« Hâtez-vous lentement, et, sans perdre courage
vingt fois sur le métier remettez votre ouvrage
Polissez-le et sans cesse le repolissez ;
ajoutez quelquefois, et souvent effacez. »
Nicolas Boileau, l’Art Poétique, 1674
Dies ist nicht nur ein guter Vorsatz, dachte sie, dichter an der Wahrheit. Pünktlich sein!
Eilig schritt sie über die alte Brücke, am märchenhaften, dunklen Münster vorbei. Die feuchtkalte Luft, die vom mächtigen Fluss aufstieg, drang jedoch, schneller als sie, hinter ihr her, bis auf die Haut. Unangenehm. Zum Schütteln.
Sie war wieder mal spät dran. Nein, zu spät stimmt nicht! Lediglich leicht verspätet. – Doch sicher würde sie nicht als Letzte eintreffen, so hoffte sie wenigstens. Am Hauseingang angekommen fingerte sie das Schreiben leicht hechelnd aus der Handtasche und vergewisserte sich noch einmal: „DAS-GESEDZ-TREFFEN“, stand da in großen Lettern, über dem wohl gewollt mysteriös bis schwulstig anmutenden, vielleicht aber auch selbstironisch gemeinten Betreff: „Einladung zum großen Wurf“. Neben dem Klingelknopf stünde MR2. Noch auf einer Schreibmaschine getippt. Wie vorsintflutlich einem das jetzt plötzlich vorkam! Zweiter Stock rechts. Samstag, 27. Januar. Heute. Gezeichnet: Simon Dach, Zweiter Vorsitzender. Atmen. Das Make-up. Ein schneller Blick in den Spiegel. Ein professioneller Schwung Lippenstift. Klingeln. Lächeln. Der Türsummer.
Ihr Herz pochte heftig. Dabei war sie gar nicht verliebt. Ihr Herz pochte heftig. Natürlich war sie ebenso wenig schwanger. Ebenso natürlich klemmte die Tür. Sie wollte es wissen. Schon war sie mit ihrem wohlgeformten Körper durch den dunklen Spalt gedrungen, tastete sich den Weg zu dem flackernden Glühwürmchen an der Wand und stieg etwas beklommen die Treppe empor. Höher zu dir... Lächeln.
Oder es war so: Sie stieß die schwere Holztür auf, die erstaunlich leicht zurückschwang, und betrat die Vorhalle. Alles war still. Im Halbdunkel drückte sie den Plastiknippel, aber auch mit Beleuchtung blieb es schummrig im Treppenhaus. Sie hätte mehr Licht erwartet. Eine schön geschwungene Marmortreppe, die sie leicht schmunzelnd zu erwarten schien, führte sie nach oben. Allein ihrer Absätze Schall hallte peitschend durch die steinerne Leere. Wie Sie hinter ihren scheinbar lasziv schwingenden Waden hinterherblicken würden, neidisch oder verlangend, hängt ganz von ihrem Geschlecht ab. Auch wenn... Sicher ist: unbefangen wären Sie gewiss nicht geblieben.
Wie lange sie so emporgestiegen war, wusste sie später nicht mehr, aber im zweiten Stock machte sie natürlich halt. Sonst hätte sie ja wieder runtertrippeln müssen. Umsimst. Umsamst. Umsonst. Pardon. Ich schwief ab. Wie bitte? Schwiff? Ich bin verunsichert. Die Zeiten ändern sich so rasch! Pardon. Jetzt misch ich mich nicht mehr ein, versprochen, sondern lasse Sie mit ihr allein. Ach, geht ja nicht: sie sind ja alle zusammen da drinnen und warten auf sie. Wie eigensinnig die Kraft des Faktischen doch ist! Lassen wir sie also rein. Alles wird gut. Lächeln. Amusement. Pleasure. Vergnügen. Darum geht’s doch, nicht?
Auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock angekommen nahm sie sich erst
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Alban Azaïs
Bildmaterialien: Alban Azaïs
Lektorat: Alban Azaïs
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2013
ISBN: 978-3-7309-0833-4
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