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Spurensuche

Bereits wenige Tage nach ihrer Gallenblasenoperation fühlte Verena sich so gesund, dass sie am liebsten das Krankenhaus verlassen hätte.
„Du bleibst hier, bis der Arzt dir erlaubt heimzugehen“, sagte Julia bestimmt, „fernsehen, ein wenig lesen und spazieren gehen, mehr ist zurzeit nicht drin.“
„Zu Befehl“, lachte Verena und schaute zu ihrer Tochter Sabrina, die schweigsam in einem der kleinen Sessel saß und beinahe finster vor sich hinsah.
„Was ist mit dir, Mäuschen?“ fragte Verena verwundert. Schon seit Tagen war ihr aufgefallen, dass die Tochter recht zugeknöpft und kaum ansprechbar war.
„Nichts“, kam die kurze Antwort, und dann drückte Sabrina die Fernbedienung und die sachliche Stimme des Nachrichtensprechers ertönte.
Verena zuckte enttäuscht die Achseln und warf Julia einen ratlosen Blick zu. Auch die zuckte
die Achseln und wandte sich danach interessiert dem Fernseher zu.
„Heute Morgen verübten ägyptische Fundamentalisten erneut einen Anschlag auf einen Bus ausländischer Touristen, bei dem zwei Österreicher und ein Deutscher getötet und mehrere Menschen schwer verletzt wurden. Herr Bergström, sie haben jahrelang in Kairo gelebt…“
die weiteren Worte des Korrespondenten gingen in einem Aufschrei unter. Überrascht schauten Julia und Sabrina zu Verena, die mit weit aufgerissenen Augen auf den Bildschirm starrte.
„O mein Gott“, flüsterte sie, während sie die Hände vor den Mund hielt. Mehr als dreißig Jahre waren vergangen, seit sie diesen Mann zum letzten Mal gesehen hatte und doch erkannte sie ihn sofort. O ja, er war älter geworden und doch war es unverkennbar sein Gesicht. Sein ehemals blondes Haar war weiß geworden, doch es fiel ihm wie damals in die Stirn. Er trug eine randlose Brille, die seine klugen blauen Augen jedoch nicht versteckte, sondern sie das Gesicht dominieren ließ. Ernst und eindringlich sahen sie Verena an und ihr war, als brauche sie nur die Hand auszustrecken, um dieses Gesicht zu berühren. Dieses Gesicht, das sie so geliebt hatte, und das sie bis in ihre Träume verfolgte, auch nach dreißig Jahren noch. Dieses Gesicht, das nun so schmal und traurig wirkte und dessen Mund anscheinend das Lächeln verlernt hatte. Dieser Mund, der Sabrinas Mund so ähnlich war, ganz klar sah Verena es jetzt, und auch, wie viel Ähnlichkeit ihre Tochter mit ihm hatte.
„Sabrina, Mäuschen sieh doch, du hast seinen Mund, und die Hände, du hast seine Hände, Julia, siehst du auch, wie ähnlich sie ihm ist?“ Zitternd vor Aufregung deutete Verena auf den Bildschirm und Julia sagte erstaunt:
„Himmel ja, es ist erstaunlich, wie ähnlich ihm das Kind sieht, wenn sie auch dunkel- und er hellhaarig ist, die Ähnlichkeit ist überwältigend.“
„Hört sofort damit auf“, unterbrach sie nun Sabrinas Stimme, sie klang kalt und abweisend,
„ich habe nicht die geringste Ähnlichkeit mit diesem Mann, was also soll das Theater? Habt ihr euch abgesprochen? Ihr könnt mir nichts mehr vormachen, ich weiß, dass er nicht mein Vater ist“, sie nestelte an ihrer Handtasche und warf vor Zorn bebend die Fotos von Marko auf Verenas Bett, „hier, diese Bilder beweisen, dass ich mein Aussehen nicht einer Laune der Natur zu verdanken habe, sondern einem Vater, dessen Existenz mir bis heute verschwiegen wurde. Aber warum, warum wurde ich mein Leben lang belogen, was habe ich dir getan?“
Weinend sank Sabrina in ihren Sessel und schlug die Hände vors Gesicht.
„Komm her, meine Kleine, nun mach schon, komm her“, rief Verena betroffen und bedeutete Sabrina auf der Bettkante Platz zu nehmen, und als Sabrina abwehrend den Kopf schüttelte, machte sie Anstalten, aus ihrem Bett aufzustehen. Doch jetzt war Julia zur Stelle, drückte sie sanft, aber bestimmt in die Kissen zurück, trat dann zu Sabrina und zog sie am Arm hoch.
„Nun komm schon, meine Süße, wer solche Anschuldigungen erhebt, wird sich wohl oder übel anhören müssen, was der Beschuldigte dazu zu sagen hat. Außerdem darf ich dich daran erinnern, dass deine Mutter erst kürzlich operiert wurde. Findest du nicht, dass solche Aufregungen jetzt nicht die richtige Medizin für sie…“
„Lass nur, Jule“, wurde sie von Verena unterbrochen, „ich bin schon ok. Was mich jetzt allerdings interessiert ist die Frage, wie Sabrina zu den Bildern kommt, und was sie veranlasst zu glauben, dass Marko ihr Vater sei. Also, meine Tochter, komm endlich her und sage, was du zu sagen hast.“
Sabrina schaute die Mutter ungläubig an, sie hatte angenommen, dass Verena beim Anblick der Bilder weinend zusammen brechen oder sonst etwas tun würde, dass sie dermaßen ruhig reagierte, verwunderte und erboste sie zugleich.
„Es tut mir leid, ich wollte damit warten, bis du wieder gesund bist“, sagte sie böse, „aber da du behauptest, dem da im Fernsehen soll ich ähnlich sehen..“
„Sollst du nicht ähnlich sehen“, unterbrach Julia temperamentvoll, „dem siehst du ähnlich. Glaub mir, Sabi, wenn deine Mutter früher so etwas sagte, konnte ich mir das nicht so recht vorstellen, doch gerade habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass es stimmt.“
Sabrinas Augen funkelten ärgerlich, doch bevor sie erneut etwas sagen konnte wurde Verena energisch.
„Aufhören“, sagte sie bestimmt. Verblüfft gehorchten Julia und Sabrina und nahmen Platz. Julia im Sessel und Sabrina ließ sich zögernd auf der Bettkante nieder.
„Hör zu“, sagte Verena mit fester Stimme, nahm die Hand der Tochter gegen deren Widerstand in die ihre und drückte sie, „glaubst du wirklich, ich würde mein einziges Kind in einer so wichtigen Frage belügen? Der da“ …sie zeigte mit der freien Hand auf den Fernseher, in dem immer noch Lutz Bergström sprach, „ist dein Vater, ich schwöre es, bei allem was mir heilig ist, und du….“
„Hör auf, Mama, ich glaube dir ja, aber dann sag mir endlich, was mit mir nicht stimmt.“
unterbrach Sabrina mit lauter Stimme. Julia wollte etwas sagen doch Verena kam ihr zuvor:
„Was mit dir nicht stimmt? Mit dir stimmt alles, du bist eine zauberhafte junge Frau, aber mit dem da, mit dem stimmt etwas nicht und…“ sie hielt erschrocken inne und schaute verwirrt von Tochter zu Freundin, die sie fassungslos anstarrten, denn so voller Emotionen kannten die Beiden die sonst so beherrschte Verena nicht.
Verena räusperte sich und sagte dann entschlossen:
„Ok, meine Süße, aber jetzt erzähle mir endlich, wie du darauf kommst, dass Marko dein Vater sei.“
„Weil dieser Marko auf den Bildern so ähnlich aussieht wie Hamid Abdel Arif. Dessen Schwester wiederum mir so ähnlich sieht.“
Verblüfft schauten Verena und Julia sich an.
„Ich verstehe überhaupt nichts mehr, wer um alles in der Welt ist denn nun wieder Hamid… wie heißt er?“
„Hamid Abdel Arif“, sagte Sabrina und lachte ob der verwunderten Gesichter von Verena und Julia.
„Das habt ihr nun davon, dass ihr partout nicht an meiner Geburtstagfeier in der Stadthalle teilnehmen wolltet. Ihr fühltet euch nicht mehr jung genug, so ein Blödsinn“, sagte Sabrina, „durch die Aufregung um Mamis Krankheit bin ich noch gar nicht dazu gekommen, von der Begegnung mit dem netten Ägypter zu berichten, der mich damals in dem Second- Hand –Laden so angestarrt hat.“
„Was hat denn der damit zu tun?“ wollte Verena nun wissen, „also, jetzt mal der Reihe nach.“
„Meine Güte, ist das kompliziert“, stöhnte Julia in komischem Entsetzen, „ich verstehe überhaupt nichts mehr.“
Und dann erzählte Sabrina endlich von der Begegnung mit Hamid und dem Foto von dessen Schwester Miriam, die Sabrinas Zwillingsschwester hätte sein können, so ähnlich sähe sie ihr.
„Das ist vielleicht eine mysteriöse Geschichte“, meinte Julia, als Sabrina geendet hatte, „was sagst du dazu Verena?“
Verena nahm Sabrinas Hand in die ihre und sagte beschwörend:
„Mäuschen, ich weiß beim besten Willen nicht, was das zu bedeuten hat, aber eines ist gewiss, Lutz Bergström ist dein Vater. Und wenn ich entlassen werde, gehen wir der Sache auf den Grund. Ich weiß, was wir tun. Wenn du willst, fahren wir gemeinsam nach Düsseldorf. Vielleicht leben die alten Bergströms noch, und …“
„Ich habe vielleicht noch Großeltern?“ Sabrinas Gesicht lief rot an vor lauter Aufregung. Sie ergriff Verenas Hände und fragte mit brüchiger Stimme:
„Das würdest du tun?“ und als Verena nickte murmelte sie: „Ich schaue gleich im Internet nach der Adresse..“
„Das musst du nicht“, ganz leise sprach Verena die Worte aus, „Beethovenstraße 54.“
„Mein Gott, Verena“, sagte Julia erschüttert, „wenn ich nur gewusst hätte, wie sehr dich das alles noch bewegt, und du spieltest uns immer die ausgeglichene beherrschte Verena vor. Es ist ja bei dir schlimmer als bei mir und meinem Mayer.“
„Es war sein Anblick“, sagte Verena mit kleiner Stimme, „ich war ausgeglichen und spielte euch nichts vor, aber der Anblick, verzeiht, der hat mich richtig aus der Bahn geworfen. All die Jahre habe ich nichts von ihm gesehen und gehört, und jetzt taucht er plötzlich auf.. ich will das nicht, ich will das nicht, es macht mich wütend und hilflos, alles ist wieder da, aber nicht mit mir, nicht mit mir.“
Sie warf die Bettdecke beiseite und machte erneut Anstalten aufzustehen.
„Halt“, schrie Julia und war mit wenigen Schritten bei der Freundin.
„Du bleibst da liegen“, sagte sie und drückte Verena sanft aber bestimmt in ihr Bett zurück.
„Mäuschen“, lächelte Verena matt, „es bleibt dabei, wenn ich hier herauskomme..“
„Alles klar, Mama“, erwiderte Sabrina und wandte den Blick ab, denn niemand sollte merken, welcher Plan in Sekundenschnelle in ihr heran gereift war.

Fortsetzung folgt

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Texte: (c) by rosenjule Foto Google
Tag der Veröffentlichung: 05.01.2011

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