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Es war ein wunderschöner Tag, an dem Maries verstorbener Mann sechzig Jahre alt geworden wäre, und diese Tatsache machte ihn für Marie noch unerträglicher.
„Ich muss etwas unternehmen“, dachte sie beim Frühstück, das ihr heute gar nicht schmecken wollte, „sonst werde ich verrückt.“
Gesagt, getan, sie setzte sich in ihr Auto und fuhr nach Rheine.
Dort stöberte sie in verschiedenen Bekleidungsgeschäften, kaufte einen viel zu teuren Pullover und suchte danach eine Buchhandlung auf. Mit drei Büchern setzte sie sich in eine Leseecke, und wusste schnell, dass zwei davon genau die Richtigen für sie waren, also wurden sie gekauft.
Es war inzwischen Mittag geworden, und ihr Magen meldete sich. Da kam Marie ein Cafe’ gerade recht. Sie ging hinein, setzte sich an einen freien Tisch, und während sie noch die Karte studierte, kam schon die Kellnerin, und fragte nach ihren Wünschen.
Marie erschrak, denn ihr fiel siedendheiß ein, dass sie Pullover und Bücher bar bezahlt hatte, und ihr Portemonnaie demzufolge beinahe leer sein musste.
Hastig sprang sie auf, raffte ihre Sachen zusammen und rief der verdutzten Kellnerin zu, dass sie gleich wieder komme.
Als sie Geld aus dem Automaten gezogen hatte, wollte sie zu dem Cafe’ zurückgehen, doch plötzlich stand sie vor einem anderen, dass ihr vorher noch nicht aufgefallen war.
Ziemlich voll war es hier. An einem Tisch saß eine einzelne Dame, doch als Marie darauf zusteuerte, schaute die so grimmig, dass sie schnell weiter ging. In einer Ecke waren zwei kleine Tische zusammen geschoben. Auch dort saß eine ältere Dame.
Sie schaute Marie freundlich entgegen und nickte erfreut, als sie fragte, ob sie hier Platz nehmen dürfe.
Marie holte sich an der Theke ein Tellergericht und einen Kaffee und aß im Gegensatz zum Morgen mit gutem Appetit.
Plötzlich hielt sie inne, denn sie hörte ein leises Schluchzen. Erstaunt schaute sie auf ihre Tischnachbarin, die arme Frau weinte richtig dicke Tränen.
„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte Marie mitfühlend. Sie hätte am liebsten mitgeheult.
„Ach, Entschuldigung“, schluchzte die Frau, „es ist mir so peinlich, aber wenn es mich überkommt, kann ich nichts dagegen tun. Wissen Sie, mein Mann ist vor neun Monaten gestorben, und da mir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, bin ich mit dem Bus in die Stadt gefahren.“
Und nun erfuhr Marie, dass der Mann Berufssoldat gewesen sei, und vor vierzig Jahren nach Rheine versetzt worden war. Natürlich war die Familie von Gelsenkirchen mit hierher gezogen, aber die ganzen Verwandten seien immer noch in Gelsenkirchen. Die einzige Tochter wiederum wohne mit ihrem Mann in Soest, und nun säße sie hier in dem großen Haus ganz alleine. Marie konnte das sehr gut mitfühlen und hörte geduldig zu.
„Und wissen Sie, was das Schlimmste ist“, sagte die Dame am Schluss, „mein Mann hätte heute Geburtstag, und wäre siebzig geworden.“
„Und wissen Sie, was für mich schlimm ist“, sagte Marie mit einem kleinen Lächeln, „mein Mann hätte heute auch Geburtstag, aber der würde erst sechzig.“
„Oh“, sagte die Frau, und nun schaute sie Marie mitfühlend an. „Tut mir leid, dass ich...“ „Schon in Ordnung“, unterbrach sie Marie, „es hat uns sicher beiden gut getan, an diesem Tag auf eine Leidensgenossin zu treffen. Alles Gute wünsche ich Ihnen.“ „Ich Ihnen auch, und danke fürs Zuhören.“ Sie nickten sich noch einmal freundlich zu und Marie ging leicht und beschwingt zu ihrem Auto.

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Texte: copyright by rosenjule
Tag der Veröffentlichung: 25.02.2010

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