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Es war das kleine Foto mit dem er sich im Internet vorgestellt hatte. Es hatte ihr nie etwas ausgemacht, dass er kein so schöner Mann war.
„Aus einer schönen Schüssel kann man nicht essen,“ sagte der Volksmund. Nun ja, Schönheit ist sowieso vergänglich. Wie gern hatte sie in sein Gesicht und in seine Augen geschaut, seine Fältchen gezählt. Sie hatte sich einfach in ihn verliebt, zumindest war das ihr Gefühl gewesen, dass sie spontan empfand, als er vor ihr stand. Groß und sehr stattlich, nicht schlank. Eher das Gegenteil. Aber wie gesagt, sie suchte ja nicht nach der äußeren Schönheit, wünschte sich einen Liebsten, der im Innen schön war, zu dem sie Vertrauen haben konnte. Der ihr seine Schulter anbot und den sie mit ihren Zärtlichkeiten verwöhnen konnte. Wollte mit ihm lachen und Gemeinsamkeiten entdecken. Natürlich auch in die Welt der Erotik eintauchen, mit ihm in Erregung geraten und ihm eine sinnliche Geliebte sein.

Immer noch schaute sie auf das Foto. Das Gesicht auf diesem Bild zeigte so gar nichts von ihm. Nichts von dem, was er war. Es war nicht aktuell. Zeigte ihn so, wie er vor langer Zeit einmal ausgesehen hatte. Inzwischen wog er mindestens zwanzig Kilo mehr. Sein Gesicht war aufgeschwemmt und passte perfekt zu seinem Körper. Auch sein Lächeln war nicht echt. Denn er hatte nie echt gelächelt, nicht zu ihr und auch nicht zu anderen. Aber er konnte gekonnt die Lippen verziehen und ein ungeübter oder flüchtiger Betrachter sah ihn lächeln. Sie war ja auch drauf reingefallen, war blind gewesen. Wie gesagt, vieles hätte sie einfach so hingenommen, kein Mensch ist perfekt. Aber es hatte ihr etwas ausgemacht, wie oberflächlich er war und das er in einer Scheinwelt lebte, von seiner Unaufrichtigkeit ganz zu schweigen. Sie hatte alles herausfinden müssen und das war wirklich schlimm. Er wechselte seine Partnerinnen wie die Wäsche am Morgen um sich zu schmücken, vielleicht auch, um nicht mehr einsam zu sein. Nichts hatte er ihr erzählt, von dem was war, und von dem, was er nicht mehr konnte. Er konnte keiner Frau mehr nah sein, nicht im Herzen und auch sonst nicht. Keine der Frauen konnte das ahnen, sie auch nicht, denn seine Tarnung war perfekt. Wahrscheinlich hatte er es selbst schon vergessen, es war zu seinem Alltag geworden. Getäuscht hatte er sie, oder hatte sie nicht richtig hingesehen, zu dem Mann, der sich mit einem alten Foto und einem falschen Lächeln in ihr Herz geschmuggelt hatte? Egal, es war vorbei und sie wollte wieder frei sein!

... Ich habe mein Leben, du bist nur ein Irrtum. " Ein tiefer Seufzer, ein letzter Blick.... und die Schnipsel des Fotos flogen mit dem Wind über die Wiese davon. Eines davon flog ihr mit einer Windböe mitten aufs rechte Auge, und auf diesem Schnipsel war nur sein Mund. Schmal wie eine Linie, verkniffen, so wie sie ihn kannte. Sie hatte ihn oft geküsst, wollte ihn weich werden lassen mit ihren Lippen. Hatte auf einen sanften Gegenkuss gehofft. Sie musste blind gewesen sein, hatte sich getäuscht, hatte sich selbst etwas vorgemacht. Sie war weggegangen von ihm, Es war gar nicht so schlimm, sie hatte ihr Leben und eine neue Erfahrung.Alles war nur ein Irrtum gewesen, und sie brauchte nicht mehr traurig zu sein. Menschen irren sich manchmal, nun gut, ihr war es auch passiert. Die Wege hatten sich wieder getrennt. Das war alles.

Mit einem tiefen „pfffffff…“ pustete sie das Schnipsel von der Handfläche und ging langsam auf ihrem Weg ins Tal hinunter. Ja, sie wollte nun achtsamer sein und aus dieser Erfahrung lernen. Dazu war es nie zu spät. Ein Lächeln kräuselte ihre Lippen und langsam begannen ihre Augen wieder zu leuchten.


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Tag der Veröffentlichung: 01.09.2011

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