In der Freiheit
Juni 1989
Die ersten Wochen zu Hause sind überstanden. Es läuft relativ gut, vielleicht zu gut. Probleme gibt es immer wieder, sie lassen sich aber bis jetzt alle lösen. Auch an meinem Arbeitsplatz schau ich ab und zu vorbei, bin ja noch nicht arbeitsfähig. Die Kollegen sind sehr zurückhaltend; wissen nicht so recht, wie sie mit der Situation umgehen sollen.
Aber es kommt kein dummes Wort über ihre Lippen, man hat, glaube ich, Verständnis für mich.
Ich halte noch telefonisch Kontakt zu meinen Mitpatienten in Haar. Einige sind wieder umgefallen. Eine gutaussehende Frau aus der Gruppe hat sich vom Hochhaus gestürzt. Sie wurde mit ihrem Leben nicht mehr fertig. Christa versucht krampfhaft, keine Fehler zu machen, und macht dann erst recht welche. Niemand ist perfekt, ich auch nicht, wir können aus unseren Fehlern lernen. Durch die Zeit, in der ich gesoffen habe, hatte meine Frau die Verantwortung für die Kinder und wegen der Geldknappheit ging sie zum putzen. Nun war ich zu Hause und die Kinder verstanden nicht, dass Mami jetzt weniger Zeit für sie hatte. Sie waren eifersüchtig auf den Papi. Sie sagten: „Du hast keine Zeit mehr für uns, nur noch für Papi“. Ich versuche, in diesem Kapitel auch die Gedanken und Erlebnisse meiner Frau einzubringen. Die alte Kneipe, in der wir verkehrten, kann sie nicht lassen, sie kennt nur den Griechen. Der Wirt hatte 2 gleichaltrige Kinder, die mit unseren beiden befreundet waren. Ich kann aber mit diesen Menschen nichts mehr anfangen. Mir ist die Gefahr, dass ich umfalle, einfach zu groß.
Im Moment gehe ich 3-4-mal in der Woche zu den Anonymen Alkoholikern. Ich habe begriffen, dass ich dem Alkohol gegenüber machtlos bin. Alkoholismus ist eine Krankheit. Seit ich das weiß, geht es mir wesentlich besser. Ich kann darüber sprechen, akzeptiere, wenn andere trinken - ich kann es nicht. Nur wenn Christa eine Fahne hat, stört es mich sehr. Wobei ich weiß, dass sie keine Probleme mit dem Alkohol hat. Es berührt mich stark, wenn ich sehe, wie sich andere mit Alkohol kaputtmachen. Muss noch lernen, dass jeder nur für selbst verantwortlich ist. Mir fehlt bei Betrunkenen der Gesprächsstoff. Die AA Meetings geben mir sehr viel, für die folgenden 24 Stunden trocken zu bleiben, das erste Glas stehen zu lassen. Die Versuchung ist immer da, aber bis jetzt funktioniert es.
Ich war auch einige Male beim Blauen Kreuz, aber da bekommst du nur gute Ratschläge, wobei ich bei AA alles selbst machen muss und dann mein Erfolgserlebnis habe. Ich muss es nur so machen wie die anderen trockenen Alkoholiker.
Ratschläge habe ich in meinem Leben schon zu Genüge gehabt. Bei AA höre ich wie andere ähnliche Situationen gemeistert haben, ohne zu trinken. Ein Telefonat mit einem AA Freund hilft unwahrscheinlich, auch wenn es keine direkten Ratschläge sind. So habe ich schon manche Tiefpunkte überwunden. Ich weiß nicht, warum es so ist, vielleicht ist es eine Art höherer Macht, die mir dabei hilft. Viele Dinge, die ich jetzt erlebe und fühle kann ich nicht beschreiben oder in Worte fassen. In Phasen der Verzweiflung kann ich noch nicht ruhig bleiben, geduldig sein und vertrauen. Warum soll ich zu einer Höheren Macht finden, wenn ich noch nicht einmal zu mir selbst finde. Es ist ein schwerer Weg, aber ich fühle, dass es der richtige ist. Christa gibt mir ein gutes Gefühl, denn sie hat sehr großes Vertrauen zu mir. Leider versteht sie meinen Wunsch auf Pünktlichkeit nicht,sie ist nie zum vereinbarten Zeitpunkt zu Hause. Sie möchte aber, dass ich pünktlich bin.
Ab und zu kommen Vorwürfe, wenn ich nach dem Meeting noch auf einen Kaffee mit Freunden gehe. Während des Meetings kommt soviel auf mich zu, da muss ich erst einmal mit meinen Gefühlen klarkommen, bevor ich nach Hause gehe. Im Moment komme ich mit meinem Schwiegervater nicht klar. Er erzählt überall, dass ich in Haar war.
Die letzten Tage war ich wieder einmal sehr depressiv. Ich weiß nicht, ob ich Christa durch mein Verhalten abstoße oder ob ihre Gefühle für mich schon länger so wechselhaft sind. Früher habe ich bei solchen Gelegenheiten gesoffen, heute halte ich es nüchtern aus. Ich denke, dass dieser Weg der Bessere ist. Es ist nicht leicht über die Vergangenheit nachzudenken, werde ja immer wieder daran erinnert.
Zu diesem Zeitpunkt ging meine Frau zu den Al-Anon, eine Selbsthilfegruppe für Angehörige der Alkoholiker.
Hier ein kleiner Auszug aus den Gefühlen meiner Frau, die sie mir wie folgt schildert.
Als Hans in seiner Endphase noch exzessiv trank, wusste ich sehr oft nicht, wie es weiter gehen soll. Er lag besoffen im Bett, hatte Atemaussetzer, dann dachte ich mir, wenn er nicht mehr aufwachen würde, wären meine Probleme gelöst. In dieser Phase hatte ich sehr oft Gedanken, mich selbst zu töten. An einem sehr schlimmen Abend ging ich nachts auf die Autobahn, um mich von einem Auto überfahren zu lassen. Ich war geistig und seelisch so am Ende, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat. Ich hatte das Gefühl, in einem dunklen, fensterlosen Raum zu sein und ich spürte dass mich die Wände und die Decke erdrücken. Ein entgegenkommendes Auto sah mich im letzten Moment, hupte und wich mir schimpfend aus. Da wurde ich wach und schlich mich auf Schleichwegen nach Hause, um der Polizei zu entgehen. Danach fuhr ich mitten in der Nacht zum Friedhof, auf dem meine Mutter beerdigt war. Ich setze mich auf die Grabumrandung und weinte bitterlich, bat meine Mutter um ihre Kraft, die sie selbst nicht mehr benötigt. Nachdem es mir nach etwa einer Stunde besser ging, fuhr ich gestärkt nach Hause. Mir wurde bewusst, dass ich kein Recht habe mich umzubringen, da ich noch 2 Kinder habe. Ich musste immer nur kämpfen in meinem Leben mit Hans, das mich sehr viel Kraft gekostet hat. Es hat so viele schlimme Dinge geschehen, die ich einzeln gar nicht mehr nacherzählen mag. Das was ich bis jetzt erzählt habe, ist nur die Spitze des Eisberges.
Es ist aber jetzt sehr schön, diese Dinge gemeinsam ohne Hass und Vorwürfe zu schreiben.
Nach 20 Jahren Lügen und nicht eingehaltenen Versprechen, hatte ich zu dieser Zeit immer wieder Angst, dass alles von vorne beginnt. Als er in ein Wirtshaus ging, hatte ich Ängste, dass er wieder zu trinken beginnt. Ich konnte auch mit seinem veränderten Wesen nicht umgehen, wir belauerten uns gegenseitig. Früher war mein Mann sehr launisch und war einmal himmel hoch jauchzend und dann wieder zu Tode betrübt. Jetzt mehr in sich zurückgezogen und nachdenklich.
Wenn er wieder nach Hause kam, umarmte ich ihn, jedoch nicht unbedingt aus Liebe, sondern um zu riechen, ob er Alkohol getrunken hat.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt kein Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen mehr, denn alles was ich tat, führte zu Streit. Ich fühlte mich missverstanden und wollte Hans und mir selbst auf keinen Fall weh tun und mich auch nicht verletzen lassen. Um mich mit Menschen die das Gleiche erlebt hatten gedanklich auszutauchen, fand ich den Weg zu Al-Anon, eine Selbsthilfegruppe für die Angehörigen der Alkoholkranken. Dort werden keine direkten Ratschläge gegeben, sondern durch Zuhören, wie es die anderen geschafft haben, ihr Problem zu meistern. In vielen Geschichten der Al-Anon erkannte ich mich selbst und meine eigenen Probleme. Sie waren fast alle identisch. Ich habe dort lernen dürfen, mich wieder selbst zu achten und lieben und mein Selbstwert Gefühl zu stärken, denn ich hatte all diese Dinge verloren. Ich musste 20 Jahre mit sehr vielen Dingen alleine fertig werden, Entscheidungen treffen weil Hans nicht in der Lage war. Ich fühlte mich für alles bis zur Selbstaufgabe verantwortlich. Ich hab bei Al-Anon gelernt, dass Alkoholismus eine Krankheit ist, mit der ich mich auseinandersetzen musste. Ich war nicht verantwortlich, dass Hans so massiv trank. Zu dieser Zeit ging ich ins Gesundheitsamt zu einem Berater, der mich aufklärte, dass ich nichts tun kann, er muss etwas tun. Er klärte mich auf, dass bei ihm der Partner Alkohol an erster Stelle steht. Erst wenn es ihm zu schlecht ging, erinnerte er sich, dass es auch noch eine Ehefrau gibt.Ich fühlte mich nicht mehr begehrenswert und geliebt, war nur noch der Abfalleimer für die ausgekotzten Probleme meines Mannes. Er gab mir für alles, was passierte, die Schuld, die ich auch sofort auf mich nahm. Wenn mich jemand darauf ansprach, wie es meinem Alkoholiker geht, wäre ich am liebsten in der Erde versunken. Eines Tages klingelte es an der Türe und der Gerichtsvollzieherstand vor der Tür, Hans war zu dieser Zeit in der Klinik, er wollte den Strom sperren. Ich musste auf mein anstehendes Erbteil meiner Mutter einen Kredit aufnehmen, um die Schulden zu tilgen. Aus solchen Ereignissen erwuchs in mir wieder eine innerliche Stärke und meine Gefühle zu Hans verhärteten sich.
Erst wurde mein Mann krank, und langsam wurden ich und meine Kinder durch Ängste, die so vielfältig waren, krank, dass es schwer ist, alle zu beschreiben. Zukunftsangst, die Kinder mussten Klassen wiederholen, Fabian musste in eine Sprachheilschule, weil er zu stottern anfing. Er zog sich in sich zurück und bekam massive Migräneanfälle, bei denen er in der Schule vor Schmerz umfiel. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich an einen Gehirntumor, der bei einer Untersuchung in einer Münchener Spezialklinik Gott sei Dank nicht bestätigt wurde. Melanie war eher der Typ Mensch, der alles aus sich heraus ließ und aggressiv wurde.
Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt pflegebedürftig und ich musste auch seinen Haushalt versorgen. Ich war auch berufstätig und stand unter großem Druck, 2 Haushalte, mein Beruf und die Kinder versorgen, ich wollte meinen Mann noch nicht zu stark belasten.
Nach meiner zweiten Bandscheiben OP 1992 war ich nicht mehr aktiv und Hans übernahm endlich seine Pflichten.
Es ist nicht leicht, hier weiter zu schreiben, denn vieles was ich vergessen hatte, kommt wieder zum Vorschein. Ich kann mich noch an Ereignis erinnern, das mir zeigt, dass Alkoholismus auch eine geistige Krankheit ist. Meine Frau war bei ihren Eltern zu Besuch und rief mich bei ihrer Abfahrt nach Hause an. Ich ging an eine Stelle, bei der sie normalerweise vorbeikommt. Dort wartete ich um dann, wenn sie kommt, in das gegenüberliegende Wirtshaus zu gehen. Wollte ihr Angst machen. Heute lache ich darüber, wie verrückt ich doch war, ein bisschen spinne ich auch noch heute.
Ich war und bin noch immer in einem Zustand, der für einen Alkoholiker nicht normal ist.
Manchmal träume ich wieder von meinem Exfreund Alkohol. Er klopft an und sagt mir: „Hallo, ich bin da.“ Ich weiß, dass ich im Falle des Nachgebens alles wegwerfe und das will ich auf keinen Fall. Ich ging regelmäßig 2-3-mal in der Woche zu AA und merkte, wie es mit anderen Betroffenen immer leichter wurde, nicht zu trinken. Mit dem Trinken aufhören ist leicht, ich habe es ja tausendfach probiert, das Nicht wieder anfangen ist nicht leicht. AA hat mir nicht die Türe zum Himmel geöffnet, sondern das Tor aus der Hölle heraus.
Am Anfang sagte ich nur, „Ich bin Hans“, das Wort Alkoholiker ging mir noch nicht über die Lippen. Ich wollte feststellen, ob es bei mir nicht doch anders ist, wollte kein Alkoholiker sein.
Nach ca. 9 Monaten sagte ich das erste Mal „Ich bin Hans und bin ein Alkoholiker“. Es war wie eine Befreiung, ich war stolz auf mich, ich hatte es gesagt. Jetzt spürte ich, dass ich dazu gehörte und so bin wie alle anderen.
Wir beide hatten jetzt schon ab und zu Schwierigkeiten miteinander, denn ich hatte AA und sie die Al-Anon, die beide ein 12 Schritte- und 12 Traditionen Programm haben, das zu Genesung führen kann, aber das gleichzeitige Genesen war schon etwas schwierig.
Ich konnte erkennen, dass alle wie auch ich selbst, an dieser Entwicklung - den Weg in den Alkohol - beteiligt waren, aber niemand wollte es und es hatte auch niemand die Schuld daran. Es ist nicht leicht, ohne Schuldzuweisungen an sich selbst zu arbeiten. Wir erkannten beide, dass wir uns nur selbst ändern können und nicht den Anderen. Um das finanzielle Problem zu lösen, fing ich wieder an der Tankstelle an zu arbeiten. Der Chef akzeptierte, dass ich Alkoholiker bin und vertraute mir voll und ganz. Meine Frau hatte einen Job in der Blumenabteilung eines Supermarktes, um etwas Geld dazu zu verdienen. Langsam erholten wir uns finanziell wieder etwas. Im ersten Jahr der Trockenheit verlief alles ohne größere Probleme, wir waren noch zu sehr damit beschäftigt, nur keine Fehler zu machen.
Im Laufe der Zeit wurden wir beide selbstständiger in unserem Handeln und auch in unsren Gefühlen. Das führte zwangsläufig zu Komplikationen. Ich wollte wieder Verantwortung übernehmen, aber ich denke, dass meine Frau diese nicht gerne abgab. Hatte das Gefühl, dass durch meine lange Abwesenheit sie sich angewohnt hatte, die Verantwortung zu tragen, und diese wollte sie sich nicht nehmen lassen. Nach dem Motto „Was will er denn, 20 Jahre hat er gesoffen und jetzt will er wieder mit reden“. Es spielte sich aber im Laufe der Zeit alles zur relativen Zufriedenheit ein. Bei den Kindern war ich sehr nachsichtig, denn mein schlechtes Gewissen saß sehr tief. Unseren ersten Urlaub verbrachten wir mit dem Wohnwagen in Kroatien, auf dem Campingplatz, auf dem ich früher maßlos gesoffen habe. Seltsamerweise hat man mir meine Ruhe gelassen, als ich sagte, dass ich nicht mehr trinke. Ich hatte zwar immer wieder einmal leichten Saufdruck, aber ich wusste, dass ich nicht trinken kann wie andere. Es ist nicht der Alkohol, sondern ich bin mein größtes Problem. Im 1. Schritt bei AA heißt es: „Wir gaben zu, dass wir dem Alkohol machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten“. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich immer noch, dass ich mein Leben im Griff habe. Hochgradig verrückt, so zu denken bei 90.000 DM Schulden.
Ich musste lernen, mich nicht immer so schuldig zu fühlen, es war vorbei ich kann nichts mehr daran ändern. Ich kann nur für Heute etwas verändern, denn das Morgen ist noch nicht da.
Ich sehnte mich immer wieder nach Liebe, Zuneigung und Geborgenheit, aber ich bekam sie nicht oder spürte es nicht. Ich als Alkoholiker bin und war kein Schwein, obwohl ich mir sehr oft so vorkam. Es fehlte ganz einfach das Miteinander, die gleichen Funkfrequenzen und das Zuhören. Ich fühlte mich bei allem was gesagt wurde angegriffen.
Ich sagte einmal zu meiner Tochter: „Wegen dir fange ich nicht mehr mit dem Trinken an.“ Sie antwortete: „Du hast schon getrunken, da war ich noch nicht auf der Welt.“
Am liebsten hätte ich sie erwürgt, aber es kam sofort der Gedanke: Sie hat ja recht.
Es war schrecklich, alles zu erleben, und zwar nüchtern. Dachte mir, warum bin ich auf der Welt, bring dich um, dann ist alles vorbei. Aber das wollte ich den Kindern nicht antun, es reicht wenn sie einen Alkoholiker zum Vater haben. Sie brauchen nicht auch noch einen Selbstmörder. Während des Schreibens geht es mir wieder sehr beschissen, aber da muss ich durch. Kinder verzeihen schneller als Erwachsene. Meine Frau beteuert immer wieder, dass sie mir verziehen hat. Kann ich es glauben, ich weiß es nicht. Warum muss ich mich immer wieder für die Vergangenheit entschuldigen, ich kann es nicht ändern. Es kam die Zeit, in der wir sehr vernünftig miteinander umgingen. Es herrschte Frieden. Ich wartete immer noch auf das Gefühl, dass man mich liebt. Warum spürte ich es nicht?? Hatte ich mir alles weggesoffen. Wegen diesen fehlenden Gefühlen habe ich getrunken. Jetzt bekam ich sie nicht und konnte nicht trinken. Das Beruhigungsmittel Alkohol tötet mich.
Ich war schon wieder auf der Flucht und der auf Suche nach Geborgenheit. Ich hatte kein Selbstbewusstsein, nur Selbstmitleid. Ich glaube, dass ich in meiner Frau so eine Art Mutterersatz gesucht habe. Ich hatte in meiner Jugend kaum Frauenkontakte und wusste über Sexualität fast nichts. Jetzt wird wahrscheinlich wieder von einigen, die schlechte Erfahrungen mit Alkoholikern gemacht haben, gesagt werden, jaja eine schlechte Jugend.
Schert nicht alle Alkoholiker über einen Kamm. Ich schreibe von mir und meinen Gefühlen und Erfahrungen, und nicht für alle Alkoholiker. Es ist immer sehr leicht zu sagen, DU hast ja getrunken. Das stimmt, aber da machen es sich die Angehörigen zu leicht. Warum bleiben die Frauen bei den Partnern, die trinken? Wir sollen glauben, dass es aus Liebe ist. Ich weiß heute aber auch, dass ich sehr leicht zu händeln war, denn am nächsten Tag hatte ich ja ein schlechtes Gewissen. Jetzt bin ich wieder in der Vergangenheit gelandet, aber das trifft auch auf meine trockene Zeit zu. Die ersten Jahre hörte ich immer wieder: „Weißt du noch,...“. Wir oft hab ich diese 3 Worte gehört. Es traf mich immer wie ein Hammer. Ich, der schlechte Mensch, habe ja getrunken, die Angehörigen waren und sind immer die Opfer. Warum fällt es den Angehörigen so schwer, ihren Teil an dieser Misere zu sehen? Warum gehen sie immer so gerne in die Opferrolle? Frauen meiner Generation ist es anerzogen, alles über sich ergehen zu lassen. Ich selbst hätte mich rausgeschmissen. Ich kann nicht sagen, was in den Angehörigen vorgeht, oder vorgegangen ist, denn ich kann nur meine eigene Inventur machen und nicht die meiner Frau. Ich weiß nicht, warum ich jetzt, wo ich das schreibe, so aufgeregt bin. Vielleicht, weil ich als Alkoholiker immer der schuldige Teil bin. Es gibt nicht Schuld oder Unschuld. Alkoholismus ist eine Krankheit, wie auch Diabetes eine Krankheit ist. Niemand sagt zu einem Diabetiker: „Du bist Schuld.“ Machen wir es uns nicht so leicht, immer die Schuld bei anderen zu suchen. Ich betrachte es auch aus der Sicht meiner Frau und versuche, keine Schuldzuweisungen zu machen. Die ersten 2 Jahre der Trockenheit waren sehr schwer, aber ich habe es geschafft. Jaja, ich bin dankbar, dass meine Frau bei mir geblieben ist, dass sie alles für mich getan hat, mich wieder zu einem Menschen gemacht hat, der sich in der Gesellschaft sehen lassen kann.
Ich funktioniere ja wieder sehr gut. Ich könnte jetzt ewig so weiter schreiben, aber es wäre immer wieder das Gleiche. In der Arbeit respektierten die Kollegen, dass ich nicht trinke. Meine Frau und ich lebten in einigermaßen geordneten Bahnen. Wir gingen beide regelmäßig in unsere Selbsthilfegruppen, aber ich war immer noch auf der Suche nach dem Gefühl der Geborgenheit. Inzwischen waren nicht nur meine Schwiegermutter und auch mein Schwiegervater verstorben. Meine Frau war Alleinerbin und musste nur Pflichteile an Bruder und Halbschwester auszahlen. Jetzt beginnt ein neues Leben, dachten wir, aber dem war nur eine kurze Zeit so. Wir waren zwar schuldenfrei, aber ich merkte bald, dass es nicht das Geld ist, das mir fehlte.
Die Erinnerungen meiner Frau aus dieser Zeit:
Schuldenfrei konnten wir uns ein Motorboot leisten und während unseres Campingaufenthaltes in Istrien die Adria abfahren. Es war eine schöne Zeit für uns alle.
Wir hatten das erste Mal nach der Trinkerzeit das Gefühl, eine Familie zu sein. Die Kinder waren mit ihrem Papi wieder zufrieden. Bald darauf kauften wir uns ein altes Steinhaus, das wir in vielen Stunden, Tagen und Wochen mit Hilfe eines Freundes wieder restaurierten. Die Lage und die Aussicht gefielen mir so sehr, dass ich dabei nicht darauf achtete, dass die Verkäufer charakterlich nicht das waren, was sie ausstrahlten. Ich konnte diese Menschen nur äussserlich betrachten, aber nicht in sie hineinschauen. Hans riet vom Kauf ab, weil er ein komisches Gefühl hatte. Nach dem Kauf lief vieles schief, was aber ein anderes Buch wert wäre. Wir hatten immer wieder Meinungsverschiedenheiten wegen dieses Hauses. Die Kosten liefen uns davon und wir entschlossen uns zu einem Verkauf. Wir waren darüber zufrieden, obwohl ich ein wenig wehmütig den Kaufvertrag unterschrieb.
Wir hatten zu dieser Zeit unterschiedliche Interessen, wie z.B. Haareschneiden für Freunde, Pilze suchen, Spaziergänge im Wald und die Natur genießen. Als naturverbundener Mensch konnte ich mich auch an kleinen Dingen erfreuen. Hans hatte für diese Dinge wenig Interesse.
Wenn ich am Meer sagte: “Schau dir den schönen Sternenhimmel an“, dann war seine Antwort: „Der ist morgen auch noch wieder da.“ Im Gegensatz zu Hans bin ich ein romantischer Mensch.
Im April 1999 hatte Hans seinen 10 jährigen AA Geburtstag, zu dem er auch AA Freundinnen und Freunde geladen hatte. Ich bemühte mich, diesen Tag so schön wie möglich zu gestalten. Ich merkte, dass er sich komisch verhielt, wusste aber erst später, dass seine Geliebte anwesend war. Umarmungen sind bei AA üblich, so dass ich mir nichts dabei gedacht habe.
Als ich feststellte, dass er fremdging, wollte ich mein Leben beenden. Wollte mir die Kehle mit dem Messer durchschneiden, um nichts mehr zu fühlen. Ich wollte nicht mehr seelisch verletzt werden. Ich hatte gerade erst wieder Vertrauen zu ihm gefasst und wurde schon wieder enttäuscht. Ich schüttete Alkohol in mich, um alle Gefühle zu betäuben. Nach einer leichten Alkoholvergiftung und einer Verletzung an der Brust, die entstand, als meine Familie mir das Messer entriss, wurde ich in die Klinik eingewiesen.
Ich hatte immer das Gefühl, alles getan zu haben, doch war es Hans nie genug.
In mir war ein großes Gefühl der Verlassenheit und Enttäuschung. Ein Therapeut sollte mir helfen, mit meinem Leben wieder klar zu kommen. Nach 5 Sitzungen musste ich abbrechen, da bei mir Brustkrebs festgestellt wurde. Zu dieser Zeit hatte Hans noch Kontakt zu seiner Freundin. Jetzt musste ich mich nur noch auf mich und sonst niemand konzentrieren. Jetzt ging es um mein Leben. Ich rief seine Freundin an und sagte ihr, dass sie Hans behalten könnte, mitsamt seiner schmutzigen Wäsche. Meine Kraft, um Hans zu kämpfen, war aufgebraucht. Ich hatte all die Jahre, nach 15 Operationen, nie auf meinen Körper gehört, stattdessen hab ich nur immer gegeben. Nach dem Brustkrebs wusste ich, dass ich für meine Gesundheit und mein Leben selbst verantwortlich bin. Ich entwickelte mehr und mehr einen gesunden Egoismus, ohne anderen damit zu schaden. Hans entschied sich, bei mir zu bleiben und wir wollten einen Neuanfang wagen. Es brauchte wieder eine Zeit, um Vertrauen zu fassen.
Ich wünsche mir, dass bei jeder Diskussion nicht alles als persönlicher Angriff gesehen wird und Ehrlichkeit und Offenheit entgegen gebracht werden.
Ich wurde in AA sehr aktiv und tat sehr viel für andere. Bekam dort Anerkennung und Freundschaft, die ich so vermisste. Bei AA durfte ich der Hans mit allen seinen Fehlern sein. Hier verstand man mich, denn ich war unter Betroffenen. Lange Jahre hatte ich durch meine Dienste bei AA wieder einmal mich selbst vergessen. Allen anderen konnte ich Mut zusprechen, helfen und trösten, aber ich blieb wieder auf der Strecke. Immer auf der Suche nach einem anderen Leben, betrog ich meine Frau, um festzustellen, ob ich begehrenswert bin. Zu Hause hatte ich das Gefühl nicht. Jetzt wird wieder ein Aufschrei der Damen kommen, die sagen, dass alle Männer betrügen. Ob alle Männer betrügen, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich betrog. Das schlechte Gewissen in mir trieb mich nach einem Abend bei der Geliebten immer wieder nach Hause. Ich war wieder auf der Flucht. Das schlechte Gewissen und das fehlende Selbstvertrauen hatten mich mittlerweile impotent gemacht. „Du bist doch kein Mann“, sagte eine Stimme in mir, und schon waren die Suizidgedanken wieder da. Du hast kein Recht, zu leben, taugst nichts und bist nichts wert.
Eines Tages beichtete ich meiner Frau den Fehltritt, die jedoch immer behauptet, sie hätte mich ertappt. Ist aber egal, wer, wie, wo, was. Sie wusste es. Jetzt musste ich mir neben meiner Saufzeit auch das noch vorhalten lassen. Ich hatte sie sehr verletzt, aber wenn ich fragte, was ihr Anteil an dieser Misere war, nahm sie sofort die Opferrolle an und nahm alle Schuld auf sich. Hab mir überlegt, zu der Anderen zu gehen, aber da hatte ich Angst, dass ich alleine bin, wenn ich einmal alt und gebrechlich werde. Ich hatte ja noch Gefühle für meine Frau. Sie war mir sicher, denn die hatte mich ja auch während der Saufzeit nicht verlassen. Manchmal fühle ich mich so leer wie eine Flasche am Wegrand. Diese Flasche hatte ich ausgetrunken, konnte sie nicht mehr mit Alkohol auffüllen. Ich hatte vergessen, dass man eine leere Flasche gut auswaschen kann, damit der alte Geschmack weg ist. Dann kann man auch etwas Altes wieder gebrauchen. Wir beide waren in den letzten Jahren zu sehr darauf bedacht, uns zu beobachten anstatt zu leben.
Wie kann ich von meiner Frau verlangen, meine Gefühle zu verstehen, wenn ich mich manchmal selbst nicht verstehe? Wir müssen nicht alles verstehen, sondern vielleicht nur akzeptieren, dass es so ist. Ich habe sicherlich meiner Frau immer wieder Anlass zur Eifersucht gegeben. Ich war auf einer Flirtline, auf der ich mich wohlfühlte, da war meine Vorgeschichte unbekannt. Ich bekam Komplimente und sie taten mir gut. Meine Frau witterte hinter jeder Frau ein Verhältnis, was aber nicht stimmte. Ihre Eifersucht wurde so schlimm, dass ich im Winter in den See ging, um mich zu ertränken. Ich rief aber zu Hause an und ließ mich finden. Meine Tochter und meine Frau brachten mich nach Hause. Der herbeigerufene Notarzt brachte mich in die Klinik, in der ich einige Tage verbrachte. Ich wusste, dass ich jetzt etwas tun musste. Ich begann eine ambulante Therapie, mit der ich langsam mein Selbstbewusstsein stärkte. Medikamentös konnte ich meine Suizidgedanken unter Kontrolle bringen. Im Laufe der Therapie stellte ich fest, dass - meine Frau und ich - wir uns so gut kennen, dass wir genau die Schwachpunkte des Anderen wissen. Meine Frau braucht nur den Schalter umzulegen und schon bin ich auf 180. Wir können nicht miteinader und nicht ohne einander. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll.
In diesem Moment habe ich meiner Frau vorgelesen, was ich geschrieben habe. Ihre Reaktion: „Da möchte ich aber auch etwas dazu sagen“. Ich antwortete: „Bitte keinen Schlagabtausch“. Das war wieder Anlass zu einem Streit. Werde das Buch jetzt alleine fertig schreiben.
Ich mache meine Gefühle immer noch vom Verhalten meiner Frau abhängig. Warum quälen wir uns so? Können wir nicht reden wie zwei normale Menschen? Wobei ich nicht weiß was normal oder unnormal ist. Hätte ich nur nicht mit der Biografie begonnen, aber jetzt habe ich angefangen und will es auch beenden. Hab in der Vergangenheit zuviel nicht beendet. Werde mit Hilfe meines Therapeuten versuchen, mein Leben zu ordnen.
Möchte jetzt nicht mehr weiterschreiben und das Buch beenden. Es tut uns nicht gut und wir wollen versuchen glücklich und zufrieden miteinander zu leben
Kontaktadressen :
http://www.Anonyme-Alkoholiker.de
http://www.Al-Anon.de
Friedrich von Bodelschwingh schrieb:
Der Trinker
Wenn Du einem geretteten Trinker begegnest,
dann begegnest Du einem Helden.
Es lauert in ihm der Todfeind.
Er bleibt behaftet mit seiner Schwäche
und setzt seinen Weg fort.
Durch eine Welt der Trinkunsitten,
in einer Umgebung, die ihn nicht versteht.
In einer Gesellschaft, die sich für berechtigt hält,
in jämmerlicher Weise auf ihn herabzuschauen.
Als einen Menschen zweiter Klasse.
Weil er es wagt, gegen den Alkoholstrom zu schwimmen.
Du sollst wissen:
Er ist ein Mensch erster Klasse
Texte: Copyright Hans E Rohe
Alle Rechte an Texten und Bildern liegen beim Autoren
Tag der Veröffentlichung: 29.07.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich meiner Familie, meiner Selbsthilfegruppe AA und all den Menschen die an mich geglaubt haben