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Es war am Morgen des fünften Oktober 1941, als Luise von einem süßen kleinen Mädchen entbunden wurde.
„Hast du nun endlich einen Namen für sie?“ wollte Meta wissen, als sie der Schwester das frisch gebadete und gewickelte Kind in den Arm legen wollte.
„Nein, ich will sie jetzt nicht, ich habe ihretwegen soviel aushalten müssen, mir reicht’s. Und einen Namen kannst du ihr geben, mir fällt keiner ein, ich wünschte, es wäre wenigstens ein Junge geworden. Pah, ein Mädchen“, fügte sie verächtlich hinzu, bevor sie demonstrativ die Augen schloss.
Meta schaute die Schwester fassungslos an und betrachtete dann voller Wärme und Liebe das zarte Geschöpfchen, das so klein und hilflos in ihrem Arm lag. Sie legte es vorsichtig in das Körbchen, in dem schon Luise und auch sie die ersten Wochen ihres Lebens verbracht hatten, und schwor sich, dem kleinen Mädchen ihre ganze Liebe zu geben, damit es eine glückliche Kindheit haben würde.
Als sie den Stubenwagen über den Flur schob, um dem Vater sein erstes Enkelkind zu zeigen, fiel ihr plötzlich der passende Name ein.
„Hier bringe ich dir unsere kleine Julia“, sagte Meta wenig später und hielt dem kranken Vater liebevoll das kleine Mädchen hin.
„Julia, welch schöner Name“, Georg Prantes Augen schimmerten feucht, als er mühsam die zitternde Hand hob, um seiner ersten Enkeltochter sacht über das Köpfchen zu streichen, „meine kleine Julia, Heldin eines großen Dramas, es tut mir leid, aber dein Großvater ist nicht in der Lage, dich in seinen Armen zu wiegen, aber du hast ja deine Tante Meta, die ist gesund und stark und wird schon dafür sorgen, dass du ein glücklicher Mensch wirst. Nicht wahr, meine Tochter?“
„Ja, Papa, das werde ich, sei unbesorgt.“ Meta legte die schlafende Kleine zurück in den Babykorb und setzte sich zum Vater.
„Das Wichtigste, was einem Kind vermittelt werden muss, ist ein gesundes Selbstvertrauen, dann liebt es sich selbst und ist auch fähig, andere zu lieben. Nur wer sich selbst nicht mag, mag auch niemand anderes. Glaub mir, Meta, so ein kleines Menschlein braucht das Gefühl, geliebt zu werden, nur dann kann es wirklich gedeihen. Wirst du ihm dieses Gefühl geben?“
„O ja, Papa, ich liebe es doch jetzt schon von ganzem Herzen.“
„Dann ist es gut, mein Kind, vergiss das nie, hörst du?“
„Ja, Papa.“ Meta deckte den Vater fürsorglich zu, und verließ mit der Kleinen den Raum.
In der folgenden Nacht schloss Georg Prante für immer die Augen.


„Es war der größte Fehler meines Lebens, dass ich Luise geheiratet habe.“ Hellmut Wagner stand an Moritz Box und schaute Meta zu, die den Hengst striegelte. „Dabei hätte ich nur auf meinen Freund Herbert hören müssen, der hat mir alles genau so vorausgesagt.“
Meta hielt inne.
„Hör zu, Hellmut, du hast eine Frau, ein Kind und solltest froh und dankbar sein. Gib dir und Luise doch eine Chance.“
„Eine Chance?“ lachte Hellmut bitter auf, „ich glaubte tatsächlich, sie liebt mich, aber das Wort Liebe ist für sie ein Fremdwort. Ich verstehe es nicht, unsere kleine Julia ist entzückend, aber sie interessiert sich nicht einen Deut für das Kind. Wo hatte ich damals nur meine Augen, Meta? Du warst es, die ich kennen lernen wollte, und du bist auch die Frau, die ich liebe. Wie konnte das alles nur geschehen?“ Er strich voller Verzweiflung sein dichtes dunkelblondes Haar zurück, wandte sich zu Meta und ergriff ihre Hände. „Meta, ich muss am zweiten Januar zurück zu meiner Einheit, und ich weiß nicht, ob und wann ich zurück komme. Was soll ich tun, Meta, sag du es mir?“
Hellmut zog sie plötzlich ganz nah zu sich heran und schaute sie fast flehend an.
Meta löste ihre Hände aus den seinen und schüttelte verwundert den Kopf.
„Was meinst du tun zu müssen? Ich verstehe dich nicht.“ Seine Berührung hatte all ihre unterdrückte Liebe hervor brechen lassen, so dass sie völlig durcheinander war.
„Weißt du es wirklich nicht?“ fragte er leise. Überrascht ob der Zärtlichkeit in seiner Stimme hob Meta den Kopf.
„Ich liebe dich, ich liebe dich, in diesen vierzehn Tagen, die wir zusammen verbracht haben, ist mir das richtig bewusst geworden. Mein Himmel, war ich verblendet. Wenn dieser verdammte Krieg endlich vorbei ist, mache ich reinen Tisch. Meta, glaub mir, ich spürte es schon, als deine Briefe ausblieben, und an ihrer Stelle Luises Post kam. Herbert hatte Recht, du bist es, die ich hätte heiraten sollen. Was machen wir bloß“
„Und deine Tochter, denkst du gar nicht an das Kind?“ fragte Meta böse.
„O, doch, gerade mein Kind hat mir die Augen geöffnet. Wer ist denn seine Mutter? Luise etwa? Die kümmert sich doch um gar nichts. Aber du, du liebst die Kleine, und die Kleine liebt dich.“
„Hellmut Wagner!“ Meta richtete sich plötzlich auf und schaute ihm direkt in die Augen, „was willst du eigentlich?“ Ganz rot waren ihre Wangen und ihre blauen Augen funkelten zornig.
„Dich“, sagte er einfach, „man muss gemachte Fehler auch korrigieren können, und ich schwöre dir, dieser Fehler wird korrigiert. Oder willst du mir das vielleicht nicht zugestehen?“
„O doch, das will ich“, nickte Meta mit leuchtenden Augen und schlang die Arme um seinen Hals.
Zwei Monate später kam die lapidare Nachricht, dass der Marineleutnant Hellmut Wagner, in Pflichterfüllung für sein Vaterland, gefallen sei.


„Ich fasse es nicht“, sagte Luise und tausend Teufel tanzten in ihren Augen, „meine ach so brave Schwester kriegt ein Kind, und ich kann mir auch denken, von wem. Na, soll ich raten?“
„Tu was du willst“, entgegnete Meta müde und lehnte sich an die Pferdebox. Blass und elend sah sie aus, musste sich ständig übergeben und war dabei soeben von Luise überrascht worden.
Meta wollte an der Schwester vorbei den Pferdestall verlassen, doch Luise hielt sie am Arm zurück.
„Du bist noch blöder als ich dachte“, zischte sie boshaft, „der Kerl kam doch bloß zu dir, weil ich ihn abblitzen ließ.“
„Geh mir aus dem Weg.“ Ganz ruhig schaute Meta der Schwester ins Gesicht. Luise trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Wie die Dame befehlen“, lachte sie höhnisch, „aber was glaubst du, wie die Leute sich freuen, wenn ich ihnen erzähle, was meine Schwester da für einen Balg ausbrütet, und dann werden sie mit Fingern auf die Ehebrecherin zeigen, und ha, ha, unsere Kinder werden Halbgeschwister, ich lach mich tot...“
„Meta, warum lässt du zu, dass dieses Ungeheuer Luise dich und unser Kind beleidigt, sag ihr doch, dass wir baldmöglichst heiraten werden.“ Erklang plötzlich Max Kowalskis ruhige Stimme hinter ihnen, „und außerdem hätte ich nicht übel Lust, ihr einmal gehörig den Hintern zu versohlen.“
Erstaunt wandten Meta und Luise sich um, und während Meta Max mit großen Augen ansah, sprudelte Luise hervor:
„Was du, Max? Ja, ist das denn die Möglichkeit? Warum tut ihr denn auch so geheim, da muss man ja auf komische Gedanken kommen. Ja, warum hast du denn nicht gesagt, dass Max der Vater ist, und dass er dich heiraten will?“
„Weil deine Schwester meint, wegen eines Kindes wolle sie nicht heiraten“, lachte Max, ohne die Augen von Meta zu nehmen, über deren eben noch blasse Wangen ein Hauch von rot gezogen war.
„Typisch Meta“, Luise bedachte die Schwester mit einem Blick, der nicht ohne Bewunderung war, „aber daraus wird nichts, weiß Mutter es schon? Nein? Dann will ich ihr schleunigst mitteilen, dass uns eine Hochzeit ins Haus steht und dass sie bald wieder Großmutter wird.“ Und noch ehe Meta etwas einwenden konnte, hatte sie den Stall verlassen und war Richtung Wohnhaus enteilt.
Meta wandte sich zu Max, doch der legte ihr die Hand auf den Mund und sagte:
„Hör zu, mein Mädchen, bevor dein Vater starb, habe ich ihm versprochen, für dich da zu sein, wann immer du mich brauchst. Nun brauchst du mich, und ich kann mein Versprechen einlösen. Und außerdem...“ Max stockte.
„Und außerdem?“ fragte Meta sanft.
„Und außerdem liebe ich dich schon lange, und wenn du mich ungeschlachten Gesellen auch nur ein bisschen gern haben könntest...“
„Ein bisschen gern habe ich dich, Max, vielleicht auch mehr als ein bisschen, aber ob ich dich jemals richtig lieben werde, kann ich dir nicht versprechen. Und willst du wirklich ein fremdes Kind als dein eigenes annehmen?“
„Ja, das will ich“, sagte Max schlicht, „und ein guter Vater werde ich ihm auch sein, oder hast du daran Zweifel?“
„Nein, Zweifel daran habe ich nicht, aber...“
„Kein aber, du kannst jetzt nicht mehr zurück, und so ganz viel Zeit zum Überlegen hast du auch nicht, oder?“ lächelte Max. Meta schaute ihn nachdenklich an. Ihres Vaters Worte fielen ihr ein.
„Jeder Mensch, der deinen Lebensweg kreuzt ist wichtig, und ich denke, Max ist besonders wichtig für dich, du wirst es schon noch merken“, hatte er gesagt.
„Ich will versuchen, dir eine gute Frau zu sein“, sagte sie und streckte ihm beide Hände entgegen. Max nahm sie mit freudigem Lächeln in die seinen und umarmte Meta dann so vorsichtig, als hielte er einen sehr zerbrechlichen Gegenstand in den Armen.

Am sechsten September 1942 brachte Meta einen gesunden blonden Jungen zur Welt, der den Namen Markus Kowalski erhielt. Er und die elf Monate ältere Julia waren Metas ganze Freude. Aber auch ihre Ehe mit Max Kowalski bescherte ihr zweieinhalb Jahre ruhigen Glücks, das am zwanzigsten Januar 1945 jäh beendet wurde. Am Nachmittag dieses Tages wurde das Haus von einer Bombe getroffen. Gerda Prante, Luise, Max, Klein-Markus und die alte Köchin Emma Laschke kamen dabei ums Leben. Nur Meta und Julia, die sich im Stall bei dem letzten verbliebenen Pferd Moritz aufgehalten hatten, überlebten. Zwei Tage später beerdigte Meta mit Hilfe der Nachbarn ihre Lieben, nahm die kleine Julia und flüchtete mit ihr nach Danzig und von dort per Schiff in den Westen. Sie sprach nie wieder von ihrem kleinen Jungen, und so verblasste er auch in Julias Erinnerung.
Erst viele Jahre später, an dem Samstag im September, als Verena ihrer Familie erklärte, dass sie ein Kind erwarte, zersprang der Ring, der sich wie eine eiserne Hand um ihr Herz gelegt hatte. Alles drängte nun aus Meta heraus, und so erfuhr Hans Michaelis endlich von den Ereignissen in Ostpreußen. Von diesem Tag an führten er und seine Frau Meta eine wunderbare Ehe.
Und auch Julia erfuhr von ihrem Halbbruder und diese Tatsache ließ sie manches im Benehmen ihrer Tante besser verstehen, aber sie verstärkte auch die unerklärlichen Schuldgefühle unter denen sie seit frühester Kindheit litt, ohne je mit einem Menschen darüber gesprochen zu haben.

Fortsetzung folgt


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Texte: (c) by rosenjule
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2010

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