kam wieder herein ...

Ihm folgte ein sehr blasser Alain duMont.

Sofort kreischte Melissa hysterisch los. Sie schrie und tobte, wollte sich von Dunja losreißen. Aber die hielt sie mit sanfter Kraft unerschütterlich fest in ihren Armen.

Alain blieb direkt neben der Tür stehen, lehnte sich an die Wand und sah Melissa aus der Entfernung verzweifelt und mitfühlend an.

Rado kniete sich vor Melissa und redete beruhigend auf sie ein: „Er tut dir nichts. Er hat dir nie etwas getan. Er hat sich nicht verändert. Er ist genauso, wie du ihn kennen gelernt hast. Melissa, guck genau hin. Er ist immer noch Alain, dein Freund.“

Melissas Schreie verstummten. Panisch sah sie von einem zum anderen.
„Verdammt, ihr habt es alle gewusst und nichts gegen ihn unternommen?“

Kolja murmelte entschuldigend: „Ist doch egal, WAS einer ist. Ob Vampir, Chinese, Azteke, Eskimo …“

„ …oder ein Nachkomme der Skythen?“ ergänzte Melissa zögernd.

Alle Anwesenden glotzten sie verdutzt an.
„Waaas?“ fragte Rado fassungslos. Kolja kratzte sich ratlos am Kopf und sah hilfesuchend zu Alain.

Dieser blickte Melissa lange direkt in die Augen, als versuchte er, ihr Innerstes zu erforschen. Schließlich nickte er Rado zu und seufzte: „Sie ahnt es irgendwie schon. Und ich glaube, sie verkraftet jetzt auch die ganze Wahrheit.“

Melissa wartete schweigend ab. Sie hatte das Gefühl, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte.

Rado sah sie grinsend an: „Also, wir sind keine NACHFAHREN der Skythen. Wir SIND die Skythen und außerdem … WERWÖLFE!“

Oh doch, es hatte noch viel schlimmer kommen können!

Entschlossen griff Melissa nach der Flasche Whisky, die Kolja noch immer in der Hand hielt und setzte sie an den Mund.
Ein tiefer Schluck, noch einer und noch einer …

Dann atmete sie tief aus und sah Rado fest in die Augen: „Das glaube ich erst, wenn ich es sehe! Zeig es mir!“

Kolja kicherte: „Sie ist wirklich unglaublich!“ Alain grinste nun auch kopfschüttelnd.

Dunja sah Rado streng an und befahl energisch: „Aber geh bitte nach draußen!“

Dieser trat achselzuckend durch die gläserne Schiebetür auf die Terrasse hinaus, schloss sie hinter sich, ballte die Fäuste und versank in tiefe Konzentration.
Ein Zittern ergriff seinen Körper, seine Konturen verschwammen, und als die Umrisse wieder klarer wurden, stand auf der Terrasse ein riesiger grau-schwarzer Wolf mit golden leuchtenden Augen.
Er legte den Kopf in den Nacken und stieß ein heiseres Heulen aus.

„Ein bisschen Show muss einfach sein“, lästerte Kolja ungerührt.

Alle sahen gespannt Melissa an. Sie saß, immer noch von Dunja fest umarmt, auf der Couch und starrte nach draußen.
Dann sah sie zu Alain, der weiter in großem Sicherheitsabstand von ihr an der Wand lehnte.
„Hast du heute Abend schon ausreichend gegessen?“ fragte sie ihn zögernd.

Verwirrt blickte er ihr in die Augen und lachte dann: „Du stehst nicht auf meiner Speisekarte, Melissa! Und die Wölfe hier fressen auch kein Menschenfleisch!“
Melissa schien ein wenig beruhigt über diese Auskunft zu sein.

Kolja holte eine zusammengelegte Jeans aus der Kommode, sagte zu Melissa gewandt: „Dreh dich mal eben kurz um!“ und ging zu dem Wolf auf die Terrasse hinaus.

Dunja erklärte ihr: „Bei der Verwandlung zerreißen immer die Klamotten. Normalerweise ziehen wir sie darum vorher aus. Aber Rado wollte dich nicht zusätzlich erschrecken.“

Verständnisvoll nickte Melissa: „Natürlich. Ich kann zwar die Existenz von Vampiren und Werwölfen verkraften, aber ein nackter Mann wäre wirklich zuviel für meine schwachen Nerven gewesen!“

Alain lachte laut auf und Dunja fiel amüsiert mit ein.

Langsam merkte Melissa die Wirkung des Alkohols, den sie so hastig in großen Mengen geschluckt hatte. Benommen nahm sie wahr, dass die anderen näher gekommen waren und sich rund um das Sofa, auf dem sie saß, entspannt auf dem Fußboden niederließen.

Sie blinzelte und wandte sich direkt an Alain: „Ich muss noch so viel fragen, aber ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll …“
Alain versenkte sich wieder in ihre Augen und schüttelte dann resigniert den Kopf.
„Du hast zuviel getrunken – deine Gedanken wirbeln durcheinander. Ich kann gar nichts richtig lesen.“

Empört stieß Melissa ihm mit der Faust gegen die Schulter: „Heißt das, dass du sonst ungeniert meine Gedanken liest? Das ist ja wohl die Höhe! Mach das nie wieder ungefragt, hörst du? Also, erste Frage: warum hast du mich belogen? Was ist mit meiner Tante Elisabeth? Ich weiß, dass ich dich da bei ihr gesehen habe!“

Alain lächelte sie an und schüttelte den Kopf: „Das war ich wirklich nicht. Du hast meinen Zwillingsbruder Louis gesehen. Aber seine Geschichte wird er dir besser selbst erzählen. Ich stell ihn dir morgen Abend vor!“

„Noch ein Vampir?“ fragte Melissa erstaunt.
Er nickte: „Natürlich!“

Dann fiel ihr etwas Wichtiges ein: „Und Branko?“
Alain murmelte: „Werwolf, natürlich!“
„Natürlich“, wiederholte sie leise und sah jetzt doch ziemlich fassungslos aus.

Dunja erhob sich vom Sofa und streckte Melissa auffordernd eine Hand entgegen.
„Du bist jetzt sicher ziemlich erschöpft. Ich bringe dich nach oben, du kannst in Brankos Zimmer schlafen.
Dann benachrichtige ich Katharina, dass du heute bei uns bleibst. Und morgen beantworten wir dir alle deine Fragen über uns. Abends kommen dann Alain und Louis hier her, erzählen dir von den Vampiren und warum wir uns überhaupt alle hier in Rock Grove getroffen haben, okay?“

Melissa nickte benommen und ließ sich bereitwillig nach oben führen.


WAS FRESSEN EIGENTLICH WERWÖLFE?



In der Nacht hatte Melissa unruhige Träume, sah wilde Kriegerhorden in der typischen Tracht der Skythen mit Pfeil und Bogen bewaffnet auf zähen kleinen Pferden über die Steppe jagen.
Fühlte Brankos leidenschaftliche Küsse auf ihren Lippen und hörte sein triumphierendes Heulen, bevor er als riesiger Wolf im Wald verschwand.
Und sah Alains blasses Gesicht, der sie charmant anlächelte, und dabei lange spitze Fangzähne entblößte ...

Erschrocken fuhr Melissa hoch und sah sich irritiert um. Sie lag in Brankos Bett.
Draußen vor dem offenen Fenster begann bereits die Morgendämmerung. Langsam fielen ihr die Einzelheiten des vergangenen Tages wieder ein.

Die unglaublichen Enthüllungen ihrer Freunde ...
Oh mein Gott! In was war sie da bloß hineingeraten?

Verwirrt erhob sie sich, schlüpfte in ihre Kleidung vom Vortag, tappte die Treppe hinunter und betrat die Küche.
Die Hunters saßen um den großen Tisch versammelt und frühstückten. Rado klopfte einladend auf den Stuhl neben sich und schob ihr einen Becher Kaffee hin.
„Komm her zu mir, Rotkäppchen, frühstücke mit deinem Wolfsrudel!“

Unwillkürlich musste Melissa lachen und fühlte sich irgendwie erleichtert, dass heute Morgen alles wieder so normal wirkte.

Dunja räusperte sich. „Branko hat inzwischen angerufen. Er ist immer noch bei seinem Vater auf der Pferdefarm in der Ukraine.“

Sofort fühlte Melissa ihr Herz stärker klopfen und sah sie abwartend an.

„Er ist geflüchtet, weil er Angst hatte, du könntest ihn für ein Monster halten, wenn du die Wahrheit über uns erfährst. Wir haben ihm noch nicht gesagt, dass du inzwischen Bescheid weißt.
Trotzdem hat er sich nach den Gesprächen mit seinem Vater dazu entschlossen, zurück zu kommen und dir alles selbst zu erzählen“, fuhr Dunja fort.

Melissas Herz hüpfte unkontrolliert. „Wann?“ flüsterte sie unsicher.

„In zwei Tagen“, antwortete Rado vorsichtig, „wir sind alle ziemlich sauer auf ihn, dass er dich so ohne weitere Erklärung verlassen hat. Dass er sich der Verantwortung entzogen hat und uns, besonders Alain, die schwere Aufgabe überlassen hat, dich aufzufangen und zu trösten.“

Kolja beugte sich zu Melissa hinüber: „Wir haben das alle selbstverständlich gern für dich getan! Aber nun haben wir ihm auch noch die Verantwortung abgenommen, dich über die Skythen, die Werwölfe und die Vampire aufzuklären.“

„Darum haben wir uns inzwischen überlegt, Branko nicht so leicht davonkommen zu lassen“, ergänzte nun wieder Dunja.
„Wir wollen so tun, als ob du noch immer ahnungslos wärst, und dann schadenfroh beobachten, wie er es anstellen wird, dich über unsere wahre Natur aufzuklären.“

Unsicher fragte Melissa fragte zweifelnd: „Will er mich nur über alles aufklären, oder will er zurück zu MIR?“

Rado verdrehte ungeduldig die Augen: „Branko hält es ohne dich gar nicht aus, Melissa! Er hat seinen Vater und den Rest der Familie monatelang fast wahnsinnig gemacht mit seinem Liebeskummer.
Die Frage ist eher, ob DU ihn zurück willst? Kannst du ihm seine Flucht ohne nähere Begründungen überhaupt jemals verzeihen?“

Hinterhältig strahlte Melissa ihn an: „Das kommt ganz auf seine Erklärungen an! Ich bin sehr gespannt, wie er es anstellen wird, sich als Werwolf zu outen!“

Kolja kicherte: „Ja, ich auch! Und Alain wird das bestimmt genauso genießen!“
Alle lachten schadenfroh.
Dunja stand auf: „Kommt, wir setzen uns raus und beantworten Melissa erst mal alle Fragen zu uns Werwölfen!“

Sie zogen mit ihren Kaffeebechern auf die Terrasse um und verteilten sich dort auf die hölzernen Liegestühle. Der See glitzerte silberblau im Morgenlicht.
Kolja setzte sich an den Rand der Holzterrasse und ließ die langen Beine baumeln. Mit seinen nackten Füßen plätscherte er im Wasser herum.

„Also los, Melissa, fang an zu fragen“, forderte Rado als Ältester sie auf.

Melissa lehnte sich entspannt zurück und überlegte laut: „Irgendwie habe ich ja schon vorher eine ganze Menge Einzelheiten wahrgenommen. Aber ich habe das Puzzle nie richtig zusammengesetzt.
Okay, ich fasse mal zusammen: Die Skythen haben trotz ihrer relativ hoch entwickelten Kultur keinerlei schriftliche Zeugnisse hinterlassen wie alle anderen Völker … also hatten sie wohl etwas Wichtiges zu verbergen.“

Rado nickte anerkennend und forderte sie mit einer Handbewegung auf, weiter zu sprechen.

„So etwa 400 bis 500 nach Christus verschwinden die Skythen ganz von der geschichtlichen Bildfläche, angeblich ausgestorben oder spurlos mit anderen Völkern vermischt.
Zu der Zeit wurde es wahrscheinlich immer schwerer, die Wahrheit zu verbergen. Die anderen Zeitgenossen zeigten einfach zu viel Interesse an ihnen.
Die Skythen haben sich also aus der Öffentlichkeit zurück gezogen und die Kontakte zu anderen Völkern vermieden, richtig?“

Die Hunters lauschten aufmerksam und nickten zustimmend.

„Ihr selbst bezeichnet euch als Clan, der sich kaum mit Fremden mischt. Also sind die Skythen praktisch niemals ausgestorben, sondern die heute lebenden Nachfahren sind biologisch immer noch das ursprüngliche Reitervolk der Antike.“

Melissa betrachtete nachdenklich die gespannten Gesichter der Hunters und sprach zögernd weiter: „Die Skythen hatten zudem einen ausgeprägten mythischen Wolfskult, der bisher kaum irgendwo erwähnt wird.
Die wenigen Berichte über Mondfeste in Wolfsverkleidung, Blutopfer, Anführer in Wolfsgestalt und so weiter wurden als Legenden nicht ernst genommen. Offenbar waren das keine Schauermärchen, sondern die Wahrheit.
Soweit bin ich jetzt mit meinen Recherchen, aber … waren denn ALLE Skythen Werwölfe? Und was bedeutet der Wolfskult heute für euch?“

Rado sah sie erstaunt an: „Respekt! Du hast alles gut durchschaut und die richtigen Schlüsse gezogen!
Also, es gab damals vier Unterstämme der Skythen. Nur die ‚Paralaten‘, die sogenannten königlichen Skythen, waren Werwölfe und die meisten davon leben heute noch.“

Melissa zog scharf die Luft ein und riss die Augen auf.

Ungerührt fuhr Rado fort: „Die anderen drei Stämme waren unsere Untertanen und sind tatsächlich alle ausgestorben. Aber du hast uns noch nicht gefragt, wie alt wir wirklich sind …“

Grinsend ergänzte Dunja nun: „Ich weiß bisher von keinem Werwolf, der an Altersschwäche gestorben ist …“

Melissa war verwirrt: „Wie? Mein Gott, wie lange lebt denn so ein Werwolf? Soll das heißen, Werwölfe sind unsterblich?“

Die anderen nickten zustimmend und sahen sie abwartend an.

Sie grübelte und schluckte dann: „Branko ist gar nicht vier Jahre jünger als ich, oder?“

Kichernd schüttelte Kolja den Kopf: „Du hast dich in einen uralten Tattergreis verliebt. Er ist 495 nach Christus geboren und somit 1515 Jahre alt!“

„Puh“, schnaubte Melissa überwältigt. Dann blickte sie die anderen nacheinander fragend an: „Und ihr? Wie alt seid ihr wirklich?“

Rado grinste: „Ich bin 2675 Jahre alt, Dunja 2185 Jahre und Kolja ist unser Jüngster mit erst 590 Jahren.“

„Okay, ich verstehe“, murmelte Melissa und verstand erst mal gar nichts mehr.
„Ihr könnt also nie sterben? Man kann euch nicht töten? Was ist mit den berühmten Silberkugeln?“

Rado grinste und klimperte demonstrativ mit den Silberketten auf seiner Brust.
„Ammenmärchen! Fassen wir einfach mal zusammen: Wir haben sehr starke natürliche Selbstheilungskräfte.
Schüsse, Messerstiche, Gift und großer Blutverlust machen uns wenig aus, solange wir die Möglichkeit haben, uns zurückzuziehen und uns selbst zu heilen. Als Wölfe sind wir praktisch unbesiegbar.
Man muss uns schon den Kopf abreißen, um uns direkt zu töten. Auch in Menschengestalt sind wir immer noch viel stärker, schneller und unempfindlicher gegen Schmerz als andere.“

Aufmerksam sah Dunja Melissa an: „Die nahe liegendste Frage hast du noch gar nicht gestellt, nämlich WIE man zum Werwolf wird.
Hast du keine Bedenken, dass wir dich beißen könnten, und du dich dann bei Vollmond in eine Bestie verwandelst?“

Melissa schüttelte den Kopf und grinste dann: „Nö, das würde Branko niemals zulassen! Er würde euch sofort den Kopf abreißen! Aber wie wird man denn nun zum Werwolf?“

„Niemand wird durch einen Biss zum Werwolf. Die Fähigkeit, sich in einen Werwolf zu verwandeln, ist angeboren und wird von den Eltern vererbt.
Und ist nicht vom Vollmond abhängig. Wir können uns jederzeit verwandeln, wann wir wollen. Manchmal passiert es unwillkürlich, bei Stress oder Wut.
Du hast es selbst bei Branko gesehen, oder? Damals am Waldrand, als Ben dich angegriffen hat?“ erklärte Rado.

„Tageszeit oder Vollmond sind dabei egal. Allerdings hat der Vollmond Einfluss auf unser Sexleben“, er grinste hinterlistig.
„Aber ich finde, alles, was mit Sex zu tun hat, sollte Branko dir selbst erklären … er ist doch so eifersüchtig!“

Melissa wurde ein bisschen rot und lenkte schnell ab: „Okay … und was esst ihr? Oder nennt ihr das Fressen?“

„Bei Kolja nennen wir das immer Fressen, egal ob als Mensch oder als Wolf“, kommentierte Dunja trocken.
„Nee, aber im Ernst - du hast doch gesehen, dass wir ganz normal essen. Als Wölfe jagen wir natürlich auch andere Tiere, mehr zum Spaß und aus Instinkt.
Die fressen wir dann meist auch … roh. Aber wir jagen selten nur, weil wir wirklich Hunger oder Appetit darauf haben.“

Aufseufzend griff Melissa nach ihrem Kaffeebecher.
„Mehr kann ich im Moment nicht verarbeiten, ich muss die ganzen Neuigkeiten erst mal verdauen. Nur noch eine Frage! Sind Werwölfe und Vampire wirklich miteinander befreundet?“

Kolja kicherte: „Nee, eigentlich sind wir schon immer Todfeinde. Aber Alain und seine Familie bilden eine große Ausnahme. Das hat mit Branko zu tun. Und das wird Alain dir bestimmt heute Abend selbst erzählen wollen …“

***************

Alain duMont saß im Salon seiner Villa auf dem Sofa und sah sein Gegenüber unglücklich an.
„Jetzt weiß sie es also. Und Branko kommt übermorgen zurück! Sie wird ihn mit offenen Armen empfangen ...“

Sein Zwillingsbruder Louis zuckte die Schultern: „Was hast du erwartet? Dass sie ihn vergessen würde, bloß weil du dich in den letzten Wochen so verständnisvoll um sie gekümmert hast?
Alain, dann wäre sie seine und auch deine Liebe nicht wert. Melissa ist tatsächlich eine ganz besondere Frau! Wie Elisabeth …“

„Ich hoffe, dass Branko sich jetzt besser im Griff hat in ihrer Nähe. Wenn er sie noch mal in Gefahr bringt …“, knurrte Alain.

„Und was ist mit dir? Sollen wir noch eine kurze Jagd einplanen, bevor wir heute Abend in die Höhle der Wölfe ziehen?“ fragte Louis besorgt.

„Nein, nein, ich habe keinen Appetit … schon gar nicht auf Melissa“, wehrte Alain ab und musste unwillkürlich lachen.
„Du hättest sie gestern Abend erleben sollen, Louis, sie ist wirklich unglaublich! Sie hat mich besorgt gefragt, ob ich schon etwas gegessen hätte!“

Jetzt musste auch Louis lachen: „Ja, die ganze Familie ist einfach beeindruckend!“


HEXENJAGD



Frank Wilson pflegte seit Wochen einen regen E-Mail-Austausch mit den Betreibern der von ihm zufällig gefundenen Internetseite.
Diese nannten sich die „Monsterjäger“ und waren anscheinend sehr interessiert an seinen persönlichen Beobachtungen in Rock Grove.

Sie bestätigten ihm, dass seine Beschreibungen wohl auf Vampire und auch auf Werwölfe hin deuteten.
Andererseits waren sie auffällig zurückhaltend dabei, eigene Beobachtungen oder Erfahrungen zur Diskussion beizutragen.

Schließlich wurde Frank ungeduldig und schrieb den Unbekannten eine wütende E-Mail:

„Verdammt, warum glaubt ihr mir nicht? Ich habe die Typen in Rock Grove persönlich gesehen! Ich habe sogar mit ihnen gesprochen! Ich kenne noch einen weiteren Augenzeugen!
Während wir hier Zeit vertrödeln, machen die Monster sich an meine Freundin ran! Wir müssen sie unschädlich machen! Wenn ihr nicht endlich mal reagiert, schalte ich die Polizei oder die Armee ein. Oder die Presse – oder … Scheiße! Meldet euch, verdammt!“



Nach drei weiteren Tagen erhielt Frank am frühen Abend einen mysteriösen Anruf.
„Frank Wilson?“ fragte eine dunkle, verzerrte Stimme.

Frank schluckte: „Ja?“
„In zwei Stunden im Kassandra-Pub, ALLEIN!“
„Waaas? Wer sind Sie denn?“ stotterte Frank verunsichert.

„Es geht um Rock Grove. Sie werden mich erkennen! Ich bin nicht zu verwechseln!“ kam die Antwort, dann wurde aufgelegt.

Franks Hände zitterten. Ihm brach der Schweiß aus. Wer oder was war das gewesen? Auf wen hatte er sich da eingelassen?
Wurde ihm jetzt endlich geglaubt, was er gesehen hatte? Bekam er nun Unterstützung, oder war der Unbekannte nur ein weiterer Spinner?
Schließlich war er bei seiner Suche nach Informationen und Kontakten im Internet bisher schon auf einige Verrückte gestoßen …

Hoffnungsvoll machte er sich rechtzeitig auf den Weg zum angegebenen Treffpunkt und betrat wenige Minuten später zögernd den „Kassandra-Pub“.

Der Pub war nur mäßig beleuchtet und wirkte im Halbdunkel schäbig, schmuddelig und wenig einladend.
Aber Frank war ja nicht hier, um sich zu amüsieren. Suchend sah er sich um.

An der Theke lehnten zwei abgetakelte, ältere Frauen, die ganz offensichtlich auf Kundschaft warteten.
Frank vermutete, dass sie noch sehr lange warten müssten, um hier einen Freier zu finden.

Denn außer drei sehr angetrunkenen, abgerissenen Kerlen, die an einem Tisch Karten spielten, ohne die Frauen oder Frank zu beachten, gab es nur noch einen weiteren Gast in dieser Spelunke.

Ganz hinten in der Ecke, in einer düsteren Nische, saß ein einzelner Mann und fixierte den Eingang. Er erhob sich langsam, als er Franks suchenden Blick auffing.

Frank stockte der Atem und er schluckte trocken.
Der Kerl vor ihm war mindestens zwei Meter groß, trug einen schwarzen verschlissenen Ledermantel über engen Lederhosen und derben Militärstiefeln. Lange, weiß-blonde Haare fielen strähnig bis auf seine breiten Schultern und seine hellen Augen starrten ihm hart und kalt entgegen.
Wortlos machte Fremde eine auffordernde Geste mit seiner Hand, die in einem schwarzen Handschuh steckte, und deutete auf einen freien Stuhl an seinem Tisch.

Frank holte tief Luft und durchquerte zögernd den Raum, bis er vor dem unheimlichen Fremden stehen blieb. Dieser musterte ihn abschätzend von oben bis unten und setzte sich wortlos wieder hin.
Unsicher ließ Frank sich auf den anderen Stuhl sinken und wartete stumm.

Schließlich räusperte sich der Fremde und erklärte mit dunkler, kratziger Stimme: „Sie müssen verstehen, dass wir misstrauisch sind. Zu viele Spinner vergeuden unsere Zeit, weil sie angeblich irgendwelche Begegnungen mit Wesen hatten, die es offiziell nicht geben darf.
Und Ihre Beobachtungen in Rock Grove sind einfach absolut unglaublich, weil die Gestalten, die Sie getroffen haben wollen, verschiedenen Rassen angehören. Werwölfe und Vampire sind Todfeinde! Wir haben noch nie davon gehört, dass sie irgendwo gemeinsam auftreten und dann auch noch miteinander kooperieren!“

Frank wagte kaum zu atmen. Das war die Bestätigung! Der Fremde hatte ganz selbstverständlich zugegeben, dass diese Monster existierten!

Er schluckte und stieß hastig hervor: „Ich habe Kontakt zu jemandem, der jahrelang in Rock Grove gelebt hat und von diesen Typen erst kürzlich aus der Stadt gejagt wurde.
Er kann bestätigen, dass die dort seit Jahren leben und wie freundliche Nachbarn miteinander umgehen. Und er wurde von einigen sogar angegriffen, wobei auch ein riesiger Wolf beteiligt war!“

Der Fremde zog überrascht die Augenbrauen hoch und lehnte sich verschwörerisch über den Tisch: „Holen Sie diesen Augenzeugen hier in die Stadt. Wir sind eine Gruppe von Jägern, die diesen Monstern den Krieg erklärt hat! Einige von denen konnten wir schon zur Strecke bringen. Aber das erfordert eine gute Ortskenntnis und eine explizite Vorbereitung.
Wir haben nur EINE einzige Chance für einen Überraschungsangriff! Wenn das schiefgeht, sind die Monster gewarnt und verschwinden für immer aus Rock Grove!“

Frank bestätigte eifrig: „Klar, ich tue alles, um diese Monster endgültig zu erledigen! Schließlich will ich meine Freundin zurück!“

Der Fremde nickte, erhob sich abrupt und wandte sich zum Gehen.

„Halt!“ rief Frank ihm panisch hinterher.
„Wann treffen wir uns wieder? Und wie heißen Sie überhaupt?“

Noch einmal drehte der unheimliche Fremde sich zu ihm zurück und antwortete leise: „Ich bin Captain Hell. Und wir melden uns bei Ihnen. Bald.“

****************************

Melissa saß gespannt auf einem der Sofas im großen Wohnraum der Hunters und sah durch die hohe Fensterfront hinaus auf den See. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt.
Gleich würden Alain und sein unbekannter Zwillingsbruder Louis hier erscheinen.

Sie drehte sich zu Rado herum, der vor dem Kamin hockte und dabei war, ein Feuer zu entfachen. Nachdenklich beobachtete sie seine geschickten schnellen Bewegungen, seinen konzentrierten Gesichtsausdruck.

Werwölfe und Vampire … Sie zog fröstelnd die Schultern hoch. Was für eine bizarre Welt!

Und Branko? Auch ein Werwolf!
Wie sollte eine Beziehung mit ihm auf Dauer funktionieren? Die Hunters hatten ihre im Laufe des Tages mehrfach geäußerten Zweifel abgewimmelt. Hatten darauf bestanden, dass Branko diese Fragen selbst beantworten müsste.

Rado stand auf, setzte sich neben sie, legte ihr einen Arm um die Schulter und grinste: „Na, Rotkäppchen? Alles in Ordnung? Keine Angst, die Vampire sind auch nur Menschen!“
Er lachte schallend über seinen eigenen Witz. Melissa lächelte zögernd zurück.

Dunja kam herein und setzte sich in einen der breiten Sessel.
„Heute Abend gibt es aber keinen Whisky“, grinste sie vielsagend, „so kannst du Alain auch in Gedanken Fragen stellen, die wir nicht hören sollen …“

Zornig runzelte Melissa die Stirn.
„Hat hier noch jemand irgendwelche geheimen Fähigkeiten, von denen ich wissen sollte?“

„Nun …“, griente Rado frech, „Brankos geheime Fähigkeiten kennst du ja wohl schon besser als wir …“
Empört warf Melissa ihm ein Kissen an den Kopf.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Kolja kam herein geschlendert, gefolgt von Alain duMont und seinem Zwillingsbruder Louis, die stumm allen Anwesenden zur Begrüßung zunickten.

Verblüfft sah Melissa von einem Vampir zum anderen. Louis ähnelte Alain wirklich überraschend. Nur sein Gesicht wirkte etwas verschlossener und irgendwie – unglücklich.

Fragend deutete Alain auf den freien Platz neben Melissa: „Darf ich? Oder möchtest du lieber einen gewissen Sicherheitsabstand zu mir?“

Melissa fragte amüsiert: „Hast du denn heute schon gegessen? Frag nicht so blöd, wenn du wolltest, hättest du mich schon x-mal leer saugen können, oder nicht?“

Amüsiert lachend ließ Alain sich neben ihr auf dem Sofa nieder, während Kolja und Louis sich auf die freien Sessel rechts und links von Dunja setzten.

Rado nahm seinen Arm von Melissas Schulter und legte seine warme Hand nun auf ihren Unterarm. Seine Berührung hatte etwas Beruhigendes und zugleich Beschützendes.

Melissa sah Alain fragend an. Er lächelte wissend und sagte: „1948 Jahre! Siehst du, es funktioniert!“

Seufzend schüttelte sie den Kopf: „Ich finde dieses Gedankenlesen beunruhigend! Könntest du das bitte abstellen? Irgendwie komm ich mir dabei so nackt vor!“

Kolja kicherte: „Er muss dir dazu in die Augen sehen! Mach sie doch einfach zu!“

„Das ist nicht nötig“, sagte Alain leise mit seiner dunklen Samtstimme, „ich werde mich zurückhalten, Melissa.“

„Okay, fangen wir mit den Vorurteilen an: Ernährung? Sonnenlicht? Särge? Knoblauch? Kruzifixe? Fledermäuse? Fangzähne? Holzpflöcke? Unsterblichkeit? Vampirbiss?“ zählte Melissa ernst an ihren zehn Fingern ab.

Alain hob beide Hände und zählte ebenso ernst an seinen eigenen Fingern ab.
„Eins – Wir trinken frisches Blut. In der Stadt notfalls auch von Menschen, denen wir dann hinterher die Erinnerung löschen.
Nach Möglichkeit aber in der Wildnis von Tieren, weil uns das Jagen Spaß macht. Zur Not tun es auch Blutkonserven, aber die sind unangenehm kalt.
Menschliches Essen vertragen wir in kleinen Mengen. Das verzehren wir aber meist nur zur Tarnung, es schmeckt uns nicht wirklich.
Zwei – Sonnenlicht verbrennt uns nicht, aber es schwächt uns. Wir brauchen danach besonders viel Blut und Erholung.
Drei – In Särgen haben wir in vergangenen Jahrhunderten tagsüber nur geschlafen, weil die Häuser sich nicht so gut gegen das Sonnenlicht abdichten ließen wie heute.
Vier – Knoblauch ist genau so ein Ammenmärchen wie Fünf – die Wirkung von Kruzifixen.“

Er unterbrach sich und legte ihr beruhigend seine kühle Hand auf den freien Unterarm, sah sie beschwichtigend an: „Nein, Melissa, ich habe dich wirklich nie heimlich ‚angezapft‘. Entschuldige, du hast so laut gedacht, das konnte ich nicht ignorieren!
Zuletzt habe ich menschliches Blut vor ungefähr zweihundertfünfzig Jahren getrunken. Und der Blutspender hat es gut überstanden!“

Krampfhaft versuchte Rado, sein Lachen zu unterdrücken.
Melissa murmelte: „Und Sechs?“

„Sechs“, fuhr Alain fort, „ja, wir können uns in Fledermäuse verwandeln und fliegen … Entschuldige noch mal, aber wir sind weder vorher noch nachher nackt, wie kommst du nur darauf?“
Melissa wurde jetzt sehr rot und Rado schüttelte sich vor Lachen.

„Weiter“, drängte sie verlegen.

„Also gut. Sieben – Unsere Fangzähne sitzen versteckt im Oberkiefer und kommen nur raus, wenn wir Blut wittern und Durst bekommen. Möchtest du sie sehen?“ Alain sah sie fragend an.

„Wage es nicht!“ knurrte Rado grimmig.

„Schon gut! Bei Melissa weiß man ja nie!“ beschwichtigte ihn Alain und fuhr fort: „Acht – Ein Holzpflock ins Herz tötet uns nicht. Aber der Blutverlust kann uns schaden wie bei jeder anderen Verletzung. Wir brauchen dann viel Blut und Ruhe, damit unsere Selbstheilungskräfte wirken.
Neun – Ja, wir sind so gut wie unsterblich. Man kann uns nur töten, wenn man uns den Kopf vollständig vom Körper trennt und anschließend alles verbrennt.
Zehn – Wir werden als Vampire von Vampireltern geboren. Aber wir können auch Menschen in einen Vampir verwandeln. Dazu muss der Mensch unser Blut, das ein besonderes Gift enthält, eingeflößt bekommen. Das geht nicht ungewollt nur mit einem Biss. Die anschließende Verwandlung dauert ungefähr eine Woche und ist sehr schmerzhaft.
Nach dem Vampir-Ehrenkodex geschieht das nie ohne Einwilligung und man trägt dann die volle Verantwortung für den neuen Vampir und seine Ausbildung. Und nein, ich habe das noch nie gemacht!
Und noch mal nein, über unser Sexleben erzähl ich dir jetzt nichts, Melissa!“

Erschöpft lehnte Alain sich zurück und holte vorsichtig Luft.

Louis starrte Melissa respektvoll an: „Du überraschst mich immer wieder! Wie verkraftest du diese Informationen bloß alle?“

Misstrauisch sah sie ihn an: „Kannst du etwa auch Gedanken lesen?“

Louis schüttelte den Kopf: „Nein, meine Fähigkeit ist eher … beruhigend. Ich kann innere Verkrampfungen, die durch Angst oder Wut entstehen, auflösen.“

Fragend sah Melissa Alain an: „Was war das mit diesem … Erinnerungen löschen, was du vorhin gesagt hast?“

Alain schluckte unbehaglich und murmelte: „Um unsere Art vor Entdeckung zu schützen, und um die Blutspender nicht zu verstören, kann ich in ihre Gedanken eindringen und sie das Erlebte vergessen lassen. Das beherrschen alle Vampire.“

Melissa starrte ihn abwartend an und schwieg.
Erschrocken schüttelte er den Kopf: „Natürlich nicht! Nicht gegen deinen Willen! Du hast noch alle deine Erinnerungen! Du bist keine Gefahr für uns, du würdest uns nicht verraten.“

Unsicher sah er sie an und sagte leise: „Wenn dir das aber alles zu viel ist … Wenn du die letzten Monate vergessen möchtest, könnte ich das für dich tun. Dann wäre es, als ob du uns alle nie kennengelernt hättest.
Branko hat mich vor seinem Verschwinden darum gebeten. Ich habe mich geweigert, weil du das selbst entscheiden solltest. Wenn ich geahnt hätte, wie sehr du seinetwegen leiden würdest, hätte ich es vielleicht doch vorher getan …“

Melissa atmete scharf ein. „DAS hat er von dir verlangt? Einfach unglaublich!“

„Beruhige dich doch“, beschwichtigte Alain, „er wollte doch nur dein Bestes!“

„Wieso entschuldigst du sein Verhalten immer noch? Ihr beiden seid längst miteinander quitt!“ mischte sich nun Louis ärgerlich ein.

Melissa sah von einem zum anderen: „Also gut, um was geht es hier? Was ist zwischen Branko und Alain?“

„Tja, dein Branko ist ein echter Held“, erklärte Kolja, „er hat Alain mal das Leben gerettet. Und seitdem wollen diese bleichgesichtigen Blutsauger unbedingt mit uns Wölfen befreundet sein.“

„Pass auf, Welpe“, zischte Alain zurück, „wir ertragen euch stinkende Köter nur, weil ihr zu Branko gehört!“

Melissa zuckte erschrocken zusammen.
Aber Louis lächelte sie beruhigend an: „Hey, keine Gefahr! Vampire und Werwölfe halten es nur nicht lange miteinander in geschlossenen Räumen aus. Eigentlich sind wir seit Jahrtausenden Todfeinde.
Doch in den letzten 400 Jahren mussten wir uns damit abfinden, dass Branko und Alain gute Freunde geworden sind. Hin und wieder kommen bei uns die Raubtierinstinkte durch, aber wir würden uns niemals ernsthaft bekämpfen.“

Melissa entspannte sich wieder und wandte sich an Alain: „Wollen wir dann ein bisschen raus an die frische Luft gehen, während du mir von Branko und dir erzählst?“

Alain sah fragend in Rados Richtung.
Der nickte zustimmend, knurrte jedoch warnend: „Ihr bleibt aber auf der Terrasse, wo wir euch beobachten können, klar?“

Sofort erhob sich Alain und streckte Melissa auffordernd die Hand entgegen.
„Na dann komm, die Wölfe passen gut auf dich auf! Wir nehmen Louis mit, der möchte seine Geschichte auch nicht so gern vor den anderen erzählen, obwohl sie die schon kennen.“

Louis folgte ihnen durch die offene Schiebetür und stellte sich an den Rand der Terrasse, wo er ihnen den Rücken zukehrte und schweigend auf den dunklen See blickte.

Draußen flüsterte Alain Melissa leise ins Ohr: „Sie hören sowieso jedes Wort, weil wir alle ein außergewöhnlich feines Gehör haben!“

„Stimmt“, knurrte Rado zustimmend von drinnen.

Melissa kicherte und setzte sich auf einen der hölzernen Liegestühle.

Alain schritt mit seinen langen Beinen vor ihr auf und ab, während er erzählte: „Damals, im Jahr 1605, lebte der größte Teil meiner Familie in Nordfrankreich auf unserem Familienschloss. Die Zeiten waren gefährlich für uns, denn es war die Zeit der Hexenverfolgungen.
Alle, die sich gegenüber der christlichen Kirche kritisch äußerten, oder traditionelle vorchristliche Bräuche pflegten, wurden als Ketzer, Hexen, Zauberer oder Dämonen beschuldigt. Dabei wurden Hebammen, Heilkundige, Heiden und eben auch Vampire und Werwölfe gejagt, gefoltert und verbrannt.

Zu der Zeit hielten sich auch viele der skythischen Werwölfe in Frankreich auf und sie mussten höllisch aufpassen, nicht entdeckt zu werden. Wir alle hatten unsere Verstecke und ließen uns kaum vor den Sterblichen sehen.
Eines Nachts, ich war allein auf der Jagd, geriet ich in einen Hinterhalt. Eine Horde fanatischer Vampirjäger hatte mich umzingelt. Trotz meiner Stärke und Geschicklichkeit gelang es einem von ihnen, mir einen angespitzten Speer in die Brust zu rammen, während ein anderer mir mit einer Axt fast die rechte Hand abhackte.“

Melissa starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen entsetzt an.

„Hey, ich stehe hier gesund vor dir“, beruhigte Alain sie, „ich habe es überlebt, obwohl es zunächst nicht danach aussah. Sie ließen mich scheinbar tot liegen und gingen Feuerholz für meine Verbrennung suchen.
Wegen des hohen Blutverlustes und der verletzten Hand schaffte ich es nicht, den Speer aus meiner Brust zu ziehen. Und somit funktionierten meine Selbstheilungskräfte erst mal gar nicht. Ich wäre verblutet … und verbrannt worden.
Ja, und da kam Branko aus dem Wald. Er riss mir den Speer aus der Brust, warf mich über die Schulter und schaffte mich weit weg in eine gut versteckte Höhle. Als er sah, wieviel Blut ich verloren hatte, schnitt er sich mit seinem Messer tief in den Unterarm und zwang mich, sein Blut zu trinken!“

Melissa wurde ganz blass und schluckte. Alain blieb stehen, beobachtete sie und kniete sich schließlich vor ihr hin.
„Ja, er ist wirklich ein Held! Er hätte selbst dabei draufgehen können! Ich konnte nicht aufhören, ihn auszusaugen, ich brauchte sein Blut! Und er wurde dabei immer schwächer. Irgendwann setzte mein Verstand wieder ein und ich ließ endlich von ihm ab.
Den Rest der Nacht und den ganzen folgenden Tag lagen wir erschöpft nebeneinander in der Höhle und tauschten unsere Lebensgeschichten aus, während unsere Körper versuchten, die entstandenen Schäden zu reparieren.

Aber es dauerte zu lange, um auf die völlige Regeneration zu warten. Die Vampirjäger hätten uns dank meiner Blutspur, die wir hinterlassen hatten, bestimmt bald aufgespürt.
Also nahm Branko mich in der folgenden Nacht auf den Rücken und lief los. Er kannte die ungefähre Richtung, in der das Schloss meiner Familie lag, aber wir brauchten drei lange Nächte für den Weg.
Nachts trug Branko mich auf dem Rücken durch Wälder und unwegsames Gelände, jagte zwischendurch kleinere Tiere für uns, die wir roh verzehrten. Tagsüber versteckte er mich vor dem Sonnenlicht in Erdlöchern oder in dichtem Gebüsch, wobei er mich notfalls auch mit seinem eigenen Körper schützte.

Als er endlich unser Schloss erreichte, waren wir beide mehr tot als lebendig. Meine Familie pflegte uns gesund und schickte Boten zu seinem Rudel. Die Wölfe lebten seit ungefähr hundert Jahren in Frankreich und hatten wegen der bestialischen Verfolgungen keine Möglichkeit, das Land unauffällig und sicher mit Frauen und Kindern wieder zu verlassen. Also bot meine Familie ihnen an, sich auf unserem Landsitz zu verstecken, bis die Zeiten sich beruhigt hätten.
Unser Land liegt direkt am Atlantik und ist an drei Seiten von hohen Bergen geschützt. Der einzige Zugang ist eine schmale Schlucht, die relativ leicht zu kontrollieren ist. Die nächsten zweihundert Jahre lebten wir alle zusammen dort.

Rado, Dunja, Kolja und sogar Brankos Vater Alexej waren damals auch dabei. Natürlich lief es nicht ganz ohne Reibereien und Kämpfe ab, aber wir hatten doch Achtung und Respekt voreinander. Und wir schlossen einen ewigen Waffenstillstand.
Branko und ich lernten uns in der Zeit sehr gut kennen und wurden echte Freunde. Als dann Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich die Revolution ausbrach, wurden Vampire und Werwölfe aus dem Bewusstsein der Sterblichen verdrängt.
Die Verfolgungen ließen nach und die Wölfe kehrten unbehelligt in die Ukraine zurück. Trotzdem haben wir die Verbindung nie ganz abreißen lassen. Branko und ich haben uns immer mal wieder irgendwo auf der Welt getroffen.“

Alain setzte sich neben Melissa auf den Liegestuhl und legte ihr seinen kühlen Arm um die Schultern.
„Siehst du“, flüsterte er ihr zu, „er ist nicht feige, dein Branko! Er ist es wert, dass du ihn liebst. Auch wenn ich damit sehr unglücklich bin. Wenn es nicht gerade um ihn ginge, würde ich mit allen Mitteln versuchen, dich für mich zu gewinnen.
Aber Branko ist praktisch mein Blutsbruder, ich könnte ihn nie hintergehen – nicht wenn er dich so verzweifelt liebt …“

Im Hintergrund konnten sie Rado aus dem Wohnzimmer warnend knurren hören.
Alain rückte ein Stück von ihr ab und rief nach drinnen: „Halt die Füße still, Hündchen! Ich weiß selbst, wo meine Grenzen sind!“

Drinnen wollte Rado aufspringen, wurde aber von Dunja angefaucht: „Reiß dich zusammen! Ihr Männer mit euren Testosteronschüben macht mich noch wahnsinnig! Er tut ihr doch nichts!
Sie muss doch wissen, wie es in ihm aussieht! Schließlich sollte sie ihre Alternativen kennen, bevor sie eine Entscheidung treffen muss, die ihr ganzes Leben verändert!“

Melissa schluckte und sah Alain flehend an: „Es tut mir alles so leid! Ich wünschte, ich könnte es dir leichter machen, aber ich …“

Zärtlich gab er ihr einen ganz leichten Kuss auf die Stirn und flüsterte wehmütig: „Ich weiß, mein Herz, ich weiß …“

Mit zwei Schritten war Louis in der offenen Tür und sah Rado hypnotisierend an: „Ganz ruhig, Wolf, gaaanz ruhig …“

Rado, der schon knurrend seine Fäuste geballt und unkontrolliert zu zittern begonnen hatte, beruhigte sich langsam und atmete tief aus: „Danke Louis, das war ziemlich knapp!
Und jetzt pflück deinen Bruder von Melissa und flieg mit ihm nach Hause. Für heute reicht es mit meiner Selbstbeherrschung!“

Bedauernd lächelnd erhob sich Alain und fragte: „Sehen wir uns morgen? Dann erzählen wir dir von unserer Mission hier in Rock Grove, ja?“

Zustimmend nickte Melissa und sah dann den beiden Vampiren nach, wie sie unglaublich schnell quer über die Lichtung liefen und im Wald verschwanden.

Dunja erhob sich, kam auf die Terrasse und nahm sie in den Arm.
„Ich bringe dich jetzt mit deinem Pegasus nach Hause. Ruhe dich aus und lass dir Zeit, alles zu verarbeiten. Katharina und Dennis wissen übrigens nicht offiziell über uns Bescheid, aber sie ahnen einiges.
Wenn du mit jemandem, der weder Klauen noch Fangzähne besitzt, über alles reden willst, kannst du gern mit ihnen sprechen. Die beiden sind für uns ungefährlich. Aber es bleibt deine Entscheidung. Komm, wir gehen.“

Melissa nickte erschöpft, verabschiedete sich von Rado und Kolja und ließ sich von Dunja zu ihrem Pegasus führen.

**********************

Nachts. Sie saß wieder am Lagerfeuer auf der großen Lichtung vor dem Blockhaus. Ringsum der dichte dunkle Wald. Durch die hoch auflodernden Flammen konnte sie auf der anderen Seite des Feuers die Furcht einflößende Gestalt von Rado erkennen.
Breitbeinig stand er da, das harte schöne Gesicht ihr zugewandt, die Violine in seinen starken Händen und spielte wilde, mitreißende Zigeunerweisen. Seine schwarzen Augen blitzten sie teuflisch an.

Hinter sich hörte sie Geräusche: Zweige knackten, Laub raschelte, irgendjemand – IRGENDETWAS - kam aus den schwarzen Schatten des Waldrandes.
Sie atmete hastig ein und drehte sich herum.

Im dichten Unterholz der Bäume stand ein riesiger schwarzer Wolf. Seine Raubtieraugen glühten golden und fixierten sie. Er öffnete seine Schnauze und bleckte gefährlich scharfe Reißzähne. Ein heiseres Knurren entwich seiner Kehle.
Melissa fühlte sich wie hypnotisiert und blieb regungslos sitzen, ihre Augen von seinem Blick gebannt.

Dann verschwamm das Bild des Wolfes vor ihren Augen. Seine Konturen wurden unscharf, seine Umrisse veränderten sich.
Sie blinzelte. Als sie die Augen wieder öffnete, erkannte sie Branko, am Waldrand stehend.



Er trug nur seine schwarze Lederhose, sein tätowierter muskulöser Oberkörper war nackt. Seinen kunstvollen Skythenbogen hielt er lässig in der linken herabhängenden Hand. Schwarzes Haar fiel ihm in wirren Strähnen in sein ausdrucksloses Gesicht.
Goldbraun glänzten seine Augen unter den dichten schwarzen Brauen. Sein Blick hielt sie gefesselt. Langsam hob er die freie rechte Hand und streckte sie sehnsüchtig nach ihr aus.

Melissa wollte zu ihm, ihn umarmen, ihn küssen, ihn für immer festhalten …

Doch sie war wie gelähmt, konnte sich nicht bewegen, nicht aufstehen.

Verzweifelt legte Branko den Kopf in den Nacken und stieß ein klagendes wildes Heulen aus.
Dann drehte er sich um und verschwand im Wald.



In Schweiß gebadet fuhr Melissa aus ihrem Traum hoch und lauschte hinaus in die Nacht.


ELISABETH UND LOUIS



Melissa saß auf der Bank unter dem Apfelbaum im Garten hinter dem Pub. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und hielt ihr Gesicht mit geschlossenen Augen in die wärmende Spätnachmittagssonne.

Branko – ein Werwolf! Branko – ein gefährliches Raubtier? Branko – unsterblich!
Ihre Gedanken wirbelten ziellos durcheinander.
Branko – dunkel, wild und unwiderstehlich sexy. Und so stark und beschützend. Sie mochte seinen Humor und seinen jungenhaften, spitzbübischen Charme.
Bei den Gedanken an seine goldbraunen Augen, seinen verführerischen Mund und seine dunkle raue Stimme musste sie sehnsüchtig seufzen. Die Erinnerung an seine zärtlichen Hände auf ihrem Körper ließ ihr wohlige Schauer über den Rücken laufen.

Das Bild eines riesigen schwarzen Wolfes mit zornig glühenden Augen tauchte in ihren Gedanken auf. Branko, der sie vor Ben Fletcher beschützen wollte …
Sie riss verwirrt die Augen auf und versuchte, ihre Gefühle zu analysieren. Sie liebte ihn. Sie wollte nicht mehr ohne ihn leben – und sie fand ihn atemberaubend schön in seiner Gestalt als wilder Wolf!

Innerlich schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. Was für eine bizarre Situation! Vampire und Werwölfe! Monster und Raubtiere? Fledermäuse und Wölfe!
Und die Skythen! Forschung am lebenden Objekt, Erkenntnisse aus erster Hand! Sie wollte noch so viel wissen, so viel fragen …

Melissa wurde nachdenklich: Leider musste sie alle Informationen für sich behalten, durfte nie etwas darüber veröffentlichen!
Bisher hatte sie weder mit Katharina noch mit Dennis über die unglaublichen Geschehnisse der letzten Tage geredet. Diese Entscheidung wollte sie erst später treffen, wenn sie mit Branko gesprochen hatte.
Wenn sie sich sicher war, ob und wie ihre Beziehung zu ihm weitergehen konnte.

Heute Abend würden Alain und sein Zwillingsbruder Louis ihr weitere Fragen über Vampire und vor allem über Tante Elisabeth beantworten …

Als die Abenddämmerung einsetzte, saß Melissa immer noch im Garten auf der Bank. Katharina hatte ihr einen kleinen Imbiss, Rotwein und ein Windlicht heraus gebracht. Nachdem Melissa ihrer Cousine versichert hatte, dass es ihr wirklich gut ginge und sie nur allein den schönen Abend genießen wollte, war diese beruhigt in den Pub zurück gekehrt.

Nun lauschte sie konzentriert in die Dunkelheit und wartete auf Alain.

Eine vertraute kühle Hand legte sich von hinten auf ihre Schulter. Überrascht fuhr sie hoch und wandte sich um. Er stand hinter der Bank im Schatten der Nacht.

„Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken“, flüsterte Alains dunkle Samtstimme leise.
Sie sprang hoch und umarmte ihn. „Du hast mich nicht erschreckt. Aber ich habe dich nicht kommen gehört“, erwiderte sie ebenfalls flüsternd.
Er lachte leise: „Wie solltest du auch – mit deinen unterentwickelten Sinnen …“

Entrüstet sah sie ihn an: „Das ist unfair. Wo ist denn Louis?“
„Er ist noch bei Elisabeth und kommt später. Wollen wir in dein Zimmer hinauf? Da können wir uns ungestörter unterhalten …“ Alain sah sie fragend an.

„Ungestört von Wölfen?“ kicherte sie.
Er seufzte: „Wenn sie wollten, würden sie in der Dachrinne hocken und lauschen, ohne dass du es wahrnimmst! Aber sie sind fair und lassen uns heute in Ruhe, hat mir Dunja versichert …“

Ohne ein weiteres Wort hob Alain sie hoch, umschloss sie sicher mit seinen starken Armen. Er trat unter ihr Schlafzimmerfenster und sprang aus dem Stand mühelos hoch auf das Fensterbrett. Oben angekommen, glitt er lautlos mit ihr ins Zimmer und setzte sie sanft auf ihrer Bettkante ab.

„Wow“, verblüfft sah sie ihn an. Er lachte leise und setzte sich neben sie.
Dann betrachtete er sie eindringlich: „Melissa, ich werde versuchen, mich heute nicht in deine Gedanken zu schleichen. Sei also ganz entspannt und stell einfach alle Fragen, die dir einfallen, ja?“

Melissa lächelte ihn dankbar an, lehnte sich an ihn und fragte vorsichtig: „Ist das so in Ordnung für dich? Wie ist das mit deinem Blutdurst?“

„Keine Angst, ich werde dich schon nicht anfallen“, beruhigte er sie und legte seinen starken Arm um ihre Schultern.
„Wir Vampire brauchen Blut so wie ihr Menschen Nahrung braucht. Zum Leben. Normalerweise reicht uns eine ‚Mahlzeit‘ pro Woche. Bei Verletzungen oder nach Kontakt mit Sonnenlicht brauchen wir zusätzliche Rationen, weil die Selbstheilung viel Blut verbraucht.“

Besorgt sah sie ihn an: „Blut von Menschen?“

Alain atmete tief ein und nickte: „Menschliches Blut ist eigentlich unsere Hauptnahrung, ja. Auch wenn ich und der größte Teil meiner Familie seit einigen Jahrhunderten freiwillig darauf verzichten, und stattdessen Tiere jagen, haben wir trotzdem immer noch Appetit darauf, können uns aber ganz gut beherrschen.
Besonders wenn der betreffende Mensch zu unserem sozialen Umfeld gehört. Aber nicht alle Vampire sind so! Die meisten wollen oder können gar nicht auf Menschenblut verzichten!“

Vorsichtig sah Melissa ihn von der Seite an: „Musst du dich jetzt sehr stark beherrschen?“
„Nein, mein Herz“, lachte er leise, „…jedenfalls nicht in Bezug auf den Blutdurst!“
„Oh …“, hauchte sie verwirrt und wurde rot.

„Möchtest du etwas über die Entstehung der Vampire wissen?“ versuchte Alain behutsam, sie beide auf andere Gedanken zu bringen.
Sie nickte und blickte ihn an: „Ja, was ist mit den Geschichten über Dracula, Nosferatu oder Lilith, die angebliche Mutter aller Vampire?“

Alain schüttelte den Kopf: „Dichtung und Mythos. Dracula, Nosferatu und andere Vampire sind literarische Erfindungen. Vielleicht aus Geschichten entstanden, die um unerklärliche Ereignisse oder Erscheinungen verbreitet wurden. Gut möglich, dass unvorsichtige Vampire sogar der Anlass dafür waren.
Und Lilith, die angeblich die erste Frau Adams war, ist genauso ein Mythos wie Adam und Eva selbst. In fast allen Schöpfungsgeschichten der verschiedenen Völker tauchen Wesen oder Götter auf, die Blut trinken, sich in Tiere verwandeln, unsterblich sind, fliegen können oder andere unmenschliche Fähigkeiten haben.“

Sie nickte verstehend und er fuhr fort: „Menschliche Wissenschaftler hatten ja keine Gelegenheit, Wesen wie uns oder die Werwölfe zu erforschen, also existieren wir für sie auch nicht. Doch Wissenschaftler unserer Art haben ihre eigenen Nachforschungen angestellt und sind zu der Erkenntnis gekommen, dass wir wohl einfach ein Ableger des menschlichen Stammbaumes sind.
Nach der Evolutionstheorie hat sich der heutige Mensch ursprünglich über mehrere Stufen aus einem affenähnlichen Vorfahren entwickelt. Auf dem Weg zum heutigen Homo sapiens sind verschiedene Formen von Urmenschen aufgetaucht und wieder verschwunden, wie zum Beispiel die Neandertaler.
Irgendwann sind dabei auch Vampire, Werwölfe und wer weiß was noch für bisher unentdeckte Lebewesen entstanden, die parallel zur weiteren Entwicklung des Menschen bis in die heutige Zeit existieren. So haben wir - Vampire, Werwölfe und Menschen - wahrscheinlich alle einen gemeinsamen Urahnen.“

Nachdenklich versuchte Melissa, das Gehörte in ihr bisheriges Weltbild einzuordnen. Und langsam gewann eine wichtige Frage die Oberhand.
Verlegen sah sie zu Alain auf.
Er hob fragend eine Augenbraue und lächelte wissend: „Ich habe versprochen, heute nicht deine Gedanken zu lesen, du musst es also schon aussprechen!“

Melissa gab sich einen Ruck, blickte auf den Fußboden und murmelte fast unhörbar: „Wie ist es mit dem Sex bei Vampiren? Und können Menschen und Vampire miteinander … Äh, du weißt schon. Also … Oh Gott, Alain, lass mich doch nicht so zappeln!“

Er sah sie belustigt an: „Also, woher kommen die kleinen Vampirbabys? Der Sex zwischen Vampiren funktioniert genauso wie bei Menschen. Ist aber sehr viel intensiver, weil unsere Sinneswahrnehmungen ja wesentlich ausgeprägter sind. Und sehr viel … heftiger, weil wir so stark und ausdauernd sind.“

Gespannt beobachtete er ihre Reaktion. Sie blickte nicht auf, fixierte ihre Füße und nagte verlegen an ihrer Unterlippe.
Er zwang sich, nicht in ihre Gedanken einzudringen und sprach leise weiter: „Eine Schwangerschaft dauert neun Monate, die kleinen Vampire sind wie Menschenkinder. Sie haben noch keine Fangzähne, brauchen menschliche Nahrung, können unbeschadet in die Sonne und haben auch noch keine besonderen Fähigkeiten, außer dass sie nicht krank werden und Verletzungen schnell heilen.
Erst während der Pubertät entwickeln sich allmählich die vampirischen Besonderheiten, die aber noch trainiert werden müssen. So im Alter zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren stoppt dann die körperliche Entwicklung und sie werden äußerlich nicht mehr älter. Menschen, die in Vampire verwandelt wurden, bleiben dagegen in dem Alter, das sie bei der Verwandlung hatten. Deshalb ist es uns untersagt, Menschen vor Abschluss der Pubertät umzuwandeln.“

Alain machte eine Pause. Er spürte intensiv Melissas körperliche Nähe und versuchte, seine Sehnsucht, sie zu berühren, zu ignorieren. Nun kam für ihn das schwerste Thema.

Er hob den Kopf und starrte durch das geöffnete Fenster in den Nachthimmel, als er weitersprach: „Sex zwischen Vampiren und Menschen ist möglich, aber nicht ganz ungefährlich. Der Vampir muss ständig seine Selbstbeherrschung im Griff haben, seinen Blutdurst und seine übermenschlichen Kräfte kontrollieren, sonst könnte die Partnerin verletzt werden. Also kann er nicht einfach so seiner Erregung nachgeben, muss sich sehr zurückhalten.“

Melissa fragte leise: „Hast du schon mal …?“
Alain sah sie zögernd an und nickte dann: „Ja, ein paar Mal … Aber es waren Frauen, die nicht wussten, was ich bin. Es waren flüchtige Beziehungen. Ich war nicht mit dem Herzen beteiligt und hatte keine Schwierigkeiten, meine Selbstbeherrschung zu bewahren.“

„Und mit Vampirfrauen?“

Jetzt lächelte Alain entschuldigend: „Melissa, ich bin ein Mann und kein Eunuch! Und ich bin 1948 Jahre alt, also habe ich wohl schon öfter mit einer Frau das Bett geteilt. Natürlich fast nur mit Vampirfrauen, weil wir uns ja nach Möglichkeit von den Sterblichen fernhalten.“

Befangen zupfte Melissa an ihrem schwarzen T-Shirt herum.
Alain beobachtete sie und fragte dann interessiert: „Warum trägst du eigentlich nicht mehr deine lustigen Statements auf der Brust spazieren? Irgendwie vermisse ich das, ich fand es unglaublich amüsant.“

Sie zuckte hilflos mit den Schultern: „Für meine Stimmung der letzten Monate gibt es einfach keine passenden Worte.“

„Ach Melissa“, Alain nahm sie tröstend in die Arme, „ich weiß … aber es ist doch fast überstanden. Branko kommt morgen zurück. Seine größte Angst war, dass du ihn verabscheuen würdest, wenn du die Wahrheit erfährst. Aber du hast uns allen ja in den letzten Tagen gezeigt, dass du uns nicht für Monster hältst.
Wenn er sich also nicht allzu blöd anstellt, wirst du ihm sein plötzliches Verschwinden schließlich verzeihen. Denn du liebst ihn doch so wie er ist!“

„Kannst du etwa auch in die Zukunft sehen?“ fragte sie misstrauisch.
Alain grinste und hob lauschend den Kopf: „Fast! Louis kommt!“

Im selben Moment landete Louis mit einem lautlosen Sprung auf dem schmalen Fensterbrett und ließ sich geschmeidig auf den Boden gleiten. Freundlich lächelnd ging er auf Melissa zu.
„Schönen Gruß von Elisabeth, sie war heute Abend wieder mal bei wachem Verstand!“

Alain stand auf: „Ich lass euch beide jetzt allein. Es ist vernünftiger, wenn ich heute noch jagen gehe. Dann bin ich morgen etwas ausgeglichener, wenn Branko zurückkommt.“

Erschrocken sah Melissa ihn an: „Was meinst du damit? Du wirst ihm doch nichts tun, oder?“

Louis strich ihr beruhigend über den Arm: „Niemand will Branko etwas antun. Ich kann mir auch niemanden vorstellen, der deinem Krieger ernsthaft Schaden zufügen könnte.
Aber jeder einzelne von uns möchte ihm persönlich die Meinung über sein Verschwinden sagen. Und dabei wäre es hilfreich, wenn wir alle etwas ausgeglichen sind.
Ich habe nämlich nicht die Absicht, ihm mit meinen persönlichen Fähigkeiten irgendwas davon zu ersparen. Nur dich werde ich unterstützen, wenn du es möchtest. Du sollst nicht noch mal so unter deinen Gefühlen leiden müssen.“

Eine plötzliche Erkenntnis stieg in Melissa auf: „Du warst auch bei mir, nachts! Es war nicht immer Alain! Du hast mich beruhigt, stimmt‘s?“
Bestätigend nickte Louis.

Alain nahm Melissa noch einmal fest in den Arm, gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn und murmelte ironisch: „Ab morgen krieg ich dafür Haue! Gute Nacht, Melissa, mein Herz.“
Mit einem panthergleichen Sprung landete er auf dem Fenstersims und sprang hinaus in die dunkle Nacht, ohne sich noch einmal umzusehen.

Melissa setzte sich wieder auf die Bettkante und sah Louis fragend an: „Und was ist mit deiner Jagd?“
Er lächelte beruhigend: „Ich hab mir auf dem Weg vom Altersheim hierher Zeit gelassen. Dabei habe ich einen Fuchs und ein Reh erwischt.“

Sie schluckte und betrachtete nachdenklich seine weiße Jeans und sein makelloses hellblaues Seidenhemd.
„Hast du dich danach noch umgezogen?“
Louis lachte leise: „Genau wie eure Kinder lernen auch Vampire Tischmanieren! Unsere Mahlzeiten sind nicht so blutig, wie du dir das vorstellst!“

„Komm setz dich zu mir und erzähl endlich, was mit dir und meiner Großtante los ist“, bat Melissa.

Er setzte sich neben sie, ohne sie zu berühren und begann: „Es war 1935, im Frühling. Elisabeth war damals zwanzig Jahre alt. Ich lebte bereits seit zwölf Jahren allein hier in unserer Villa, hatte wenig Kontakt zu den Einheimischen gepflegt. Kaum jemand kannte mich.
Trotzdem war es an der Zeit, mal wieder umzuziehen, um keinen Verdacht zu erregen wegen meiner scheinbaren Alterslosigkeit. Eines Abends hatte ich das Bedürfnis nach Ablenkung und besuchte das Osterfeuer hier im Ort, wollte sozusagen zum Abschied noch einmal unter Menschen sein.“

Louis lächelte träumerisch: „Und da sah ich Elisabeth. Sie stand auf der anderen Seite des riesigen Feuers und blickte ganz verzückt in die lodernden Flammen. Ich war auf den ersten Blick in sie verliebt! Katharina hat übrigens sehr große Ähnlichkeit mit ihr ...
Als ich Elisabeth vorsichtig ansprach, reagierte sie völlig unbefangen. Wir kamen sehr schnell ins Gespräch und verabredeten uns für den nächsten Abend. So ging es ein paar Tage. Wir kamen uns näher und ich war mir sicher, dass ich sie für immer an meiner Seite haben wollte.
Aber die Zeit drängte, ich hätte abreisen sollen, war schon zu lange an einem Ort. Ich war die Ausflüchte leid, warum wir uns nicht tagsüber treffen konnten. Oder warum ich mich so selten mit ihr in der Öffentlichkeit zeigen wollte. Also erzählte ich ihr, viel früher als ich es unter anderen Umständen getan hätte, die Wahrheit. Sie reagierte wundervoll. Sie liebte mich und akzeptierte mein Vampirsein sofort.“

Er unterbrach sich und lächelte Melissa an: „Das scheint also irgendwie in eurer Familie zu liegen, diese Toleranz gegenüber anderen Lebensformen, nicht wahr?“

Melissa nickte nachdenklich: „Scheint so. Aber was ist schiefgelaufen?“

„Sie wollte ihre Familie nicht verlassen“, murmelte Louis traurig. „Ich wollte sie natürlich am liebsten verwandeln, um ewig mit ihr zu leben. Das lehnte sie ab. Sie wollte sterblich bleiben.
Ich wollte sie trotzdem heiraten. Sie wäre einverstanden gewesen – unter der Bedingung, dass wir hier bei ihrer Familie leben würden. Das war aber für mich unmöglich, ich hätte ja nicht nur meine Enttarnung, sondern die Sicherheit meiner ganzen Art riskiert! Also musste ich sie verlassen …“

„Oh Louis …“, flüsterte Melissa entsetzt. Sie streckte die Hand aus und streichelte ihm hilflos den Oberarm.
„DU bist ihre unglückliche Liebesgeschichte! Es tut mir so leid …“

Er sah sie beschwörend an: „Denk daran, wenn du irgendwann so eine Entscheidung treffen musst, Melissa!“

Beide schwiegen eine Weile und hingen ihren Gedanken nach. Zögernd fragte Melissa: „Wann hast du sie wiedergesehen?“

„Jedes Jahr! Ich kam jedes Jahr für eine Nacht und traf Elisabeth hier in unserer Villa! Wir waren trotz allem ein bisschen glücklich. Ihr Älterwerden nahm ich gar nicht richtig wahr. Für mich ist sie auch heute noch so schön und jung wie damals vor 75 Jahren!“
Er lächelte versonnen vor sich hin.

„Und dann vernebelte sich ihr Geist, ihre Schwester starb und Katharina brachte Elisabeth ins Altersheim. Ich hätte sie gern zu mir geholt nach Frankreich, aber sie wollte unbedingt hierbleiben. Also beschloss ich, wieder in die Villa einzuziehen, um in ihrer Nähe zu sein, bis sie für immer ...
Da inzwischen eine neue Generation hier im Ort lebte, war die Gefahr einer Enttarnung ja nicht größer als irgendwo sonst auf der Welt. Doch Alain bestand darauf, mich zu begleiten. Und er bat Branko, ebenfalls dabei zu sein. Er wollte sicher gehen, dass auch tagsüber jemand den Ort im Auge behält.
Die anderen Hunters wiederum wollten Branko nicht allein ziehen lassen. Und sie fühlten sich auch meiner Familie gegenüber verpflichtet, wegen des jahrhundertelangen Asyls damals bei uns in Frankreich...“

Louis unterbrach sich und sah Melissa verzweifelt an: „Eigentlich warten wir hier alle nur darauf, dass Elisabeth stirbt ... Und alles wiederholt sich! Wir sind schon wieder so lange an einem Ort, dass es für uns gefährlich werden könnte!“

Stumm nahm Melissa ihn in den Arm und legte ihren Kopf an seine Schulter. Mit der Hand fuhr sie ihm tröstend über seinen Rücken.

Louis wandte sich ihr zu und sagte eindringlich: „Melissa, wenn du Branko wirklich liebst, tu ihm das nie an! Geh mit ihm, wenn er gehen muss!“

Erschrocken sah sie ihn an und fragte: „Wie lange könnt ihr alle noch gefahrlos hier bleiben?“

Louis rechnete vor: „Wir leben seit zehn Jahren hier, aber erst seit sieben Jahren sind wir regelmäßig in der Öffentlichkeit erschienen. Also so zwei bis drei Jahre noch, ungefähr …“

Melissa schwieg wieder nachdenklich. Dann fiel ihr noch was ein: „Der anonyme Gönner des Altersheims – das bist du, oder?“

„Natürlich“, er zuckte mit den Schultern, „Geld spielt bei uns keine Rolle. Wer so lange lebt, kann sein Vermögen ganz anders investieren. Allein die Ländereien und Häuser, die wir im Laufe der Jahrhunderte erworben und wieder verkauft haben ... Wir sind alle stinkreich. Auch die Wölfe.“

Louis stand entschlossen auf und umarmte sie freundschaftlich: „So, du solltest aber jetzt deinen Schönheitsschlaf halten. Morgen musst du besonders ausgeruht sein, um Branko gehörig den knackigen Hintern zu versohlen! Komm, zum Abschluss zeig ich dir noch was!“

Er trat ans offene Fenster und sprang pfeilschnell hoch in die Luft. Seine Gestalt löste sich in einem schnellen Luftwirbel auf und eine große Fledermaus flatterte aus dem Fenster, drehte noch eine Ehrenrunde und verschwand im Dunkel der finsteren Nacht.

Melissa sah ihm mit offenem Mund hinterher. „Oh Mann, das ist ja wirklich unglaublich!“


BRANKOS RÜCKKEHR



In Chicago …



Seit zwei Tagen bewohnte Ben Fletcher das Gästezimmer in Frank Wilsons Wohnung. Zuerst war er erstaunt gewesen über dessen Einladung, für unbestimmte Zeit bei ihm zu wohnen. Aber da ihn diese verfluchten Beschützer von Melissa quasi aus der Stadt gejagt hatten, hatte er sowieso nicht gewusst, wo und wie er sich in Zukunft eine Existenz aufbauen sollte.
Da war Franks mysteriöse Einladung gerade recht gekommen ...

Und nun sonnte Ben sich in dem Gefühl, scheinbar eine wichtige Person für ein Projekt zu sein, das Frank Wilson mit ein paar ihm bisher Unbekannten plante. Offenbar waren seine Beobachtungen in Rock Grove und seine Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten von größtem Interesse für Frank.
Stundenlang hatten sie alle Informationen über das Auftreten und Verhalten der wilden Huntermänner und des geheimnisvollen Besitzers des ‚Waldboten‘, Alain DuMont, notiert.

Eben hatte es stürmisch an der Wohnungstür geklingelt. Und nun trat Frank mit zwei Typen wieder ins Wohnzimmer, in dem Ben über einige ausgebreitete Landkarten von Rock Grove gebeugt saß. Erschrocken musterte dieser die Fremden und schluckte schwer. Vor ihm standen zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten.

Der eine Kerl war einfach riesig und trug schwarze Militärklamotten mit einem verschlissenen Ledermantel darüber. Seine strähnigen, fast weißen Haare fielen bis auf seine breiten Schultern und seine Augen waren durch eine dunkle Sonnenbrille verdeckt.
Der ganze Mann wirkte wie eine Bedrohung, er strahlte eine gefährliche Aura aus. Ben war sich ziemlich sicher, dass dieser Kerl unter seinem Mantel schwer bewaffnet war und zog eingeschüchtert die Schultern hoch.

Der zweite Mann wirkte dagegen geradezu mickerig, fast schon harmlos. Ein schäbiger brauner Anzug schlotterte um seine schmächtige Gestalt. Seine dünnen braunen Haare trug er mit Gel eng an den Kopf geklatscht und auf seiner spitzen Nase klemmte schief eine randlose Brille.

Frank räusperte sich: „Also, Ben, darf ich dir unsere Mitstreiter vorstellen. Dies sind Captain Hell und …“ Er brach zögernd ab und sah den kleineren Mann fragend an.
Dieser ergriff mit leiser, krächzender Stimme das Wort: „Mein Name ist … also, man nennt mich das ‚Frettchen‘ … ich bin bei den Monsterjägern für die Planung, Auskundschaftung und die Technik zuständig.“

Captain Hell trat wortlos an den Tisch heran und musterte Ben skeptisch. Dann befahl er mit seiner dunklen, kratzigen Stimme: „Sie wurden von den Werwölfen angegriffen? Erzählen Sie mir jede Einzelheit, alles könnte für uns wichtig sein! Aussehen, Größe, Verhalten, Tageszeit, Umgebung … jedes verfluchte Detail!“

Ben schluckte noch einmal und begann, seine Erlebnisse am Waldrand, als die Hunters über ihn hergefallen waren, zu schildern. Dabei erlebte er wieder das Grauen und Entsetzen der damaligen Situation.
Inzwischen beugte sich das ‚Frettchen‘ über die ausgebreiteten Landkarten und studierte diese intensiv.

Als Ben geendet hatte, versank Captain Hell in Gedanken und runzelte dabei die Stirn.
„Sie sind also alle tagsüber draußen unterwegs, auch der Vampir, dieser Zeitungsmensch?“ murmelte er und zeigte mit seiner in einem schwarzen Handschuh steckenden Hand auf die Karten.
„Wo genau sind diese Silberminen? Wir haben im Internet einen Artikel dieser Melissa Fuller darüber für den ‚Waldboten‘ gefunden. Sehr interessant …“
Eingeschüchtert zeigte Ben auf die betreffende Stelle in dem Lageplan.

Das ‚Frettchen‘ stellte noch viele Fragen zur Umgebung und machte sich eifrig Notizen.
Nach ein paar Stunden erhob sich Captain Hell und wandte sich an Frank.
„Das ‚Frettchen‘ wird die Situation vor Ort persönlich in Augenschein nehmen. Er ist so unauffällig, dass niemand Verdacht schöpfen wird. Wer ihm begegnet, hat ihn schon nach ein paar Minuten vergessen … Bis dahin verhalten Sie sich ruhig! Keinen Kontakt, keine Emails, verstanden?“

Das Frettchen ermahnte dazu eindringlich: „Wir haben nur einen Versuch, nur diese eine Chance, die Monster unschädlich zu machen …“

Frank und Ben nickten beklommen und atmeten erleichtert auf, als ihre merkwürdigen Besucher endlich die Wohnung verließen.

************************

Nach einer erholsamen Nacht ohne irritierende Träume frühstückte Melissa nervös am folgenden Morgen mit Katharina am großen Holztisch in der Küche. Sie hatte der Cousine anvertraut, dass Branko heute zurückkommen würde, ihr aber nichts von seinen wahren Beweggründen verraten.

Interessiert wurde sie von Katharina beobachtet.
„Du bist ja ganz aufgeregt! Wie wirst du dich ihm gegenüber verhalten? Bist du froh, dass er wieder da ist, oder bist du sauer, weil er ohne Erklärung abgehauen ist?“

Melissa überlegte und lächelte dann verschmitzt: „Beides! Mal abwarten, welche Reihenfolge er zu spüren bekommt!“
Sie hob lauschend den Kopf und erhob sich: „Ich höre eine Harley! Das wird er sein! Na dann … auf in den Kampf!“

Äußerlich ganz gelassen stand sie auf und schlenderte durch die Verbindungstür in den Pub. In der Mitte des Gastraums blieb sie stehen und beobachtete durch die Fenster, wie Branko draußen seine Harley abstellte.

Mit zögernden Schritten betrat er dann den Raum und blieb unschlüssig in der Nähe der Tür stehen. Er trug wieder seine schwarze Ledermontur und die schweren Bikerstiefel. Seine langen schwarzen Haare waren vom Fahrtwind zerzaust.
Mit schuldbewusst bittendem Blick aus seinen goldbraun glänzenden Augen sah er sie unter dichten schwarzen Wimpern unsicher fragend an.

Melissa fühlte ihr Herz schneller klopfen. Er sah zum Anbeißen aus, wie ein kleiner Junge, der vom Kuchen genascht hat! Aber so leicht wollte sie es ihm nicht machen!
Sie räusperte sich und begrüßte ihn möglichst neutral: „Oh! Hallo Branko, schön, dass du auch mal wieder reinschaust.“

Zögernd trat Branko drei Schritte näher und blieb mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf dicht vor ihr stehen.
„Entschuldige, Melissa, ich habe mich wie ein Schuft benommen“, murmelte er leise in Richtung Fußboden.

„Allerdings“, stimmte sie zu und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Sie musste sich sehr beherrschen, um ihn nicht sofort leidenschaftlich zu umarmen.
Mit undurchdringlicher Miene fuhr sie entschlossen fort: „Wollen wir uns nicht setzen? Es redet sich wohl besser im Sitzen.“

Branko nickte stumm und sie setzten sich an den nächststehenden Tisch. Melissa lehnte sich aufatmend zurück, verschränkte wieder die Arme vor der Brust und beobachtete ihn abwartend.
Unruhig rutschte Branko auf seinem Stuhl hin und her. Dann gab er sich einen Ruck und hob den Blick. Seine goldbraunen Augen sahen sie um Verzeihung bittend an.
Mit seiner dunklen rauen Stimme flüsterte er: „Sonnenschein, ich habe gehört, dass du schrecklich unglücklich warst. Das habe ich nicht gewollt! Ich habe nie zu hoffen gewagt, dass dir so viel an mir liegt …Ich dachte, es wäre besser für dich, wenn ich endgültig aus deinem Leben verschwinde.“

Seelenruhig sah sie ihn an und fragte: „Und … wie ist es denn DIR mit deiner Entscheidung gegangen? Bist du leichter damit klargekommen als ich?“

Verzweifelt schüttelte er den Kopf: „Es war furchtbar! Ich habe dich so vermisst!“

Sie nickte verstehend und sagte dann vorwurfsvoll: „Du kanntest immerhin deine eigenen Beweggründe. Ich tappe immer noch im Dunkeln …Aber vielleicht könntest du mir ja jetzt erklären, warum ich ohne dich angeblich besser dran wäre?“

Branko sah sie vorsichtig an: „Das ist nicht so einfach ... Vielleicht würde meine Erklärung alles noch viel schlimmer machen?“

Gelassen blickte sie ihm direkt in die Augen: „Versuch es doch einfach mal …“

Tief aufatmend begann er: „Erinnerst du dich an den Überfall von Ben Fletcher, als du meintest, du hättest am Waldrand einen wilden Hund gesehen?“
„Ach“, machte sie abwehrend, „du hast mir doch selbst hinterher erklärt, dass ich mir das nur eingebildet hatte. Das habe ich schon längst vergessen …“

Er nickte verwirrt und überlegte eine Weile. „Und in der Silbermine“, versuchte er es nochmal, „als ich mit dir in den Armen acht Meter weit gesprungen bin?“
„Das war doch nur ein plötzlicher Adrenalinschub, hast du mir selbst gesagt, oder?“ gab sie sich äußerst begriffsstutzig.

Aufseufzend trommelte er mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. Dann beugte er sich vor: „Und meine plötzlichen Wutanfälle? Meine fehlende Selbstbeherrschung?“

Melissa zuckte mit den Schultern: „Nun ja, daran solltest du noch arbeiten. Du bist eben ein besonders temperamentvoller junger Mann.“
Sie lächelte ihn spitzbübisch an: „Aber das ist ja irgendwie auch ein Teil deines Charmes … dieses Wilde, Ungezähmte in dir ...“

Verzweifelt sah er sie an: „Melissa, ich versuche gerade, dir etwas Wichtiges über mich zu sagen. Aber irgendwie komm ich damit nicht weiter …“

Spöttisch hob sie eine Augenbraue und stand dann auf: „Ich werde dir helfen. Warte einen Moment hier, ich bin gleich wieder da …Mach inzwischen ganz fest die Augen zu, bis ich dir erlaube, sie wieder aufzumachen!“

Sie verschwand in der Küche, um etwas zu holen, dass Kolja ihr gestern auf ihre Bitte hin mit Begeisterung in der Kreisstadt Rockford besorgt hatte.
Als sie zurückkam, vergewisserte sie sich, dass Branko noch immer die Augen fest geschlossen hatte. Dann machte sie sich kurz an seinem Hals zu schaffen und setzte sich danach wieder auf ihren Platz.

„Du kannst die Augen jetzt aufmachen“, grinste sie.
Er tastete nach seinem Hals und sah sie verwirrt an: „Was, um Himmels Willen, ist das?“

Sie strahlte ihn schadenfroh an: „Ich hab mir immer schon einen Hund gewünscht … WUFF!“

Sprachlos löste er das stachelige Hundehalsband von seinem Hals und schien endlich zu begreifen. Mit vor Überraschung aufgerissenen Augen starrte er sie an: „Mein Gott, du weißt es schon! Und bist nicht vor Entsetzen davon gelaufen?“

Sie nickte bestätigend und beugte sich vor: „Branko Hunter, hör mir mal genau zu! Wenn du das nächste Mal entscheidest, was gut für mich ist … dann frag mich gefälligst vorher! Hast du das jetzt endlich begriffen?“

Branko atmete erleichtert aus, nickte gehorsam und fragte dann sehnsüchtig: „Darf ich dich jetzt küssen, Sonnenschein?“

„Du musst, mein Hündchen, du musst“, befahl sie lächelnd, kletterte auf seinen Schoß und schlang ihm die Arme um den Hals. Branko nahm ihr Gesicht sanft in beide Hände und sah ihr eindringlich in die Augen.
Langsam näherte er sich ihren erwartungsvoll geöffneten Lippen und flüsterte zärtlich: „Sonnenschein, ich liebe dich so sehr, dass es schon wehtut.“
Bevor sie noch etwas erwidern konnte, berührten seine Lippen sanft ihren Mund. Seine Zungenspitze fuhr ganz leicht über ihre Unterlippe.

Melissa erschauerte. Wie lange hatte sie dieses selige Gefühl vermisst … wie lange hatte sie auf diesen Kuss gewartet! Sie griff mit einer Hand in seine Haare und fuhr mit der anderen zärtlich unter seiner Lederjacke über seinen breiten muskulösen Rücken.
Sein so lange entbehrter würziger Geruch nach Holz, Wald und Leder machte sie fast benommen. Mit weit geöffneten Augen versank sie in dem liebevollen Blick seiner goldbraun glänzenden Augen.
Fordernd presste sie ihre Lippen auf seine und lockte mit ihrer Zungenspitze seine Zunge.
Branko stöhnte auf. Wie hatte er das hier nur freiwillig aufgeben wollen! Sein Kuss wurde leidenschaftlicher, seine Zunge eroberte ihre Mundhöhle. Besitzergreifend legte er seine starken Arme um ihren Oberkörper und seufzte.
Nie wieder! Nie wieder wollte er sie verlassen … wenn sie ihn nicht von selbst wegschickte!

Melissa löste sich als erste aus dem leidenschaftlichen Kuss und lehnte sich etwas zurück.
„Luft!“ jammerte sie und atmete tief ein.

Branko lockerte sofort seinen festen Griff: „Oh Gott, Melissa, tut mir leid! Ich vergess immer wieder, wie empfindlich und zerbrechlich du bist.“
Besorgt beobachtete er sie: „Geht’s wieder?“
Sie nickte beruhigend: „Ja, alles in Ordnung. Ich war ja selbst ganz schön stürmisch!“

„Aber ich bin auch etwas härter im Nehmen“, lachte er leise und wurde dann ernst: „Hör mal, Sonnenschein, bevor wir hier weiter machen und uns jetzt gegenseitig verschlingen, müssen wir dringend ein paar Dinge besprechen. Und ich möchte dir auch noch einiges über mich erklären!“

Einverstanden nickte Melissa und schlug vor: „Oben in meinem Zimmer, okay?“

Kurz zögerte Branko, dann stand er auf, ohne sie eine Sekunde loszulassen. Mit Melissa auf den Armen ging er mit sicheren Schritten hinter den Tresen, durch die Verbindungstür in die Küche.
Katharina, die gerade dabei war, einen Salat für den Abend zuzubereiten, sah erstaunt auf. Branko trat in die Küche und trug Melissa, die sich an seine Brust schmiegte, mühelos in den starken Armen.
Er strahlte sie an: „Hallo, Katharina, schön, dich zu sehen. Bis später.“
Dann marschierte er zur anderen Tür wieder hinaus und stieg die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Kopfschüttelnd und sprachlos sah Katharina den beiden hinterher.

Oben auf dem Treppenabsatz zögerte Branko, orientierte sich kurz und stieß dann mit der Stiefelspitze die Tür zu Melissas Schlafzimmer auf. Er trat ein und setzte sie vorsichtig auf der Bettkante ab.
„Das erste Mal, dass ich diesen Raum durch die Tür betreten habe“, grinste er verlegen und trat ans Fenster.

Er sah in den Garten hinab und betrachtete nachdenklich die von Rado misshandelten Apfelbäume.
„Da hat mein Onkel aber einen ganz beträchtlichen Flurschaden angerichtet“, stellte er schuldbewusst fest.

Melissa lehnte sich bequem auf dem Bett zurück und nickte zustimmend: „Ja, Rado war ganz schön wütend. Hast du schon mit ihm gesprochen?“

Branko drehte sich zu ihr um und sah sie traurig an: „Ja, er hat mir sehr deutlich geschildert, was ich dir angetan habe. Es tut mir so leid, Melissa! Ich weiß nicht, ob du mir das je verzeihen kannst, ob du je wieder Vertrauen zu mir haben kannst …“

Er zog ungeduldig seine schwere Lederjacke aus und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Mit wenigen Schritten war er bei ihr, setzte sich auf die Bettkante und griff nach ihren Händen.
„Das wird nie wieder passieren – nie wieder! Wenn du mir … wenn du uns noch eine Chance gibst, werde ich dich nur verlassen, wenn du es so wünschst … wenn du mich selbst fortschickst!“

Melissa sah ihn fragend an: „Warum sollte ich sowas tun? Ich bin sehr glücklich darüber, dass du wieder hier bei mir bist. Und ich liebe dich so, wie du bist … egal, was du bist! Aber ich habe noch viele Fragen, die mir die anderen nicht beantworten wollten oder konnten.“

Zärtlich streichelte Branko ihre Hände, sah sie mit seinen dunklen Augen liebevoll an und flüsterte: „Das habe ich gar nicht verdient, Sonnenschein. Frag mich alles, was du willst. Ich werde dir jede Frage beantworten.“

Melissa blickte ihn nachdenklich an: „Branko, warum hast du geglaubt, ich könnte dich verabscheuen, wenn ich die Wahrheit wüsste? Du bist ein starker unbesiegbarer Krieger, ein sexy Macho … hey, davon träumt doch jede Frau heimlich!“

Verwirrt forschte er in ihrem Gesicht. Meinte sie das ernst oder wollte sie ihn veräppeln?
„Melissa, hast du vergessen … ich bin auch ein Werwolf! Ich renne nachts als Raubtier durch die Wälder, jage andere Tiere, um sie zu töten und dann roh zu fressen! Stößt dich das nicht ab?“ versuchte er eindringlich, ihr das ganze Ausmaß seiner Existenz als Monster bewusst zu machen.

Sie schüttelte energisch den Kopf: „Nein, das ist eben ein Teil deines Wesens und längst nicht der wichtigste. Weißt du, ich finde dich auch in wilder Wolfsgestalt atemberaubend schön … und liebenswert!“

Branko war sprachlos. Aufgeregt rückte Melissa näher an ihn heran und fragte: „Darf ich dir mal dabei zusehen, wenn du als Wolf jagst?“

Nach Luft schnappend wich er ein Stück zurück: „Bist du verrückt? Melissa, hast du denn gar keinen Selbsterhaltungstrieb? Himmel, du brauchst gar keinen Beschützer vor der Welt da draußen! Du brauchst jemanden, der dich vor deinen eigenen Einfällen beschützt!“

Erregt sprang er auf und ging mit langen Schritten im Zimmer auf und ab.
„Ich könnte dich jederzeit aus Versehen schwer verletzen, sogar jetzt in meiner menschlichen Gestalt! Jedes Mal, wenn ich dich berühre, muss ich meine Kraft beherrschen, um dir keine blauen Flecken zu verpassen oder dir sogar die Knochen zu brechen! Und bei meiner Verwandlung habe ich überhaupt keine Kontrolle mehr über meine Bewegungen! Ich könnte dich mit Klauen oder Zähnen sogar ungewollt töten!“

Branko drehte sich zu ihr herum und sah sie verzweifelt an: „Auch darum bin ich weggelaufen. Weil ich Angst habe, dass eines Tages so etwas passieren könnte!“
Er setzte sich wieder zu ihr aufs Bett und flüsterte: „Wenn ich dich küsse, dich ganz nah an meinem Körper spüre, wenn ich mir wünsche, dich zu lieben, in dir zu versinken … dann muss ich meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um mich nicht sofort in ein Monster zu verwandeln.“

Melissa kroch ganz dicht an ihn heran, schlang ihre Arme um seine Schultern und legte ihren Kopf an seine Brust.
„Wie lieben denn Werwölfe?“ flüsterte sie.

Branko erstarrte und wünschte sich weit weg, am liebsten auf einen anderen Planeten. Nein, das sollte sie nicht wissen! Doch verflucht, das hatte er ihr versprochen – jede Frage zu beantworten …
Er hob sanft mit den Fingerspitzen ihren Kopf an, er musste ihr Gesicht sehen, wenn sie die grausige Wahrheit erfuhr.

Verlegen murmelte er leise: „Werwölfe lieben sich nur in Wolfsgestalt. Wie … wie Hunde eben …von hinten … und der Wolf beißt dabei der Wölfin vor Erregung kräftig ins Genick …“

Sie verzog keine Miene, sah ihm ruhig in die Augen und fragte: „Und wenn ein Werwolf eine Sterbliche liebt, muss er dann auch seine Wolfsgestalt annehmen oder geht es auch auf …menschliche Art?“

Stumm sah Branko sie an. Dann beugte er sich herunter und küsste sie zärtlich. Sie erwiderte den Kuss genauso sanft und schmiegte sich dabei dichter an ihn.
Langsam löste er seine Lippen von ihrem Mund und flüsterte: „Sonnenschein, du bist so aufregend unberechenbar. Ja, ich könnte dich auch in menschlicher Gestalt lieben. Aber die Gefahr, dass ich mich dabei ungewollt in einen Wolf verwandel, ist groß. Besonders weil du mich so unwahrscheinlich scharf machst, dass meine Selbstbeherrschung bisher immer an ihre Grenzen gestoßen ist …“

Sie lächelte verschwörerisch: „Aber wir haben dabei doch schon Fortschritte gemacht, oder? Wenn du mir rechtzeitig sagst, was ich lieber lassen sollte, könnten wir doch weiter üben, bis du dir irgendwann deiner sicher bist?“

Branko schüttelte leise lachend den Kopf: „Melissa, du bist unglaublich! Wie konnte ich dich bloß so falsch einschätzen? Ja, ich glaube, wir könnten es vielleicht schaffen! Ich möchte dir jetzt von meinen Eltern erzählen, besonders von meiner Mutter …“

Er streifte seine schweren Motorradstiefel ab, setzte sich bequemer hin, den Rücken an die Kopfstütze des Bettes gelehnt, die Beine lang ausgestreckt und zog sie an seine Brust.
Schützend legte er seine Arme um sie und begann, von seiner Unterhaltung mit seinem Vater Alexej zu erzählen. Von dessen Liebe zu seiner Mutter Hanka und er berichtete auch von Rados unglücklicher Liebe und deren tragischem Ende.
Nur die Möglichkeit, als Menschenfrau durch die Geburt eines Werwolfwelpen ebenfalls unsterblich zu werden, ließ er fest entschlossen völlig aus.

Melissa lauschte seiner dunklen rauen Stimme, nahm die Informationen kommentarlos in sich auf und unterbrach ihn nicht.
Als er schwieg, sah sie ihn verwundert an: „Und das hast du vorher alles nicht so genau gewusst? Du hast dich nie dafür interessiert? In all den Jahrhunderten?“

Vorwurfsvoll gab er zurück: „Ich habe vorher doch nie eine Sterbliche gekannt, die mich so angemacht hat wie du! Bisher waren mir fremde Frauen völlig egal! Aber bei dir habe ich sofort so eine starke Anziehung gespürt, die mich faszinierte … und sehr unruhig gemacht hat.“
Seufzend fügte er hinzu: „Und leider erging es mir nicht nur allein so! Auch Alain hast du sofort den Kopf verdreht …“

Melissa sah ihn streng an: „Ich lasse nicht zu, dass irgendwann eure einzigartige Freundschaft daran kaputtgeht, weil ihr meinetwegen Hahnenkämpfe aufführt! Alain ist ein wunderbarer Freund … für dich und auch für mich. Ich weiß, was er für mich empfindet. Aber ich weiß auch, was ihm eure Freundschaft bedeutet.
Glaub mir, Branko, für mich gibt es nur dich. Und das hat Alain akzeptiert, schon bevor ich es selbst wahrhaben wollte.
Er hat es in meinen Gedanken gelesen bei unserer allerersten Begegnung. Das war am Tag nach deiner Prügelei im Pub, als du mich vor Ben Fletcher verteidigt hast. Nachts habe ich das erste Mal von dir geträumt … Und den Traum hat Alain auch in meinen Gedanken gesehen.
Trotz seiner Gefühle für mich versucht er ständig, mir dein Verhalten zu erklären und dich bei mir zu entschuldigen. Er ist der geborene Eheberater! Und er hat die Situation nie ausgenutzt, als er der einzige war, der mich nach deinem Verschwinden trösten konnte …“

Branko schluckte: „Ich hatte Alain genau deswegen gebeten, sich um dich zu kümmern, weil ich wusste, dass er das Richtige tun würde. Ich glaube, ich muss ihm endlich gegenüber treten. Er hat mir bestimmt einiges dazu zu sagen …“
Dann beugte er sich zu ihr herunter und flüsterte: „Sonnenschein, erzählst du mir deine Träume? Ich fühle mich Alain fürchterlich unterlegen, wenn er sie viel besser kennt als ich.“

Sie errötete verlegen: „Aber erst später … wenn es dunkel ist! Vorher solltest du sowieso nicht zu ihm fahren. Tagsüber muss er doch schlafen! Erzähl mir erst mal, wie die dich deine Familie hier empfangen hat. War es sehr schlimm?“

„Schlimm? Ich lass dich ohne Erklärung allein, lass dir von anderen ausrichten, dass ich nie zurückkommen werde … und du sorgst dich darum, ob ich bei meiner Rückkehr von den anderen gut behandelt werde?“
Branko sah sie erstaunt an.
„Natürlich haben sie mir Vorwürfe gemacht. Und mich beschimpft. Dunja musste viel Überzeugungskraft aufwenden, um Rado und Kolja davon abzuhalten, mich ernsthaft zu verletzen, als sie mich verprügelt haben“, fuhr er gelassen fort.

Erschrocken stieß Melissa aus: „Sie haben dich wirklich verprügelt?“

Er zuckte mit den Schultern und nickte: „Natürlich, das habe ich ja auch verdient. Aber viel schlimmer für mich war, was sie mir über dich erzählt haben. Wie du gelitten hast, wie verzweifelt und unglücklich du warst. Das werde ich mir selbst nie verzeihen!
Nie wieder sollst du meinetwegen leiden! Und deswegen verspreche ich dir, dass ich in Zukunft auch meine Besitzansprüche und meine Eifersucht beherrschen werde. Wenn du Zeit mit Alain verbringen möchtest, werde ich das akzeptieren.
Ich vertraue dir … und ihm auch.“

„Ach Branko, im Moment kann ich mir nicht vorstellen, eine Sekunde ohne dich zu sein …“ murmelte Melissa und kuschelte sich an ihn.
Er schloss seine starken Arme ein wenig fester um sie und flüsterte: „Mir geht’s genauso. Was hältst du davon, wenn wir zum Mittagessen zu mir fahren? Ich wette, meine Familie platzt vor Neugier, zu erfahren, wie unser Wiedersehen verlaufen ist …“

Melissa nickte und kicherte: „Ja, und Kolja möchte bestimmt wissen, wie du mein Willkommensgeschenk aufgenommen hast!“

Lachend drückte er sie noch fester an sich und vergrub seinen Mund in ihrem weichen Haar.


STAMMESGESCHICHTEN



Mit röhrendem Auspuff raste die Harley über die Lichtung im Wald und stoppte abrupt vor der offenen Garage neben dem Blockhaus. Mit einem zufriedenen Aufseufzen hob Melissa ihren Kopf von Brankos Rücken. Wie sie diese Fahrten mit ihm liebte! Diese absolute Sicherheit, die sie trotz seines waghalsigen Tempos verspürte.
Seinen würzigen Geruch nach wilden Kräutern, Wald und Leder. Seinen flachen muskulösen Bauch unter ihren verschränkten Händen ...

Langsam drehte Branko seinen Kopf nach hinten und sah ihr über seine Schulter zärtlich ins Gesicht. „Hey, Sonnenschein, du musst mich jetzt loslassen. Wir sind da.“

Sie drückte sich noch fester an ihn und schüttelte den Kopf. „Ich will aber nicht …“

Lachend drehte er sich vollständig zu ihr, löste vorsichtig ihre Hände von seinem Bauch, stand auf und hob sie auf seine starken Arme.
„Na gut, wenn du es so haben willst, Sonnenschein!“
Mit weit ausholenden kraftvollen Schritten ging er, Melissa fest an seine Brust gedrückt, die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf und betrat das Blockhaus.

Im großen Wohnraum der Hunters saßen Rado und Kolja lässig ausgestreckt auf den Sofas vor dem Kamin und sahen ihnen neugierig entgegen.

Erstaunt hob Rado seine schwarzen Augenbrauen und grinste. Kolja betrachtete die beiden belustigt und fragte dann mit unterdrücktem Lachen: „Na, Melissa, führst du deinen neuen Schoßhund Gassi?“

Branko knurrte ihn an, wobei er sich selbst aber das Lachen verbeißen musste. Mit Melissa in den Armen setzte er sich auf das Sofa neben Rado und rückte sie bequem auf seinem Schoß zurecht.

Verschwörerisch grinste Melissa Kolja an: „Zu schade, dass du sein Gesicht vorhin nicht gesehen hast …“

Dunja rief durch die offene Küchentür: „Rado, Kolja, antreten zum Tischdecken! Jetzt sofort!“
Ergeben seufzend erhoben sich die Gerufenen und schlenderten unwillig in die Küche.

Leise flüsterte Branko Melissa ins Ohr: „Siehst du, wir haben kaum eine Chance, irgendwelche Machoallüren zu entwickeln. Unsere Frauen sind nicht nur auf dem Schlachtfeld fürchterliche Amazonen. Sie haben auch zu Hause immer das Kommando!“

„Willkommen im Club!“ erwiderte Rado schadenfroh lachend aus der Küche.

Branko erhob sich, Melissa nicht aus den Armen lassend, und folgte den anderen. In der Küche setzte er sich mit ihr auf dem Schoß an die Stirnseite des breiten Holztisches.
Er zog den vollbeladenen Teller, den Dunja vor ihm abstellte, dichter heran und begann, Melissa zu füttern.

Die anderen Hunters ließen sich nun auch rund um den Tisch vor ihren Tellern nieder und beobachteten belustigt das Schauspiel, das die beiden Verliebten ihnen boten.
Während alle mit gutem Appetit aßen, musste Branko erzählen, wie er Melissa davon zu überzeugen versucht hatte, ein gefährliches Monster zu sein. Rado und Kolja kicherten dabei schadenfroh.

Dunja sah Branko an und grinste: „Schade, dass du nicht an dem Abend dabei warst, als Melissa herkam, um uns zu warnen, dass Alain ein Vampir ist!“
Und dann erzählte sie ihm den Verlauf des Abends, die Gespräche am nächsten Morgen und den folgenden Besuch der Vampirzwillinge in allen Einzelheiten.

Fassungslos betrachtete Branko Melissa, während er sich vorzustellen versuchte, was bloß in ihrem Kopf vorging.
Er nahm sich vor, Alain bei seinem geplanten abendlichen Besuch genauer danach zu befragen. Sicher konnte der Vampir mit seiner besonderen Gabe Melissa besser verstehen als alle anderen.
Dieser Gedanke machte Branko allerdings auch etwas unruhig. Leise Eifersucht nagte an ihm.
Doch das durfte er sie keinesfalls spüren lassen!

Er legte seinen Kopf an ihre Wange und flüsterte: „Bist du satt, Sonnenschein?“
Sie nickte. Vorsichtig schob er sie darauf hin von seinem Schoß und stand auf.

„Ich komm gleich wieder“, verkündete er, lief aus der Küche und sprang in langen Sätzen die Treppe ins Obergeschoss hinauf.

Dunja und Melissa gingen in den Wohnraum hinüber und machten es sich auf den Sofas bequem, während Rado und Kolja, nicht ganz freiwillig, in der Küche den Tisch abräumten und den Abwasch erledigten.

Nur wenige Augenblicke später kam Branko wieder die Treppe herunter, setzte sich neben Melissa auf die Couch und legte ihr ein Päckchen in den Schoß.
„Das soll ich dir von meinem Vater geben. Er hat gewusst, dass du mir verzeihen wirst“, sagte er leise.

Melissa betrachtete überrascht das unerwartete Geschenk. Die Umhüllung bestand aus einem Stück feinen roten Leder, verziert mit zahlreichen Goldplättchen, in die kleine Tiersymbole graviert waren.
Fasziniert fuhr sie mit einem Finger über die feinen Verzierungen. Sie erkannte Wölfe, Pferde, Bären und Adler.
Ihr war bewusst, dass sie hier ein uraltes Kunstwerk berührte. In keiner der ihr bekannten Grabstätten war bisher ein so gut erhaltenes Exemplar der skythischen Handwerkskunst gefunden worden.

„Es ist wunderschön“, flüsterte sie ehrfürchtig.
Branko sah sie verwundert an: „Hey, Sonnenschein, das ist nur die Verpackung! Mach es doch erst mal auf.“

Zögernd faltete sie die Enden des Lederstücks auseinander und erstarrte.
Vor ihr lag, auf einem Kissen aus rotem Filz, ein alter goldener Halsschmuck. Ein Reifen aus geflochtenen Goldfäden, darunter ein Streifen aus winzig kleinen Tierfiguren, unten wiederum von einem geflochtenen Reifen abgeschlossen, im Nacken ein uralter Verschluss aus Haken und Ösen.

„Nein“, flüsterte sie ergriffen, „das darf nicht wahr sein!“

„Doch“, wisperte Branko ihr ins Ohr, „genau das richtige Geschenk von einem skythischen König für die Liebste seines einzigen Sohnes, hat mein Vater gesagt.“

Verwirrt sah sie auf: „Aber das ist viel zu wertvoll! Das ist doch mindestens …“

„… 2995 Jahre alt“, ergänzte er, „es war ein Geschenk meines Großvaters Taunasus an seine Frau zur Geburt meines Vaters. Und mein Vater Alexej hätte es meiner Mutter nach meiner Geburt geschenkt, wenn sie es überlebt hätte. Darum hat er entschieden, das Schicksal nicht noch einmal herauszufordern und es der Frau, die sein Sohn liebt, sofort zu schenken, wenn sie diese Liebe erwidert.“

Sprachlos strich Melissa mit den Fingern über den kostbaren Halsreif.
Kolja räusperte sich und kicherte: „Eine angemessene Erwiderung auf den Halsschmuck, den du ihm verpasst hast, Melissa!“
Alle mussten lachen und die emotionsbelastete Stimmung löste sich auf.

Dann erinnerte sich Melissa an Brankos Worte über das Geschenk eines skythischen Königs und an den von ihr selbst aufgestellten Stammbaum der Skythenkönige und sie grübelte verwirrt: „Dein Vater heißt Alexej und wurde … 895 vor Christus geboren? So einen König gibt es aber nicht in der Geschichte!“

Branko sah auffordernd zu Rado: „Du kannst das viel besser erklären. Gib ihr doch bitte mal einen kurzen Einführungskurs in unsere Stammesgeschichte.“

Zustimmend nickte Rado und begann: „Unsere Geschichte, die Namen der Könige und die Jahreszahlen bedeutender Ereignisse wurden erst ab dem dritten Jahrhundert vor Christus von den Griechen schriftlich festgehalten. Was vorher geschah, kannten auch sie nur vom Hörensagen.
Und die Namen, die bekannt wurden, waren griechische Übersetzungen oder sogar nur bloße Erfindungen. Alles, was die Öffentlichkeit weiß, und das, was du gelernt hast, sind nur von unserem Volk bewusst manipulierte Täuschungen.“

Verblüfft sah Melissa ihn an: „Brankos Großvater, Taunasus, der Vater von Alexej, Dunja und dir … ein Skythenkönig? Der wird doch sogar in der Bibel erwähnt … Aber keiner weiß bisher ob und wann er wirklich gelebt hat …“

Rado nickte bestätigend: „Hat er, ja. Der erste unsterbliche König der Skythen und der Werwölfe hieß Akim, von den Griechen Taunasus genannt. Er ist ungefähr 3500 vor Christus geboren, wurde mehr als 3350 Jahre alt. Er war der Vater von Alexej, Dunja und mir. Und der Großvater von Branko.
Weil Akim um 850 vor Christus bei einem Kampf in Menschengestalt so schwer verletzt wurde, dass selbst seine starken Selbstheilungskräfte ihn nicht mehr vollständig regenerieren konnten, wurde er fast blind und zum Krüppel. Darum gab er seine Königswürde an seinen erst 45jährigen Sohn Alexej, der als König Scolipoto in die Geschichte einging.
Akim selbst lebte aber noch bis 110 vor Christus, als er bei den großen Sklavenaufständen gegen das Bosporanische Reich fiel. Alexej ist erst der zweite Skythenkönig und wechselte als Herrscher regelmäßig seine Identität und seine Namen, um seine Unsterblichkeit vor der Welt zu vertuschen.
Alle Könige, deren Geburtsjahre und angeblichen Regierungszeiten du so fleißig gelernt hast, von deren Heldentaten die Geschichte berichtet, sind ein und dieselbe Person … Brankos Vater und mein Bruder Alexej. Und irgendwann wird Branko der dritte König der Skythenwölfe sein.“

„Oh mein Gott!“ Melissa, die ihm immer fassungsloser zugehört hatte, sah verstört von einem zum anderen.
„Das darf doch nicht wahr sein! Ich glaub, ich bin im falschen Film!“

Panisch sprang sie auf und rannte durch die offene Schiebetür hinaus auf die Terrasse.
Als sie an der Kante zum Waldsee endlich anhielt, stand Branko schon vor ihr und streckte die Arme nach ihr aus.
Entsetzt blickte sie ihn an: „Wie bist du so schnell …“

Er zuckte gleichgültig die Achseln: „Werwolfgeschwindigkeit eben … Sonnenschein, was ist los? Was hat dich denn so erschreckt?“
Vorsichtig zog er sie an seine Brust.

Verzweifelt holte sie Luft: „Du natürlich! Was soll ich denn mit einem König? Das kann doch nie gut gehen! Wir können gar nicht zusammen gehören …“

Branko lachte leise und drückte sie zärtlich an sich: „Sonnenschein, du bist wirklich unglaublich! Du erfährst, dass ich ein Monster - ein Werwolf - bin, blutgierig und unsterblich … und du liebst mich trotzdem. Und dann drehst du durch, weil ich irgendwann in ferner Zukunft nach meinem – wohlgemerkt - unsterblichen Vater ein König werden könnte? Was ist denn daran so viel schrecklicher?“

Sie schluckte unsicher. „Ich weiß auch nicht so richtig ... Aber die Vorstellung, in eine Königsfamilie …Also, die ganzen Vorschriften, Regeln, Etikette und so … und ständig von allen beobachtet! Kein Privatleben mehr …“

Jetzt lachte Branko dröhnend: „Hey, wir sind nicht die Windsors von England und du bist auch nicht Lady Di! Wir sind heimliche Könige … keine offiziellen Termine, keine Presse, keine Etikette!
Nur die Regeln der Geheimhaltung, die für alle Werwölfe gelten. Wir könnten leben, wo und wie wir wollen.“

Er grinste verschwörerisch: „Und wir haben unendlich viel mehr Geld als die Windsors … und niemand fragt uns danach, wie wir es verschwenden.“

Unsicher sah Melissa zu ihm auf: „Aber wie …?“

Fragend hob er die Augenbrauen: „Was bedrückt dich? Ich kann leider deine Gedanken nicht lesen …“

Zögernd sah sie ihn an: „Du wirst nicht älter, aber ich … Irgendwann sehe ich dann so aus wie Tante Elisabeth …“

Bestürzt schüttelte Branko den Kopf: „Oh, Sonnenschein, denk nicht darüber nach! Ich werde dich immer lieben! Und ich liebe dich nicht wegen irgendwelcher Äußerlichkeiten!“
Verflucht! Vielleicht würde sie die Möglichkeit, ihm einen Welpen zu gebären und damit ebenso unsterblich zu werden, jetzt trösten?
Aber NEIN, das wollte er ihr nicht sagen! NIEMALS!

„Melissa“, flüsterte er mit seiner dunklen rauen Stimme, „denk an Louis und Elisabeth. Er liebt sie immer noch … nach über siebzig Jahren! Und auch ich finde, dass sie eine ganz bezaubernde Frau ist, egal wie alt sie ist.
Bitte, lass uns einfach zusammenbleiben und die Gegenwart genießen, ohne Angst vor der Zukunft! Bitte! Ich liebe dich doch so, mein Sonnenschein.“

Er senkte den Kopf und küsste zärtlich ihre Lippen. Dann lächelte er: „Bist du bereit, alle zehn Jahre mit mir umzuziehen? Ich zeige dir die schönsten Orte der Welt, die in keinem Reiseführer stehen! Du kannst dir ein Paradies nach dem anderen aussuchen … und ich kaufe oder baue uns dort ein Haus! Überall! Und immer wieder!“

Sehnsüchtig blickte sie zu ihm auf: „Branko, ich bin ganz durcheinander! Das ist alles zu viel für mich! Ich will wirklich immer bei dir sein – aber da gibt es so viel zu bedenken … Meine Cousine, meine Arbeit, meine Unabhängigkeit …“

Verständnisvoll zog er sie näher in seine Umarmung und nickte.
„Das Wichtigste ist für mich, dass du mich liebst! Und dass wir jetzt zusammen sind. Für alles andere finden wir später gemeinsam eine Lösung …“

*********************

In Chicago …



Frank stoppte seinen Wagen vor einer großen Lagerhalle in einem der düsteren Industriegebiete am Rande Chicagos.
„Wir sind da“, murmelte er unsicher.

Ben, der bisher wortlos auf dem Beifahrersitz vor sich hin gedöst hatte, fuhr erschrocken zusammen. Zweifelnd spähte er durch das Seitenfenster in die Dämmerung hinaus.
„Oh Mann, unheimliche Gegend … Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“

Zustimmend nickte Frank: „Captain Hell hat mir die Angaben fürs Navi genau aufgeschrieben. Hier muss es sein …“
Dann zog er den Zündschlüssel ab und öffnete entschlossen die Fahrertür.
„Na los, komm schon!“

Wenig später standen die beiden auf der Straße und sahen sich beklommen um. Ein mieses Stadtviertel. Mehrere riesige, verwahrloste Hallen mit dunklen Fenstern.
Eine verlassene Straße mit wenigen, flackernden Straßenlaternen. Nirgendwo ein Lebenszeichen zu erkennen.

Frank zog fröstelnd die Schultern hoch. „Also los, jetzt haben wir damit angefangen …“, murmelte er, schloss den Wagen ab, trat an die schmale Eisentür der vor ihnen liegenden Lagerhalle und schlug mit der Faust das vereinbarte Klopfzeichen dagegen.

Stumm warteten sie.
Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich knarrend die Tür.
Im heraus scheinenden matten Licht war die breite, massige Gestalt von Captain Hell zu erkennen.
Frank atmete auf. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er bei dessen Anblick mal so erleichtert sein würde …

„Kommt schnell rein“, brummte der unheimliche Monsterjäger und verschloss die Tür nach ihrem Eintreten wieder mit mehreren schweren Riegeln.
Wortlos führte er sie durch einen schwach erleuchteten Gang in eine große Halle.
Unterschiedlich große Holzkisten waren unordentlich an den Wänden ringsum aufgestapelt. Im Hintergrund schien eine Art Schießstand aufgebaut zu sein.

Aber Frank und Ben starrten nur fasziniert in die Mitte des Raumes. Hier lagen etliche schmutzige, gepolsterte Trainingsmatten auf dem Boden.
Und auf diesen Matten fand gerade ein Kampf statt …

Zwei völlig gleich aussehende Männer, kahlrasiert, fast so groß wie Captain Hell, mit unübersehbaren Muskelbergen an Schultern und Oberarmen, rangen keuchend miteinander. Bei ihren Schlägen und Tritten nahmen sie keinerlei Rücksicht aufeinander.
Schweißtropfen sprühten in alle Richtungen und aus den muffigen Bodenmatten stoben kleine Staubwölkchen.

Captain Hell stieß einen gellenden Pfiff aus. Die beiden Kämpfenden ließen sofort voneinander ab und kamen schwer atmend und schwitzend auf die kleine Gruppe zu.
Frank und Ben schluckten verstört.

„Das sind unsere Zwillinge Igor und Iwan“, stellte der Monsterjäger kurz vor.
„Sie werden euch beiden Weicheier ein bisschen trainieren …“

„Moment mal … das war nicht abgesprochen, dass wir auch … Das ist doch gefährlich …“, protestierte Ben schwach.

Captain Hell lachte dröhnend. Und DAS klang richtig gefährlich.
„Bei dem uns bevorstehenden Kampf gegen die Monster brauchen wir jeden Mann! Natürlich müsst ihr nicht an vorderster Front kämpfen. Ihr werdet auch noch mit Waffen ausgerüstet und damit trainieren. Trotzdem solltet ihr euch im Ernstfall gegen körperliche Angriffe wehren können. Denn ihr wisst ja, wir haben …“

„… nur die EINE Chance! Jaja, das haben wir begriffen!“ ergänzte Frank genervt.
„Also, was sollen wir tun?“ fragte er entschlossen, zog seinen Mantel aus und krempelte die Hemdsärmel hoch.

Igor - oder war es Iwan? - grinste fies und zeigte dabei ein lückenhaftes Gebiss: „Erst mal solltet ihr richtig fallen üben …“
Und damit legte er sich Ben mit einem harten Griff über die Schulter, marschierte mit ihm zurück zu den Matten und ließ ihn dort ziemlich unsanft zu Boden plumpsen.

Ben wimmerte empört vor Überraschung und Schmerz. Seufzend trottete Frank neben dem ebenfalls grinsenden anderen Zwilling in die Mitte des Raumes.

Captain Hell verschränkte die muskulösen Arme vor der breiten Brust und nickte zufrieden …


NUR EIN KRATZER …



Die Abenddämmerung hatte bereits begonnen …
Alain duMont stand im Salon an den Kamin gelehnt, die Arme fest vor der Brust verschränkt, die Fäuste geballt und die Zähne zornig zusammengebissen.

Louis, der gerade die Jalousien an den Fenstern hoch ließ, sah dabei hinaus ins Halbdunkel und sagte leise: „Da kommt er ja endlich!“

„Ich weiß“, knurrte Alain grimmig.
Draußen erstarb der Motor einer Harley und wenig später knallten schwere Bikerstiefel über die glatten Marmorfliesen der Eingangshalle.

Und dann trat Branko langsam durch die angelehnte Tür des Salons und blieb mitten im Raum stehen. Er nickte Louis grüßend zu und sah Alain zögernd an.
„Hier bin ich, du kannst jetzt zuschlagen! Aber bevor du dich an mir austobst, möchte ich dir danken, dass du so unterstützend für Melissa dagewesen bist.“

Alain versteifte sich und zischte wütend: „Du stinkender Köter! Du kannst dir auch nicht annähernd vorstellen, was du mir damit abverlangt hast!“
Er löste sich aus seiner starren Haltung und sprang mit einem großen Satz vor. Mit wutverzerrtem Gesicht, die Zähne gebleckt, stürzte er sich fauchend auf Branko, riss diesen mit sich zu Boden.

Branko begann zu knurren, bleckte ebenfalls die Zähne und wand sich aus der eisenharten Umklammerung. Keuchend sprang er auf, warf den Kopf in den Nacken und stieß ein wütendes Heulen aus.

Sofort war Alain wieder auf den Beinen und attackierte seinen Gegner erneut.
Branko wich nicht aus, sondern stürzte sich erneut brüllend in den Kampf.

Kopfschüttelnd schob Louis einen der Sessel aus der Gefahrenzone und setzte sich gelassen hinein. Er wusste, dass die beiden sich nicht töten würden, dafür waren ihre Kräfte zu ausgeglichen. Außerdem mussten sie wohl endlich mal ihre unterdrückten Gefühle austoben.

Branko und Alain umklammerten einander und versuchten sich gegenseitig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Knurrend und fauchend prügelten sie aufeinander ein.

Brankos schwarzes T-Shirt zerriss mit einem Ruck.
Als Alain wütend seine Fangzähne in die Schulter seines Gegners hieb, heulte dieser auf und grub seinerseits seine Zähne fest in dessen Oberarm.
Das blaue Seidenhemd Alains hing bereits in Fetzen.

Der Vampir stieß Branko von sich und schleuderte ihn mit dem anderen Arm quer durchs Zimmer, wo dieser polternd gegen die Wand krachte.
Doch der Werwolf rappelte sich sofort wieder auf, stürmte brüllend vor und riss Alain mit sich zu Boden.

Ineinander verbissen und wild knurrend wälzten sie sich über den Teppich.
Scheppernd fielen Lampen und Dekorationen von den kleinen Beistelltischen. Sessel kippten um, der kostbare Seidenteppich wurde an einigen Stellen zerfetzt.

Nach etlichen Minuten wilden Kämpfens lösten Alain und Branko sich endlich voneinander und blieben schwer atmend nebeneinander auf dem Rücken am Boden liegen.

Louis erhob sich und blieb kopfschüttelnd vor ihnen stehen: „Und wer räumt den Mist jetzt hier nach euch auf?“

Die beiden Kontrahenten setzten sich langsam wieder auf und beäugten sich gegenseitig misstrauisch.
In Brankos Gesicht blutete ein langer Kratzer, an der linken Schulter klaffte eine tiefe Bisswunde, sogar seine Lederhose war zerfetzt.

Alain sah nicht besser aus, seine Oberlippe war geschwollen, eine Augenbraue aufgeplatzt, eine Bisswunde am rechten Oberarm blutete stark und seine weiße Jeans war blutig und zerrissen.

Louis streckte beiden eine Hand entgegen und half ihnen auf die Füße.
„Könnt ihr euch jetzt wieder zivilisiert benehmen und entspannen? Ich glaube, ihr habt einiges zu besprechen!“

Mürrisch nickten die beiden zustimmend und setzten sich auf zwei weit voneinander entfernte Sessel. Dabei warfen sie sich immer noch gegenseitig finstere Blicke zu.

Louis lehnte sich an den Kamin und fixierte Branko mit seinen stahlblauen Augen.
„Junge, du hast vielleicht eine große Scheiße gebaut!
Nicht nur, dass du Alain zugemutet hast, ausgerechnet die Frau, die er selbst liebt, deinetwegen zu trösten, ohne die Situation für seinen eigenen Vorteil auszunutzen.
Nicht nur, dass du Melissa ohne Abschied oder gar Entschuldigung verlassen hast, und sie damit in einen seelischen Abgrund gestürzt hast.
Oh nein, du überlässt auch noch uns allen die Aufgabe, ihr zu erklären, wer und was wir alle wirklich sind!“

Hilflos sah Branko ihn an: „Aber deswegen bin ich doch jetzt zurückgekommen! Um ihr das alles zu erklären! Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie vorher von allein draufkommt!“

Alain zischte wütend: „Melissa ist nicht blöd! Ganz im Gegenteil!“

„Weiß ich doch! Aber wer von uns konnte ihre unberechenbaren Reaktionen voraussehen? Dass sie das alles so gelassen aufnimmt?“ fragte Branko hilflos.

Louis hob eine Augenbraue und sah ihn eindringlich an: „Wer kennt sie denn besser als Alain? Und was hat er dir geraten? Dass sie nur dich liebt und er keine Chance bei ihr hat! Dass du es ihr erzählen und ihr dann selbst die Entscheidung überlassen sollst!
Warum wolltest du bloß nicht auf ihn hören?“

Branko zuckte die Schultern: „Meine größte Angst war doch, sie bei einer unwillkürlichen Verwandlung schwer zu verletzen!“

Verächtlich schnaubte Alain: „Seit wann leidest ausgerechnet DU unter solchen Minderwertigkeitskomplexen? Deine Selbstbeherrschung ist so groß, dass du gerade eben nicht für eine Sekunde in Versuchung gekommen bist, mit mir als Wolf zu kämpfen!
Du hast nicht ein einziges Mal gezittert oder auch nur an eine Verwandlung gedacht! Obwohl ich dich bewusst provoziert und besonders hart angefasst habe!
Nie würdest du Melissa in Gefahr bringen, nicht mal im Bett, DU nicht!“

Branko fragte verblüfft: „Dann war das eben ein Test?“

„Ja, natürlich, aber verdient hattest du es auch!“ grinste Alain böse.

Mit gequältem Gesicht rieb Branko sich die verletzte Schulter. „Danke vielmals, Blutsauger!“

Dann sah er die Vampirzwillinge fragend an: „Wie hat Melissa reagiert, als ihr mit ihr allein über Vampire gesprochen habt?“

Louis grinste zurückhaltend: „Erst wollen wir deine Geschichte hören. Wie hast du es ihr beigebracht – dein großes Geheimnis?“

Als Branko von seinen hilflosen Erklärungsversuchen, von Melissas scheinbarer Begriffsstutzigkeit und dann von dem Hundehalsband erzählte, lachten beide Vampire schadenfroh.

„Alain, sie will mit mir als Wolf auf die Jagd gehen! Was ist mit dieser Frau los? Warum begibt sie sich so in Gefahr? Will sie etwa früh sterben?“
Branko sah seinen Freund verzweifelt an.

Der Vampir lächelte wehmütig: „Sie vertraut dir so vollkommen, dass sie sich sicher ist, in deiner Nähe nie in Gefahr zu sein!“

Erstaunt riss Branko die Augen auf: „Oh Mann, womit habe ich das verdient?“

„Das weiß ich leider auch nicht“, murmelte Alain leise.
Dann riss er sich zusammen und grinste hinterhältig: „Aber wahrscheinlich ist es dein Knackarsch in der schwarzen Lederhose! Das Bild von eurer ersten Begegnung an der Raststätte geistert immer wieder durch ihren Kopf, mit deinem Hintern in Großaufnahme!“

Louis lachte schallend los, während Branko sich verlegen wand und leise knurrte.

Alain wurde wieder ernst: „Willst du wissen, wie sie sich gefühlt hat, als du verschwunden bist? Als nur Louis und ich sie halten konnten? Oder kannst du das nicht ertragen?“

Branko senkte den Kopf und erwiderte leise: „Wenn Melissa das aushalten musste, werde ich es auch ertragen! Fangt an zu erzählen und lasst nichts aus!“

************

Stunden später parkte Branko seine schwarze Harley wieder vor dem Blockhaus im Wald. Er ging langsam um das Haus herum auf die Terrasse und spähte aus der Dunkelheit durch die raumhohen Fenster ins erleuchtete Wohnzimmer.

Rado und Dunja saßen in der Nähe des flackernden Kaminfeuers auf dem Boden an einem niedrigen Tisch und spielten Schach.
Kolja lag lang ausgestreckt auf einem der Sofas und beobachtete Melissa, die mit angezogenen Beinen auf dem anderen Sofa hockte, verschiedene skythische Fundstücke um sich ausgebreitet.

Branko lächelte. Das war sein immer wissbegieriges Mädchen! Sie musste das ganze Haus nach interessanten Antiquitäten abgesucht haben. Jetzt genoss sie es offensichtlich, die faszinierenden Originale anzufassen und einzeln zu untersuchen.

Konzentriert bewegte Rado seinen Läufer über das Spielbrett und murmelte: „Was stehst du da draußen rum wie ein Spanner, Branko? Komm doch rein, WIR beißen dich nicht!“
Kolja und Dunja kicherten leise.

Branko atmete tief ein und trat durch die Schiebetür in den Wohnraum. Melissa sah auf und keuchte sofort vor Schreck bei seinem Anblick.

Seine schwarzen Haare hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst und hingen ihm wirr ins Gesicht. Ein langer blutiger Riss zog sich quer über seine Wange.
Sein T-Shirt hing in Fetzen von seinen Schultern und gab seinen muskulösen Bauch, übersät von tiefen blutigen Kratzern, frei.
Sogar die schwarze Lederjeans wies einige große Risse am Oberschenkel auf.

Aber am eindrucksvollsten war die klaffende Wunde auf seiner linken Schulter, blutverkrustet, aufgerissen, von Raubtierzähnen zerfetzt.

Branko zuckte verlegen die Schultern und grinste: „`n Abend, bin wieder da.“
Die anderen Wölfe kicherten.
Aber Melissa sprang auf und kreischte hysterisch: „Oh Gott! Wer hat das getan?“

Beruhigend wollte Branko sie in die Arme nehmen: „Alain und ich …“
Weiter kam er nicht.

„Alain? Ich bring ihn um!“ brüllte Melissa und stürmte zum Telefon, bevor jemand reagieren konnte.

Verblüfft verfolgten die Wölfe, wie sie eine Nummer wählte und dann zu keifen begann.
„Bist du eigentlich bescheuert? Fass nicht noch mal meinen Mann an, du kaltes Miststück! Du hast versprochen, ihm nichts zu tun! Und jetzt ist er schwer verletzt!
Lass in Zukunft die Finger von ihm! Und wage es nie wieder, ihn zu BEISSEN!
Du abartiger Blutsauger!“

Am anderen Ende der Leitung hörte man Alain und Louis dröhnend lachen.

Branko trat mit wenigen Schritten neben Melissa und nahm ihr den Hörer aus der Hand, um ebenfalls zu brüllen:
„Wehe, ihr lacht noch mal meine Frau aus, wenn sie mich verteidigt! Nehmt sie in Zukunft gefälligst sehr ernst!“

Dann knallte er den Hörer auf und hob Melissa hoch: „Sonnenschein, du bist `ne Wucht! Wie du mich beschützt, einfach unglaublich!“

Langsam ließ er sie wieder auf die Füße gleiten und lächelte strahlend: „Die Wunden verheilen doch schon! In ein paar Stunden bin ich so gut wie neu, und es hat fast gar nicht wehgetan …“

„Und Alain?“
„Der sieht ähnlich aus“, grinste er hinterhältig, „sein 500-$-Seidenhemd kann er allerdings in den Müll schmeißen!“

Melissa beruhigte sich ein bisschen und untersuchte vorsichtig seine Wunden.
„Du bist sicher, dass das von allein heilt? Vielleicht kriegst du jetzt Tollwut? Bist du denn geimpft? Komm, wir müssen das desinfizieren!“

Sie zog ihn die Treppe hinauf ins Obergeschoss, aufgeregt vor sich her redend.
„Hast du Verbandsmaterial im Bad?
Oh Gott, wie verarztet man denn einen Hund?
Habt ihr auch Tiermedizin im Haus?“

Unten im Wohnzimmer hielten Rado und Kolja sich die Bäuche vor Lachen.
Dunja schmunzelte vor sich hin: „Das wünscht sich doch jeder Mann … eine private Krankenschwester, die jedes seiner Wehwehchen ernst nimmt.“

Oben in Brankos Schlafzimmer zwang Melissa ihn, sich vollständig auszuziehen und auf sein Bett zu setzen. Dann suchte sie in seinem Bad alles zusammen, was sie zur Wundversorgung gebrauchen könnte.
Sie begann, seine Wunden erst mal zu reinigen, die Blutkrusten vorsichtig mit Wasser aufzulösen.

Branko, nur mit einem Handtuch um die Hüften, genoss amüsiert ihre Fürsorge.
Wie niedlich sie aussah, wenn sie sich aufregte! Und ihre zarten Finger überall auf seiner Haut!
Wohlig schloss er seine Augen … um sie sofort wieder erschrocken aufzureißen.

Ohne anzuklopfen stürmte Kolja ins Zimmer.
„Frau Doktor! Wir haben zwar keine Medizin im Haus, aber das hier wirkt immer Wunder!“
Grinsend hielt er ihr eine angebrochene Flasche Whisky entgegen und verschwand wieder.

Voller Vorfreude leuchteten Brankos Augen auf.
„Gute Idee“, strahlte er.

„Ja, prima“, stimmte Melissa zu, öffnete die Flasche, kippte den Inhalt auf ein sauberes Handtuch und betupfte damit großzügig seine Wunden.

Branko riss empört die Augen auf und atmete zischend aus.
„Aua! Der gute Whisky …“, jammerte er.

Energisch erwiderte Melissa: „Das muss jetzt aber sein, das desinfiziert doch!
Unfassbar, dass ihr bei euren gefährlichen Hobbies wie Schießen und Jagen und Wer-weiß-was-sonst-noch kein anständiges Verbandszeug im Haus habt!“

Branko verschluckte sich fast vor Lachen.
„Sonnenschein, wir sind Werwölfe! Wir werden nie krank! Und unsere Wunden entzünden sich nicht, sondern heilen ganz allein. Besonders große Wunden müssen wir allerdings besser nähen, wenn wir später keine Narben haben wollen.“

Vorwurfsvoll deutete Melissa auf seine aufgerissene Schulter: „Und das da?
Ich will nicht, dass du die nächsten Jahrhunderte mit Alains Zahnabdrücken herumläufst!“

Branko grinste, beugte sich zu seinem Nachtschrank und holte aus der obersten Schublade ein Päckchen Nähzeug und ein dickes Stück Holz, übersät mit Abdrücken von Raubtierzähnen. Augenzwinkernd reichte er ihr die Utensilien zu.

Entsetzt starrte Melissa ihn an: „ICH soll deine Wunde nähen? Das kann ich nicht! Ich glaub, mir wird gleich schlecht!“

Halblaut rief Branko nach Rado und setzte dann die Flasche mit dem kümmerlichen Rest Whisky an die Lippen.
Er sah sie besorgt an: „Möchtest du lieber unten warten, Sonnenschein? Ich halt das schon aus. Das ist doch nur `ne Bagatelle!“

Melissa schüttelte energisch den Kopf und setzte sich entschlossen neben ihn auf die Bettkante.

Gelassen kam Rado herein geschlendert und besah sich grinsend die Wunde.
„Klar, das muss genäht werden! Unser zukünftiger König kann doch nicht mit so einem Vampirstempel herumlaufen!“

Branko verdrehte genervt die Augen. Dann lehnte er seinen Kopf an Melissas Schulter und schob sich das Stück Holz zwischen die Zähne.
Sie legte ihm einen Arm um die Taille und hielt seine Hand, während Rado pfeifend den Zwirn einfädelte und begann, die klaffenden Wundränder zusammenzunähen.

Leise stöhnte Branko und grub knirschend die Zähne in das Holz. Sein Griff um Melissas Hand wurde fester.

Sie legte ihre Wange an seinen Kopf auf ihrer Schulter und summte ihm beruhigend ins Ohr: „You are my sunshine, my only sunshine …“

Rado beendete endlich pfeifend seine Handarbeit und verknotete die Enden.
„So, in zwei Tagen sieht man nichts mehr davon. Ich lass euch dann lieber allein.
Der kleine Prinz braucht jetzt viel Trost, Melissa.“
Grinsend schloss er die Tür hinter sich.

Branko spuckte das Stück Holz auf den Boden und streckte sich stöhnend der Länge nach auf dem Bett aus. Vorsichtig deckte Melissa ihn zu, zog ihre eigene Jeans aus und kroch neben ihn.
„Ist es sehr schlimm?“ fragte sie mitfühlend und besorgt.

Branko schüttelte den Kopf und zog sie dicht an seine Brust.
„Nein“, flüsterte er, „aber es ist sehr schön, von dir getröstet zu werden, Sonnenschein. Ich muss jetzt leider `ne Runde schlafen, wegen der Selbstheilung, weißt du.
Dabei hatte ich eigentlich ganz andere Aktivitäten für heute Nacht mit dir geplant …“

Melissa musste grinsen: „Ich auch, mein armer Wolf! Aber schlaf jetzt besser.
Ich pass auf, dass keine Fledermäuse durchs Fenster kommen und dich beißen.“

Leise lachend legte er seinen Arm um ihre Schultern. Sie kuschelte sich dicht an seine nackte Brust und lauschte seinen tiefen regelmäßigen Atemzügen.
Nach einer Weile rutschte sie ein wenig höher, so dass sein Kopf an ihrer Schulter lag.

Während er friedlich schlief, betrachtete sie im Mondlicht, das durch das offene Fenster fiel, seine entspannten Gesichtszüge.
Seine dichten schwarzen Wimpern warfen Schatten auf seine hohen Wangenknochen und seine verführerisch geschwungenen Lippen schienen im Schlaf zu lächeln.

Oh Gott, was war dieser Wolf sexy! Ihr wurde bewusst, dass sie nie wieder ohne ihn leben wollte! Wenn er sich irgendwann und irgendwo wieder verstecken musste, wollte sie bei ihm sein.
Und sie würde alles tun, um ihn und seine Familie vor Entdeckung und Verfolgung zu schützen!

Melissa versuchte sich vorzustellen, was Branko in seinem langen Leben wohl schon alles gesehen und erlebt hatte.
Doch das überstieg eindeutig ihre Phantasie …

Sie war nur froh, dass es jetzt, in der Gegenwart, keine blutigen Schlachten mehr gab mit Kriegern, die sich Auge in Auge gegenüber standen und gegenseitig niedermetzelten.
Die heutigen Kriege mit modernen Waffen waren zwar viel verheerender, aber sie betrafen ihren Prinzen und sein Volk wohl nicht.

Obwohl er als furchtloser Krieger, mit Pfeil und Bogen oder einem Schwert, auf einem wilden ungesattelten Pferd, bestimmt atemberaubend aussehen würde!

Sie seufzte leise, hauchte einen Kuss auf seine Stirn und kuschelte sich an ihn.


Impressum

Texte: K.R.Zora
Bildmaterialien: didi01 (www.pixelio.de) / Covergestaltung: iammadmax
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Die erwähnten Ortschaften gibt es wirklich in Illinois, USA. Auch die Fakten über die Geschichte der Skythen, die Ausgrabungen und die Wanderausstellung dazu, sind annähernd realitätsnah. Die Welt der Vampire und Werwölfe ist Fiktion und entspringt meiner Fantasie.

Nächste Seite
Seite 1 /