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Die Katzentreppe oder „Die absoluten Herren des Hauses“

Bereits als Kind wollte Marie Theater-Schauspielerin werden, aber dieser Wunsch wurde von den Eltern immer nur belächelt und darum wurde sie von ihnen auch in keinster Weise unterstützt.
Als junge Frau dann trug sie Zeitungen aus, um sich den Traum erfüllen und eine Schauspielschule finanzieren zu können.
Sie hatte sich eine Schule in Düsseldorf ausgesucht, mit der Leiterin telefoniert und einen Termin zur Vorstellung vereinbart. Noch heute sieht sie diese Schauspielschule vor sich, und kann sie in beinahe allen Einzelheiten schildern.
Besonders beeindruckend fand sie bei ihrem ersten Besuch allerdings „die absoluten Herren des Hauses“, über die sie in diesem Buch berichten will:

Der alten Villa sah man trotz ihres etwas verwilderten Zustandes an, dass sie einmal bessere Zeiten erlebt hatte. Von üppigem Efeu umrankt, die hohen Fenster abweisend geschlossen, wirkte sie auf Marie stolz, unnahbar und anheimelnd zugleich. Der schmiedeeiserne Zaun, teilweise verrostet, ließ nur an wenigen Stellen erkennen, dass er vor langer Zeit einmal weiß lackiert gewesen sein musste. Und doch verlieh er dem Anwesen etwas Feudales.
Das Gartentor quietschte erwartungsgemäß, als Marie es öffnete und den Gehweg zum Haus betrat. Grünliches Moos schimmerte durch die Ritzen der grauen Platten, die durch den leicht verwilderten Vorgarten geradewegs zu einer verschnörkelten Haustüre führten. Marie trat unwillkürlich leise auf, denn Garten und Haus schienen im Dornröschenschlaf zu liegen.
Sie hatte den von Efeu überwucherten Klingelknopf an der grauen Hauswand entdeckt und drückte darauf, während sie las, was auf dem darüber angebrachten weißen Emailleschild in schwarzen Buchstaben geschrieben stand:

Düsseldorfer Schauspielschule
Leitung: Nora Hengstenberg
Berufsausbildung für Bühne, Film und Fernsehen
Tages und Abendklasse

Marie hatte plötzlich Herzklopfen, als sich die schwere Haustüre knarrend öffnete.
Ein junges Mädchen, bekleidet mit Gymnastikschuhen, enger Hose, zu der sie einen lässig geschnittenen Rollkragenpullover trug, lachte sie freundlich an.
„Eine neue Schülerin?“ fragte sie neugierig und ließ Marie eintreten. „Kommen Sie bitte mit, Frau Hengstenberg ist oben im Unterrichtsraum.“ Die Haustür fiel mit dumpfem Knall ins Schloss, und das verdunkelte den Eingangsbereich so, dass Marie für einen Moment kaum etwas sehen konnte.
„Hier oben bin ich“, rief das junge Mädchen, Marie schaute hinauf und traute ihren Augen kaum. Die breite, nach oben führende Holztreppe mit dem geschwungenen Geländer war voller Katzen.
Beinahe auf jeder Stufe räkelten sich zwei, drei oder gar mehr. Manche schliefen, andere spielten oder lagen träge blinzelnd herum, ließen ihre Schwänze baumeln und betrachteten gelangweilt oder missbilligend den Neuankömmling.
„Keine Angst, sie beißen nicht“, erklang nun eine andere Stimme, „kommen Sie ruhig herauf, ich habe Sie schon erwartet.“ Eine ungemein dicke Frau mit grauem Pagenkopf, bekleidet mit Gymnastikschuhen und einem sackähnlichen mittelblauen Gewand erschien jetzt am Ende der Treppe und winkte ihre Besucherin freundlich herauf.
Marie ging zur Treppe und verhielt den Schritt, denn keine der Katzen machte Anstalten ihren Platz zu räumen.
„Daran gewöhnt man sich schnell“, sagte die dicke Dame lachend, „meine Katzen sind die absoluten Herren des Hauses.“
An den absoluten Herren des Hauses vorbei, kletterte Marie nun vorsichtig die breite Treppe hinauf, jeden freien Platz nutzend, begleitet von neugierigen oder trägen Katzenaugen, deren Besitzer nicht einen Millimeter zur Seite rückten.
(Später, als Schülerin besagter Schule, musste sie dann erfahren, dass die Katzen ab und an gerne die an ihnen vorbei schleichenden Beine als Katzenbaum missbrauchten, um ihre Krallen zu schärfen. Es blieb dabei jedoch immer bei oberflächlichen Kratzern, allerdings hatte Marie den Eindruck, dass die Katzen sich einen Spaß daraus machten.)
Oben wurde sie von der lachenden Dame in Empfang genommen und das spätere angeregte Gespräch endete damit, dass Marie ab sofort Schauspielschülerin der Abend- Klasse war, und für etwa ein Jahr diese Schule besuchte. Leider nur für ein Jahr, denn bedingt durch ihren Umzug nach Bielefeld musste sie der geliebten Schule Adieu sagen.
Dennoch hat sie in diesem einen Jahr, das mit zu den schönsten ihres Lebens gehört, sehr viel gelernt und gibt davon einiges in Theater- Projekten weiter.


Impressum

Texte: copyright by rosenjule
Tag der Veröffentlichung: 23.04.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Schauspiel- Lehrerin Nora Hengstenberg und ihren Katzen gewidmet

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