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Jedes Traurige birgt auch Kurioses in sich…

Marie war gerade zwanzig Jahre alt, als ihre Mutter starb. Natürlich war das eine sehr traurige Erfahrung, aber wenige Wochen später lernte sie „Nono“ kennen.
Nono war damals 47 Jahre alt, für eine Zwanzig- Jährige natürlich ziemlich alt, aber Nono und Marie verstanden sich auf Anhieb und das blieb auch so, als Marie sich nach kurzer heftiger Ehe von deren „kleinem Bruder“ trennte.
Für Marie und ihre kleine Tochter wurde Paderborn, dort lebte Nono, zum Wochenend- Zuhause.
Freitags nach Dienstschluss ging es Richtung Paderborn und Sonntag- Nachmittag schweren Herzens wieder nach Bielefeld, denn dort lebten sie zu der Zeit.
Später, als Marie wieder heiratete, gehörte Nono selbstverständlich auch zu ihrer neuen Familie. Zunächst von Schwiegermutter, Schwager und Schwägerin argwöhnisch beäugt, doch recht bald auch von ihnen voll akzeptiert. Genauso wie Nonos Bruder Heinzi, der in Kanada lebt.
Wie rasch doch die Zeit vergeht. Auch Marie wurde älter, nur der Abstand von 27 Jahren, der sie und Nono trennte, schrumpfte nicht. Bisher jedenfalls nicht.
Nach dem überraschenden Tod ihres Mannes zog Marie von Bielefeld nach Ibbenbüren in die Nähe ihrer Tochter und ist dort recht glücklich. Ein Jahr später wurde für Nono das Verbleiben in der eigenen Wohnung unmöglich, und siehe da, auch sie zog nach Ibbenbüren, allerdings ins betreute Wohnen, in Maries Nähe.
Nono lebte dort nach anfänglichen Schwierigkeiten recht glücklich, denn ihr einziger Sohn hatte schon vor langen Jahren Berlin zu seinem Lebensmittelpunkt gewählt.
Auch er war’s zufrieden, dass seine Mutter in Maries Nähe lebte. Einige schöne Jahre folgten, doch auch im Seniorendomizil gab es plötzlich unangenehme Begleiterscheinungen.
Eine neue Mitbewohnerin, die direkt in das Appartement über Nono eingezogen war, litt wohl unter starker Schwerhörigkeit, denn ihr Fernseher lief bis spät in die Nacht so laut, dass nicht nur in Nonos Wohnung jedes Wort zu verstehen war. Sämtliche Versuche der Heimleitung, den Lärm zu unterbinden, schlugen fehl, Frau Wiesengrund konnte angeblich nicht mit Kopfhörern fernsehen. Allerdings hatte sie ein Einsehen, und beendete ihre Fernsehzeit jetzt zwischen 22 und 23Uhr. Ihre Mitbewohner konnten aufatmen.
Vor ein paar Monaten nun starb Frau Wiesengrund und es kehrte wieder Ruhe im Seniorendomizil ein. Nono konnte das jedoch nicht mehr so recht genießen, denn es ging ihr nicht sehr gut. Zuerst bekam sie eine derbe Erkältung, dann wurde sie immer kraftloser, Schmerzen plagten sie und sie fühlte sich nur noch unwohl.
Marie fuhr zweimal pro Tag zu ihr, saß oft lange Zeit schweigend bei ihr und hielt ihre Hand. Manchmal bekam die sonst so schlagfertige Nono Wortfindungsschwierigkeiten und baute alles in allem recht schnell ab.
Schließlich musste sie ins Krankenhaus, Sohn Dietrich kam und dann verabschiedete Nono sich für immer von ihm und Marie.
Nun gibt es Nono also nicht mehr, Marie und ihre Angehörigen sind sehr traurig, und Marie wird nun von Jahr zu Jahr sehen, wie der Altersunterschied schrumpft.
Als sie zur Beerdigung hinter dem Sarg herschritt, überkam sie abgrundtiefe Traurigkeit und sie weinte sehr.
Doch als sie zu dem anonymen Feld kamen, auf dem Nono beerdigt werden wollte, konnte Marie ein Lächeln nicht unterdrücken. Auf der Stele, auf der die Namen der dort Beerdigten eingemeißelt werden können, stand an erster Stelle „Frau Wiesengrund“.
Marie erzählte das später den Verwandten, die das gar nicht mitbekommen hatten, da sagte Nonos Sohn Dietrich mit gekonnt erschrockener Miene:
„Hoffentlich hat sie ihren Fernseher nicht mitgenommen.“

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Das Titelbild zeigt "Nono" während ihres Umzugs von Paderborn nach Ibbenbüren, als wir während des Einpackens einen alten Strohhut und die große Schürze fanden.

Impressum

Texte: copyright by rosenjule Photo: Dietrich von Plettenberg
Tag der Veröffentlichung: 16.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Unserer unvergessenen "Nono"

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