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Ich will frei sein...

Die Welt, wie ich sie wahrnehme, ist laut, voll und gedrängt. Geräusche, vor allem in vollen

Zügen, der Stadt und in engen Räumen oder auch gut gefüllten Hallen, sind eine Qual für mich. Ich nehme sie nur als Rauschen wahr, das mich bedrängt. Ich kann nichts herausfiltern, nichts anderes wahrnehmen, und mag auch keine Nähe zu anderen, fühle mich schnell bedrängt.

Aus diesen Gründen lebe ich zurückgezogen am Stadtrand, in meiner kleinen Wohnung, die ich abgeschottet habe. Mein Therapeut sagt, das liegt an meiner Art, die Umwelt zu sehen. Anders als andere, teils intensiver, vieles blende ich komplett aus.

Wie ein Laserstrahl, hat er mir erklärt. Meine Aufmerksamkeit wird auf eine Sache gezogen, der Rest ist nur am Rand vorhanden und nicht interessant.

Dafür ist in meinem Kopf umso mehr los. Ich lerne gerne, ziehe mir regelmäßig Dokus rein und lese viel.

Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom im Erwachsenenalter, sagt der Therapeut, sowie eine PTBS, eine Posttraumatische Belastungsstörung.

Klingt schlimm? Ist es auch.

Wie gerne würde ich die Welt so sehen wie andere. Mich fühlen wie andere. Doch das tue ich nicht. Ich bin allein in meiner Welt, denn die da draußen verstehe ich nur bedingt. Allerdings

habe ich halbwegs gelernt, damit umzugehen, aber meine Umwelt nimmt mich als Störfaktor war. Mein Verhalten entspricht nicht der Norm, ich bin schnell nervös oder bekomme einen Panikanfall. Menschenmassen mag ich nicht und ziehe die Ruhe und Abgeschiedenheit vor.

 

Heute bin ich an den Waldsee gefahren, weil die Sonne mich so angelacht hat. Am See habe ich meine Ruhe, denn die meisten gehen viel lieber ins Freibad oder einen anderen Ort, wo sie ihre Freunde treffen können.

Hier ist Natur pur, nichts wurde verändert. Nur ab und zu eine Parkbank, auf die man sich setzen kann. Wenn man ganz mutig ist, kann man auch schwimmen gehen, aber der See kippt vor allem im Sommer schnell und ist damit nicht gerade beliebt bei Sonnenanbetern, die gerne ins Wasser gehen.

Genau deshalb liebe ich diesen Ort. Hier habe ich meine Ruhe, hier bin ich ich und niemand schaut mich schief an.

Ab und zu kommt jemand mit seinem Hund vorbei, aber die interessieren sich nicht für den komischen Kauz, der auf einer Parkbank sitzt, die Arme auf der Rückenlehne ausgebreitet und in den Himmel starrt.

Ich liebe diesen Ausblick nach oben. So blau. So...frei. Ganz viel Raum, wo sich niemand zu nahe kommt und man seine Ruhe hat.

Irgendwann schließe ich die Augen und genieße die Sonne, die mein Gesicht streichelt. Frühling. Ich liebe diese Jahreszeit, doch leider neigt sie sich dem Ende zu. Die Temperaturen klettern schon seit einigen Tagen immer weiter gen dreißig. Mir ist zu warm. Viel zu warm- da bleibe ich lieber zu Hause.

Jetzt, am Vormittag, geht es. Da ist es noch angenehm. Mit einem leisen Seufzen öffne ich die Augen und setze mich gerade hin, schnappe mir den Rucksack, den ich immer dabei habe und hole mein Notebook hervor. Neue Ideen haben sich gebildet, die ich gleich aufschreiben will, bevor sie sich dauernd in meinem Kopf drehen, bis ich dann darin versinke.

Ich bin ein Tagträumer, wie meine Mutter immer gesagt hat. Den Kopf in den Wolken und die Augen in ferne Welten gerichtet. Sie fand das nicht gut, als wir noch Kontakt hatten, und ich vermute, das hat sich bis heute nicht geändert. Wissen tu ich es nicht, dafür haben wir uns zu lange nicht gesehen. Es hat seine Gründe warum.

Hastig tippe ich meine Gedanken und Ideen in das Dokument und speichere es ab. Meine Fantasie hat mir geholfen, mich in der Realität zurechtzufinden, mal mehr, mal weniger. Wenn ich meine Gedanken aufgeschrieben habe, kann ich mich wieder auf die Umwelt einlassen. Bedingt, aber es geht. Das Chaos in meinem Kopf hat nur für mich ein System, andere würden es sprunghaft oder bekloppt nennen.

Wie auch immer. Ich bin zufrieden, wie es ist, habe meinen Frieden und kann so leben, dass ich mich gut fühle. Bis auf eines: Mir fehlt die Nähe eines Partners. Doof, weil ich keine Nähe mag? Nur die fremder Menschen nicht. Ich hasse es, wenn sie mir zu nahe kommen.

Trotzdem hätte ich gerne jemanden, dem ich wichtig bin, der mich akzeptiert und nicht versucht, mich so zu formen, wie er es will. Alles schon gehabt und es hat mir nicht gut getan. Es gibt nur sehr wenige, die mit meinen Eigenheiten klarkommen, und selbst die halte ich ein bisschen auf Abstand. Ich habe verlernt zu vertrauen, sehe überall Verrat um mich herum.

Kein Wunder bei dem, was ich erlebt habe in meinen dreiunddreißig Jahren auf Erden.

Lautes Lachen und Grölen holt meine Aufmerksamkeit wieder in die Realität zurück. Wer stört die Ruhe dieses herrlichen Ortes?

Am anderen Ufer des Sees kann ich eine Gruppe von Leuten erkennen. Männer und Frauen. Sie lachen ausgelassen, knuffen sich gegenseitig und machen den Eindruck, als wären sie mit sich und der Welt im Reinen.

Wie alt sie wohl sind? Ich schätze, so in meinem Alter, aber sie haben sich ihre Jugendlichkeit bewahrt. Das Kind in sich leben lassen.

Eine schöne Vorstellung. Ich kann beobachten, wie sie sich gegenseitig mit Witzen aufziehen, während sie ihre Fahrräder an die Bäume lehnen und sich am Ufer ausbreiten. Ein Picknick, wenn mich nicht alles täuscht. Körbe tauchen auf, die auf den Gepäckträgern festgemacht waren, Essen und Decken werden verteilt, auch einige Getränke sind zu sehen.

Plötzlich fühle ich mich einsamer als jemals zuvor. Ausgeschlossen. Allein. Nicht dazugehörig.

Verrückt? Ja. Vielleicht.

Mit ruckartigen Bewegungen packe ich das Notebook in den Rucksack, stehe auf und gehe am Ufer entlang, bis ich zu der Abzweigung komme, die mich nach Hause bringt. Die Gruppe ignoriere ich. Ich kann nicht sagen warum, aber ich fühle mich unwohl in deren Nähe. Es macht mir einen Kloß im Hals und beschert mir einen Stein im Magen. Je näher ich der Abzweigung komme, desto schneller werden meine Schritte. Am Ende renne ich den schmalen Waldweg entlang, verliere die Umgebung aus den Augen und sehe nur noch diesen Weg, der mich nach Hause bringt, in meine sicheren vier Wände.

Zu Hause angekommen arbeitet meine Lunge wie ein Dampfhammer und mein Herz rast, stellt einen neuen Rekord auf. Adrenalin pumpt durch mich hindurch. Langsam macht sich ein Gefühl in mir breit: In Sicherheit. Die Gefahr ist hinter mir, kann mich nicht mehr einholen.
Welche Gefahr?, würden jetzt viele Fragen. Ich kann es nicht beantworten. Das Gefühl ist einfach da. Aus dem Nichts, ohne erkennbaren Grund.

Deswegen bin ich auch in Therapie. Um dem auf den Grund zu gehen, es in den Griff zu bekommen. Nur leider sind wir bisher keinen Schritt weiter, weil mein Hirn sich weigert, die Informationen preis zu geben, die wir bräuchten, damit wir einen Schritt vorwärts kommen. Es ist frustrierend. Wenigstens tut mir das Reden mit dem Therapeuten gut, auch wenn ich mich danach immer ausgewrungen fühle.

Wie jetzt. Das Adrenalin lässt nach, mein Herz kehrt zu seinem normalen Rhythmus zurück, der Atem beruhigt sich. Müdigkeit überkommt mich, Schwäche macht sich in meinem Körper breit. Den Rucksack lasse ich einfach im Flur liegen, streife die Schuhe ab und wanke zum Sofa, wo ich mich einfach fallen lasse. Mit letzter Kraft ziehe ich meine kuschelige Flauschdecke über mich, dann schlafe ich auch schon ein vor lauter Erschöpfung.

Nur langsam werde ich wach. Wärme hüllt mich ein und ich merke, dass ich auf meiner Couch liege. Das Fleece der Decke ist angenehm auf der Haut, gibt mir seine Wärme und Geborgenheit.

Minutenlang bleibe ich liegen, gehe noch einmal die Situation am See durch. Es ging keinerlei Bedrohung von der Gruppe aus, und doch hat mein Körper, eher mein Hirn, mir signalisiert, das Gefahr im Anzug ist. Gefahr, die ich nicht kenne, der ich aber schnellstens entgehen muss.

Gruppen. Ja, es sind meistens Gruppen, die mich noch schneller als sonst den Rückzug antreten lassen, wenn ich irgendwo allein bin, so wie an dem See.

Mein Therapeut meinte, dass könnte auch am Mobbing liegen, unter dem ich zehn Schuljahre litt. Von Anfang an stellte ich fest, dass ich anders war, anders tickte als die anderen. Weil die anderen Schüler mich nicht verstanden, wurde ich gehänselt, ausgegrenzt, gemobbt. In der höheren Schule ging ich von Anfang an auf Distanz zu den anderen und steckte meine Nase viel lieber in Bücher, um meinem hungrigen Gehirn Nahrung zu verschaffen.

Allerdings waren die Mitschüler nun viel gemeiner als früher. Meine Sachen verschwanden und tauchten an den ungewöhnlichsten Orten wieder auf, wie zum Beispiel in der Schultoilette, getränkt mit Sachen, die ich bis heute nicht wissen will. Hausaufgaben verschwanden oder wurden zerfetzt, die Schulbücher verschandelt und vieles mehr.

In dieser Zeit fing ich an, meine Tagträume aufzuschreiben. Ein Lehrer entdeckte das per Zufall und attestierte mir, dass ich Romane schreiben könnte, so schön waren die Bilder, die ich mit meinen Worten beschrieb. Sehr ausdrucksvoll, nannte er es.

Es kam, wie es kommen musste. Mitschüler bekamen es mit und da wurde es dann richtig schlimm. Nerd war da noch harmlos als Schimpfwort. Kein Wunder, hatte ich in fast allen Fächern Bestnoten.

Viele Lehrer versuchten, mir das Abitur schmackhaft zu machen, aber noch drei Jahre Schulhölle...Nein Danke!

Weg mit den Gedanken, sie bringen mich ja doch nicht weiter. Zumindest weiß ich, warum ich keine Gruppen mag, die so ausgelassen fröhlich sind.

Aufstehen, Zähne putzen, um den bitteren Geschmack loszuwerden und dann mal sehen, was der Kühlschrank hergibt. Nicht viel. Ich war seit Tagen nicht mehr einkaufen, habe es immer weiter vor mir hergeschoben. Ich hasse es, durch die engen Gänge zu gehen, in

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Celine Blue
Bildmaterialien: K. Wirth
Lektorat: K. Wirth / Korrektorat
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2015
ISBN: 978-3-7368-9181-4

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
"Jede Furcht rührt daher, dass wir etwas lieben." Thomas von Aquin

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