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2.Kapitel

Jetzt sass ich hier, hatte Herzklopfen und meine Hände zitterten vor Aufregung, weil ich mich dem Tag der Kapitulation vor dem Alkohol langsam näherte.
Als ich bei meiner Freundin ankam war ich stockbesoffen und deprimiert und in meinem Kopf spukten Suizidgedanken. Die Familie meiner Freundin wie auch sie selbst, ließen sich nichts anmerken. "Jetzt bin ich angekommen", dachte ich mir. Am Anfang war ich sehr darauf bedacht, mich mit den Eltern meiner Freundin zu verstehen. Ich wurde akzeptiert und war quasi schon der zukünftige Schwiegersohn. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch kein bayrisch und war halt oftmals der Preuße, der in Bayern sesshaft werden möchte.
Einen Job hatte ich sofort, da ich mich von der Telekom hatte versetzen lassen.
Zur Brotzeit war es üblich einen halben Liter Bier zu trinken. Wenn es sich ergab, und es ergab sich sehr oft, und manchmal wurde es auch 1 Liter.
Meine Schwiegereltern hatten am Starnberger See ein Strandbad, wo es ein leichtes war an Alkohol zu kommen, Ich merkte nicht, dass ich diesen Stoff bereits brauchte. Der Einstieg in die Krankheit Alkoholismus kam schleichend aber stetig.
Wenn ich betrunken war, wurde ich ständig aggressiv. Meine Freundin sagte mir auf der Heimfahrt nach einer Party: „Wenn du nicht mit dem Trinken aufhörst, verlasse ich dich.“ Darauf wurde ich so wütend, dass ich mit der Faust die Uhr im Auto zertrümmerte. Es floss wieder einmal Blut. Der Drang mich selbst zu verletzen wurde immer schlimmer.
Ein Jahr nach meiner Ankunft war Hochzeit. Alle ihre Verwandten waren da.
Es war ein schönes Fest und es wurde viel getrunken, am meisten von mir.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich einmal mit meiner Frau auf einem Volksfest war. Ich hatte mich wieder vollgedröhnt und wollte nach Hause. Meine Frau wollte noch dortbleiben und ich fuhr wie so oft besoffen alleine mit dem Auto nach Hause.
Als sie nicht nach Hause kam, nahm ich eine Rasierklinge und schlitzte an meinen Pulsadern. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass man längs und nicht quer schlitzen darf. Ich war nicht nur ein Alkoholiker, sondern auch ein Borderliner, der sich immer wieder verletzen wollte oder musste. Als sie nach Hause kam, sagte sie, dass sie eine Reifenpanne gehabt hätten, aber ich glaubte es nicht. Sie verband meine Arme wie schon so oft und wir schliefen mehr oder weniger gut ein. Wenn ich nüchtern war schämte ich mich und versprach, dass ich mich ändern werde. In diesen Momenten war es mir auch Ernst, beim nächsten Bier jedoch war alles wieder vergessen. Ich kann mich noch an die Besuche beim Griechen erinnern. Oh Mann, was habe ich dort an Ouzo vernichtet. Er war ja ein Geschenk des Wirtes.
Wir hatten sicherlich auch schöne Abende ohne Stress und Streit, aber ich merkte nicht, dass ich jetzt schon Schnaps brauchte, um eine Wirkung zu erzielen. An einem dieser Abende war ich alleine in der griechischen Kneipe. Ich hatte gut getankt und fuhr mit dem Fahrrad einen steilen Berg hinunter. Ich vergaß, dass am Ende dieses Weges 2 Treppen kamen. Als ich sie bemerkte, war es schon zu spät. Ich bremste zwar, aber ich stieg über den Lenker ab und landete mit dem Kopf auf dem Rollsplitt.
Blutüberströmt kam ich zu Hause an. Schuld war natürlich die Stadtverwaltung, die nicht auf die Gefahr für Radfahrer hingewiesen hatte. Am nächsten Tag musste ich in die Klinik, um die kleinen Steine zu entfernen.
Wir hatten uns immer ein Kind gewünscht, aber irgendwie klappte es nicht. Eine Operation bei meiner Frau war nötig, damit sie ein Kind bekommen konnte. Wir übten sehr fleißig und irgendwann klappte es. Meine Frau war schwanger. Kurz vor der Geburt rief ich meinen Bruder an, um ihm von der bevorstehenden Geburt zu erzählen. Seine Frau war am Telefon und meinte, dass ich mich nicht zu früh freuen solle, es könne immer wieder etwas passieren. Ich fragte sie, ob sie eifersüchtig sei, weil wir Eltern werden und sie keine Kinder bekomme. Ich wusste nicht, dass ihr erst kurz zuvor die Gebärmutter entfernt wurde.
Am 4.Juli 1974 kam unsere kleine Melanie zur Welt.
Nach der Geburt besuchte ich meine Frau und hatte schon wieder einige Promille in mir.
Zur Taufe kam mein Bruder, welcher versprochen hatte, Taufpate zu sein. Durch meinen Blödsinn habe ich den Kontakt zu meinem Bruder verloren. Erst viel später, als ich schon lange trocken war, hab ich mit ihm telefoniert, sah ihn aber nicht mehr, weil er bald darauf an Krebs verstarb.
Wir wohnten mittlerweile in einer kleinen 2 Zimmerwohnung und es hätte alles so schön sein können. Aber nun hatte ich Ängste vor der Zukunft. Jetzt hatte ich Verantwortung für meine Frau und das Kind. Ich war jedoch schon so stark im Strudel des Alkohols, dass ich nicht merkte wie ich mich nach dem ersten Bier veränderte.
Es macht mich traurig und wütend zugleich, wenn ich mich an so wenig aus der Kindheit meiner Tochter erinnern kann. Ich muss mich mit Hilfe meiner Frau langsam an das Vergangene herantasten. Vieles, was sie mir sagt, fasse ich dann wieder als Vorwurf auf, aber ich denke, dass das nicht so gemeint ist. Am liebsten würde ich weinen, wenn mir bewusst wird, was ich alles versäumt hatte.
Sicherlich hatten wir in den ersten 6 Jahren mit unserer Tochter auch sehr schöne Zeiten.
Sie war ein so süßes Kind, das fast immer alles mit Raffinesse erreichte was sie wollte.
Sie war sehr oft bei der Oma, was ihrer Erziehung sicherlich nicht gut tat. Aber das ist nun einmal das Privileg der Omas. Viele Fotos hatte ich damals gemacht und kann mich anhand dieser wieder an vieles erinnern. Ich dachte immer, dass ich ein guter Vater sei, wollte der Beste Vater der Welt sein.
Zu dieser Zeit lernten wir ein Ehepaar kennen, das auch eine kleine Tochter hatten. Wir trafen uns regelmäßig und es war eine schöne Zeit, bis auf die Tage an denen wir wieder einmal gemeinsam etwas zu viel tranken.
Sobald ich Alkohol in mir hatte wurde ich depressiv und ungenießbar. An einem dieser Abende verließ ich die kleine Party. Es war Winter und sehr kalt. Ich legte mich auf einem Feld in den Schnee und hoffte, dass ich erfriere. Aber ich war noch nicht dran zu sterben.
Ich hatte auch nie das Gefühl, dass mein Trinkverhalten anders als das der Stammtischbrüder war. Ich hatte aber nach einem Vollrausch immer ein schlechtes Gewissen. Ich trank immer mehr als ich mir vorgenommen hatte.
Meine Tochter war zu diesem Zeitpunkt mein ein und alles. Ich habe mich sehr um sie gekümmert, mit ihr gesungen, gespielt und selbst erfundene Geschichten erzählt, wie z.B. die Geschichte vom Riesen Zwackelwack und dem Zwergerl Schnutzelputz. In diesen Geschichten brachte ich immer erzieherische Elemente ein, wie etwa das Zähneputzen usw. Sie hörte immer fasziniert zu. Ich werde in meinem Inneren ganz weich, wenn ich daran zurück denke. Es tut mir weh, wenn meine Frau erzählt, wie sie unserer Tochter immer erklären musste, warum ich auf dem Sofa schlief: Melanie fragte: „Was ist mit Papi?“ „Papi ist krank“, antwortete ihr jeweils meine Frau. Sie hatte Recht, ich war krank, alkoholkrank. Das wusste ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich wollte nicht trinken, ich musste. Ich suchte schon nach Gründen, um nach Feierabend ins Wirtshaus gehen zu können.
Bei Geburtstagsfeiern meiner Tochter spielte ich für die ganze Rasselbande Kaspertheater. Aus dem Stegreif und ohne Proben. In der Arbeit organisierte ich Betriebsausflüge, kochte für die ganze Mannschaft und war der Alleinunterhalter. Ich wollte immer gut dastehen, damit niemand merkte wie es in mir aussieht. Ich war selbst unter vielen Menschen einsam.
Je später der Abend umso dunkler wurden die Kneipen. Ich besuchte Kneipen, in denen Obdachlose verkehrten. Dort war ich noch der bessere Mensch. Das Wort Penner mag ich nicht. Es klingt abwertend. Mich unterscheidet von diesen Menschen nur, dass ich Glück gehabt habe und nicht in der Gosse gelandet war.
An einem Abend an meinem Stammtisch musste ich auf die Toilette. Ich trank mittlerweile auch viel Schnaps, denn da war die Wirkung schneller da. Da ich Blähungen hatte musste ich furzen, jedoch hatte ich meinen Darm nicht so in Kontrolle und alles ging in die Hose. Oh Gott, hab ich mich geschämt. Die Unterhose entsorgte ich im Klo. Es ist immer noch beschämend, wenn ich mich heute daran erinnere.
Am 9.6.1980 kam unser Sohn Fabian auf die Welt. Es war nicht geplant, weil der Arzt nach unserem ersten Kind meinte, dass meine Frau keine Kinder mehr bekommen könne. Kurz nach der Geburt Fabians begann ich mit unserer Thekenmannschaft Benefizspiele zu veranstalten. Prominente wie Maximilian Schell spielten Fußball für den wohltätigen Zweck. Es folgten Kinderfeste, die sehr viel Geld einbrachten. Der Reinerlös ging an eine Behindertenwerkstätte in der Nähe. Ich gründete den Club 80, ein Club für Behinderte und Nichtbehinderte junge Menschen. Sie liebten mich, diese mongoloiden Kinder. Es tat mir so gut, dass es mir nichts ausmachte mit ihnen auf die Toilette zu gehen und zu helfen. Wir hatten in all den Jahren soviel Erfolg damit, dass dieser Club noch heute besteht. Ich wollte überall der Gute sein, um mein Selbstbewusstsein aufzupolieren. Aber es wuchs mir alles über den Kopf und einige Jahre später übergab ich alles dem Bayrischen Roten Kreuz.
Ich machte mir Gedanken wie es mit 2 Kindern weiter gehen soll. Wer soll das bezahlen? Wir hatten doch schon mit einem Kind Schulden. Meine Schwiegereltern unterstützten uns immer wieder, trotzdem reichte es hinten und vorne nicht, denn ich hatte mittlerweile auch mit dem Spielen begonnen. Saufen und Automatenspielen, dies waren meine Feierabendbeschäftigungen. Immer in der Hoffnung auf den großen Gewinn, der nie kam. Wir bekamen 1982 eine schöne Dienstwohnung bei der Telekom. Gegenüber war eine Tankstelle, bei der ich einen Nebenjob begann. Der Pächter trank auch sehr gerne. Wir freundeten uns mit ihm und seiner Frau an. Sie hatten eine kleine Tochter und wir hatten viele schöne Gemeinsamkeiten, unter anderem auch das Trinken.
Da ich jetzt an der Quelle war, an dem der Stoff aus dem die Träume kommen, lagerten, war es leicht den einen oder anderen Schnaps aufs Haus zu trinken.
In der Mittagspause schaute ich aus der Terrassentür in Richtung Tankstelle. Sie zog mich magisch an, denn dort konnte ich trinken. Als mich meine Frau darauf ansprach, fragte ich sie, warum sie so grantig sei. Ich sagte ihr, dass man bei so einer Frau ja saufen müsse. Das weiß ich nur aus Erzählungen, da ich an diese Zeit sehr große Erinnerungslücken habe.
An der Tankstelle war ich nicht jeden Tag besoffen, da ich einen verantwortungsvollen Job hatte. Kundenservice, Beratung und Wartung aller Geräte. Ich hatte mich soweit unter Kontrolle, dass ich während der Arbeit nicht viel trank. Erst wenn ich Feierabend hatte.
Diese Arbeit machte mir mehr Spaß als mein Job bei der Telekom, denn bei Esso hatte ich Erfolg. Ich gehörte 3-mal zu den besten Ölverkäufern Deutschlands. Die Preise waren Wochenendreisen nach Disneyland Paris, Malta und Dubrovnik. Bei der Reise nach Dubrovnik durfte meine Frau mit. Ich habe dort allerdings nicht viel gesehen, denn der Alkohol war im ehemaligen Jugoslawien sehr billig.
Warum nur musste ich immer versuchen perfekt zu sein? Niemand wollte mich perfekt.
Meine Familie am allerwenigsten, sie wollten nur einen Vater und einen Ehemann, der da war, wenn man ihn brauchte.
Mein Sohn wurde größer und ich bekam davon fast nichts mit. Ich schäme mich noch heute, obwohl mein Sohn, jetzt 29 Jahre alt, mir immer wieder beteuert, dass er mir verziehen habe.
Kleine Kinder bekommen nichts mit, meinen fast alle. Irrtum. Sie bekommen alles mit und es schmerzt mich sehr. Mein Sohn bekam zu dieser Zeit eine kindliche Migräne, die erst viele Jahre später besser wurde. Was soll ich tun, ich kann die Zeit nicht mehr zurückholen und es ändern. Auch heute muss ich ab und zu, wenn ich romantische italienische Lieder im Auto höre, weinen. Ich fühle mich dann wie ein Schwein, das alles, was ihm lieb war, zerstört hat.
Als unser Sohn 4 Jahre alt war, begannen wir mit dem Camping. Wir hatten zwar kein Geld, aber ich nahm einen Kredit auf, um es zu ermöglichen.
Es war der Himmel für einen Alkoholiker. Billig saufen, da es hier in Jugoslawien fast nichts kostete. Wir prahlten damit, dass wir dem Wirt an einem einzigen Tag seine Wochenration Schnaps weggesoffen hatten. Jeden Tag besoffen. Es war der Anfang vom Ende. Auch bei größter Hitze lag ich besoffen im Vorzelt. Fast wurde ich verhaftet, weil ich Geldscheine dazu benutzte, mir Zigaretten anzuzünden .
Dann kam die Zeit der Einschulung bei unserem Sohn. Er war zu diesem Zeitpunkt in seiner Motorik stark verlangsamt, was auf seine Migräneanfälle zurückzuführen war. Auch mit den Kindern in seiner Klasse kam er nicht zurecht. Ich denke, dass auch das meine Schuld war.
Viele glauben, dass Alkoholiker willen- und charakterlose Menschen sind. Dem ist aber nicht so. Ich habe mir immer wieder geschworen, nichts mehr zu trinken, aber ich schaffte es nicht. Mittlerweile hatten wir 90.000 DM Schulden und ich war verzweifelt. Ich trank, spielte und war immer unterwegs. Auf der Flucht vor allem, sogar vor mir selbst. Alle meinten es gut mit mir, aber ich wusste alles besser. Ich konnte keine Hilfe annehmen und hoffte auf die Hilfe des Alkohols. Dir Probleme wurden immer größer.
Wenn ich Alkohol trank war ich willenlos, kein Mensch mehr. Ich vernachlässigte mein Aussehen. Sogar die Körperpflege war mir egal. Körperlich hatte ich keine Probleme, die Leberwerte waren ok. "Ich bin doch kein Alkoholiker, ICH doch nicht. Die Penner auf der Strasse, das sind Alkoholiker", sagte ich mir.
Ich war einige Male in einer Privatklinik am See wegen vegetativer Dystonie. Eine schöne Umschreibung für Alkoholkranke. Dort gab es eine wunderbare Cafeteria, in der der Cognac billig war. Das Geld dafür kam von der Krankenhaustagegeldversicherung.
So vergingen noch einige Jahre. Es gab durchaus schöne Momente, aber die meiste Zeit war ich einsam. Ich hatte mich in die Einsamkeit gesoffen. Es kam wie es kommen musste, es war der 18.April 1989. An diesem Tag warf ich einen Teller nach meiner Tochter, der sie Gottseidank verfehlte.
Ich ging an meinen Arbeitsplatz, der nur eine Türe weiter war, und rief dort meine Hausärztin an. Ich sagte ihr, dass ich so nicht weiterleben könne und Gedanken an einen Suizid hege. Nachdem ich dann ein Bier getrunken habe, rief ich wieder an und sagte, dass alles wieder ok sei und sie nicht kommen brauche. Sie ahnte aber was los ist und kam sehr bald. Mit Hilfe eines Zweitschlüssels fanden sie mich im Aufenthaltsraum mit einem Bier in der Hand. Ich war am Ende und wollte nicht mehr leben. Der Funkturm war in Reichweite. Ich glaube dieses mal hätte ich es getan.
Meine Ärztin rief die umliegenden Kliniken an, aber es war nirgendwo ein Platz für mich.
Da schlug ich das in München-Haar gelegene Bezirkskrankenhaus vor. Meine Ärztin meinte, dass das eine gute Idee sei, da sie mich dort aufnehmen mussten. Meine Ärztin sagte zu mir, dass, wenn ich nicht freiwillig gehen würde, sie mich in Handschellen von der Polizei einweisen lassen würde. Also ging ich zwangsweise freiwillig mit.
Der Krankenwagen war sehr schnell da und auf dem Einweisungsschein stand dieses Mal: Alkoholmissbrauch und Suizidgefahr. Diese Diagnose hat mir mein Leben gerettet.
Als ich die Wohnung verließ sagte ich meiner Frau voller Wut, dass sie mich jetzt dorthin bringen, wo sie mich schon immer sehen wollte. Ins Irrenhaus.
Es tut jetzt wieder besonders weh, wenn ich an die Augen der Kinder denke.


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Texte: Copyright Hans E Rohe Alle Rechte an Texten und Bildern liegen beim Autoren
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2009

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