Marie und der Marderhund
Marie wäre als Kind gern die Tochter eines Försters gewesen, und da das leider nicht der Fall war, beschloss sie, als Erwachsene einen solchen zu heiraten.
Sie stellte es sich wunderbar vor, mit ihrem künftigen Ehemann und einem Jagdhund durch den Wald zu streifen und stundenlang von einem Hochsitz aus die Tiere des Waldes zu beobachten.
Natürlich kam alles ganz anders, doch den Traum, eines Tages auf einen Hochsitz zu klettern, und Rehe und werweißwas für Tiere betrachten zu können, gab sie nie auf.
Ja, und dann traf sie im Jahr 2001 endlich ihren Vetter Eckard aus Stralsund, von dessen Existenz sie zwar immer gewusst hatte, den kennen zu lernen ihr jedoch durch die Mauer verwehrt geblieben war, und dieser Vetter war Forstingenieur und leidenschaftlicher Jäger. Marie und Eckard sowie dessen Frau Bärbel mochten sich auf Anhieb, und als sie ihrem Cousin von ihrem heimlichen Wunsch erzählte, versprach der sofort, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Im Sommer dieses Jahres, als Marie zu Besuch in Stralsund weilte, war es dann so weit. Eines Nachmittags, bei herrlichem Wetter, stiefelten sie los, Vetter Eckard zünftig in Jägerkleidung und bewaffnet mit einem Gewehr. Letzteres gehört zu einem Jäger wie der Jägerhut, wurde ihr auf ihre etwas bange Frage erklärt. Im Wald angekommen, sagte Eckard plötzlich:
„Die Sauen haben gebrochen.“ Marie schaute sich um, aber Erbrochenes sah sie nicht, ihr Vetter lachte und zeigte auf den aufgewühlten Waldweg:
„Die Sauen haben sich nicht übergeben, sondern den Weg nach Fressbarem durchsucht, das heißt, die Sauen haben gebrochen“, erklärte er.
„Die Säue haben also“... begann Marie wurde aber sofort korrigiert. „Nein, nicht die Säue, die Sauen.“ Noch einige Begriffe der Jägersprache wurden ihr an dem Abend erklärt, und dann waren sie endlich am Hochsitz, nein, an der „geschlossenen Kanzel“, das Teil hatte nämlich ein Dach, bzw., ach egal, sie kletterten schließlich hinauf und nahmen in der „geschlossenen Kanzel“ Platz. Es war ein wunderschöner Abend, die Sonne war schon sehr tief und tauchte alles in goldenes Licht, Vogelstimmen waren zu vernehmen und ab und an leises Knacken zur Linken, leises Knacken zur Rechten, doch weder Rehe, Sauen noch anderes Wild ließ sich sehen. Dennoch war es wunderbar und eine tiefe Ruhe breitete sich in Marie aus, plötzlich flüsterte Eckard:
„Da, rechts auf dem Waldweg, ein Marderhund!“ Marie beugte den Kopf nach rechts, sah ein waschbärenähnliches Tier den Weg entlang kommen und fiel vor Schreck fast von der Hochsitzbank, denn ein ohrenbetäubender Knall zerriss die wunderbare Stille, das Tier fiel zur Seite, schlug ein paar Mal mit seinem Schweif und lag schließlich ganz still da.
„Blattschuss“, sagte Eckard stolz und Marie kämpfte mit den Tränen.
„Der zweite Marderhund“, flüsterte Eckard wenig später. Marie schaute entsetzt auf den Waldweg, sah Vetter Eckard das Gewehr erneut anlegen und flehte leise, aber inständig in Richtung Marderhund:
„Lauf weg, lauf bitte weg, sonst knallt er dich auch noch ab!!“ Und was machte der Marderhund? Er drehte sich um und verschwand im Dickicht.
„Schade“, meinte Eckard, während Marie erfreut grinste.
Später wurde ihr dann erklärt, dass die Marderhunde von Russland und Polen eingewandert sind und in unseren Wäldern sehr viel Schaden anrichten. Zudem vermehren sie sich explosionsartig, bis zu zwölf Welpen können bei einem Wurf zur Welt kommen, und darum gibt es für sie keine Schonzeit. Wo immer ein Jäger auf einen Marderhund trifft, ist es seine Pflicht, ihn zu erlegen, und möglichst untersuchen zu lassen.
„Mag ja alles sein“, dachte Marie, „aber mir hat der blöde Schuss den Abend verdorben“, und sie nahm sich vor, bei ihrem nächsten „Kanzelbesuch“, der dann für einen frühen Morgen geplant ist, laut zu niesen, wenn ein Tier in der Nähe ist, und das übt sie nun schon!!!
Texte: copyright by rosenjule
Tag der Veröffentlichung: 19.12.2009
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