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Bestrickend – unter Protest direkt ins Herz

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

hier haben Sissi Kaiserlos und ich uns eine Idee geteilt. Sissi hat den Part von Robert übernommen, ich den von Franklin.

Dies ist meine erste Gemeinschaftsarbeit und ich muss eines sagen: Es hat wahnsinnigen Spaß gemacht!

Herzlichen Dank Sissi!

Liebe Grüße

Rose

 

 

Ein ganz normaler Samstag in Hamburg…

 

Ich habe bei Facebook inzwischen über tausend Zusagen zu der ‚Handarbeit‘-Aktion. DAS wird ein Fest, wenn lauter wichsende Kerle heute Mittag den Mönckebergbrunnen mit ihrer Anwesenheit beehren werden. Ich selbst bin auch schon ganz fickerig bei dem Gedanken. Schnell erledige ich den Haushalt, kaufe ein und mache mich danach fertig. Perücke, Makeup, der falsche Schnauzbart und schrill bunte Klamotten. Voilà, fertig ist der Künstler.

Normalerweise bin ich ein grauer Bürohengst, in Anzug mit Schlips und glänzend polierten Schuhen. Jetzt befinde ich mich in meiner Komfortzone, als schriller Künstler ohne Hemmungen.

Der normale Robert würde NIEMALS seinen Schwanz in der Öffentlichkeit auspacken, doch dieser Robert hier – der wird es tun. Es juckt mir sogar in den Fingern, schon in der Bahn das Spiel zu beginnen. Doch – gleich den bekannten Flashmobs – soll die Aktion erst am Mönckebergbrunnen beginnen und dort innerhalb von fünf Minuten vorbei sein. Das Transparent mit dem Slogan ‚Auch Schwuchteln sind Menschen‘ halte ich fest in meinen Armen. Die Blicke der anderen Fahrgäste sprechen Bände, aber das stört mich nicht. Ich bin individuell und ein Held, wenn ich diese Aktion durchziehe.

Die Weiber bestricken und behäkeln Bäume und öffentliches Allgemeingut, doch ich will es härter, männlicher und - gemäß dem Slogan - werden wir heute ‚Handarbeit im öffentlichen Raum‘ praktizieren, nicht nur andeuten, sondern nackte und sehr echte Tatsachen präsentieren.

Die U-Bahn hält an der Haltestelle ‚Mönckebergstraße‘ und ich quetsche mich mit dem aufgerollten Transparent durch die Menschenmassen. Es ist gerade Frühling und das Wetter schön, doch das ist kein Grund, hier die Einkaufsmeile zu verstopfen, finde ich zumindest.

 

Ich erreiche den Mönckebergbrunnen und schaue mich um. Von den erwarteten tausend Teilnehmern müssen inzwischen mindestens fünfhundert vorhanden sein, den interessierten Blicken nach zu urteilen, die sich viele der Kerle zuwerfen. Ich bin überwältigt, schaue auf meine Armbanduhr und überlege, wie ich den Countdown starte, als ich in der Menge plötzlich ein nur allzu bekanntes Gesicht entdecke. Franklin, mein Arbeitskollege.

Hilfe! Ich bin nicht geoutet und will keinesfalls, dass er mich erkennt. Der Bart und die Perücke sind hilfreich, aber meine Augen! Die Sonnenbrille habe ich nicht dabei, also muss ich mich in Deckung begeben. Doch der Countdown kann nur von mir kommen.

Inzwischen ist der Platz richtig voll. Ich nähere mich dem Brunnen, klettere auf die Umrandung und hebe das Transparent hoch.

„Auch Schwuchteln sind Menschen“, rufe ich laut. „Lasst es uns allen zeigen.“

Ich stehe dort oben und hole mit einer Hand meinen Schwanz heraus, da ich in der anderen das Transparent halte. Alle Männer folgen meinem Beispiel und schon bald erklingt unser Stöhnen unisono über den Platz.

Um uns herum scheint alles stillzustehen. Passanten glotzen und sogar die Busse halten an, nur um uns bei diesem festlichen Handjob zuzusehen. Die Blicke der Teilnehmer sind auf mich gerichtet und das macht mich noch geiler. Gekonnt bringe ich mich zum Abschuss und stelle gerade noch fest, dass auch Franklins Augen an mir hängen, bevor ich über die Klippe springe.

WAS für ein Anblick. Überall spritzt Sperma und Gesichter verzerren sich lustvoll. Ich lande gerade und gucke jetzt Franklin zu, wie sich dieser in Ekstase massiert und mit geschlossenen Augen kommt. Wow! Er ist schon so ein echter Hingucker, mit den dunklen Haaren und Augen, doch nun mutiert er zur Schönheit. Ich glotze ihn an und werde erst von den Trillerpfeifen der anrückenden Bullen zurück in die Wirklichkeit geholt.

„Danke für euer Kommen“, rufe ich und wedele dabei mit den Armen. „Nun seht zu, dass ihr fortkommt.“

Sogleich springe auch ich von der Umrandung und laufe zur nächsten U-Bahn Station. Der Zug fährt gerade ein und ich stürze mich – zusammen mit vielen anderen Teilnehmern – in ein Abteil. Wie es der Zufall so will steht Franklin nicht weit weg von mir und glotzt mich fortwährend an. Ich senke den Blick und drehe ihm den Rücken zu. Das Transparent musste ich zurücklasen, leider. Hoffentlich nehmen die Bullen keine Fingerabdrücke oder gar DNA Spuren, dann bin ich geliefert…

 

Fritz zwitschert schon aufgeregt, als ich meine Wohnung betrete. Schnell werfe ich die warme Perücke ab und entferne auch den Bart. Ob Franklin einen Verdacht hat? Ich schwärme schon seit ein paar Monaten für ihn, genauer gesagt seit er mein Kollege ist, also seit knapp dreizehn Wochen.

Nachdem ich den Kanarienvogel versorgt habe, springe ich unter die Dusche und verwandle mich wieder in Robert, den unauffälligen Angestellten. Bis zur nächsten Aktion werde ich so bleiben, damit sich die Wogen glätten können.

 

Im Vorabendprogramm finde ich unter den regionalen Berichten tatsächlich eine Reportage über meine Aktion. Die Reporterin berichtet über notgeile Kerle und lässt den eigentlichen Sinn der Sache völlig außer Acht. Miese Schlampe! Ich stelle die Glotze aus und schnappe mir ein Buch.

 

Bis es Montag ist habe ich die Aufregung verdaut. Meist dauert der Adrenalinkick mehrere Tage an, doch diesmal ist er gedämpft dadurch, dass ich Franklin fürchte und beständig hoffe, dass er mich nicht wiedererkennt.

 

Zuerst ist alles normal. Ich grüße links und rechts, während ich durch das Großraumbüro zu meiner Nische laufe. Bis Mittag passiert nichts Außergewöhnliches, doch dann…

„Kommst du mit in die Kantine?“, fragt Franklin und lehnt dabei lässig an dem Sichtschutz, der meinen Arbeitsplatz abschirmt.

„Wäh?“, mache ich erschrocken und hoffe, dass er nicht gesehen hat, was zuletzt auf meinem Bildschirm flimmerte.

Nein, es waren keine nackten Kerle, sondern ein Bericht über die samstägliche Protestaktion. Reaktionsstark habe ich sofort den Bildschirmschoner eingeschaltet, als Franklins Stimme erklang. Doch – vielleicht stand er schon länger dort…?

„Du und ich – Kantine – essen“, wiederholt mein Kollege und grinst dabei breit.

„Oh – ja – klar – gute Idee“, stottere ich und krame aus der Schublade meine Geldbörse hervor.

 

„Ich wohne noch nicht lange in Hamburg und kenne kaum Leute“, erklärt Franklin auf dem Weg zur betriebseigenen Kantine. „Ich hab dich schon oft beobachtet und finde, du wirkst nett.“

Oho! Jetzt muss ich aufpassen.

„Nett“, frage ich lachend. „Ist das eine Auszeichnung oder nur ein Standardattribut?“

„Ich gebe nie Standard-Komplimente“, sagt Franklin leicht beleidigt.

„Ooookay.“ Ich schlage ihm kumpelhaft auf die Schulter. „Danke, ich finde, du siehst auch ganz nett aus.“

Nett ist hierbei noch untertrieben, er sieht fantastisch aus, selbst im Anzug. Jetzt haben wir den Schnellfraß-Tempel erreicht und stellen uns, mit Tabletts bewaffnet, an der Schlange an. Bis zur Kasse schweigen wir und ich laufe zu einem Zweiertisch am Fenster. Franklin setzt sich mir gegenüber hin und mustert kritisch das ‚Schnitzel nach Wiener Art‘, dass er sich todesmutig bestellt hat.

„Ich hoffe, dass dieses Stück Fleisch nicht nach Wien gereist ist, bevor es auf meinem Teller landete“, witzelt er ironisch.

„Ich bevorzuge aus diesem Grund vegetarisch“, erwidere ich schulmeisterlich.

„Hey, Alter, ich könnte das ‚nett‘ noch zurücknehmen“, brummt Franklin.

„‘tschuldige“, murmele ich und widme mich der Gemüsepfanne mit Tofu nach Balkan Art.

Was genau daran Balkan sein soll, außer der scharfen Soße, ich weiß es nicht. Als mein Teller leer ist trinke ich einen halben Liter Mineralwasser und ringe nach Luft. Mein Gesicht ist bestimmt puterrot und die Kehle brennt immer noch.

„Hat’s geschmeckt?“, fragt Franklin, der das halbe Schnitzel liegengelassen hat.

„Oh – ja – äh“, bringe ich mühsam heraus und tonlos reicht er mir seine Wasserflasche.

Genauso wortlos steht er auf und besorgt Nachschub. Ich nehme erleichtert das neue Löschwasser an und merke, wie es langsam besser wird.

„Sag mal, Robert“, murmelt Franklin, wobei er mich intensiv mustert. „Magst du Tiere?“

„Oh ja, ich habe einen Kanarienvogel“, sage ich und lächle irritiert.

Ist das eine Fangfrage? Sind Vogelbesitzer nicht schwul oder umgekehrt? Ich kenne mich mit den Vorurteilen nicht richtig aus, weiß nur, dass sich unsereiner nicht für Fußball interessiert.

„Magst du Ballsport?“, frage ich zurück.

Jetzt guckt Franklin irritiert und nickt nach einer Weile.

„Ja, sogar sehr. Ich lass mir kein Spiel entgehen, wenn es um die Fußball EM geht“, erklärt er nüchtern.

Okay, ich resümiere: er mag Ballspiele und ist – da er bei der Aktion war – schwul. Oder – ist er es nicht und wollte nur mal in der Öffentlichkeit wichsen? Möglich ist das, sofern man ein Exhibitionist ist, schwul muss man dafür nicht sein.

„Deine Augen“, sagt Franklin und glotzt mir ins Gesicht, „Deine Augen kommen mir so bekannt vor. Neulich, da habe ich…“

„Ja, es ist verblüffend, wie viele Leute genau die gleichen Augen haben wie ich“, unterbreche ich ihn.

„Hm – ja – wahrscheinlich“, brummelt mein Kollege und seufzt leise. „Was ich eigentlich fragen wollte: magst du Katzen?“

Wird das hier ein Test? Ich nicke stumm.

„Dann – würdest du für ein paar Tage Katze Berta in deine Obhut nehmen?“, fragt Franklin mit einem hoffnungsvollen Lächeln. „Ich muss auf eine Fortbildung und weiß wirklich nicht, wen ich sonst fragen soll.“

Holla! Jetzt sind wir also schon so weit, dass ich sein Haustier betreuen darf. Zögernd beiße ich mir auf die Lippe.

 

+++++

 

 

Ich beiße mir vor Nervosität auf die Wangeninnenseite und bete zu Gott –an den ich nicht glaube- dass er ja sagt. Da ich doch erst seit kurzem in dieser Stadt wohne habe ich bisher noch keine Freunde gefunden, aber diese Fortbildung ist immens wichtig für mich. Meine Berta will ich nicht in eine unpersönliche Pension geben, da sie dort wahrscheinlich nicht auf ihre Besonderheiten eingehen.

Erneut starre ich Robert an. Diese blauen Augen! Zum Niederknien. Trotz seiner Aussage erinnern sie mich an irgendwen, ich komme nur nicht darauf. Verflixt aber auch!

Er kaut immer noch auf seiner Lippe herum. Wenn er so weitermacht bleibt nicht mehr viel zum Küssen übrig, was sehr schade wäre. Ich wäre jetzt so gerne anstelle der Zähne!

„Ähm, Robert?“, frage ich vorsichtig nach.

Er sieht auf, stößt einen Seufzer aus und nickt dann: „Okay, ich nehme sie. Aber nur für ein paar Tage!“

Erleichtert lasse ich die Luft aus meinen Lungen strömen, die ich unwillkürlich angehalten habe. Zugleich wird mir bewusst, dass das endlich der Durchbruch sein könnte! Schon seit Tagen überlege ich, wie ich ihn näher kennen lernen kann. Da kam die Fortbildung gerade recht. Schritt 1 erledigt.

Schritt 2: Herausfinden, ob er auf Männer steht. Aber wie ich das machen soll - keine Ahnung.

„Wann willst du sie mir den vorbeibringen?“, unterbricht Robert meine Gedanken.

„Na ja, da ich am Mittwoch weg muss, dachte ich an morgen Abend. Würde das passen?“

Robert nickt. Dann erhebt er sich, und ich kann nur starren. Dieser Kerl ist einfach riesig.

„Kommst du?“, brummt er und schnappt sich sein Tablett.

Hastig stehe ich auf, greife meins und wanke hinter ihm her. Was für ein knackiger Hintern! Ich bin kurz versucht, ihn anzurempeln, nur um einmal irgendwie an seine Kehrseite fassen zu können, kann es mir aber gerade so verkneifen.

In friedlicher Eintracht kehren wir in unsere „Büros“ zurück.

In meinem Separee angekommen lasse ich mich wenig elegant auf den Stuhl fallen. Hab ich ein Glück, das er mir aus der Klemme hilft.

 

Den restlichen Tag sehe ich Robert nur aus der Ferne und da er pünktlich Feierabend macht, bekomme ich ihn nach fünf Uhr nicht mehr zu Gesicht. Schade. Ich hätte so gerne noch die Aussicht genossen. Doch leider muss ich noch einiges erledigen, bevor ich fahre.

 

Auf dem Weg nach Hause kaufe ich noch die aktuellen Zeitungen, in denen von der Aktion am Mönckebergbrunnen berichtet wird. Daheim angekommen schneide ich fein säuberlich alle Berichte aus und klebe sie in das kleine Album, das ich mir gebastelt habe. Auch die Berichte aus dem Internet habe ich soweit als möglich ausgedruckt.

Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich tatsächlich dort war! Aber es war geil!

Purer Zufall, dass ich davon erfahren habe. Ein Kumpel aus meiner alten Stadt hat mich in Facebook angeschrieben und gemeint: Guck, da macht einer ne geile Aktion!

Mich packte die Abenteuerlust. Zudem war es ja für einen guten Zweck: Gleichberechtigung für Schwule! Ganz mein Motto.

 

 

Impressum

Texte: Sissi Kaipurgay / Celine Blue
Bildmaterialien: shutterstock designed by Sissi
Tag der Veröffentlichung: 07.06.2013

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