Cover

Meta

„Ich hasse sie, ich hasse dieses hinterhältige Scheusal.“
Meta presste beide Fäuste in die Augen, um die Tränen zurückzudrängen. Sie wollte nicht heulen, nein, wegen ihrer scheußlichen Schwester würde sie keine einzige Träne vergießen.
Alles hatte sie ertragen, alles, immer war Luise die zarte, schonungsbedürftige gewesen, die nie einen Finger zu rühren brauchte, während man ihr, der kräftigen Meta alle Arbeiten aufgehalst hatte. Selbst Luises abgelegte Kleider, die ihr nie so recht passten, hatte sie ohne Murren aufgetragen. Sie legte ohnehin nicht soviel Wert auf Kleidung wie ihre eitle Schwester, die nicht nur viel hübscher war als sie, sondern die es auch viel besser verstand, sich ins rechte Licht zu rücken.
So war es auch kein Wunder, dass Meta für jeden Unfug die Verantwortung zu tragen hatte. Die liebe Luise verstand es immer meisterhaft, mit Unschuldsmiene zu lügen, und alle glaubten ihr. So hatte Meta sich im Laufe der Zeit damit abgefunden, der Prügelknabe zu sein, dem man für alles und jedes die Schuld gab.
Doch was die zwei Jahre ältere Luise jetzt gemacht hatte, war so niederträchtig und hinterhältig, dass es alles bisherige in den Schatten stellte.
Zuerst hatte sie der jüngeren Schwester den Brieffreund ausgespannt, und soeben war Meta mit hochnäsiger Miene mitgeteilt worden, dass dieser treulose Brieffreund um Luises Hand angehalten hatte. Und nun sollte baldmöglichst Hochzeit sein, da man wegen des Krieges nicht so lange warten wollte.
„Der wird sich wundern, dieser Einfaltspinsel“, lachte Meta plötzlich bitter auf, während sie ihr Lieblingspferd Moritz streichelte, „wenn er merkt, was für eine knochenharte, egoistische Ziege die ach so zarte Luise ist, werden ihm die Augen aufgehen. Aber dann ist es zu spät, dann hat sie ihn an der Kandare.“
Meta wandte sich entschlossen um, klopfte das Stroh aus ihrer Kleidung und verließ hocherhobenen Hauptes den Pferdestall, in den sie sich in ihrem Kummer verkrochen hatte.
Als sie die Stalltüre schloss, bog der Kutscher Max Kowalski mit seinem Pferdefuhrwerk in die Einfahrt ein.
„Juten Tach, Meta“, grüßte er freundlich, „was kuckste denn so finster? Bist ja man viel hübscher, wenn de lachst“, fügte er in seinem breiten Ostpreußisch hinzu.
„Quatschkopf“, gab Meta unwirsch zurück, musste aber unwillkürlich lachen, als sie leichtfüßig über das Kopfsteinpflaster zum Wohnhaus eilte.
Wohlgefällig und leise seufzend schaute Max dem flachsblonden jungen Mädchen mit den dicken Zöpfen nach. Sie war wirklich eine ansehnliche Marjell, stattlich, ohne dick zu sein, mit properen Beinen, die fest auf dem Erdboden standen, runden Armen und kräftigen Händen, die ohne viel Federlesen zuzupacken pflegten. Ihre blauen Augen waren blank und strahlten meistens vergnügt, obwohl sie es bestimmt nicht leicht hatte, ruhte doch seit der Erkrankung des Vaters vor nunmehr eineinhalb Jahren die ganze Verantwortung für die Pferdefuhrhalterei auf ihren Schultern.
Meta kümmerte sich um alles, holte Aufträge herein, verteilte sie an die Kutscher, stellte die Sendungen zusammen, tippte Lieferscheine und Begleitpapiere, schrieb Rechnungen oder bezahlte welche, führte die Bücher, bestellte Futtermittel, sorgte dafür, dass die Lieferwagen gewartet wurden und die Tiere die nötige Pflege erhielten und ging zudem noch der Mutter im großen Haus zur Hand. Außerdem kümmerte sie sich um die Wäsche, hatte ein Auge darauf, dass die Kutscher ihre Mahlzeiten bekamen und versorgte nicht zuletzt den kranken Vater, der das Bett kaum noch verlassen konnte.
Meta hier, Meta da, so ging es den ganzen Tag, jeder wandte sich an sie, vom Stallburschen bis zum Hausmädchen, und Meta wusste immer Rat und fasste meistens selbst tatkräftig mit an, und bei all der Arbeit verlor sie nie ihre gute Laune.
Doch nun war sie nicht wiederzuerkennen, ihre sonst so roten Wangen waren blass und ihre blauen Augen wirkten trüb und verquollen. Auch ihr Lachen war nicht mehr zu vernehmen, ihrer Arbeit ging sie eher mechanisch nach, und wenn jemand eine Frage an sie richtete, bekam er zwar eine Antwort, doch schien sie mit ihren Gedanken weit weg zu sein.
„Du solltest dich freuen, dass deine Schwester einen guten Mann bekommt“, sagte die Mutter, als Meta in der Küche nach dem Rechten sah, „stattdessen spielst du die Beleidigte. Dabei war Hellmut Wagner doch nur dein Brieffreund.“
„So“, sagte Meta hart, „freuen sollte ich mich? Ja, du hast Recht, er war m e i n Brieffreund. Aber lassen wir das, du willst einfach nicht sehen, dass deine süße Luise alles nur aus Berechnung tut...“
„Meta“, sagte die Mutter scharf, doch Meta drehte sich ruhig um und fuhr unbeirrt fort: „Ja, Meta, ich kenne seit meiner Kindheit dieses vorwurfsvolle ‚Meta’, aber heute bin ich fast einundzwanzig Jahre alt, und es kümmert mich nicht mehr. Hör zu, Mutter, deine Luise ist falsch, hinterhältig und führt euch alle an der Nase herum. Aber mir konnte sie noch nie etwas vormachen, und darum sage ich dir, sie macht sich nicht wirklich etwas aus Hellmut Wagner, nur der Gedanke war ihr verhasst, dass ihre hässliche Schwester einen Brieffreund hatte, und einen so gut aussehenden dazu, und so setzte sie sofort alles daran, ihn für sich zu gewinnen. Bitte, soll sie, und wenn es der Dame nun gefällt, Ehefrau eines sich im Krieg befindenden Marine-Leutnants zu spielen, so kann ich sie nicht daran hindern, aber verlange nicht von mir, dass ich mich darüber auch noch freue. Und an der Hochzeit nehme ich ganz sicher nicht teil. Ich besuche Omi in Altkelbunken, und komme erst zurück, wenn der Trubel vorbei ist.“
„Und wer kümmert sich um die Hochzeitsvorbereitungen?“ flötete Luises Stimme von der Tür her, „Mama, bitte, ich habe mich mit so vielen Sachen herumzuplagen, ich kann mich doch nicht noch um die Kocherei kümmern.“ Luise stand im Rahmen der Küchentür, klapperte mit ihren großen blauen Augen und sah ganz erschrocken aus.
„Meta wird uns schon nicht im Stich lassen“, sagte Gerda Prante und legte den Arm um ihre hübsche Tochter, nicht merkend, dass diese abwehrend das Gesicht verzog. Meta jedoch sah es und wurde plötzlich an den Tag vor neun Monaten erinnert, an dem sie zum ersten Mal von Hellmut Wagner gehört hatte....

„Post für dich“, sagte Luise spöttisch, als Meta am Abend des fünfzehnten März 1940, der ihr zwanzigster Geburtstag war, aus dem Büro kam, „unser Cousin Herbert scheint wirklich einen Narren an dir gefressen zu haben, aber das war ja schon früher so“, fügte sie ein wenig verächtlich hinzu. Doch Meta achtete nicht darauf, sondern fragte ärgerlich:
„Wieso bekomme ich den Brief erst jetzt, warum war er nicht bei der Geschäftspost?“
„Weil der Briefträger ihn mir gegeben hat“, war die schnippische Antwort.
Meta unterdrückte ihren Ärger, nahm der Schwester den Brief aus der Hand, und ging in ihr Zimmer, um ihn dort in Ruhe zu lesen.


Berlin, den 10.März 1940

Mein liebes Cousinchen,
zu Deinem Geburtstag sende ich Dir meine besten Wünsche und hoffe, dass Du Dir an diesem Tag nicht so viel an Arbeit aufbürdest, sondern einmal alle fünfe gerade sein lässt und eine kleine Feier veranstaltest.
Gerne würde ich mit feiern, doch die Verhältnisse, die sind nicht so, um es mit unserem lieben Wilhelm Busch zu sagen, den wir beide ja gleichermaßen verehren.
Hier habe ich übrigens einen Freund gefunden, und auch den über Wilhelm Busch. Hellmut Wagner heißt er, hat ebenso wie ich für jede Gelegenheit einen WB- Spruch parat, und wir haben jede Menge Spaß. Leider hat mein neuer Freund in wenigen Wochen seinen Offizierslehrgang beendet, und erhält vermutlich bald seinen Marschbefehl an die Front, weiß der Teufel, wohin.
Er stammt aus Danzig, hat jedoch eine Großmutter ganz in der Nähe von Sensburg, und sucht händeringend eine Brieffreundin. Ich habe da gleich an Dich gedacht, ich weiß doch, wie gerne Du schreibst. Bei der Gelegenheit bedanke ich mich noch einmal herzlich für Deinen letzten Brief, er hat mir sehr viel Spaß gemacht und so zeigte ich ihn Hellmut. Er war auch ganz begeistert. Wie Du es trotz Deiner vielen Arbeit fertig bringst, so lange humorvolle Brief zu schreiben, ist mir ein Rätsel, aber mach bitte weiter so.
Ich sehe immer Euren Hof vor mir, wenn Du über Eure täglichen Vorkommnisse berichtest. Du solltest Kurzgeschichten schreiben. Ja, ich weiß, dazu hast Du sicher im Moment keine Zeit, vielleicht später einmal, Deine Art zu schreiben ist wirklich zu schön.
Übrigens planen Hellmut und ich einen gemeinsamen Besuch in Ostpreußen, bei dem ich ihm dann auch meine Lieblingscousine Meta vorstellen möchte. Er ist schon sehr gespannt. Leider ist der Zeitpunkt noch ungewiss.
So, Meta-Mädchen, grüße bitte alle von mir, verlebe einen schönen Geburtstag , denk auch mal an mich, und lass Dich herzlich umarmen von Deinem Vetter Herbert.

PS: Beigefügte Zeilen sendet H.W. Dir.


Liebes Fräulein Meta!

Auch ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrem Geburtstag und hoffe, dass wir sehr bald die Gelegenheit haben werden, uns persönlich zu sehen. Herbert erzählt so viel von Ihnen und Ihrer gemeinsamen Kindheit, dass ich glaube, Sie schon recht gut zu kennen.
Es würde mich sehr freuen, wenn Sie Lust hätten, mit mir in Briefkontakt zu treten. Sie müssen wissen, dass ich keine Geschwister habe, und so eine nette Cousine wie mein Freund Herbert leider auch nicht.
Ihnen wünsche ich einen schönen Tag, und mir, dass Sie mir recht bald schreiben mögen.

Alles Liebe und herzliche Grüße
Ihr Hellmut Wagner.

PS.
Anbei ein Bild von Herbert und mir, damit Sie wenigsten in etwa eine Ahnung haben, wie ich aussehe.

Und dann hielt Meta eine Fotografie in Händen, auf dem neben Herbert ein gutaussehender junger Mann abgelichtet war, dessen Lächeln ihr Herz schneller klopfen ließ. Natürlich hatte sie ihm bald darauf geschrieben, und so war sehr schnell ein reger Briefverkehr entstanden, der von Luise mit bissigen Bemerkungen kommentiert wurde, die Meta jedoch ungerührt an sich abprallen ließ.

Doch dann war Hellmut Wagners überraschender Besuch erfolgt. Meta hatte ausgerechnet an diesem Tag Besorgungen in Sensburg erledigt, und als sie am späten Nachmittag den Einspänner in die Hofeinfahrt lenkte, fiel ihr sofort der fremde Wagen auf, der auf dem Hof parkte. Vor ihm stand Luise mit einem gutaussehenden jungen Mann, der im Begriff war, einzusteigen.
„Ach, da kommt ja meine Schwester Meta“, sagte Luise in ihrem herablassenden Ton, den sie immer anschlug, wenn sie mit ihrer Schwester sprach, „da hast du aber Glück, das du Herrn Wagner noch antriffst, er wollte gerade wieder fahren.“
Sie betrachtete die Schwester lauernd, ergriff Hellmut Wagners Hand und in dem Moment wusste Meta, dass er für sie verloren war, noch bevor sie ihn kennen gelernt hatte. Sie sah den verliebten Blick, den er Luise zuwarf, bevor er sich mit einer entschuldigenden Geste an Meta wandte.
„Guten Tag, Meta“, sagte er ein wenig befangen, streifte sie mit einem raschen Blick bevor seine Augen sich wieder an Luises Gesicht festsaugten, „ich muss leider weiter, aber ich komme sobald als möglich wieder. Adieu.“ Er winkte Meta kurz zu, zog Luises Hand zärtlich an die Lippen, stieg in seinen Wagen und brauste davon.
Meta stand wie vom Donner gerührt und glaubte, der Blitz müsse sie treffen, als sie ihre Schwester sagen hörte:
„Du brauchst ihm nicht mehr zu schreiben, von jetzt an übernehme ich das.“
Meta antwortete nicht, sondern ging müde ins Haus, und von diesem Tag an war ihr fröhliches Lachen verstummt....

„Also, Meta, was ist nun“, holte sie Luises ein wenig schrille Stimme aus ihren Gedanken, „du lässt mich doch nicht im Stich? Außerdem kann meine einzige Schwester doch nicht bei meiner Hochzeit fehlen.“
„Und ob sie das kann“, antwortete Meta, ihre Augen wanderten zwischen Luise und ihrer Mutter hin und her, und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie ähnlich die Beiden sich sahen und wie sehr sich auch ihre Charaktere glichen. In zwanzig Jahren würde die schöne Luise bestimmt ebenso breit wie die Mutter sein. Dieser Gedanke erheiterte sie, und plötzlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
„Was ist denn so lustig?“ wollte Luise wissen, doch Meta schaute sie nur nachdenklich an.
„Sie ist dumm wie Bohnenstroh, und faul dazu“, schoss ihr durch den Kopf, und diese Gedanken lösten ihren Groll und ließen sie befreit aufatmen.
„Und, hilfst du nun bei den Hochzeitsvorbereitungen?“ fragte Gerda Prante ungeduldig.
„Nein“, antwortete Meta schlicht, „wir haben eine Köchin, ein Hausmädchen und da ihr nur im kleinen Kreis feiern wollt, sollte das für die paar Gäste genügen. Ich habe jedenfalls nicht die Absicht euer Dienstmädchen zu spielen. Und außerdem wirst du dich in Zukunft öfter im Büro blicken lassen müssen, so wie bisher geht es jedenfalls nicht weiter. Ich kann nicht alles alleine machen“, und mit diesen Worten verließ Meta ruhigen Schrittes die Küche, eine erstaunte Mutter und eine wütende Luise zurücklassend.
Meta verließ tatsächlich am 21.Januar 1941, einen Tag vor der geplanten Hochzeit ihr Elternhaus, fuhr mit dem Pferdeschlitten zur Großmutter nach Alt- Kelbunken, die sich sehr über den Besuch ihrer Lieblingsenkelin freute, und kehrte erst zwei Tage nach der Hochzeit, als Hellmut Wagner bereits wieder unterwegs zu seinem Marinestützpunkt war, nach Hause zurück.

„Wenn du dich weiterhin vor jeder Arbeit drückst, wird in Zukunft weder dein Zimmer sauber gemacht, noch deine Wäsche gewaschen, du hättest wenigstens die Geschäftspost erledigen können“, ärgerlich stürmte Meta im März 1941 in das Zimmer ihrer Schwester, wo Luise auf dem Bett lag.
„Ich kann wirklich nicht“, stöhnte sie, „mir ist so schlecht. Schon seit einiger Zeit geht es mir nicht gut, und es wird immer schlimmer. Was soll ich bloß machen?“ Sie sah tatsächlich elend aus, und so unterdrückte Meta ihren Ärger und setzte sich auf ihre Bettkante.
„Fieber scheinst du nicht zu haben“, stellte sie fest, während sie leicht über Luises Stirn strich, „aber ziemlich mitgenommen siehst du schon aus, ich werde Dr. Martens anrufen.“ Doch plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
„Luise, freu dich, du bist schwanger. Ach, hast du ein Glück.“ Meta war ganz eigenartig zu Mute, sie streckte die Hände aus, um die Schwester zu umarmen, doch entsetzt hielt sie inne, denn Luise hatte sich mit verzerrtem Gesicht aufgerichtet und starrte sie beinahe hasserfüllt an.
„Schwanger? Bist du verrückt? O, nein, ich bin nicht schwanger, nie und nimmer bin ich schwanger. Ich will kein Kind. Nein, nein, nein“, sie sprang vom Bett und stampfte wie ein unartiges Kind mit den Füßen auf den Boden.
„Nein, ich will keinen schreienden Balg, ich will mein Leben genießen und mir nicht meine Figur versauen lassen. Ja, das könnte dir so passen, deine Schwester wird dick und unförmig, und hat einen schreienden Balg am Hals. Aber daraus wird nichts, ich werde Mittel und Wege finden, damit nichts daraus wird. Ja, starr mich nur an. Weißt du nicht, zu wem man in solchen Fällen geht? Ach, meine arme unschuldige Schwester, unsere alte Hebamme Berta Heumann bringt nicht nur Gören auf die Welt, sie weiß auch...“
„Hör sofort auf damit“, schrie Meta entsetzt, „beruhige dich erst einmal...“
„Beruhigen? Ich will mich nicht beruhigen.“ Luise rannte zum Schrank und zerrte ihren Mantel heraus.„Auf der Stelle fahre ich zur alten Berta, auf der Stelle, sie muss mir helfen.“
„Wenn du das tust, zeige ich dich an“, sagte Meta gefährlich leise, „und was das bedeutet, weißt du sicher.“
Luise hielt inne und schaute Meta forschend an, und was sie sah, erschreckte sie.
„Das ist dein Ernst, nicht wahr?“ fragte sie, und als Meta entschlossen nickte, warf sie mit einer heftigen Bewegung den Mantel auf den Boden und ließ sich zitternd vor Wut aufs Bett fallen.
„Du bist wie üblich gegen mich, du bist gemein und widerlich, aber glaub ja nicht, dass ich mich von dir unterdrücken lasse. Ich finde schon eine Möglichkeit, verlass dich drauf. Du bist ja nur neidisch, dass Hellmut mich dir vorgezogen hat, aber da habt ihr euch beide verrechnet. Er, der mir diesen Balg angehängt hat, und du, die mich daran hindern will, ihn loszuwerden. Aber nicht mit mir. Ja, glotz nur, du wirst mich noch kennen lernen“, blanker Hass stand in ihren Augen.
Meta starrte in das verzerrte Gesicht, das nun gar nicht mehr hübsch, sondern aufgedunsen, hässlich und von so ohnmächtiger Wut entstellt war, dass es richtig abstoßend wirkte.
Sie wandte sich um, und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.
Im Flur lehnte sie sich zitternd an die Wand und schlug die Hände vors Gesicht. Ein Kind! Luise, dieses Monstrum, erwartete ein Kind, und was wollte sie? Es loswerden. Mein Gott, wie konnte das nur möglich sein? Meta spürte beinahe körperlichen Schmerz bei dem Gedanken, dass dieses kleine unschuldige Wesen womöglich nicht zur Welt kommen könnte. Aber nein, sie würde schon dafür sorgen, dass ihm nichts angetan würde. Warum nur war alles auf der Welt so ungerecht? Wie sehnlichst wünschte sie sich ein Kind, ach, was gäbe sie dafür, wenn es ihr Baby wäre.
„Meta“, hörte sie die matte Stimme ihres Vaters rufen.
„Ich komme, Papa“, sagte sie, atmete mehrmals tief durch und betrat sein Zimmer, krampfhaft bemüht, ein normales Lächeln zustande zu bringen.
„Komm her, mein Mädchen“, sagte Georg Prante und bedeutete der Tochter, sich auf den Stuhl neben sein Bett zu setzen.
Bereitwillig ging sie zu ihm, legte die Hand auf die seine, und spürte, wie die Erregung abklang und der heiteren Gelassenheit Platz machte, die sie immer in der Nähe des Vaters empfand. Sie beide wussten, dass Georg Prante nicht mehr all zu lange zu leben hatte, doch erschreckte sie diese Gewissheit nicht, sondern verband sie auf wundersame Weise noch mehr, als sie es ohnehin schon waren.
„Sie wird nichts von dem tun, was sie vorhin so lautstark angekündigt hat“, sagte er und seine blauen Augen lächelten leise, „weißt du, mein Mädchen, auch Luise hat es nicht so einfach, wie es dir scheinen mag.“
„Du hast es gehört?“ Meta streichelte über seine schmale weiße Hand, die einst so stark und zupackend gewesen war, und die nun kraftlos auf der Bettdecke lag.
„Ja, natürlich“, nickte er, „es bleibt mir nicht viel von dem verborgen, was im Haus geschieht. Weißt du, Meta, seit ich hier liege und dieser schreckliche Muskelschwund immer mehr Besitz von meinem Körper ergreift, habe ich genug Zeit, über alles nachzudenken. Fast muss ich dankbar dafür sein.“
„Dankbar? Papa, ich weiß nicht, dankbar wäre ich, wenn diese Krankheit wieder verschwände. Aber was meinst du damit, dass auch Luise es nicht so einfach habe wie es scheint?“
Liebevoll schaute Georg Prante seine Tochter an.
„Weißt du, mein Mädchen, ich sehe es so, wir alle, die wir hier auf Erden herumlaufen müssen, haben eine Aufgabe, die zu erfüllen wir hier sind. Und der liebe Gott hat jeden mit den dazu gehörenden Talenten ausgestattet. Dir wurden deine Klugheit, deine Gradlinigkeit und dein Mut mitgegeben, und so weit ich das beurteilen kann, hast du deine Gaben gut genutzt. Luise aber hat von alldem nichts, sie hat nur ihre Schönheit, und da sie die für die falschen Ziele einsetzt, wird es am Ende nicht gut für sie ausgehen. Ja, Meta, und darum glaube ich, dass sie eigentlich zu bedauern ist. Sie lebt nur nach außen, innen ist sie leer, so schrecklich das klingen mag. Aber haben wir das Recht, sie deshalb zu verurteilen? Sollte es nicht vielmehr unsere Aufgabe sein, ihr bei zu stehen? Ich kann ihr nicht mehr helfen, ich habe es leider in gesunden Zeiten versäumt, meine Pflicht ihr gegenüber zu erfüllen. Aber du, Meta, du bist stark, und darum bitte ich dich, begrab deinen Groll und hilf ihr, denn sie braucht deine Hilfe, jetzt mehr denn je. Tue es für mich, aber auch für dich, damit du nicht am Ende deines Weges dasselbe Schuldgefühl haben wirst, dass mich heute quält.“
Georg Prante schloss ermattet die Augen, hielt jedoch Metas Hand fest umschlossen.
„Ich bin noch nicht fertig“, flüsterte er nach einer Weile,
„Dann ruh dich aus, ich komme später wieder.“ Meta wollte sich erheben, doch der Vater schlug die Augen auf und sagte bestimmt:
„Nein, nicht später, ich möchte jetzt mit dir reden.“ Und als er ihr Erschrecken sah, fügte er lächelnd hinzu:
„Nein, nein, keine Angst, ein bisschen bleibe ich dir noch erhalten.“
Er schloss erneut die Augen, ohne jedoch ihre Hand los zu lassen.
Meta blieb ruhig sitzen und lauschte den vertrauten Geräuschen, die durch das geschlossene Fenster gedämpft herein drangen. Jemand schlug mit dumpfem Knall die Tür des Pferdestalles zu, schwere Schritte näherten sich dem Wohnhaus, verhielten, und dann schnappte die Eingangstür ins Schloss. Von der Straße vernahm sie das Rumpeln eines heran nahenden Pferdefuhrwerks, das jetzt durch den Torbogen holperte und kurz darauf klapperten Pferdehufe über den mit Kopfsteinen gepflasterten Hof. Ein lange gezogenes „Brrrr“ war zu vernehmen, gefolgt vom leisen Quietschen der Feststellbremse. Vergnügt pfeifend schien der Kutscher die Pferde ab zu schirren.
„Max Kowalski ist zurück gekommen“, sagte Georg Prante leise, „weißt du eigentlich, dass er dich liebt?“
Meta schrak auf und starrte den Vater sekundenlang verständnislos an.
„Wie kommst du darauf?“ fragte sie nach einer Weile kopfschüttelnd.
„Ich weiß es halt“, sagte er milde, „und du sollst wissen, dass ich froh wäre, wenn ich ihn an deiner Seite wüsste.“
„Aber Papa, Max könnte mein Vater sein, und außerdem werde ich überhaupt nicht heiraten.“
„Immer noch Liebeskummer?“ lächelte der Kranke, „aber auch der vergeht, glaub deinem alten Vater. Und was Max'ens älter sein betrifft, so sind es nur achtzehn Jahre, die er dir voraus hat. Darin liegt auch etwas Gutes, denn so schnell wie ein Gleichaltriger wird er sicher nicht eingezogen. Weißt du, mein Mädchen, es wäre eine Beruhigung für mich, wenn du in diesen schrecklichen Zeiten nicht alleine bliebest. Überlege dir die Sache doch einmal.“
„Aber Papa, was ist nur heute mit dir los?“ Meta fühlte sich überrumpelt, denn ihr war nie der Gedanke gekommen, dass Max Kowalskis Scherze ernst gemeint sein könnten.
„Hör zu, Meta, ich weiß sehr wohl, dass ich dir eine Last aufbürde, wenn ich dich bitte, deiner Schwester in ihrem Zustand und darüber hinaus beizustehen. Auch wirst du dich um deine Mutter kümmern müssen, und wie es überhaupt weiter geht, wenn dieser schreckliche Krieg nicht bald zu Ende ist, weiß ich wirklich nicht, sie holen ja immer mehr Pferde vom Hof. Ja, und was das bedeutet, brauche ich dir ja nicht näher zu erläutern, du wirst wohl über kurz oder lang den Geschäftsbetrieb aufgeben müssen.“
Georg Prante rang so mühsam nach Atem, dass Meta erschrocken aufstand, um den Arzt zu holen.
„Bleib“, flüsterte der Kranke, „ich weiß nicht wie viel Zeit mir noch bleibt, darum höre mir jetzt zu. Also, ich denke, dass Max dir ein guter Partner sein würde, auch wenn die Zeiten noch schlechter werden sollten. Versprich mir, dir alles, was ich sage gut zu überlegen, ja? Weißt du, Meta, jeder Mensch, der unseren Lebensweg kreuzt, ist in gewisser Weise wichtig für uns, und manche sind eben wichtiger als andere, so wie Max für dich. Ich hoffe, dass du das recht bald begreifst.“
Ermattet von der langen Rede schloss der Vater die Augen. Meta erhob sich, doch sofort verstärkte sich der Druck seiner Hand, er öffnete die Augen und murmelte:
„Versprich mir, dich deiner Schwester und ihres ungeborenen Kindes anzunehmen. Auch Luise ist wichtig für dich, sie bedarf deiner Hilfe ebenso wie deine Mutter, die leider ähnlich wie Luise ist.“ Ein flüchtiges Lächeln erhellte Georg Prantes Gesicht ehe er fort fuhr:
„Meta, ich habe deine Mutter damals geheiratet, weil sie das hübscheste Mädchen des Dorfes war, alles andere interessierte mich nicht. Aber es war wohl richtig so, sonst hätte ich ja nicht dich zur Tochter bekommen. Kannst du mir versprechen, dich um die Beiden, beziehungsweise um die Drei zu kümmern?“
„Ja, Papa, ich verspreche es dir, und was Max betrifft, nun, ich werde es mir wirklich überlegen. Aber nun ruhe dich aus, oder willst du dein erstes Enkelkind nicht mehr erleben?“
„O doch, das will ich. Danke, mein Mädchen, mir ist ein Stein vom Herzen gefallen.“ Und wieder schloss Georg Prante die Augen. Meta deckte ihn liebevoll zu und verließ auf Zehenspitzen sein Zimmer.
„Schick mir in einer Stunde Luise herein“, rief der Kranke ihr noch nach. Meta nickte, bevor sie leise die Tür schloss. Im Flur ließ sie sich in einen Korbstuhl fallen und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.
„Jeder ist wichtig, der unseren Lebensweg kreuzt?“ murmelte sie leise, „und was ist mit Hellmut Wagner, dessen Kind meine Schwester erwartet? Warum hat der meinen Lebensweg gekreuzt, nur damit ich leide? Und Max? Nein, da irrt Papa, niemals kann Max Kowalski wichtig für mich sein.“
Wie sollte Meta auch zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass Max Kowalski sehr wohl eine wichtige Rolle in ihrem Leben zugedacht war.

Fortsetzung folgt

Impressum

Texte: (c) rosenjule
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /