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Tagebuch
geschrieben in der psychiatrischen Klinik Bezirkskrankenhaus München-Haar

Das waren meine damaligen Gedanken und Gefühle, die nicht mit heutigen identisch sein müssen. Ich möchte mit diesen Zeilen niemand eine Schuld zuweisen.

Dieses Kapitel hab ich nicht Korrekturlesen lassen, denn ich wollte dass der Leser es so liest wie ich es erlebt und gefühlt habe. Gefühle legen keinen Wert auf grammatikalische Richtigkeit. Man möge es mir verzeihen.

Dienstag 18.4.1989
Jetzt bin ich in Haar, in der Klapse. Dieser Name ist erschreckend. Für Außenstehende sind das alles Geisteskranke. Bei der Aufnahme werden alle möglichen Fragen gestellt. Hauptfragen : Drogen, Alkohol, Zigaretten, warum, weshalb, wie viel.
Die Personalien werden aufgenommen, dann geht es mit dem Aufzug der nur mit Schlüssel zu bedienen ist, in den zweiten Stock. Dies ist das Stockwerk für Abhängige aller Art. Alle Türen sind verschlossen, aber keine Gitter vor den Fenstern, die sind aus Panzerglas. Als sogenannter Freiwilliger kann ich zu jeder Zeit wieder raus, aber nur mit der Genehmigung des Personals. Abhauen ist unmöglich. Die Neuzugänge kommen auf die Wachstation, die man nicht verlassen darf. Nur zu den Mahlzeiten kann man sie verlassen. Täglich nur fünf Zigaretten. In der 1.Nacht stand mein Bett auf dem Flur. Die Tasche wurde gefilzt und alles Gefährliche wie Rasierer oder sonstige scharfe Gegenstände werden zur eigenen Sicherheit konfisziert. Sogar die Zigaretten und das Feuerzeug. Ich kann es nicht glauben, ich bin in einer Irrenanstalt.
Eine Anstalt für Suchtkranke, Geistesgestörte, wobei ich als Alkoholiker ja auch geistesgestört bin, Verbrecher und sogar Mörder. Alle sind schön verteilt auf verschiedene Häuser. Komischerweise schlafe ich die 1.Nacht kurz aber gut. Entzugserscheinungen hatte ich auch vorher nicht, wenn ich einmal einige Tage nicht trank.
Aber das Erwachen war böse, denn mir kam sofort der Gedanke: was hast du gemacht? Die ersten Untersuchungen laufen an, das Gespräch mit der Ärztin. Ich spüre dass man mir helfen will. Ich erzähle alles und versuche immer noch die Schuld bei anderen zu suchen.
Es fällt mir alles unheimlich schwer, ich scheiße auf Rasur, Zähneputzen und Haarekämmen.
Der erste Gang zum Frühstück ist der Horror für mich. Ich drehe vor dem Frühstücksraum um und gehe lieber rauchen. Die Angst vor dem Fremden lähmt mich total, wie soll ich mich verhalten. Dann kommen die ersten Gespräche mit anderen Patienten und ich merke dass alle ihre eigenen Probleme haben. Alkohol oder Tabletten oder auch beides in einer tödlichen Zusammensetzung. Der Fernseher am Abend lenkt etwas von der Einsamkeit ab. Die große Angst vor der Nacht wird am Abend immer stärker. Die erste Woche bis zum 22.4. kann man in ein paar Sätzen schildern. Frühstück, Mittagessen, Abendessen dazwischen Einzel- oder Gruppengespräche. Einige anwesende Frauen der Gruppe führten mir mein Fehlverhalten zu Hause vor Augen. Sie zeigten mir, dass ich ein Idiot bin, das tat ganz schön weh.
Das Schlimmste war die erste Begegnung mit meiner Frau die mich besuchte. Die Nacht zuvor konnte ich nicht schlafen, Blutdruck konstant 180:110, etwas hoch.
Vor diesem Besuch hatte ich der Ärztin gesagt, dass ich, egal zu welcher Entscheidung meine Frau kommt, die Therapie machen würde.
Wäre ich zu Hause nur so ruhig gewesen wie in diesem Moment. Meine Frau weinte zum Steinerweichen während ich nur ein paar Tränen vergoss. Ich wollte sie in ihrer Entscheidung mit meinen Tränen nicht in ihrer Entscheidung beeinflussen.
Es tut mir leid was ich jetzt sage, aber ich war zwar traurig aber auch froh als sie ging. Als sie weg war konnte ich ohne Hemmungen weinen. Niemand lacht, denn jeder versucht den Anderen zu verstehen. Ich kann es nicht beschreiben was da in mir vorging, ich meinte es zerreißt mich innerlich bei dem Gedanken das Liebste verloren zu haben.
Dann wieder die Nacht im Monitorraum, wie der Name bereits sagt, ein Monitor überwacht dich immer. In diesem Moment war mir die Beobachtung total egal, so sehr war ich mit mir selbst beschäftigt.
23.4.
Am Vorabend habe ich auf dem Zimmer noch lange mit Helmut getratscht. Er hat sechs Jahre in Stadelheim ( Gefängnis in München ) gesessen, den Grund sagte er mir nicht. Er hatte vor einiger Zeit einen Autounfall, bei dem sein Beifahrer so verletzt wurde, dass er jetzt im Rollstuhl sitzt. Die Folge, Führerscheinverlust auf Lebenszeit, da muss er wohl zuvor schon einiges im Suff gemacht haben. Er geht jetzt zum zweiten Mal zu Daytop, eine Therapiestätte. Das ist sehr hart, 4 Wochen kein Ausgang, Briefzensur und die Gruppe entscheidet ob er den Brief abschicken darf. Die totale Unterordnung. Da wird man zuerst total kaputtgemacht und dann wieder von der Gruppe aufgebaut. Heute bin ich mit dem alten Brunner auf dem Flur spazieren gegangen. Ein total kaputter Typ, der seinem Zimmergenossen schon einmal ins Bett geschissen hat. Oh Gott das sind Schicksale, wenn es schon so weit ist. Werner ist ok, er geht jetzt auf eine Halbjahrestherapie. Seine Vergehen sind unter anderem Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung uvm. Wenn er die Therapie durchsteht, bekommt er vielleicht Bewährung.
Artur ist das scheißegal, denn er weiß dass er immer wieder kommt. Für ihn ist das wie Urlaub. Ich verstehe nicht wie man so leben kann. Die Wartezeiten zwischen den Mahlzeiten rauben dir den Nerv.
Rauchen, Kreuzworträtsel oder Lesen ist die einzige Beschäftigung. Viele laufen mit verheulten Augen umher, man wird schwermütig. Die innerliche Unruhe, was passiert zu Hause, Christa weiß was ich meine. Das Vertrauen zu meiner Frau ist immer noch nicht da. Ich schwanke zwischen innerlicher Unruhe und alles ist rosarot.
Ich muss versuchen mich nicht gehen zu lassen. Keine Dummheiten, den Gefühlen keinen großen Freiraum geben, sonst kommst nicht so schnell von der Wachstation weg. Auf meinem Zimmer liegen noch 2 andere. Der eine kommt mir vor wie ein Fixer. Die Füße blau wie Tinte, sein Kopf sieht aus wie Skeletor bei H-Man der Fernsehserie. Der zweite ist nicht einzuschätzen. Er redet von zu Hause, er muss dorthin, weil die Ratten und Mäuse alles auffressen. Verrückt. Ich bin froh den Absprung in ein anders Leben zu wagen. Denn soweit wie diese beiden möchte ich nicht kommen. Viele der Insassen sind ganz nett, laufen aber ständig mit verheulten Augen umher. Werner z.B. hat sehr große Probleme, aber er führt sehr gerne alltägliche Gespräche mit mir. Ein Sprichwort sagt „ Wer nicht in der Scheiße sitzt, weiß auch nicht wie es stinkt“.
Einige sind zum ersten Mal in Haar, aber die meisten schon mehrere Male. Heute hab ich endlich ein Zweibettzimmer bekommen. Mein Zimmernachbar heißt Hellmut. Nach außen ein harter Typ, jedoch innerlich genauso sensibel wie ich. Er zeigt es nur nicht. Der heutige Tag war besser als die anderen zuvor, denn ich hatte heute Gott sei Dank keine Gedanken an Alkohol, kein Verlangen danach.
Zurzeit kann ich nicht weinen, da ich innerlich leer bin, ausgebrannt. Das Abendessen ist vorbei, Wurstplatte wie so oft, aber nicht schlecht. Ich kann keinen richtigen Gedanken fassen, denn ich vermisse euch so. Die Warterei auf die Therapie kostet Nerven. Oh Christa, das Telefongespräch heute, nachdem du deinen Vater ins Krankenhaus gebracht hast, war sehr aufbauend. Du suchst dir jetzt schon eine Arbeit, dass du versorgt bist falls ich umfalle.
Ich habe doch noch gar nicht mit der Therapie begonnen. Ich bin ja selber schuld, denn ich habe dir auch nicht vertraut. Oh Gott ist das alles schwer. Ich sitze hier zwischen total kaputten Typen, die weit schlechter dran sind wie ich, und ich versuche meine Gemütsschwanken in den Griff zu bekommen. Du sagst in einem Unterton oder in deinen Gedanken, dass ich es sowieso nicht schaffe.
Für heute muss ich mit dem Schreiben aufhören, denn ich kann nicht mehr.

24.4
Heute Nacht habe ich sehr schlecht geschlafen, weiß aber nicht warum. Der erste Schock kam nach dem Frühstück. Sie wollten mir Skeletor aufs Zimmer legen. Wenn ich ihn sehe kommt in mir der Ekel hoch, von seinem Aussehen und er stinkt bestialisch. Er hat seine Cowboystiefel golden lackiert, jetzt kann man sich vorstellen wie seine Füße stinken wenn er die Stiefel auszieht. Da bin ich wieder aus der Haut gefahren, muss mich mehr in der Gewalt haben, denn es wirkt sich nicht gut aus auf meine Therapie. Er wurde doch auf ein anders Zimmer gelegt. Gerold heißt mein neuer Zimmernachbar. Er hat eine Polin geheiratet und ihrem Kind seinen Namen gegeben. Nach der Hochzeit gingen die Probleme los, sie hatte, was sie wollte und war zufrieden. Als er einmal besoffen war, hat sie ihn geprügelt und hat ihn verlassen. Sie brachten ihn in ein Krankenhaus, wo er aber flüchtete. Die Polizei brachte ihn dann nach Haar. Jetzt gehen seine Probleme erst los.
Heute war für mich wie Weihnacht. Zuerst die Nachricht, dass ich am Montag auf Therapie in Haus 20 komme, dann kam Christa meine Frau. Ihr Anblick tat mir sehr gut. Denn ich ihr Blick war anders wie sonst und später der Abschiedskuss war liebevoll. Ich danke ihr, denn heute bin ich innerlich sehr ruhig. Ich sehe wieder einen Lichtschimmer und glaube dass alles wieder gut wird.

25.4.
Meine 1. Arbeitstherapie.
Das Haus (eher eine Halle), ist nur 5 Gehminuten entfernt, jedoch werden wir mit dem Bus gefahren. Die Typen, die da einsteigen sind deprimierend. Arthur sagt immer „ Zombies“, Ferngesteuerte“. Douglas Einkaufstüten müssen wir falten. Eine Deppenarbeit, die aber 5 DM am Tag bringt. Den Typen, die bei der Burg ( Hochsicherheitstrakt für Schwerstkriminelle ) einsteigen, möchte ich nicht in der Nacht begegnen. Da kommen einige Knastjahre zusammen. In der Halle sitzen einige vor den Maschinen und grinsen über die schöne Arbeit, alles Geistesgestörte ( heute denke ich anders ich war nicht besser ). Mich hat einer ganz im Vertrauen gefragt, ob er eine Therapie machen soll. Ich habe meine eigenen Probleme und Ängste und muss einem anderen gut zu reden. Aber nur so geht es „ Gegenseitiges Helfen“ ist das Motto, denn wir sitzen alle im gleichen Boot. Heute habe ich wieder so einen innerlichen Flattermann, aber nicht mehrt so schlimm wie früher. Ich glaube es wird langsam besser.

26.4
Die Nacht war wieder sehr schlimm. Habe schlecht geschlafen, innerliche Unruhe und immer wieder diese Selbstvorwürfe. Ich sehne mich so nach deiner Zärtlichkeit. Das Schreiben fällt mir schwer. Ich verstehe, dass du nicht von dir aus zärtlich sein kannst, aber ich brauche es. Meine Gedanken sind stündlich bei euch. Nur noch 7 Wochen. Ich habe nie geglaubt, dass ich jemand so vermissen kann. Alle eure Probleme sind meine Schuld, kann es aber jetzt nicht mehr ändern. Bestimmt wiederhole ich mich in meinen Worten sehr oft, aber das sind nun mal meine Gedanken und Gefühle.
Kaufen kann man hier alles, von rezeptpflichtigen Tabletten, Hasch und auch Alkohol.
In der Arbeitshalle wirst dauernd um Geld oder Zigaretten angebettelt. Wenn ich einem etwas gebe dann kommen alle. Ich liebe euch.

27.4.
Diese Nacht hat wieder jemand pausenlos im 3. oder 4. Stock geschrien. Wir haben gerätselt, Mensch oder Tier. Die Schreie kommen aus der Psychiatrie. Arme Menschen In der Halle drehen sie sich jeden Tag Zigaretten aus alten Kippen, die dann geraucht werden bis man sie nicht mehr halten kann. Oh Mann unter so vielen Kranken bin ich. (Bin immer noch nicht so schlimm dran war meine Meinung damals).
Samstag geht es in Haus 20, das richtige Therapiehaus. Mit jedem Tag werde ich ruhiger. In der Gruppe lernt man den anderen zuzuhören. Jeder Tag bringt neue Erlebnisse und Erfahrungen. Nach der Arbeitstherapie ist der Alfred abgehauen. Wenn sie ihn erwischen muss er wieder eine Woche auf die Wachstation. Danach für 2 Jahre in eine geschlossene Anstalt. Er ist seit 17 Jahren ständig auf Entzug und kann sich nicht alleine versorgen. Heute fühle ich mich wieder innerlich leer. Mal hier ein kleiner Witz oder Spaß, habe jedoch kein gutes Gefühl in mir. Es ist eine innerliche Angst, die ich nicht beschreiben kann. Ich will ein neues Leben anfangen, aber ich habe Angst es alleine schaffen zu müssen.
Habe heute mit 2 Männern gesprochen, der eine sitzt schon 7 Jahre in Haar, der andere schon 25. Er hat seine Frau umgebracht indem er sie ins Auto setzte, die Handbremse gelöst und ab über die Böschung. Arthurs Nachbar an der Maschine sitzt schon 30 Jahre. Er kann und will gar nicht mehr raus. Wo bin ich, ich will doch nur nicht mehr saufen, bin ich hier richtig? Ja ich bin hier richtig, denn ich bin auch verrückt. Mein Tischnachbar hat eine Bank überfallen, 8 Monate Haar. Eine hübsche junge Frau wegen bewaffneten Raubüberfalls 4 Jahre.
Bevor ich ins Bett gehe schaue ich noch ein wenig Fernsehen. In Gedanken bin ich bei euch.

29.4
Heute bin ich in Haus 20 eingezogen. Alles ist neu für mich und habe etwas Angst vor dieser Situation. Einige in der Gruppe kenne ich aus Haus 12. Mein Zimmernachbar ist ein netter Österreicher mit dem ich mich wahrscheinlich gut verstehe. Unsere Gruppe ist noch nicht vollständig. Am Montag werden wohl noch einige kommen,
Heute war ich nervlich sehr kaputt, deshalb schreibe ich erst wieder am Sonntag.

30.4
Die Nacht habe ich sehr gut geschlafen. Der Besuch von Christa und den Kindern hat mich sehr gefreut. Unruhig bin ich zwar immer noch, aber das Gestreite der Kinder regt mich nicht auf. Mich stören nur die Erzählungen „ Heute gehen wir zum Griechen oder Mami ist mit Opa beim Pölt ( ein Wirtshaus am Geburtsort meiner Frau ). Nicht dass ich mich nach Alkohol sehne, ich will ja trocken werden, sondern das ewige Wirtshausgehen meiner Frau.
Jetzt sind es noch ca.40 Tage bis zur Entlassung. Mich stört es jetzt nicht mehr wenn im Cafe Kiermeier ( ein Cafe auf dem Anstaltsgelände ) andere saufen. Man kann darüber lächeln wenn Menschen ihr Bier mit dem Strohhalm trinken, weil sie das Glas nicht mehr halten können. Das Zittern der Hände hört nicht mehr auf. Der Besuch meiner Familie hat mir sehr gut getan.

2.5.
Gestern konnte ich nicht schreiben. Ich glaube ich habe ein halbes Kilo allein an Tränen abgenommen. Das Gespräch mit Herrn Frantz dem Pfleger hat mir wieder Auftrieb gegeben.
Das Mittagessen habe ich heute stehen lassen, denn ich bekam keinen Bissen hinunter. Stattdessen bin ich spazieren gegangen, Haus 22 zur Burg dann Haus 12 und wieder zurück. Nur um auf andere Gedanken zu kommen. Die Sonne scheint und dann sieht die Welt ganz anders aus. Wenn Christa anruft, höre ich immer wieder „ Heute geh ich zum Griechen, dann französische Woche“ Und ich sitze hier und bin alleine. Wir machen jetzt täglich Autogenes Training. Danach ist Gruppenstunde, wo jeder über seine Probleme sprechen kann und auch Rede und Antwort stehen muss. Am Nachmittag haben wir einen Film über Alkoholismus angeschaut, beginnend mit dem 1.Glas bis zum Zusammenbruch. Ich dachte dass ich mich selbst sehe. Die Stimmung in mir ist heute relativ gut, denn das Grübeln lässt langsam nach.
Wir gehen gern in kleinen Gruppen spazieren, da uns die Luft sehr gut tut. Ich sehne mich nach ein paar Streicheleinheiten von Christa.
3.5
Gestern Abend ist einer aus einer anderen Gruppe zum Saufen gegangen. Er wurde sofort rausgeschmissen. Sie haben ihn wieder zur Entgiftung ins Aufnahmehaus gelegt.
2 Wochen vor Therapieende saufen, so ist das Leben eines Alkoholikers.
Leider hat mich Christa heute Abend nicht mehr angerufen, denn sie musste zur französischen Woche. Das ist wichtiger. Sie weiß nicht wie ich die abendlichen Anrufe brauche. Vielleicht ist es auch die Vergeltung für das was ich ihr angetan habe. Ich bin sehr ruhig, obwohl ich nicht weiß, ob meine Frau noch irgendein Gefühl für mich hat.


4.5.
Der Besuch von Christa war sehr schön und die Spaziergänge mit ihr haben mir sehr gut getan. Der Abschied am Abend war wie immer sehr schwer.

5.5
Das autogene Training am Morgen entspannt sehr. Danach war Entspannungstherapie. In der durch bestimmte Übungen die Muskeln entspannt und gelockert werden. Der Nachmittag war beschissen, da wir bei schönstem Wetter Gruppenstunde hatten. Unsere Gruppe besteht nur noch aus 7 Leuten, denn 3 haben nicht mehr wollen. Die andere Gruppe hat auch 2 Leute verloren weil sie saufen waren.
6.5.
Die Nächste ist abgehauen, jetzt sind wir nur noch sechs. Sie wurde im Cafe Kiermeier erwischt wie sie einen kleinen Schluck trank. Sie wurde sofort entlassen, dachte wohl, dass wir in Urlaub sind.

Ein Brief an meine Frau, der nie abgeschickt wurde

Warum?

Das ist eine gute Frage . Ich weiß es nicht. Bis ich dich geheiratet habe, war ich immer alleine.
Ich hatte nie einen Besitz. Jetzt hatte ich dich, meine Frau. Am Anfang war die Liebe zu dir nicht sehr groß, da ich nur eine Heimat gesucht hatte. Doch sie wuchs von Tag zu Tag, bis aus dieser Liebe rasende Eifersucht wurde. Ich wollte dich alleine besitzen. Jeder Tag war voller Furcht. Hast du mich betrogen oder nicht? Ich hatte kein Vertrauen. Um meine Verlustängste zu verdrängen, fing ich immer wieder an zu saufen. Saufen? Ja, saufen! Denn das war kein normales Trinken mehr. Ich hab mehrfach versucht mich umzubringen, dachte an Pulsadern aufschneiden, auf den Bahndamm gehen oder vom Telekommast springen. In Wirklichkeit wollte ich mich nicht umbringen, sondern wollte nur geliebt werden. Ich wollte dich nur an mich binden und merkte nicht, wie ich dich immer weiter wegstieß. Auch spürte ich nicht welche Schmerzen ich dir zugefügt habe.
Jahrelang toleriertest du meine Dummheiten, doch die Kluft zwischen uns wurde immer größer.
Ich Esel merkte es aber nicht in meinem Selbstmitleid. Die Probleme wurden größer und ich musste immer mehr trinken. Die Kinder litten und verloren jeglichen Respekt vor mir. Wer all diese inneren Ängste noch nicht hatte, wird mich nicht verstehen. Ich wollte niemand wehtun. Jetzt muss ich versuchen mit den Problemen des Alltages fertig zu werden.
Aber nun ist es wohl zu spät. Was kommt jetzt? Scheidung. Du wirst dich von mir trennen. Es wird nicht leicht, aber ich verstehe es. Habe jetzt alles verloren, was ich geliebt habe?. Alles ein Trümmerhaufen, zerschlagen von einem Idioten. Den Verlust der Saufkumpane kann ich verschmerzen, nicht aber den Verlust der Familie.
Ich muss lernen wie ich nach meiner Therapie mit dir der Kinder willen in Freundschaft lebe.
Es wird schwer werden dich und die Kinder nur ab und zu zusehen, vielleicht an der Seite eines anderen Mannes. Die Zeit, die nun vorbei ist, war aber trotz allem in vielen Phasen schön. Dafür danke ich dir. Ich liebe dich und werde nicht aufgeben, dich wieder zurück zu gewinnen. Ich werde um dich kämpfen, nicht mit Gewalt und Dummheiten, sondern dadurch, dass ich mir selbst und euch beweise, dass ich frei vom Alkohol bin.
Große Hoffnungen habe ich nicht. Die Chance ist vielleicht 1:1000.000. Trotzdem will ich diese Chance nutzen. Das wäre wie ein Sechser im Lotto. Liebe Christa, ich verstehe das du mir nicht mehr verzeihen kannst, denn ich habe dich zu oft enttäuscht. Wenn ich nie Vertrauen zu dir hatte, warum solltest du mir jetzt vertrauen.
Es tut mir zwar sehr weh, aber ich verstehe dich. Viele Sachen habe ich angefangen aber nicht beendet. Die Therapie werde ich allerdings beenden. Ich verfluche die Bundeswehr. Denn ohne sie hättest du mich nicht kennen gelernt und du wärest vielleicht mir einem anderen Mann glücklicher geworden. Ich bereue es nicht, dich geheiratet zu haben. Denn ohne unser Zusammensein wären unsere Kinder nicht auf die Welt gekommen.
Ich liebe sie beide und vermisse jetzt ihre Streitereien und Plärrerein. Es raubt mir fast den Verstand, dass ich alles versoffen und euch ohne Geld zurückgelassen habe. Selbstmitleid hab ich im Moment nicht, da ich diese Situation selbst verschuldet habe. Vergessen werdet ihr das alles nicht, aber ich hoffe, dass ihr mir irgendwann einmal verzeihen könnt. Es ist für mich jetzt das Gleiche wie an dem Tag als ich meine Mutter verlor. Die gleichen Schmerzen, die ich euch zugefügt habe, werde ich selbst aushalten müssen. Es geschieht mir recht und ich werde große Kraft aufbringen müssen dies alles ohne Saufen durchzustehen. Die Hälfte dieser Kraft hätte sicherlich gereicht, um euch glücklich zu machen. Es ist von meiner Seite aus nicht zu ermessen welches Leid ich euch zugefügt habe und welches Leid euch noch bevorsteht.
Verzeih mir bitte. Es würde mir sehr helfen

Ich liebe Euch

7.5.-12.5
Der Alltag läuft jeden Tag gleich ab. Autogenes Training, Gruppengespräche, Rehagruppe, Bewegungstherapie und Filme über Alkoholismus. Meine depressiven Phasen werden immer kürzer und ich rege mich nicht mehr so leicht auf, bis auf einmal als ein Gruppenmitglied Therapiegespräche nach außen getragen hat. Man sieht hier sehr schnell seine Fehler ein und wird dadurch etwas toleranter gegenüber anderen. Diesen Tag war die Selbsthilfegruppe Blaukreuz zu Besuch. Ihre Art hat mir sehr gefallen und ich habe alles was gesagt wurde aufgenommen wie ein Schwamm. Am Dienstag hab ich jemand kennengelernt dem sie den
§ 69 aufgebrummt haben und er jetzt zwangsweise untergebracht ist. Man munkelt dass er jemand im Suff erschlagen hat. Oh Mann wo bin ich. Er war 20 Monate auf der Burg und hat jetzt noch 2 Jahre zum absitzen. Danach Bewährung, die sofort unterbrochen wird wenn er nur das geringste strafbare tut. Meine Suizidgedanken hab ich vollkommen abgelegt, denn ich weiß dass ich damit keine Probleme lösen kann.
Gedanken darüber wie sich mein Umfeld mir gegenüber verhält mache ich mir keine. Ich muss mir klar werden wie ich mich verhalte in bestimmten Situationen. Zurzeit bastele ich gerne. Ich stelle Holztabletts her. Da vergehen die Abende schneller als beim Fernsehen. Heute Nacht von 11.auf 12. habe ich im Traum ein Bier und einen Schnaps getrunken. Es war ein sonderbares Gefühl als ich aufwachte. Ich werde jetzt auch freier meine Gedanken in Worte zu fassen.
13.5.-14.5.
Die Tage vergehen recht schnell und die Gruppengespräche helfen mir sehr viel. Freitag haben wir den Film „Das verlorene Wochenende“ angeschaut. Es ist grausam was der Alkohol alles kaputtmacht. Der Sonntag war schrecklich. Er fing mit dem Besuch von Christa und den Kinder an. Danach fuhren sie noch zu einer Freundin nach München. Ich habe so sehr auf einen Anruf meiner Familie gewartet. Ich hatte panische Angst, dass etwa passiert sei. Dann in der Früh meine Anrufversuche, bei denen sich wieder niemand meldete. Ich war so verzweifelt, dass ich am liebsten gesoffen hätte. Ich hab einen Freund angerufen, der mir bald darauf sagte dass kein Auto bei mir im Hof stünde. Dieses Arschloch hat nur telefoniert, er war nicht bei mir zu Hause. Ich erfuhr dann, dass nur das Telefon defekt war.
Ich habe dann 45 Minuten autogenes Training gemacht damit ich wieder ruhiger wurde.
Dieser Schock war noch lange in mir.
Seit Mittwoch fahre ich den Müll von Haus 20 der Burg und Haus 13 weg. In Haus 13 muss ich bei anderen Kranken 2 Aufenthaltsräume putzen. Das bringt in 14 Tagen 120 DM. So konnte ich mir mein Rauchen finanzieren. Freitag sahen wir den Film „ Rückfälle“, der bist jetzt der schlimmste Film war. Die Frau krankenhausreif geschlagen, starker Entzug, Haarwasser getrunken, Delirium. Der Film endete mit dem Tod des Alkoholikers. Er fiel aus dem Fenster, ob Selbstmord oder Unfall, das weiß man nicht.
22.5.-23.5.
Ich schlafe wieder sehr schlecht. Meine Gefühle kann ich zurzeit nicht recht in Worte fassen.
Auch wenn es sich oft so liest, als hätte ich keine Gefühle, kann ich nur sagen, dass es sehr schwer ist dieses Chaos an Gefühlen zu beschreiben. Es ist wie achterbahnfahren, auf und ab, manchmal langsam manchmal schnell.
24.5.
Christa ihr Vater und ihre Freundin Edith waren heute da. Immer wieder die erzählerei vom Alkohol. Es nervt mich manchmal sehr, denn ich habe diese Frage und Antwortspiel ja auch in den Gruppenstunden.
25.5.
Christa war heute mit den Kindern da. Melanie war sauer weil sie mich besuchen musste und nicht zum schwimmen gehen konnte. Wir haben Tischtennis und Karten gespielt, was uns großen Spaß machte. Christa reagierte auf meine Meinung zur Nörglerei der Kinder falsch, denn sie fragte mich 5-mal an diesem Nachmittag ob ich das zu Hause aushalte. Vielleicht will sie dass ich noch einmal 6 Wochen bleibe. Das wären mit 3 Wochen Wartezeit bis die neue Gruppe beginnt noch einmal 9 Wochen. Dazu gerechnet die vergangenen 8 Wochen, dann sind wir bei 17 Wochen. Über 4 Monate, da bin ich dann zu Hause ganz fremd. Dann kann ich auch für immer hier bleiben. Heute werde ich früh ins Bett gehen und das Erlebte überdenken. Christa kam mir heute sehr abweisend vor, kann aber sein das ich nur zu empfindlich reagiere.
27.5
Heute hatte ich den ersten Ausgang. Etwas gewöhnungsbedürftig in der Stadt zu sein, die Hektik der Menschen. .
28.5
Die Sonntage ohne Besuch sind beschissen.
29.5.
Das Putzen in Haus 13 nervt. Alles geschockte, denn die latschen dir das frsichgeputzte bevor es trocken ist. Alles sieht aus wie in einem Saustall und auf den Toiletten stinkt es bestialisch.
30.5
Heute waren wir im Deutschen Museum mit Schwester Gabi. Es war eine schöne Abwechslung und das Beste dass wir aus Haar rauskamen. Am Bahnhof haben wir den ersten Rückfall erlebt. Mein Putzvorgänger der erst vor 14 Tagen entlassen wurde, ist stinkbesoffen am Ostbahnhof gestanden. Es war kein schöner Anblick und ich hoffe dass ich es schaffe trocken zu bleiben.
1.6
Heute waren wir alleine im Club 29 in der Dachauerstraße, ein alkoholfreies Gasthaus. Die Atmosphäre dort war sehr angenehm aber ungewöhnlich ein alkoholfreies Gasthaus zu sehen
Auf dem Heimweg der nächste Rückfall. Einer von Haus 17, den ich im Aufnahme haus kennen gelernt hatte. Total besoffen, der Kopf blutig. Eine gute Therapie für mich.
Abwechselnd kamen wochenweise die AA (Anonyme Alkoholiker), Blaues Kreuz und Kreuzbund. Die Aas gefielen mir am besten, obwohl ich noch immer glaubte, dass ich irgendwann einmal wie andere trinken kann.
2.6.
Heute hatten wir in der Gruppenstunde ein Rollenspiel. Ich spielte den Kollegen der von Therapie kommt. 2 aus der Gruppe spielen die alten Saufkumpane. Ich hatte mir vorher so viele Antworten überlegt, wollte über Haar aufklären, kam aber gar nicht dazu. Die Fragen die mir gestellt wurden, und Gerede, alles war brutal. Man fängt im Rollenspiel wirklich spielerisch an und es endete fast in einer ernsten Auseinandersetzung in der ich sehr aggressiv wurde. Ich muss noch viel lernen. In der Aussprache hatten wir alle ein flaues Gefühl in der Magengegend.
3.6. Der 2. Ausgang nach Hause
Dieses Mal hatte ich kein gutes Gefühl. Es lief alles zu gut zu glatt ab. Ich fühlte mich fremd, wie das 5.Rad am Wagen.
Dieses Gefühl ist sicherlich falsch aber ich konnte nicht anders fühlen. Der Besuch a, Nachmittag bei der örtliche AA Gruppe war super, ich fühlte mich wohl und verstanden.
Christa scheint alles vergessen zu haben was ich ihr und den Kinder angetan habe, oder sie tut nur so um mir zu helfen. In diesen Dingen bin ich sehr oft unsicher. Jemand der das nicht kennt wird es schwer verstehen können. Hoffentlich geht alles gut. Die innerliche Ruhe ist zwar da, aber ich bin mit mir noch nicht zufrieden. Wenn ich nur wüsste wie ich die Blicke zu deuten habe. Ich muss noch sehr viel an mir arbeiten.
4.6. noch 4 Tage bis zur Entlassung
Vieles geht mir jetzt auf die Nerven. Eine neue Gruppe ist angekommen und wir sind jetzt 36 Leute im Haus. Ich kann den Tag der Entlassung kaum noch erwarten. Endlich raus, keine Geistesgestörten und keine Säufer mehr sehen. Bei so vielen Leuten bekomme ich Platzangst. 2 Tage noch putzen in Haus 13, dann lass ich es ausklingen. Jetzt im Moment setzt sich jemand neben mich, kann nicht mehr weiterschreiben. Er merkt nicht dass er stört. Was soll man da machen. Vielleicht hat er Probleme und will nur reden. Mir wurde auch so geholfen, kann es verstehen.
Die Tage bis zum 8.6. dem Tag der Entlassung verliefen ohne nennenswerte Ereignisse,

8.6 Entlassung
Es ist schon ein komisches Gefühl wieder in Freiheit zu sein. Jetzt kommt die Angst vor der Zukunft und ich bin innerlich unruhig.
Was kommt auf mich zu.

Impressum

Texte: Copyright Hans E Rohe Alle Rechte an Texten und Bildern liegen beim Autoren
Tag der Veröffentlichung: 16.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

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