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„Mich schmerzt mein Herz...“

Marie schrieb bereits als Kind für Freundin Ulla und sich kleine Theaterszenen, die die Mädchen dann voller Inbrunst am Kriegerdenkmal ihres Heimatortes aufführten.
Eine Szene ist ihr bis heute besonders in Erinnerung geblieben, nämlich die, in der Freundin Ulla tränenden Blickes sagen sollte:
„Mich schmerzt mein Herz bei diesem Anblick...“ Der Anblick wäre der imaginäre, leblos daliegende Prinz gewesen, der jedoch beileibe nicht tot, sondern nur bewusstlos zu sein hatte, was allerdings die „Herzschmerzhabende“ laut Rolle nicht wusste.
Wie auch immer, Freundin Ulla weigerte sich, diesen Satz zu sagen, weil er ihrer Meinung nach nicht richtig war.
„Ich sage ja auch, „mir“ tut das Herz weh, wieso soll „mich“ jetzt mein Herz schmerzen?“ beharrte sie.
„Weil es richtig ist“, entgegnete Marie. Es ging hin und her, Marie dachte nicht im Traum daran, ihr „schönes“ Stück umzuschreiben, Ulla dachte nicht im Traum daran, diesen Satz zu sagen und schließlich gingen die damals zwölf Jahre jungen Damen im Streit auseinander, und hatten nun ihrerseits „Herzschmerz“, denn eine Woche lang redeten die besten Freundinnen nicht miteinander.
Und dann kam Marie auf die Idee, den Deutschlehrer Herrn Cremer zu fragen, ob er die Richtigkeit dieses Satzes bestätigen könne. Er konnte, und fügte hinzu, dass Marie ein wirklich gutes Sprachgefühl habe. Letzteres stimmte Marie nicht nur froh, sondern auch gnädig, sie schrieb den bewussten Satz in „mir tut das Herz weh“ um, und aller Herzschmerz war vergessen.
Viele Jahre sind seitdem vergangen und immer konnte Marie sich auf ihr Sprachgefühl verlassen, doch seit der Schreibreform scheint es sie verlassen zu haben.
„Das wird dir noch leid tun“, diesen Satz zu schreiben, hätte ihr früher keinen Gedanken abgefordert, doch wie wird das heute geschrieben? Leid groß oder klein, leid und tun zusammen oder getrennt? „Ich habe dir ein Leid angetan!“ In diesem Fall wird „Leid“ natürlich groß geschrieben, aber nun auch bei: „Es tut mir Leid?“
Es tut Marie wirklich Leid, denn kaum hatte sie sich an das „Leid“ gewöhnt, stand die Reform der Reform an, das hieß Rolle rückwärts für einige reformierte Redewendungen, oder besser Schreibwendungen. Verflixt, Marie musste nun wieder ständig ihren Schreibfluss unterbrechen, weil sie nicht wusste, wie dieses oder jenes richtig geschrieben wurde.
Eines aber steht fest; die Reformer haben Marie ein „Leid angetan“, denn „sie schmerzt ihr Herz“, wenn sie an ihr verlorenes Sprachgefühl denkt. Ob es möglicher Weise wieder kommt?
Apropos „möglicher Weise“, wird es nun zusammen, auseinander, groß und klein oder klein und groß...“ Ach, lassen wir das!!!


Impressum

Texte: copyright by rosenjule
Tag der Veröffentlichung: 25.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Freundin Ulla gewidmet

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