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Als Sabrina am nächsten Morgen erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand. Sie setzte sich auf, und plötzlich fiel ihr alles wieder ein.
Langsam verließ sie ihr Bett, ging zum Fenster, zog den Vorhang zurück und öffnete die Balkontür.
Klare frische Luft drang herein, sie trat ans Geländer und sah den Rhein in etwa 200 Meter Entfernung silbrig schimmern. Ausflugsboote und Schleppkähne schwammen gemächlich dahin, Vogelstimmen waren zu vernehmen, und nur leiser Motorenlärm deutete darauf hin, dass Sabrina sich in einer Großstadt befand.
Sie reckte und streckte sich und erschrak, als ihr Blick auf eine Kirchturmuhr fiel. Es war bereits zehn Uhr. Doch dann lächelte sie.
„Was soll die Hetze, ich habe frei, und kann meinen Tag gestalten wie ich will.“ Zufrieden ging sie zurück ins Zimmer, bestellte telefonisch ein kleines Frühstück und stellte sich unter die Dusche.
Als sie nach zwanzig Minuten erfrischt und fröhlich das Bad verließ, warteten heißer Kaffee und knusprige Brötchen auf sie.
Nach dem Frühstück zog sie sich an und machte sich sorgfältig zurecht. Gut gelaunt fuhr sie mit dem Fahrstuhl nach unten und erwiderte freundlich die Grüße der ihr entgegen kommenden Gäste und Bediensteten des schicken Hotels. Manch bewundernder Blick streifte sie, doch Sabrina bemerkte das nicht, sondern ging zielstrebig zur Rezeption, um zu erfragen, wie sie am schnellsten zur Beethovenstraße gelangen könnte.
Herrlicher Sonnenschein empfing sie draußen, und die soeben erfahrene Tatsache, dass die gesuchte Straße ganz in der Nähe war, sodass sie sie zu Fuß erreichen könnte, beschwingte sie noch mehr. So ging sie langsam aber beschwingt in die angegebene Richtung und schaute sich Straßen, Häuser Geschäfte und alles, was auf ihrem Weg lag, aufmerksam an.
Doch plötzlich begann ihr Herz zu rasen. „Beethoven Straße“, las sie laut, als sie das Straßenschild entdeckte.
Sie verhielt den Schritt, denn alle Beschwingtheit und gute Laune waren verflogen, in ihrem Kopf drehte es sich und sie hatte ein Gefühl, als müsse sie sich übergeben. Sie streckte ihre Hand nach dem Pfahl des Straßenschildes aus, da wurde sie plötzlich von hinten untergefasst und eine besorgte Männerstimme fragte:
„Kann ich Ihnen helfen?“
Sabrina wandte den Kopf, schaute in zwei blaue Augen, die sie besorgt hinter einer randlosen Brille anschauten und glaubte den Verstand zu verlieren, denn es waren die Augen ihres Vaters.
„Was ist mit Ihnen?“ fragte er erneut, Sabrina schüttelte sich und wollte sich losreißen, doch Lutz Bergström sagte bestimmt:
„Kommen Sie, junge Frau, dort ist das Haus meines Vaters, einer unserer Nachbarn ist Arzt, der wird nach Ihnen schauen.“ Sabrina ließ sich willenlos zu einem älteren gepflegten Haus mit Vorgarten führen und starrte dort auf das Klingelschild. „Bergström“, stand darauf.
Sie drehte sich zu dem Mann um und stammelte: „Aber gestern waren Sie doch noch in Ägypten. Sie waren doch im Fernsehen, wegen des Anschlags auf den europäischen Bus…“
„In Ägypten? Nein, ich war in Köln im Studio und komme gerade zurück, aber Sie kennen mich?“ fragte er erstaunt und konnte den Blick nicht von der jungen Frau nehmen, denn es kam ihr vor, als ob auch er sie kennen würde.
„Nein“, sagte Sabrina, „aber ich muss Sie endlich kennen lernen.“
„Sie müssen mich endlich kennen lernen“, wiederholte er, und dann erlebten sie beide eine Überraschung. Die Haustüre wurde geöffnet, ein weißhaariger alter Herr stand in der Tür und
schrie bei Sabrinas Anblick laut auf. Eine ebenfalls weißhaarige Frau eilte daraufhin herbei,
stützte ihren Mann und sagte zu Lutz:
„Schnell, Junge, ruf Dr. Hellweg.“ Lutz zog die willenlose Sabrina hinter sich her und stürmte zum Telefon. Zu allem Überfluss stürzte sich nun noch ein schwarzer Hund auf Sabrina, der hinter der von Lutz aufgerissenen Tür gekauert hatte, und riss sie beinahe um. Sie hörte jemanden „Bandit“ schreien, murmelte; „Banditen?“ und fiel zum ersten Mal in ihrem Leben in Ohnmacht.
Lutz Bergström saß vor der ohnmächtigen Sabrina und starrte sie an. Der Anblick dieser jungen schönen, leblos daliegenden Frau erzeugte Bilder in ihm, die er nicht einordnen konnte. Bilder von riesigen Ausgrabungsfeldern spukten auf einmal durch seinen Kopf, ein kleines weißes Haus, vor dem Palmen sich im Wind wiegten, Menschen in langen weißen Gewändern, mit weißen turbanähnlichen Gebilden auf den Köpfen, schienen sich zu ihm herabzubeugen und plötzlich war ihm, als ob das Gesicht dieser jungen Frau ihn anlächelte. Und dann sah er wieder eine leblose Frau vor sich, sie lag mit geschlossenen Augen auf einer Palmenmatte und sah aus, wie die jetzt vor ihm liegende junge Frau.
Während er verwirrt versuchte, diese Gedanken zu sortieren, spürte er plötzlich Planken unter seinen Füssen, roch Seeluft und sah riesige Wellen, die sich an einem Schiffsbug auftürmten und wieder in sich zusammen fielen.
Was waren das für Bilder, warum tauchten sie plötzlich auf, wo kamen sie her, warum waren sie neu für ihn, und vor allem, was hatte diese junge Frau damit zu tun?
Leise war sein Vater zu ihm getreten und erst, als er die Hand auf seine Schulter legte, bemerkte Lutz ihn. Der Vater war ganz weiß im Gesicht und seine Hand zitterte. Lutz sprang auf und schob seinen Vater zu einem Stuhl. In dem Moment klingelte es, und Dr. Hellweg war endlich da.
„Gott sei Dank, Werner, gut dass du kommst. Diese junge Dame ist plötzlich in Ohnmacht gefallen und…“ Lutz verstummte, denn sein Schulfreund hatte sich bereits über Sabrina gebeugt, wollte gerade ihren Blutdruck messen, da schlug Sabrina die Augen auf.
„Himmel, was ist passiert?“ fragte sie verwundert, „wo bin ich überhaupt?“ Sie wollte sich aufrichten, doch Werner Hellweg drückte sie vorsichtig zurück.
„Erst den Blutdruck messen“, sagte er freundlich, Sabrina nickte ergeben und sah dann von Lutz zu Walter Bergström.
„Ist das Ihr Vater?“ fragte sie nach dem Messen des Blutdrucks und richtete sich nun energisch auf.
Lutz und Walter Bergström nickten, da sagte Dr. Hellweg lächelnd:
„Kann es sein, dass Sie ein Kind erwarten?“
Sabrina starrte ihn einen Augenblick verwundert an und meinte dann zögernd:
„Ach, darum ist mir in letzter Zeit so komisch, ja, das kann sein, das kann sein, aber wird man davon ohnmächtig?“
„Davon alleine nicht, aber haben Sie im Moment größere Aufregungen?“
„Das kann man wohl sagen“, antwortete Sabrina, ohne den Blick von Lutz zu nehmen, „meine Mutter hatte kürzlich eine Operation und ich bin auf der Suche nach meinem Vater.“
„Nach Ihrem Vater?“ fragten Lutz und Walter gleichzeitig.
Sabrina lachte, sie fühlte sich plötzlich leicht und frei. Was sollte ihr schon passieren? Sie erwartete ein Kind und erfuhr es ausgerechnet im Hause ihres Großvaters, denn für sie war jeder Zweifel ausgeräumt, Lutz war ihr Vater und Walter ihr Großvater.
Unbemerkt hatte Muriel Bergström das Zimmer betreten und plötzlich war auch der große schwarze Hund wieder da, er sprang zu Sabrina und wedelte freundlich mit dem Schwanz.
„Bandit“, rief Lutz, da huschten wieder Bilder durch seinen Kopf, Bilder von Verena, von einem Brief, von einem Kind, das dunkelhaarig war und recht fremdländisch aussah und das ihn anlächelte.
Wie betäubt schüttelte Lutz den Kopf, da sagte sein Vater:
„Ich glaube, die junge Dame hat ihren Vater gefunden, nicht wahr?“
Über Sabrinas Gesicht ging ein Leuchten, das sie so schön machte, dass alle sie gebannt anschauten.
„Ja“, sagte sie, „und einen Großvater und eine Großmutter dazu.“
Muriel trat zu Sabrina, breitete die Arme aus und während Tränen an ihren Wangen herunter liefen, umarmte sie Sabrina.

Völlig perplex betrachtete Lutz diese Szene, seine etwas steife Mutter, die auch im Alter nichts von ihrer Unnahbarkeit verloren hatte, umarmte eine Fremde? Was ging hier vor und wieso wusste sein Vater, dass diese junge Frau ihren Vater bereits gefunden hatte?
Dr. Hellweg verabschiedete sich, nicht ohne Sabrina ans Herz zu legen, bald ihren Arzt aufzusuchen.
Sabrina stand auf:
„Ich möchte zurück ins Hotel“, sagte sie, doch Walter Bergström schüttelte den Kopf.
„Nicht bevor Sie, nein, du, dem erstaunten jungen Mann dort gesagt hast, dass er dein Vater ist.“
Lutz riss die Augen noch größer auf: „Wer sind Sie, und wer ist ihr Vater?“
„Ich bin Sabrina Michaelis, die Tochter von Verena Michaelis und Sie sind mein Vater“, sagte sie freundlich.
„Und ich bin Ihr Vater“, echote Lutz verständnislos, „Sie sind Verenas Kind? Aber ich, ich kann doch gar nicht…“
„Doch, du kannst“, sagte nun Muriel „und ich bete, dass du uns verzeihen wirst.“
Lutz ließ sich verwirrt in einen Sessel sinken, er schaute hilflos in die Runde.
„Glaub mir, mein Junge“, sagte Walter Bergström, „diese junge Frau ist Deine Tochter, und deine Mutter und ich haben dir und ihr eine Geschichte zu erzählen.“
Lutz schaute seinen Vater an, doch ein Gedanke ließ ihn erneut aufspringen, er wandte sich an Sabrina:
„Also, Sie sind Verenas Tochter? Aber was haben Sie vorhin gesagt, Ihre Mutter sei operiert worden? Was ist mit ihr?“ gepresst stieß er diese Worte hervor.
Sabrina antwortete lächelnd:
„Sie hatte lediglich eine Gallenoperation und ist bereits auf dem Wege der Besserung.“
Einen Augenblick starrte Lutz sie an, doch dann ließ er sich erneut in den Sessel fallen und sagte zu seinen Eltern:
„Also dann mal los, ich bin gespannt, was jetzt für eine Geschichte kommt.“
Sein Blick ging zu Sabrina und obwohl er nicht recht verstand, was hier eigentlich vorging, wusste auch er plötzlich, dass sie seine Tochter war. Er sprang zum wiederholten Male auf, setzte sich neben Sabrina auf die Couch, nahm ihre Hand und erwartungsvoll schauten Vater und Tochter zu Muriel und Walter Bergström.
Walter Bergström jedoch zögerte, er schaute beinahe hilflos zu seiner Frau und sagte dann zu Sabrina und Lutz gewandt:
„Meint ihr nicht, dass Sabrinas Mutter ebenfalls das Recht hat, die Wahrheit zu erfahren, schließlich ist es meine Schuld, dass Lutz und sie sich damals getrennt haben.“ Er hielt inne und schaute mit nassen Augen Sohn und Enkeltochter an, schließlich fuhr er fort:
„Aber ich hatte doch keine Ahnung, das ist die einzige Entschuldigung, die ich vorbringen kann.“ Jetzt wurde er von Muriel unterbrochen, die vor sich hingestarrt und nervös ihre Hände gerieben hatte.
„Nein, Walter, es ist einzig meine Schuld, ich wollte nicht, dass die Wahrheit ans Licht kommt, ich dachte doch, die Wahrheit bringt nur Unruhe, hätte ich geahnt, was ich angerichtet habe, niemals hätte ich dich gebeten zu schweigen.“
„Was ist denn nun die Wahrheit?“ rief Lutz ungeduldig. Doch plötzlich wurde sein Vater energisch, er richtete sich zu voller Größe auf und sagte:
„Sabrina, ruf bitte deine Mutter an, und sag ihr wenigstens, dass du hier bei uns bist.“ Sabrina sprang gehorsam auf, ging zum Telefon und wählte die Nummer des Krankenhauses in dem ihre Mutter lag.


Fortsetzung folgt

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Texte: (c) by rosenjule cover google
Tag der Veröffentlichung: 06.01.2011

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