Benni und Mustafa
„Mama, wo bist du?“ rief Benni laut durchs Haus. Er warf seinen Schulranzen in den Flur und lief in die Küche, nichts. Er rannte die Treppe hinauf und schaute in alle Räume, wieder nichts. So ein Pech, Mama schien nicht zu Hause zu sein. Traurig ging Benni in sein Zimmer, legte sich auf sein Bett und stierte an die Decke, während ein kleines Tränchen aus seinem linken Auge kullerte.
„Weinen hilft auch nicht immer“, sagte auf einmal eine Stimme, Benni schaute sich um, aber niemand war zu sehen. Doch was war das? Er lag ja gar nicht mehr auf seinem Bett, sondern, o Wunder, er saß plötzlich im Korb eines Fesselballons. Doch er kam gar nicht dazu, sich zu wundern, denn der Ballon fuhr einfach los.--- Hui, war das schön, rings um ihn herum war strahlend blauer Himmel, die Sonne tauchte alles in goldenes Licht und die Fähnchen, die an den Halteseilen befestigt waren, flatterten lustig im Wind. Der Stoff des Ballons war aus farbigen Stoffstreifen zusammengesetzt und schillerte in der Sonne prächtiger als ein Regenbogen. Ein kräftiger Wind trieb den Ballon höher und höher, sodass die Stadt unter ihm immer kleiner wurde.
„Ist das schön“, rief Benni, nein er hatte keine Angst. Doch als er nach einer Weile über den Rand des Korbes schaute, sah er unter sich eine Sandwüste. Immer tiefer ging der Ballon jetzt hinunter, und Benni wurde es nun doch ganz mulmig, was sollte er mitten in einer Wüste? Doch da tauchten plötzlich Palmen, ein kleiner blauer Tümpel und prächtige Zelte auf. Sie schienen sehr wertvoll zu sein, denn sie funkelten im Sonnenlicht, als wären sie mit Edelsteinen besetzt. Nun sah Benni auch, dass viele Menschen in langen Gewändern dort unten versammelt waren. Sie schauten hoch und redeten laut und schnell in einer Sprache, die Benni nicht verstand. Und dann setzte der Ballon auf, und sofort wurde er von einer Menschenmenge umringt, die lachend und gestikulierend um den Korb herum sprang.
Doch plötzlich verstummten alle und bildeten eine Gasse. Ein großer Elefant kam gemächlichen Schrittes durch diese Gasse und sein Anblick verschlug Benni die Sprache. Auf dem Rücken des Tieres lag eine schwere Brokatdecke, und darüber befand sich ein Thron, der glänzte so prächtig, dass Benni die Augen tränten. Er war über und über mit funkelnden Steinen besetzt und viele Perlenketten waren um die Armlehnen des Throns geschlungen. Darüber war ein Baldachin gespannt, an dem hingen viele goldene Glöckchen. Die schwangen hin und her und gaben wunderbare, zarte Töne von sich.
Benni war ganz hingerissen, und dann sah er einen kleinen dunkelhäutigen Jungen mit großen Kulleraugen auf dem Thron. Der trug einen riesigen Turban auf dem Kopf, prachtvolle Kleidung, und in der Hand hielt er einen goldglänzenden Stab.
„Hey, Benni“, rief er mit so hässlicher Stimme, dass Benni entsetzt zusammen zuckte, „du kommst mir gerade recht. Los, komm herauf, du wirst mir die Zeit vertreiben.“
Grobe Hände packten ihn, hoben ihn hoch und setzten ihn unsanft auf eine Matte zu Füßen des Jungen.
„Was soll das?“ fragte Benni, er war richtig ärgerlich.
„Was das soll? Ich sagte doch, du wirst mir die Zeit vertreiben, und wenn du mich langweilst, lasse ich dich in den tiefsten Kerker werfen“, sagte der Junge mit dieser krächzenden Stimme, die gar nicht zu seinem hübschen Gesicht und seiner vornehmen Kleidung passen wollte.
Benni richtete sich auf.
„Von dir lasse ich mir gar nichts sagen. Wenn du mit mir spielen willst, schön, aber ich lasse mir doch nichts befehlen“, antwortete er empört, doch der Junge gab ihm einen Stoß mit dem goldenen Stab, dass Benni stolperte und nun quer über dem Elefanten hing. Die Menschenmenge lachte und klatschte und auf einmal verstand Benni auch ihre Sprache.
„Bravo, Benni“, riefen sie und ein kleiner dunkler Junge, der auf den Schultern seines Vaters saß, beugte sich zu ihm und flüsterte:
„Toll, Benni, lass dir von dem eingebildeten Mustafa bloß nichts gefallen.“ Und dann war er wieder in der Menschenmenge verschwunden.
„Feigling“, brummte Benni und rappelte sich auf. Doch kaum war er auf den Beinen, versuchte Mustafa ihn wieder mit dem Stab umzustoßen. Doch jetzt war Benni darauf vorbereitet und klammerte sich an den Perlenketten fest.
„Warum tust du das? Ich würde doch freiwillig gerne mit dir spielen“, sagte er vorwurfsvoll zu dem Jungen auf dem Thron.
„Weil ich der Sohn des Herrschers bin und du mir gehorchen musst“, antwortete Mustafa mit seiner schnarrenden Stimme, und stieß erneut mit dem Stab nach Benni. Doch der wich geschickt aus und bekam allmählich Spaß an der Sache. Es war aber auch zu komisch, da befand er sich in luftiger Höhe auf einem Elefanten, und ein ausgesprochen hübscher Junge war so eklig, und versuchte ihn dauernd umzuschubsen. Benni musste lachen und verlor fast die Balance, erst im letzten Moment konnte er sich festhalten. Mustafa sah ihn mit seinen Kulleraugen erstaunt an.
„Hast du denn keine Angst vor mir?“ fragte er und seine Stimme klang jetzt wie die eines normalen Jungen.
„Du spinnst, weshalb sollte ich Angst vor dir haben?“ fragte Benni und wollte sich ausschütten vor Lachen, Mustafa schaute ihn wieder erstaunt an, und dann begann auch er zu lachen, und so saßen die beiden Jungen auf dem Elefanten und lachten, dass ihnen die Bäuche weh taten und die Tränen nur so ihre Wangen hinunter liefen. Die Menschen um sie herum stimmten bald mit ein, und lachten alle so laut, dass die Luft nur so dröhnte.
Als sie sich endlich beruhigt hatten, sagte Mustafa, und nun war seine Stimme so schön wie sein Gesicht:
„Du bist ja gar kein Feigling, dann verstehe ich aber nicht, dass du heute Morgen dem kleinen Radja nicht geholfen hast, als der dicke Matthias ihn so schrecklich gepiesackt hat. Du bist einfach fort gelaufen und tatest so, als hättest du das nicht gesehen. Warum?“
Benni merkte, wie sein Gesicht rot anlief. Das war ja genau die Sache, die ihm solchen Kummer machte, und die er eigentlich der Mutter erzählen wollte, als er aus der Schule kam.
Wie ein mieser Feigling hatte er sich benommen, aber er hatte nun einmal fürchterliche Angst vor dem dicken Matthias, und so hatte er sich leise verdrückt, als er auf dem Nachhauseweg sah, wie der den dunkelhäutigen Radja beschimpft und geschubst hatte.
„Weißt du was“, sagte Benni und richtete sich zu voller Größe auf, „noch einmal passiert mir das nicht, wenn ich morgen wieder sehe, dass der Dicke sich an Radja vergreift, kann er was erleben, das kannst du mir glauben.“
Darüber freute sich Mustafa er klatschte in die Hände und sagte strahlend:
„So ist es richtig, Benni, du brauchst nur ein bisschen Mut, denk immer daran, dass du dich von mir nicht hast vom Elefanten schubsen lassen, dann kann dir nichts passieren.“
„Genau“, sagte Benni, und dann sagte er gar nichts mehr, denn seine Augen fielen einfach zu.
„Dem doofen Matthias werde ich es schon zeigen“, dachte er noch und dann schlief er tief und fest.
Als Benni erwachte, lag er auf seinem Bett und davor stand die Mutter und schaute ihn lächelnd an.
„Du hattest bestimmt einen schönen Traum, dein Gesicht sah richtig froh aus“, sagte sie und strich über sein Blondhaar. Benni lächelte in sich hinein, und sprang frohgemut die Treppen hinunter, Mann, hatte er einen Hunger.
Am nächsten Tag nach Schulschluss wartete Benni auf Radja und begleitete ihn nach Hause, und der sonst so stille Junge taute richtig auf und lachte mit Benni während des ganzen Weges.
Und von nun an wartete Benni auf Radja oder umgekehrt, und so wurden die zwei bald richtig gute Freunde.
Und der dicke Matthias? Nun, als er merkte, dass Benni keine Angst mehr vor ihm hatte, ließ er ihn und Radja in Frieden. Und was komisch war, nach ein paar Wochen, versuchte er doch tatsächlich, mit den beiden ins Gespräch zu kommen. Zuerst waren Benni und Radja noch vorsichtig, aber nach und nach gewöhnten sie sich daran, dass Matthias auf sie wartete, und mit ihnen nach Hause lief. Sie beachteten ihn einfach nicht. Doch eines Tages stellte sich Matthias direkt vor die beiden Jungen und sagte:
„Es tut mir leid, dass ich mich so hässlich benommen habe, Radja, bitte entschuldige.“ Er streckte seine Hand aus und nach kurzem Zögern schlug Radja ein. Dann streckte er auch Benni die Hand entgegen, Benni nahm sie und fragte kopfschüttelnd:
„Was ist denn mit dir passiert?“ Matthias wurde ganz rot vor Verlegenheit und antwortete:
„Ich habe viel Mist gemacht. Aber ich sehe das ein. Könntet ihr euch vorstellen, mit mir etwas zu unternehmen?“
„Könnten wir uns das vorstellen?“ lachte Benni. Radja nickte, da lachte Matthias erleichtert und bald waren die drei Jungen unzertrennlich.
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2011
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