Cover

Marie und die fünf Tibeter

Vor etwa zwanzig Jahren begann Marie mit Yogaübungen. Nachdem sie zwei Kurse darüber absolviert hatte, stellte sie sich mit Hilfe eines Yogabuches ein Übungsprogramm zusammen, das sie jahrelang beinahe täglich ausübte. Natürlich hatte sie nicht immer Lust, aber dennoch hielt sie es recht gut durch.
Vor einigen Jahren nun fiel ihr das Buch „Die fünf Tibeter“, in die Hände. Marie war so fasziniert, dass sie es an einem Tag durchlas. Bei den fünf Tibetern handelt es sich um yogaähnliche Übungen, die nacheinander einundzwanzig Mal ausgeführt, bewirken sollen, dass der Körper sich verjüngt. So zumindest steht es in dem Buch.
Sofort begann Marie mit den Übungen, die recht einfach nachzumachen sind. Sie startete, wie empfohlen, mit drei Wiederholungen der einzelnen Figuren, die von Woche zu Woche um drei gesteigert werden sollen, bis man schließlich mühelos jede Übung einundzwanzig Mal ausüben kann.
Bedingt durch ihr jahrelanges Yogatraining war sie allerdings bereits in der dritten Woche in der Lage, alle Figuren einundzwanzig Mal zu machen. Sie merkte von Tag zu Tag mehr, wie gut ihr die Übungen taten, und erzählte begeistert ihren Freunden und Verwandten davon. Und nicht nur das, sie schenkte, angefangen bei Freundin Gerda, über Freundin Hanna, Tochter, Nichte bis hin zu Schwager Heinz in Kanada allen dieses Wunderbuch und es hatte den Anschein, als teilten die Beschenkten ihre Begeisterung.
Doch inzwischen sieht es anders aus. Freundin Gerda kann leider nicht, ihr Knie macht da nicht mit, Freundin Hanna hat absolut keine Zeit, sie arbeitet ja soviel. Tochter und Nichte fragt Marie gar nicht mehr, und Schwager Heinz hat dummerweise etwas mit der Hand.
Auch die Mitspielerinnen der Theatergruppe schauen Marie nur mitleidig an, wenn sie ihnen in leuchtenden Farben die Vorteile der „fünf Tibeter“ schildert, und nun versteht Marie die Welt nicht mehr, will denn wirklich niemand jünger werden???
Na, ja, zugegeben, jünger sieht sie nach Jahren konsequenter Übungen auch nicht aus, aber große Vorteile haben die Übungen dennoch gebracht. Marie hat viel mehr Kraft, so kann sie zum Beispiel den Küchentisch ins Wohnzimmer tragen, früher zog sie ihn über den Boden, und machte manchen Kratzer ins Parkett. Außerdem ist ihr kürzlich aufgefallen, dass ihr rechtes Knie überhaupt nicht mehr knirscht, wenn sie es beugt. Vor wenigen Jahren hörte sich das noch ganz anders an. Und überhaupt, sie fühlt sich sehr viel wohler, und darum wird sie ihre fünf Tibeter weiter machen.
Die anderen brauchen ihr also nichts mehr vorzujammern, wer nicht hören will...

Da fällt ihr ein, den Damen aus der Schreibgruppe hat sie noch nichts davon erzählt, ob die vielleicht...?


Impressum

Texte: copyright by rosenjule
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /