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„Die Bank vor dem Haus“ oder
„Das Grün feiert ein Fest“

Für Marie gehörte schon immer eine Bank zu einem Haus, und als sie nach dem Tode ihres Mannes das viel zu große Haus verkaufte und sich ein kleineres zulegte, war sie sehr bald stolze Besitzerin einer weißen Bank. Die steht nun neben der Haustüre und passt wunderbar zu den roten Klinkern.
Natürlich wird diese Bank nicht allzu oft genutzt, dennoch liebt Marie sie, und manchmal, wenn sie ihren Vorgarten von nicht erwünschten Kräutern befreit hat, nimmt sie darauf Platz und träumt ein wenig.
Kürzlich nun saß sie nach getaner Arbeit wieder einmal glücklich auf ihrer Bank, da wurde sie Zeugin eines merkwürdigen Vorganges:
„Bitte alle einmal herhören“, sagte plötzlich der Ginkgobaum mit heller freundlicher Stimme,
„das Grün feiert morgen ein Fest, und ihr seid alle dazu eingeladen.“
„Wer alle?“ fragte die rote Rose und dabei reckte und streckte sie ihre Blätter, dass nur das leuchtende Rot ihrer Blüte sichtbar und durch kein bisschen Grün verdeckt wurde.
„Na ihr alle, die ihr grüne Blätter habt. Es soll ein wunderbares grünes Sommerfest werden“, lachte der Ginkobaum.
„O schön“, freute sich der blaue Rittersporn, „dürfen wir auch jemanden mitbringen?“
„Ja natürlich, jeder kann alles an Freunden und Verwandten mitbringen, was er will.“
„Nimmst du mich mit?“ wandte sich der kleine weiße Rittersporn verschämt an den blauen, denn er bewunderte den größeren und wie ihm schien, viel schöneren Verwandten.
„Aber nein“, rief die orangefarbene Rose, „der blaue Rittersporn geht natürlich mit mir zum Fest, denn wir stehen nicht nur im Garten beieinander, sondern wir passen auch farblich perfekt zusammen.“
„Genau“, nickte der blaue Rittersporn und schaute ein wenig herablassend auf den kleinen weißen Vetter herunter. Der kämpfte mit den Tränen.
„Weine nicht“, rief die schöne rote Rose, „ich gehe gerne mit dir, denn deine weißen zarten Blüten sind wie geschaffen für mein leuchtendes Rot.“
„Wirklich?“ strahlte der kleinen Rittersporn, „findest du meine weißen Blüten wirklich schön?“
„O ja“, sagte die Rose, „sie sind so duftig und zart, dass ich sie immer ansehen muss.“
„Finde ich auch“, sagte die blaue Iris, „ich hätte dich auch gerne mitgenommen, aber vielleicht können wir ja zu dritt hingehen?“
„Ach, nein, ich dachte, dass wir das Fest miteinander feiern“, meldete sich die pinkfarbene Duftrose zu Wort, „dein blau und mein rosa bilden doch eine wunderbare Kombination, findet ihr nicht auch?“ wandte sie sich an die anderen Gartenblumen.
„Doch, das stimmt“, sagte die weiße Nelke, „obwohl du auch gut zu mir passen würdest.“
„Nein, du siehst am besten neben mir aus“, sagte die blaue Clematis zur weißen Nelke, „aber den kleinen weißen Rittersporn hätte ich auch ganz gerne als Partner gehabt.“
„Wirklich?“ fragte der kleine Rittersporn verlegen, er konnte gar nicht glauben, dass die anderen ihn schön fanden, denn heimlich hatte er immer den großen blauen Rittersporn bewundert, und sich klein und hässlich gefühlt.
„Ja, wirklich“, lachte die blaue Clematis, „du bist ein ganz entzückender kleiner Kerl.“
Die rote Rose legte zärtlich und sehr vorsichtig einen Zweig um den kleinen Rittersporn, als sie sah, dass seine weißen Blütenblätter sich vor lauter Verlegenheit ein wenig rosa verfärbten.
„Mach dir nichts aus dem Gerede“, flüsterte sie ihm zu, „wir beide feiern zusammen und alles andere sollte dir egal sein.“
Der kleine Rittersporn nickte und schaute zu dem Oleanderstrauch, der mit traurigen Augen von einem zum anderen sah.
„Was ist mit dir? Warum schaust du so traurig?“ fragte er.
„Ich blühe noch nicht“, sagte der verschämt, „ob deshalb niemand fragt, ob ich mitgehen will?“
„Das glaube ich nicht“, sagte der kleine Rittersporn tröstend, „außerdem sind deine Blüten bis zum Fest bestimmt aufgegangen.“
„Meinst du?“ zweifelte der Oleander, „es schaut aber auch niemand zu mir herüber, ich glaube, keiner mag mich.“
„Das gibt es nicht, der Oleander hat Minderwertigkeitskomplexe“, lachte die Stockrose, „und ich dachte, er wäre zu eingebildet, um mit uns zu feiern.“
„Eingebildet? Ich?“ rief der Oleander verwundert, „aber ihr habe doch nie mit mir gesprochen.“
„Ab sofort wird sich das ändern, was meinst du, sollten wir uns zum Fest zusammentun?“
wollte die Stockrose wissen.
„Liebend gerne“, antwortete der Oleander, und o Wunder, eine seiner Knospen öffnete sich und strahlte in sattem Pink.
„Schade“, knurrte der Roseneibisch, „ich wollte dich auch gerade fragen, ob wir zusammen zum Fest gehen.“
„Zu spät“, lachte die Stockrose, „du kannst ja den Blauregen fragen, der hat noch keinen Partner.“
„Hat er doch, ich werde sein Partner sein“, rief der weiße Sternjasmin.
„Wie wäre es denn mit uns beiden?“ wandte sich die Strauchmargaritte ein wenig verlegen an den Roseneibisch, „kannst du dir vorstellen, mein Begleiter zu werden?“
„Und ob“, entgegnete der strahlend.
So fanden sich nach und nach viele Paare, und da sie sich angeregt und voller Vorfreude miteinander unterhielten, merkten sie nicht, dass sich über ihnen dunkle Wolken zusammen ballten. Marie ging ins Haus und schaute durch die Glasscheibe der Haustüre, um zu sehen, wie es in ihrem Vorgarten weiterging.
Ein starker böiger Wind rüttelte die Blumen heftig durcheinander, und dann brach plötzlich ein derartiger Sturzregen über sie herein, dass niemand mehr Zeit hatte, sich zu schützen. Minutenlang prasselten Regen und Hagel auf die armen Blumen herab, dazu blitzte und donnerte es, wie sie es nie zuvor erlebt hatten. Es war schrecklich, und als das Unwetter endlich weiterzog, waren alle wie betäubt.
Marie ging schnell wieder hinaus um sie zu trösten, da schaute der kleine weiße Rittersporn an sich herunter und schrie entsetzt auf:
„Der Hagel hat meine ganzen Blüten zerfetzt, was mache ich nun bloß?“ Niemand antwortete, denn alle Blumen stellten voller Schrecken fest, dass auch ihre Blüten abgeschlagen waren, oder traurig und durchlöchert herunterhingen. Glück im Unglück hatte nur der Oleander, denn seine Blüten waren noch von der schützenden Knospenhülle umgeben und so hatte der Regen ihnen nichts anhaben können.
„Das wars dann mit dem Fest“, sagte der blaue Rittersporn, „so mag ja wohl niemand feiern.“
„Moment mal“, meldete sich der Ginkgobaum zu Wort, „das Motto des Abends lautet: ‚Das Grün feiert ein Fest!’ Wenn eure Blüten auch beschädigt sind, so haben eure Blätter doch ihr Grün behalten, feiern wir also wirklich nur in Grün. Und außerdem ist der Sommer noch lang, sodass ihr bald wieder die schönsten Blüten haben werdet.“
„Ach, du lieber Ginkgo, du bist doch der Klügste von allen“, sagte die rote Rose, schüttelte die beschädigten Blütenblätter ab und beugte sich zum kleinen weißen Rittersporn herunter.
„Nicht verzagen, kleiner Freund, in wenigen Wochen bist du wieder voller Blüten, aber jetzt feiern wir ein wunderbares Fest, ach wie schön, dass das schreckliche Unwetter nicht noch mehr Schaden angerichtet hat.“
Dem stimmten alle Gartenblumen zu, und als Marie sich nach dem Gewitter wieder auf ihre Bank setzte, sah sie eine fröhliche grüne Schar tanzen, lachen und singen, und später hörte sie, dass alle Blumen einhellig der Meinung waren, dass es das schönste Fest aller Zeiten gewesen sei.

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Texte: Copyright by rosenjule Cover pixelio
Tag der Veröffentlichung: 30.04.2011

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