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Meine Weihnachtsgeschichte mit meinem Onkel Harry

Mein Name ist Kail Shiral und ich war gerade einmal 13 Jahre alt.

Meine Eltern hatten ständig Streit, ein Grund für sie etwas für Ihre Ehe zu tun.
Das war eben Erwachsenenkram, und sie dachten, ich kleiner Junge wie ich verstehe davon noch nicht viel. Aber das war mir egal.

So überlegten sie wo ich für die Zeit ihrer Selbstfindung und Kittung ihrer Ehe unter kommen konnte. Anruf von Onkel Harry, genügte. Mein Lieblingsonkel übernahm diesen Part sehr gerne und freute sich, nicht alleine zu einer so langen Fahrt zum Transport von Weihnachtsgeschenken nach Mazedonien aufbrechen zu müssen.
Harry und ich telefonierten oft miteinander, und verstanden uns prima.
Ich freute mich sehr, einmal nicht den ständigen Streitereien, meiner Eltern ausgesetzt zu sein.
So war es eine beschlossene Sache, und in drei Wochen sollte es auch schon losgehen. Ich war sehr aufgeregt, und hippelig und meiner besorgten Mutter ging ich schon gewaltig auf die Nerven!

Ich weiß es noch ganz genau als wäre es gestern gewesen...
Es war um Weihnachten 1995...

Ich schlief hinten in der Koje des Weihnachtstrucks, verschlafen, rieb ich meine Augen, kroch nach vorne und setzte mich neben Harry.
“Ausgeschlafen sprach mich mein Onkel Harry an.
„Ich glaube schon“ antwortete ich und er lachte.
“Wo sind wir hier?“ wollte ich wissen.
“An der Grenze nach Mazedonien. Hast du Hunger?“ fragte Harry.
“Nein“ antwortete ich. „Darf ich aussteigen, und mir die Füße vertreten, bitte wir stehen doch eh.”
„Nein wir sind gleich mit der Grenzkontrolle dran, Kail“
“Stehst du schon lange?“
„Ja schon eine ganze Weile, “spracht Harry und strich mir über den Kopf.
Das alles war so unbekannt und aufregend für mich, und ich sah ihn mit großen Augen an. Onkel Harry war einfach toll und ich bewunderte ihn dafür.

Wir hatten drei Tage Fahrt hinter uns, die geprägt waren durch lange Fahrt-Etappen, abwechselnd mit Schlafen bei klirrender Kälte und langen Wartezeiten an den Grenzen. Mit Händen und Füßen verhandelten wir, da wir die fremde Sprache nicht beherrschten, und warten bis die weiterfahrt endlich erlaubt wurde. Wir mussten Papiere zeigen und Stempel sammeln (am Ende waren es ca. 400 Stempel für 8 Lkws, 12.000 Pakete und über 3.500 Kilometer). Am anstrengendsten war das stundenlange geradeaus Fahren mit Tempo 83 km/h und der Austausch mit den anderen Fahrern über Funk, der oft gestört war. Trotzdem waren alle gut drauf, denn es ist alles andere als Urlaub war, sondern diente einem humanitären Zweck.

Wir waren durch Schnee und Eis gefahren, haben uns über enge Pässe gequält, und ich habe allen die Daumen gedrückt, dass wir keine Schneeketten aufziehen müssen oder dass einer der LKWs stecken bleibt. Über Funk haben wir uns abgesprochen, gewarnt und Warnhinweise gegeben, wenn Hindernisse auf der Straße waren. Auch gab es manchmal ganz lustige Unterhaltungen. Wir machten auch viele Späße, vor allem, um das Fahren in der Nacht zu erleichtern. Wir „Weihnachtstrucker“ waren inzwischen zu einem tollen Team zusammengewachsen, alle mit dem gemeinsamen Ziel, die Weihnachtspakete rechtzeitig und unversehrt am Ziel anzuliefern. Dabei war auch sehr wichtig, dass keinem etwas passiert. Die Erwachsenen behandelten mich nicht wie ein Kind, sondern akzeptierten mich als ebenbürtig. Das schmeichelte mir sehr und ich fühlte mich in ihrer Gesellschaft sehr wohl.

Es sind sehr viele teilweise nicht mit Worten beschreibbare eindrücke, die wir alle auf der Fahrt über tausende von Kilometern bekommen haben. Und so hat - denke ich - jeder Fahrer seine eigene Weihnachtstrucker -Geschichte, die ihn berührt und die der Grund dafür ist, im nächsten Jahr wieder, trotz aller Strapazen in den Truck zu steigen und tausende von gespendeten Geschenken zu den Menschen in Not zu bringen.

Unsere Geschichte ergab sich in Mazedonien mit einer alten Frau:

Wir befanden uns etwa 60 km von Skopje entfernt in Tetovo und waren gerade mit der Verteilung der Pakete von 2 LKWs fertig. Mit einem bereit gestellten Transit-Bus machten wir uns auf den Weg zurück zu den anderen LKWs, als mir eine gebückte gehende, etwa 80jährige Frau auffiel.

Unter schwersten Anstrengungen war sie dabei, eines der Spendenpakete mit Lebensmitteln und Süßigkeiten nach Hause zu bringen. Das Paket war sehr schwer und sie musste es immer wieder absetzten und eine Verschnaufpause machen. Ich hatte die Frau bereits vorher beobachtet, wie sie erschöpft und vom Leben gezeichnet, aber mit leuchtenden Augen auf ihrem Paket sitzend Kraft für den Heimweg sammelte.

Als wir die Frau mit unserem Bus erreicht hatten beschlossen wir, sie und ihr Paket zu ihr nach Hause zu bringen. So hielten wir kurzerhand bei ihr an, ich stieg aus und während ich auf den Bus zeigte, sagte ich mit den wenigen mazedonischen Worten, die ich gelernt hatte „odime doma“ (wir fahren nach Hause). Die Frau schaute uns erst überrascht an und stieg dann mit Hilfe von Onkel Harry, und meiner Unterstützung ein. Sie wirkte sehr erschöpft und durchgefroren und wies uns mit der Hand den Weg. Um ihre Handzeichen besser zu sehen stützte ich mich am Beifahrersitz ab und drehte mich zu der Frau um. Auf einmal legte sie ihre Hand auf meine. Aus ihren dunklen Augen kullerten Tränen der Dankbarkeit und sie lächelte mich an. In diesem Moment wusste ich: Das ist es! Das ist der Mythos der Weihnachtstrucker! Dafür lohnen sich alle Anstrengungen!

„Menschen in Not mit Hilfe vieler Spender die Hand zu reichen“ ist in diesem Moment für uns sprichwörtlich wahr geworden. Ich hatte plötzlich ein Gefühl von Weihnachten, das über Grenzen und Sprachbarrieren hinaus ging und das mir für immer in tiefer Erinnerung bleiben wird.

Später erfuhr wir, dass in der Wohnung der älteren Frau eine stillende Mutter mit einem Säugling und einem kleinen Kind wartete.

Deshalb meine Bitte an alle Menschen, welche nicht wissen vor lauter Wohlstand wohin mit überflüssigem Geschenken und dem sinnlosen verprassen ihrer Millionen. Vieles wird eh nach Weihnachten in die Ecke geworfen oder landet auf dem Müll!

„Packen auch Sie ein Päckchen für die Notleidenden Menschen! Es könnte auch mal Sie/Euch treffen!“

1.Das war einer der wichtigsten eindrücke in m einem Leben und daraus entstand der Wunsch, LKW-Fahrer zu werden!

Euer Kail Shiral

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Tag der Veröffentlichung: 21.12.2011

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