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Walter

Es war ein Bild, das in dem jungen Walter Bergström die Sehnsucht auslöste, Archäologe
zu werden. Ein Bild in einem Schulbuch, das einen strahlend blauen Himmel zeigte, eine Sandwüste und eine große und mehrere kleine Pyramiden. Und wenn andere Jungen seines Alters Feuerwehrmann, Lokomotivführer oder ähnliches werden wollten, so blieb seit diesem Zeitpunkt seine Antwort stets die Gleiche:
„Ich mache später mal Ausgrabungen in Ägypten.“
Natürlich wurde er stets belächelt, doch nach dem Abitur im Jahre 1929 studierte er mit Unterstützung seiner Eltern zunächst in Wien Altertumswissenschaften, belegte danach einen Studiengang in London und schloss sich nach Beendigung seines Studiums einer Archäologengruppe an, die in den 1930er Jahre unter Leitung eines bekannten niederländischen Ägyptologen nach Ägypten reiste, um sich an den Ausgrabungen am Westfriedhof der Gizeh- Pyramiden zu beteiligen.
Später, wenn er an die Jahre in Ägypten zurück dachte, hatte er stets ein Bild vor Augen, er sah sich auf einem Ausgrabungsfeld in Ägypten, während eine wunderschöne junge Frau von einem Kamel stieg und langsam auf ihn zukam…

… Walter stockte der Atem, er glaubte zu träumen, denn die Gestalt, die soeben von dem Kamel gestiegen war und ihre Gewänder vom Reisestaub zu befreien versuchte, schien einem Märchen entstiegen zu sein, so unglaublich anmutig war sie. Sie nahm die Tücher von ihrem Haar und schüttelte sie unbefangen aus. Langes schwarzes Haar schimmerte wie Seide im Licht der Sonne. Und nun kam sie direkt auf ihn zu.
„Verzeihen Sie“, sagte sie in deutscher Sprache mit einem klitzekleinen Akzent, er fasste es nicht, „Sie sind Walter Bergström, der Archäologe, nicht wahr?“
Walter war fasziniert, er glaubte immer noch zu träumen, denn diese Frau war atemberaubend schön, sie hätte eine Königin aus dem alten Ägypten sein können. Er vermochte nicht den Blick von dieser Frau zu nehmen, da stieß ihn sein Kollege Olaf van Hooven mit dem Ellenbogen an und sagte lachend:
„Aufwache, min Freund, die Dame hat dir was jefraacht.“ Walter erschrak und sprang auf.
„Verzeihung“, sagte er und lachte sie befreit an, „ich habe Ihre Frage nicht verstanden.“
„Sie sind Walter Bergström, nicht wahr“, lachte sie und als er nickte fügte sie hinzu, „mein Vater gehört zu Ihrer Mannschaft. Ich weiß, er ist unterwegs nach Kairo, um einige Fundstücke abzuliefern. Ich sollte ihn erst bei seiner Rückreise hierher begleiten. Aber das dauerte mir alles zu lange. Er hat mir viel von Ihnen erzählt.“ Die junge Frau hielt inne, denn sie sah Walter Bergströms verständnislosen Blick. Sie lachte und ergänzte:
„Verzeihung, ich habe mich noch nicht vorgestellt, ich bin Sabi El Hadary, habe mein Studium beendet und würde mich Ihrer Truppe gerne anschließen.“
Wie Schuppen fiel es Walter von den Augen, ja richtig, er hatte bereits ihr Foto gesehen, dass der stolze Vater ihm gezeigt hatte.
Für ägyptische Verhältnisse ungewöhnlich, hatte Afdal El Hadary seine Tochter im Ausland studieren lassen und Walter gebeten, sie nach dem Studium unter seine Fittiche zu nehmen.
Afdal El Hadary war ein erstaunlich moderner Mann. Er war Kopte und gehörte zu einer Minderheit in Ägypten, die stolz darauf war, christlich geprägt zu sein. Er war gläubig, ohne zu frömmeln, ein ruhiger stolzer Mann, der jedem, mit dem er zu tun hatte, die gleiche Freundlichkeit entgegen brachte.
Seit der Islamisierung des Landes war es den Christen nie lange vergönnt, in Ruhe und Frieden leben zu können. Sie waren ständig Repressalien ausgesetzt, mussten sich immer wieder gegen Zwangsislamisierung wehren, und wurden oftmals wegen ihrer liberalen Haltung ihren Frauen gegenüber angefeindet. Allerdings traten nach Zeiten der Verfolgung und Diskriminierung immer wieder ruhige Phasen ein.
Die koptischen Christen hielten jedem Islamisierungsversuch stand, sehr zum Ärger fanatischer Moslems. Mit ihren Freunden und Nachbarn, ja selbst mit Verwandten die der Lehre Mohameds folgten, lebten sie friedlich nebeneinander. Dennoch gab es immer wieder Anschläge auf Christen und ihre Kirchen, obwohl vor dem Propheten Mohamed und seiner Lehre die christliche Religion in Ägypten weit verbreitet gewesen war.

Mehrere Männer, die in der Nähe gearbeitet hatten, standen auf ihre Schaufeln
gestützt und schauten neugierig zu Walter Bergström und der schönen Frau, die sich so unbefangen mit ihm unterhielt.
Olaf van Hooven ging zu ihnen und gab in ägyptischer Sprache Anweisungen.
Walter, der durchaus die Blicke der Männer gesehen hatte, fühlte sich unbehaglich.
„Sie wollen hier unter Männern arbeiten, so?“ Sein Blick glitt über ihr Haar hinunter bis zu ihren Röcken, sie lachte:
„Nein, keine Angst, ich habe die richtige Ausstattung dabei.“ Sie winkte ihrer Begleitung und schon standen zwei junge Leute mit einem Kleidersack, oder was auch immer das war, neben ihr. Einer der jungen Männer entpuppte sich dabei als junge Frau.
„Wo kann ich mich umziehen?“ fragte Sabi El Hadary. Walter bedeutete ihr, ihm zu folgen, und führte sie zu seinem Zelt.
Wenig später stand sie in Männerkleidung vor ihm, ihr langes Haar gebändigt unter einem braunen Hut aus Baumwollstoff. Neben ihr die andere junge Frau, die wie ein Schatten nicht von ihrer Seite wich.
Viele Wochen arbeiteten sie Seite an Seite und Walter war immer wieder erstaunt, wie ausdauernd diese schlanke junge Frau war, die mit ihrer Begeisterung und ihrem Können alle in ihren Bann zog. Ihrer freundlichen Art und ihrer angeborenen natürlichen Autorität war es außerdem zu verdanken, dass sich nach der anfänglichen Neugier der Männer niemand mehr über die Mitarbeit einer Frau wunderte oder gar versuchte, sich ihr ungebührlich zu nähern. Zudem hatte sie bald den Respekt der Männer errungen, da sie unermüdlich arbeitete und auf Anhieb erkannte, welche der ausgegrabenen Funde von Bedeutung waren und welche nicht.
Walter Bergström jedoch wusste, dass sie die Frau seines Lebens war. Niemals mehr würde er eine andere Frau auch nur ansehen, geschweige denn, sich in sie verlieben.
Ob oder was Sabi dagegen für ihn empfand, wusste er lange nicht. Manchmal, wenn er ihren Blick auf sich ruhen spürte, glaubte er, dass auch sie mehr für ihn empfinden würde, doch sobald sie sich ertappt fühlte, nahmen ihre Augen wieder diesen unpersönlichen Ausdruck an, mit dem sie alle Männer bedachte.
Walter tat das, was ihm am Vernünftigsten schien, er wartete.

Fortsetzung folgt

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Texte: (c) by rosenjule coverfoto google
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2011

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