Kürzlich las Marie in ihrer Tageszeitung einen Leserbrief, in dem die Schreiberin beklagte, dass es in der Apotheke keine Linie mit dem Vermerk „Bitte Abstand halten“ gäbe, wie es bei Post und Bank inzwischen selbstverständlich sei.
Eigentlich bedauert Marie das ganz und gar nicht, denn gerade in der Apotheke kann es oftmals zu interessanten Gesprächen kommen. Doch nach Lektüre dieser Zeilen nahm sie sich vor, ab sofort einen größeren Abstand zwischen sich und ihrer Vorderfrau (oder Vordermann) zu lassen. Man kann ja nie wissen, womöglich steht eines Tages ebendiese Dame direkt vor Marie und fühlt sich von ihr bedrängt.
Und überhaupt könnte es ja sein, dass andere Kunden und Kundinnen sich insgeheim auch so eine Abstandslinie wünschen.
Wie auch immer, Marie war kürzlich wieder in „ihrer“ Apotheke und vermied natürlich tunlichst, ihrer Vorderfrau zu sehr auf die Pelle zu rücken. Dennoch bekam sie mit, dass diese Kundin, es handelte sich um eine ältere Dame, von der jungen Apothekerin wissen wollte, ob ein bestimmtes Ginkgo- Präparat empfehlenswert sei.
Marie wurde ganz zappelig, denn mit eben diesem Mittel hatte sie wirklich gute Erfahrungen gemacht, doch eingedenk des oben erwähnten Leserbriefes hielt sie ihre Zunge im Zaum und schaute demonstrativ in eine andere Richtung.
Es ging und ging nicht voran, die Dame konnte sich einfach nicht entscheiden. Marie schaute sich um und sah, dass die Schlange lang und länger wurde. Dennoch biss sie sich tapfer auf die Lippe, um nicht doch noch „ihren Senf dazuzugeben“. Plötzlich zeigte die Apothekerin in einem Anflug von Verzweiflung auf Marie und sagte:
„Fragen Sie doch die Kundin dort nach ihren Erfahrungen, sie benutzt das Präparat bereits seit einiger Zeit wegen gelegentlicher Ohrgeräusche.“
Aller Augen lagen nun auf Marie und in dem Moment merkte sie, dass sie sehr wohl mit der Schreiberin besagten Leserbriefes konform ging, denn nun wäre sie am liebsten weit hinter eine imaginäre Abstandslinie zurück gewichen. Wer gibt auch schon gerne in aller Öffentlichkeit zu, dass er, wenn auch nur gelegentlich, „Ohrgeräusche“ hatte, die nach wochenlanger Einnahme besagten Mittels allerdings längst verschwunden waren.
Übrigens kaufte die Dame das von Marie erprobte Mittel, nicht ohne ihr verschmitzt zu zu flüstern, dass auch sie an gelegentlichen „Ohrgeräuschen“ leide.
Und nun ist Marie wieder unsicher, Abstandslinie ja, oder lieber doch nicht???
Tag der Veröffentlichung: 28.10.2009
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