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Es war Heiligabend nach der Bescherung. Der kleine Moritz hatte mit leuchtenden Augen und roten Wangen eine ganze Menge an Geschenken ausgepackt und ziemlich gestaunt, denn er hatte beinahe alles bekommen, was er auf seinen Wunschzettel geschrieben hatte. Ein großes, buntbemaltes Schaukelpferd, einen Bauernhof, eine Eisenbahn, einen Lerncomputer und vieles mehr, ja, sogar das wunderschöne Märchenbuch, das er sich am allermeisten gewünscht hatte, fand er unter seinen Geschenken. Und nun saß er still auf einem Stuhl und las darin.
Doch plötzlich sprang er auf, lief zum Fenster, wo schon Kater Felix auf der Fensterbank hockte, und schaute hinaus. Obwohl es bereits Abend war, konnte er Häuser, Straßen und Bäume gut erkennen, denn die kleine Stadt war festlich erleuchtet. Auch in den Fenstern der Nachbarhäuser sah man Licht, und da es seit einer ganzen Weile zart und leise schneite, hatte sich der Schnee wie ein großes weißes Tuch über die ganze Landschaft gebreitet und schimmerte und glitzerte im Glanz der vielen Lichter so hell, dass es gar nicht richtig dunkel wurde.
Moritz schaute durch die wirbelnden Schneeflocken zum Himmel und seufzte immer wieder tief auf.
„Was hat der Junge nur“, fragte der Vater ein wenig besorgt die Mutter, „wir haben doch so viele seiner Wünsche erfüllt, und nun beachtet er die Sachen gar nicht, sondern starrt in den Himmel, als ob er auf werweißwas wartet.“
Die Mutter schaute ebenfalls besorgt zu Moritz, trat dann zu ihm, legte den Arm um seine Schultern und fragte leise:
„Moritz, worauf wartest du?“
„Das darf ich nicht sagen, denn wenn man es verrät, geht es nicht in Erfüllung“, antwortete Moritz, ohne den Blick vom Himmel zu nehmen.
„Schade“, bedauerte die Mutter und schaute nun ebenfalls den leise rieselnden Schneeflocken zu.
„So was aber auch“, brummte der Vater. Er war enttäuscht und ein bisschen ärgerlich, so viele Geschenke hatte der Junge bekommen, und was machte er? Stand am Fenster und starrte hinaus, und all die schönen Dinge lagen auf dem Fußboden.
Moritz aber schaute und schaute, und erst, als es Schlafenszeit war, löste er den Blick vom Himmel und ging traurig ins Bett.
„Lieber Gott“, betete er aus tiefstem Herzen, „bitte, bitte, hilf mir doch.“ Und dann schlief er ein.
Am ersten Weihnachtstag kamen die Großeltern und noch einige andere Verwandte und brachten auch noch Geschenke mit. Moritz packte alles aus, bedankte sich brav, legte die Sachen zu den anderen unter den Weihnachtsbaum, und stellte sich, als es anfing zu dämmern, erneut ans Fenster und schaute unbeweglich zum Himmel. Es schneite nicht mehr, aber auch heute wurde es nicht richtig dunkel, denn zu dem strahlenden Licht der Weihnachtsbeleuchtung gesellten sich nun noch unendlich viele Sterne, die funkelnd den klaren Himmel bedeckten, und auch der Mond leuchtete so hell, als ob er die Menschen zu Weihnachten besonders freundlich grüßen wollte.
Moritz stand am Fenster, rührte und regte sich nicht und hörte nicht einmal, dass die Großeltern von den Eltern wissen wollten, was denn mit dem sonst so fröhlichen Moritz passiert sei.
„Wir wissen es nicht“, sagte die Mutter, „er scheint auf irgendetwas zu warten, aber er will uns nicht sagen, worauf, weil es sonst angeblich nicht in Erfüllung geht.“

„Komisch“, meinte die Großmutter, „ich denke, er hat alle seine Wünsche auf den Zettel geschrieben.“
„Das dachte ich auch“, sagte der Vater, er war immer noch ein wenig ärgerlich, denn ein so komisches Weihnachtsfest hatte er überhaupt noch nicht erlebt.
Als Moritz dann am Abend im Bett war, fragte die Großmutter:
„Habt ihr Moritz eigentlich schon die Neuigkeit erzählt?“
„Nein“, antwortete die Mutter, „wir wollten es ihm gestern Abend, sozusagen als Weihnachtsüberraschung mitteilen, aber da er für nichts anderes Interesse hat, als in den Himmel zu starren, wollten wir lieber noch ein wenig warten.“
„Ich denke, ihr solltet es ihm morgen erzählen“, meinte der Großvater, „vielleicht wird er dann wieder unser alter fröhlicher Moritz.“
„Ja, du hast Recht“, nickte der Vater, „ich denke, morgen beim Frühstück werden wir es ihm sagen.“
Moritz hatte derweil in seinem Bett wieder ganz traurig gebetet und war nun endlich eingeschlafen. Doch plötzlich wurde er wach, er wusste auch nicht wovon. Schlaftrunken sprang er auf, torkelte zum Fenster und schaute hinaus. Und da sah er es und hielt vor Staunen den Atem an. Eine unendlich lange Sternschnuppe zog über den Himmel, so groß, so strahlend hell, wie Moritz sie sich schöner nicht hätte ausmalen können.
„Jetzt weiß ich, dass mein großer Wunsch in Erfüllung geht“, dachte er glücklich, legte sich wieder hin und schlief tief und fest die ganze Nacht hindurch.
Am nächsten Morgen hüpfte er fröhlich aus dem Bett, lief ins Wohnzimmer und setzte sich vergnügt zu Eltern und Großeltern an den Frühstückstisch.
„Wir müssen dir etwas Wunderschönes mitteilen“, sagte die Mutter. Moritz war überrascht, so schnell wirkte die Sternschnuppe?
Fragend schaute er die Mutter an, die räusperte sich ein bisschen und meinte dann:
„Moritz, du wirst in wenigen Monaten ein Geschwisterchen bekommen.“
Gespannt schauten die Großmutter, der Großvater, der Vater und die Mutter ihren Moritz an. Der biss herzhaft in sein Brötchen und sagte fröhlich:
„Ich weiß, denn das habt ihr mir zu verdanken. Ich wünsche mir schon lange ein Brüderchen, aber so ein Wunsch geht nur in Erfüllung, wenn man eine Sternschnuppe sieht. Darum habe ich die ganze Zeit am Fenster gestanden und in den Himmel geschaut. Und heute Nacht habe ich die größte und schönste Sternschnuppe gesehen, die man sich vorstellen kann. Juhu, und darum bekomme ich jetzt ein Brüderchen, aber bis Juni müssen wir noch warten.“
„Ach“, sagte die Mutter verblüfft und sank auf einen Stuhl, während der Vater und die Großeltern vor lauter Staunen ihre Münder nicht mehr zu bekamen. „Und woher weißt du das so genau?“
„Na, das steht doch in meinem neuen Märchenbuch, darum musste ich das unbedingt haben. Bei meinem Freund Michi hat das vorige Weihnachten auch geklappt. Was meint ihr wohl, wem seine Eltern das neue Baby zu verdanken haben?“
„Du meinst deinem Freund Michi? Moritz, das musst du mir genauer erklären“, der Großvater sah aus, als ob er keine Luft mehr bekäme, ganz rot war er im Gesicht, und Tränen funkelten auch in seinen Augen. Ob er sich so über das neue Enkelkind freute?
„Also, das ist so“, erklärte Moritz stolz, „wenn man sich etwas wünscht, das es nicht im Geschäft zu kaufen gibt, muss man warten, bis eine Sternschnuppe am Himmel ist, und dann geht der Wunsch in Erfüllung.“
„Aha“, meinte der Großvater, „aber wäre es nicht einfacher, wenn du das auf deinen Wunschzettel geschrieben hättest.“
„Das nützt bei solchen Wünschen gar nichts“, sagte Moritz kopfschüttelnd, die Großen wussten aber auch rein gar nichts von Wünschen, „das war bei Michi nämlich genauso, und ihr wisst ja, dass er im Juni sein kleines Schwesterchen bekommen hat.“
„Ach so, und darum glaubst du, dass dein Brüderchen auch im Juni zur Welt kommt?“ wollte die Großmutter wissen, „aber was machst du, wenn es ein Mädchen wird?“
„Ach, Omi“, lachte Moritz mitleidig, „ich habe mir doch einen Bruder gewünscht und nicht ein Schwesterchen, wie Michi. Darum ist doch klar, dass es ein Junge wird.“
„Klar“, lachte der Vater und der Großvater nickte heftig mit dem Kopf.
„Ist wirklich sonnenklar“, meinte er schmunzelnd, und nun nickte auch die Omi.
„Na, endlich habt ihr es verstanden.“ Moritz rutschte von seinem Stuhl, lief zu seinen Geschenken und zu aller Freude spielte er nun endlich mit den schönen Sachen, und der Kater Felix schaute aufmerksam zu.
Wie die Geschichte ausging? Nun, am dreizehnten Juni bekam Moritz tatsächlich ein Brüderchen, das wurde auf den Namen Maximilian getauft. Und so gab es wie bei Wilhelm Busch zwei Brüder, die Max und Moritz hießen.


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Texte: copyright by rosenjule Foto Google
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2010

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