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Sabrina und Lutz hatten wortlos den Ausführungen des alten Herrn gelauscht, allerdings sprachen beider Gesichter Bände. Als Walter erschöpft schwieg, ging Lutz hilflos wirkender Blick zu Muriel:
„Du bist gar nicht meine Mutter“, sagte er fassungslos, „aber warum habt ihr mir das nie gesagt?--- Langsam verstehe ich, Sabrina sieht ihrer Großmutter ähnlich und ich Trottel, ich Trottel, ich habe Verena unterstellt, mich mit diesem jungen Schauspieler betrogen zu haben. Oh, mein Himmel, wisst ihr was? Es stimmt, ich weiß nicht, ob ich euch das je verzeihen kann.“
Er sprang auf und rannte wie ein Tiger hin und her, hielt sich dabei den Kopf und sagte immer wieder:
„Mein Gott, mein Gott, Verena, warum habe ich dir nicht vertraut, es ist alles meine Schuld, warum habe ich dir nicht vertraut, ich hätte dir vertrauen müssen.“
Plötzlich hielt er inne:
„Was ist mit meiner Mutter, ich denke sie war die Frau deines Lebens?“ wandte Lutz sich nun an seinen Vater, „kann es sein, dass ich sie als kleiner Junge auf einer geflochtenen Matte habe liegen sehen? Und das Schiff, was war mit dem Schiff?“
„Du kannst dich daran erinnern?“ fragte Walter, Lutz nickte, „ja, aber erst vorhin, als Sabrina so leblos dalag, huschten plötzlich Bilder durch meinen Kopf, die ich nie zuvor bewusst gesehen habe.“
„Deine Mutter kam im Frühjahr 1938 bei einem Überfall ums Leben. Sie war 28 Jahre alt. Auch ich fühle mich schuldig. Ich habe damals weiter als Archäologe gearbeitet, und bin nicht, wie ich es deinem Großvater versprochen hatte, mit meiner Familie nach Deutschland gegangen. Wir waren oft monatelang getrennt. Und eines Tages schloss Sabi sich mit dir und ihrer Schwester Katharina einer Karawane an, um mich abzuholen, und mit mir zurückzureisen.
Ein paar Tage waren wir zusammen im Camp, und brachen dann gemeinsam mit Arbeitern auf, um wieder nach Kairo zu reisen. Diese Reise stand unter keinem guten Stern. Ich bin heute noch der Auffassung, dass der Überfall geplant war, und Sabi galt.
Überfälle ähnlicher Art gab es zu der Zeit häufiger, Frauen hatten damals nach Auffassung vieler Männer nur eine Aufgabe, Kinder zu bekommen und dem Manne zu dienen. Studierende Frauen und außerhalb des Hauses arbeitende waren dieser Art von Männern suspekt, und ein Dorn im Auge.
Ich kann mich irren, glaube es jedoch nicht, denn von den wertvollen Fundstücken, die wir nach Kairo ins Museum bringen wollten, nahmen die Mörder nichts mit. Sie kamen bei Nacht, töteten Sabi, ihre Schwester Katharina, die immer bei ihr war, zwei der Arbeiter, die zu ihren Familien zurück wollten, und verschwanden unerkannt.“
Sabrina stöhnte laut auf, ihre Augen waren groß aufgerissen und Tränen liefen an ihren Wangen herunter.
„Mein Gott“, sagte Muriel erschrocken, „diese Geschichte einer Schwangeren zu erzählen, ist vielleicht nicht gerade gut.“
„Nein, nein“, wehrte Sabrina ab, „es ist schon ok, aber wenn doch jetzt Mama hier wäre, ich habe sie auch beschuldigt, mich belogen zu haben, als ich die Bilder von Marko fand. Und ich war ein paar Tage richtig ekelhaft zu ihr.“
Jetzt brach auch Muriel in Tränen aus:
„Und ich habe das alles zu verantworten“, sagte sie, „Lutz, hör zu, ich traf deinen Vater und dich auf dem Schiff, als er wieder nach Deutschland wollte. Ich habe dich sofort in mein Herz geschlossen, du warst so ein kleiner Junge, der seine Mutter verloren hatte, gerade mal eineinhalb Jahre alt.
Mein ägyptischer erster Mann hatte sich einfach von mir getrennt, weil ich keine Kinder bekommen konnte, und ich wollte zurück nach England.
Und nun traf ich auf dem Schiff diesen jungen traurigen Vater mit seinem kleinen Sohn. Es war wie ein Wunder, denn der Kleine sagte innerhalb kürzester Zeit einfach „Mama“ zu mir. Es kam, wie es wohl kommen musste, dein Vater und ich heirateten noch auf dem Schiff, und so gingen wir später allen Fragen aus dem Weg.“
Niemand antwortete, Lutz ging weiterhin auf und ab, Sabrinas Augen folgten ihm, hin und her, hin und her. Plötzlich lachte Sabrina, es war ein kleines Lachen, ein wenig verhalten, aber doch heiter:
„Sabi hieß sie, sagtest du?“ wandte sie sich an Walter, „meine Mutter und meine Patentante nennen mich seit meiner Kindheit so, Sabi, ist das nicht ein irrer Zufall?“
Lutz blieb erstaunt stehen und schaute wie sein Vater zu Sabrina, deren Gesicht förmlich glühte.
„Ja, das ist wirklich merkwürdig“, sagte er ungläubig, „überhaupt, der Name Sabrina passt wunderbar zu dir. Als deine Mutter mir damals per Brief den Namen vorschlug, falls du ein Mädchen werden solltest, war ich sofort… mein Gott, Mutter, wir schreiben das Jahr 1991, ich bin fast 55 Jahre alt, meinst du nicht, dass ich das alles längst hätte erfahren müssen? Ich muss hier raus.“ Er wollte hinaus laufen, da fiel sein Blick auf Sabrina, die erschrocken aufgesprungen war. Rasch lief er zu ihr und nahm sie vorsichtig in den Arm.
„Weißt du was, wir fahren zu deiner Mutter“, und als Sabrina nickte wollte er sie hinaus führen, da sagte Walter mit zittriger Stimme:
„Bitte wartet. Ich kann dich verstehen, mein Junge, aber glaube mir, es war damals, in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, für eine Frau schrecklich, keine Kinder bekommen zu können. Muriel fühlte sich, wie mit einem Makel behaftet.
Und dann traf sie auf dich und du nanntest sie sogar Mama, was wie ein kleines Wunder war, denn eine Zeitlang hattest du kaum ein Wort gesprochen. --- Wir dachten, das sei eine gute Lösung. Irgendwann wollten wir dir alles erzählen, aber … wir haben doch nicht gewusst, dass wir mit unserem Schweigen soviel Unheil anrichten. Hättest du uns damals gesagt, weshalb du dich von deiner großen Liebe Verena getrennt hast, ich hätte es richtig gestellt, aber du hast uns nichts erzählt, sondern bist gleich wieder abgereist, und warst jahrelang im Ausland.. Mein Gott Lutz, es tut mir alles so Leid, sieh doch deine Mutter an…“er deutete mit der Hand zu Muriel, die zusammen gesunken in einem Sessel kauerte. Ihr Gesicht war Tränen überströmt.
Sabrina wand sich vorsichtig aus den Armen ihres Vaters, lief zu Muriel und hockte sich neben den Sessel.
„Alles ist gut“, sagte sie zärtlich und tupfte vorsichtig mit einem Papiertaschentuch die Tränen aus deren Gesicht. Lutz schaute von einem zum anderen und hockte sich schließlich auf die andere Seite des Sessels.
„Ihr habt Glück, dass ihr Beide über 80 seid. Schließlich wollen wir euch noch behalten. Es ist ja ohnehin nicht mehr zu ändern, nicht wahr Sabi?“ knurrte er gutmütig.
„Jawohl, Papa“, antwortete Sabrina und hielt erschrocken die Hand vor den Mund. Auch Lutz staunte, Papa, hatte sie gesagt, zum ersten Mal in seinem Leben sagte jemand „Papa“ zu ihm.
Plötzlich war er ganz ruhig und ein versöhnliches Gefühl breitete sich in ihm aus. Vielleicht war es Muriel ähnlich ergangen, sie konnte nicht Mutter werden, und der kleine Lutz war eine Chance für sie gewesen, doch noch Mama genannt zu werden? Ja, sie war ihm immer eine gute Mutter gewesen, Leise streichelte er über ihre Hand. Muriel legte für einen Moment ihre Hand auf die seine und lächelte ihm verhalten zu. Lutz lächelte zurück. Doch nun wischte sie energisch über ihre Wangen, stand auf und strich ihren Rock glatt.
„Passt auf“, sagte sie pragmatisch, „ich richte erst einmal etwas zu essen her, und dann können wir ja überlegen, wie es weitergehen soll. Nach all der Aufregung nun noch mehr als hundert Kilometer mit dem Auto zu fahren, halte ich für keine gute Idee. Morgen ist auch noch ein Tag.“
Sabrina folgte ihr in die Küche und Vater und Sohn blieben alleine zurück im Wohnzimmer.
Einen Moment saßen sie schweigend da, doch dann sprang Lutz auf, ging in die Küche zu Sabrina, um sich eine Telefonnummer zu holen.

Fortsetzung folgt

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Texte: (c) by rosenjule cover google
Tag der Veröffentlichung: 10.01.2011

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