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Meine Insel

Es war einer dieser stressigen Dezembertage. Ich weiß nicht wer behauptet die Adventszeit sei ruhig und besinnlich. Das ist sie für mich schon seit einigen Jahren nicht mehr. Ich habe mich vor längerem Selbstständig gemacht und betreibe einen kleinen Tante-Emma-Laden, wie man so nett sagt. Nett ist der vor Weihnachten allerdings nicht mehr. Unheimlich viele Menschen glauben sie könnten verhungern wenn über Weihnachten die Läden schließen. Meine gute Freundin und Kollegin Betzi verwandelt sich jeden Dezember in ein Schnupfenmonster. Wirklich! Man könnte den Kalender danach richten. Inventur muss auch gemacht werden. Außerdem haben meine beiden Kinder mindestens 15 Weihnachtsfeiern und ich selbst zusätzlich 5. Tausend Dinge müssen noch erledigt werden, so als hätte man im nächsten Jahr keine Zeit mehr dafür und dann ist da noch die Sache mit den Geschenken…

 Es war also einer dieser Tage, und es hatte noch dazu zu schneien angefangen, was bedeutete das die Straßen glatt waren und keiner mehr Auto fahren konnte. Deswegen gab es einen Unfall und deswegen kam ich eine halbe Stunde zu spät. Und weil es Dezember war, war auch Betzi krank und deswegen Zuhause geblieben, weswegen im Laden noch keiner war und nun 5 ungeduldige Menschen vor meinem Laden warteten.

Werner und Reimund: Ohne unseren Coffee to go können wir nicht weiter zur Arbeit

Gabi und Siglinde: Ja wir stehen schon immer um 6 Uhr auf, Pünktlichkeit das war noch eine Tugend und ich muss ja auch bald das Mittagessen richten

Herr Gerd Müller: Ich bin von der Gemeinde, es liegt Schnee und sie haben den Gehweg vor ihrem Laden noch nicht geräumt, Bußgeld!

Ja, nagut. Drinnen stellten wir dann erstmal fest das die Heizung beschlossen hatte vorerst zu versagen. Ich bediente also Gabi und Siglinde, setzte Kaffee auf für Werner, Reimund und mich auf und suchte nach der Nummer vom Heizungsdienst. Kurzum der Tag begann stressig und wurde auch nicht besser, bis am Nachmittag darin gipfelte das ich aus meinem Schaufenster hinaus beobachten musste wie Frau Strauß, immerhin die älteste Dame im Ort, vor meinem Laden auf dem Schnee ausrutschte, den ich natürlich nicht geräumt hatte, und hinfiel. Entsetzt rannte ich nach draußen.

„Frau Strauß! Oje geht es ihnen gut!“ Ich half ihr auf.

Frau Strauß: „Oh ich muss wohl ausgerutscht sein. Oje ich glaube ich habe mir den Fuß verstaucht“

Mist! Ich stützte sie: „Kommen sie am besten eben mit rein und setzen sich einen Moment.“ So half ich ihr nach drinnen, setzte sie auf einen Stuhl und kochte ihr einen Tee.

„Das tut mir sehr leid, ich bin noch nicht dazu gekommen Schnee zu schippen. Wohin wollten sie denn bei diesem Wetter?“

Frau Strauß: „ Ich wollte zur Bücherei, aber vielleicht haben sie recht, bei dem Wetter war das wohl keine so gute Idee!“

„Kann ich denn jemanden anrufen der sie zum Arzt fährt?“

„Da wird wohl noch keiner da sein. Meine Tochter kommt erst in 2 Stunden von der Arbeit, sie kann mich sicher fahren. Ich werde nach Hause laufen und dort auf sie warten!“

„Ich kann sie doch nicht mit verstauchtem Fuß im Schnee nach Hause laufen lassen!“ empörte ich mich. „nein schauen sie, ich habe gerade neue Zeitschriften und ein paar Romane bekommen. Nehmen sie sich doch eine von denen und eine Packung Kekse. Die Heizung wird gerade repariert, bald sollte es warm werden. Sie können solange hier bleiben. Entweder es findet sich jemand der sie fahren kann oder wir rufen später ihre Tochter an!“

Nachdem ich Frau Strauß versorgt, nach dem Handwerker gesehen und zwei weitere Kunden bedient hatte, schnappte ich mir die Schneeschaufel und machte mich endlich an die Arbeit vor meinem Laden Schnee zu räumen. Dabei entdeckte ich plötzlich etwas glitzerndes im Schnee. Zunächst dachte ich es wäre eine Schneekugel, aber nein es war quasi genau das Gegenteil. In der mit Wasser gefüllten Kugel war eine kleine Meereslandschaft. In der Mitte eine kleine Insel mit Miniaturpalmen und Liegestuhl, dazu so eine kleine Strohhütte. Hach dachte ich, da wär ich jetzt auch gern. Ich schippte schnell den Schnee zu Ende und ging dann wieder hinein um Streusalz zu holen, dabei fragte ich Frau Strauß, die mittlerweile glücklich in ein Buch vertieft war, „Haben sie vielleicht eine Schneekugel verloren?“ Sie schaute auf „Nein das kann nicht sein!“ Ich zeigte sie ihr.

„Die sieht aber schön aus, eigentlich gar keine Schneekugel, mehr eine Inselkugel“ meinte sie. „Schütteln sie doch mal!“ Ich tat wir mir geheißen. Und als sich ein glitzernder Regen vor meinen Augen auf die Insel ergoss hörte ich die Worte „Insula El Estrés“ und mir wurde warm ums Herz und alles wurde plötzlich leicht und fühlte sich gut an.

Irritiert öffnete ich die Augen, hatte ich doch gar nicht bemerkt, dass ich sie geschlossen hatte. Und ich sah Stroh. Genauer gesagt ein Strohdach über mir. Verwirrt schaute ich mich um und bemerkte, dass ich in einem superbequemen Bett lag in einem supersüßen Zimmer bestehend aus Holzbalken und Strohdach. Ich setzte mich auf und fühlte mich als wäre ich soeben auf einem tiefen, erholsamen Schlaf aufgewacht. Ich war entspannt und wach und lebendig. Ich stand auf und öffnete die Tür die aus dem Zimmer hinausführte. Sie führte in ein angrenzendes Zimmer das zur einen Seite offen war, darin stand eine  große Strandbar hinter der es jede Menge Getränke und Speisen in vielen bunten Farben gab. Außerdem gab es einen Tisch in der Mitte des Raums, der aus einem Surfbrett gebaut war, an der Wand lehnten ebenfalls einige Surfbretter und das ganze wurde gekrönt von dem fabelhaften Ausblick der sich mir an der offenen Hüttenseite ergoss. Das Meer! Vor mir lag ein heller seidig weicher Sandstrand der in ein perfektes blaues Meer ragte. Begeistert rannte ich darauf zu. Die Sonne strahlte auf mich hinab, ein sanfter Wind kam mir entgegen. Ich spürte das erfrischende Nass zu meinen Füßen. Wie wunderbar! Ich erfreute mich einen ganzen Moment an diesem wundervollen Ort, da hörte ich plötzlich ein Räuspern. Ich drehte mich um. Vor mir stand ein gutaussehender Mann, braun gebrannt mit einer Hawaiikette um den Hals und hielt mir einen halbe Kokosnuss mit Strohhalm hin. „Willkommen auf El Estrés! Ich bin Carlos, freut mich das du hier bist.“ Dankbar nahm ich die Kokosnuss und stellte mich ebenfalls vor „Es ist so toll hier! Ich bin Sofie!“ Er lächelte: „Oh ja das hier ist quasi das Paradies, nur für dich!“ er zwinkerte. Ich probierte von der süßen Kokosmilch.  „Magst du surfen gehen Sofie!“ Begeistert strahlte ich ihn an. „Oh ja super gerne! Aber das letzte Mal das ich surfen war ist Ewigkeiten her, wer weiß ob ich es überhaupt noch kann.“

„Das ist  wie Fahrradfahren, wenn du es einmal konntest verlernst du es nicht. Komm ich helfe dir!“

Wir holten zwei Surfbretter aus der Hütte, und ich stellte fest das ich einen Bikini bereits unter meinem Strandkleid trug. Wie praktisch. Mit Carlos zusammen paddelte ich ins Meer hinaus und er hatte recht.  Die Wellen waren herrlich und ich hatte das Surfen nicht verlernt. Ich fühlte die Kraft des Meeres unter mir, die Sonne auf meiner Haut, das Salz des Wassers und das Adrenalin in meinem Blut wenn ich auf einer Welle ritt. Ich fühlte mich so frei und glücklich wie lange nicht mehr. Eine ganze Weile verbrachten wir im Wasser. Carlos war ein sehr guter Surfer und dazu witzig und charmant. Danach legte ich mich auf die Sonnenliege und Carlos versprach uns etwas zu essen zu holen. Als er mit zwei Sandwichs wieder kam erschrak ich jedoch „Carlos, was mach ich hier? Ich muss noch tausend Dinge erledigen und was mach ich? Liege in der Sonne!“

„Kein Problem Sofia, das hier ist El Estrés. Eine Insel die ganz dafür gedacht ist deinen Stress beiseite zu legen und die Sonne und das Meer zu genießen. Bis du wieder soweit bist zurück zu kehren und weiter zu machen! Entspann, iss etwas und genieß einfach die Sonne. Wenn du zurück kommst ist noch jede Menge Zeit um all das zu erledigen.“ So tat ich was er sagte. Ich lag einfach in der Sonne, genoss ihre Wärme die mich irgendwann ganz schläfrig machte…

„Eine wirklich schöne Kugel“ hörte ich eine Stimme. Ich öffnete die Augen „Frau Strauß!“ meinte ich verwirrt. Die ältere Dame lächelte. Ich sah mich um. Ich war wieder zurück. Ich lächelte ebenfalls: „Ist heute nicht ein wundervoller Tag?“ Frau Straß nickte lachend zum Fenster und genau in diesem Moment klärte sich der graue Himmel und die Sonne zeichnete eine wunderschöne Winterlandschaft. „Ja das kann man wohl sagen!“ Sie nickte. „Wissen sie was, mir geht es auch schon wieder viel besser. Mein Fuß scheint doch nur verknackst gewesen zu sein.“ Sie stand ohne Probleme auf. „Vielen Dank für ihre Gastfreundschaft! Und das Buch würde ich gerne kaufen!“

„Ich schenke es ihnen, fröhliche Weihnachten!“ meinte ich.

„Fröhliche Weihnachten!“ gab sie zurück.

Als sie weg war, betrachtete ich die Kugel mit meiner Insel. „Wie eigenartig!“ murmelte ich und stellte sie auf meinen Schreibtisch.

„Die Heizung geht wieder!“ ertönte es hinter mir. Nickend verabschiedete ich den Handwerker. War daher die plötzliche Wärme?

Trotzdem tiefenentspannt erledigte ich meine restlichen Aufgaben und schloss den Laden. Kurz bevor ich die Tür schloss lief ich jedoch noch einmal zurück und schnappte mir die Kugel. Meine kleine Insel für die Handtasche, dachte ich.

„Insula El Estrés, warum eigentlich nicht!“

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Tag der Veröffentlichung: 09.01.2018

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