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Todesangst



Erschöpft sank Joe Allan Lee in der kleinen aber trockenen Höhle zu Boden.
Sein angeschossenes Bein schmerzte höllisch, auch wenn es sich nur um einen Streifschuss handelte.

Vorsichtig wechselte er den durchgebluteten Stoffstreifen gegen einen sauberen, während der prall gefüllte Rucksack mit dem erbeuteten Geld aus der Bank achtlos neben ihm lag.


Nach getaner Versorgung gönnte er sich eine kleine Ration Hartwurst und ließ dabei vor seinem inneren Auge die vorausgegangenen Stunden Revue passieren:


Der waghalsige Raubüberfall im Alleingang; der alte Wachmann, der sich ihm in den Weg stellte und im Schusswechsel starb; die überhastete Flucht aus der Stadt; die Fahrt mit dem gestohlenen Kanu auf dem Rio Grande, der sich wie eine silbern glänzende Anakonda durch Manlies, hinein in den Regenwald Amazoniens schlängelte; das Leckschlagen des altersschwachen Bootes; dann der unfreiwillige Marsch quer durch den Dschungel, und schließlich das einsetzende heftige Tropengewitter, dass ihn nötigte in dieser Höhle Unterschlupf zu suchen.


Joe Allan Lee verstaute den Rest Wurst im Rucksack, machte es sich bequem, und beschloss kurzerhand, die Nacht an diesem Platz zu verbringen. Sein lädiertes Bein würde es ihm danken.


Ein Lächeln huschte über sein abgehärmtes Gesicht. 

Sicherlich suchten ihn die Bullen zwischenzeitlich in der ganzen verfluchten Gegend. 
Schließlich war er kein Unbekannter
für sie. Hätte er allerdings den Fehler begangen, in Mandaus Manchesster Unterschlupf zu suchen, wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ihn jemand verpfiffen hätte.


Dennoch waren Banküberfälle und Morde in brasilianischen Großstädten nichts Besonderes.

In ein paar Tagen, vielleicht Wochen, würde genügend Gras über die Sache gewachsen sein,
um die Fahndungswelle nach ihm abflauen zu lassen. 
Neue, andere Verbrechen würden den ohnehin korrupten Beamtenapparat in Beschlag nehmen, und seine Tat in Vergessenheit geraten lassen.Dann würde Joe nach Mexiko sich eine kleine Farm kaufen, keiner würde nach ihm suchen.
Und er wäre frei, und sein eigener Mann.


Auch wenn Bantos-stradella seine Heimat war, würde er lange Zeit nicht mehr zurück können - wollte er nicht den Rest seines Lebens im Knast verbringen, oder mit einer Polizeikugel im Kopf enden. 
Aber damit würde er klar kommen. Mit der erbeuteten Kohle besaß er einen Schlüssel, der ihn die Tür zu einem Neuanfang, wo auch immer, öffnen konnte.
Sorgfältig legte er die Baretta griffbereit unter seinen Rucksack, den er als Kopfkissen verwendete, und lauschte eine Weile dem Regen, der ihn irgendwann in einen tiefen Schlummer sinken ließ …


Ein fürchterlich stechender Schmerz zerrte ihn brutal aus dem Reich der Träume.
Joe, benötigte eine Weile, um die letzten Traumfragmente abzuschütteln. Dann hatte ihn die Realität wieder.


Verdammt, was waren das für höllische Schmerzen!?
Vielleicht hatte sich seine Schusswunde infiziert. Nein, seltsamerweise war es nicht das Bein – sondern der Rücken, der wie Feuer brannte.

Vorsichtig betastete er die Stelle knapp über dem Steißbein, an der er zwei wulstige Vertiefungen erfühlen konnte. Joe knipste die Taschenlampe an und hielt prüfend seine Finger ins Licht.
„Scheiße!“, zischte er erschrocken, als er das Blut sah.

Im nächsten Moment pulsierte ein heißes Kribbeln durch seine Glieder. Es fühlte sich an, als veranstaltete eine Horde Ameisen ein Wettrennen durch seinen Körper. Es blieb ihm kaum Zeit zu begreifen, was passierte.

Kaum hörte das unangenehme Kribbeln endlich auf, folgte sogleich eine Welle kalter Taubheit, die jegliches körperliches Empfinden auslöschte. Selbst die höllischen Schmerzen im Rücken verschwanden mit gespenstiger Schnelligkeit.

Gott sei Dank, dachte 

Joe erleichtert und versuchte aufzustehen .
Doch weder Arme noch Beine folgten der Aufforderung. Sekundenlang rang sein überrumpelter Verstand um eine Erklärung.
Dann versagte seine Rückenmuskulatur.
Noch eben in aufrechter Sitzhaltung, kippte er plötzlich wie ein gefällter Baum nach hinten und schlug mit dem Schädel hart auf den felsigen Untergrund. 



Benommen folgte sein verschwommener Blick dem Strahl der zu Boden gefallenen Taschenlampe in Richtung Höhleneingang. Joe bemerkte wie durch einen Schleier, dass der Regen aufgehört hatte. Stattdessen stieg dunstiger Bodennebel in die Höhe, der in dem Licht der Taschenlampe ein gespenstisches Eigenleben besaß.

Etwas dort draussen in dem Nebel begann sich zu bewegung- kam langsam näher. Joe,s Atem stockte.
In dem wabernden Schwaden des Nebels begann sich eine seltsame Kontur abzuzeichnen.
Die Umrisse wurden allmählich schärfer,
bekamen mehr und mehr Form.
Joe riss den Mund zu einem stummen Schreckensschrei auf. Himmel, das konnte nicht wahr sein! Ungläubig starrte er auf eine riesige Spinne, die keine fünf Meter von ihm entfernt die Höhle betreten hatte und ihn aus ausdruckslosen, schwarzen Knopfaugen anglotzte.
Zweifellos musste er bei dem Aufprall mit dem Kopf auf dem harten Stein, den Verstand verloren haben.

Aber als das groteske Geschöpf ein gefährlich klingendes Fauchen entließ, gab es kein Zweifel mehr, dass dieses Wesen real existierte.

Der Körper der Riesenspinne besaß die Dimension einer großen unförmigen Wassermelone.
Ihre acht schwarz behaarten Beine, jedes so dick wie ein menschlicher Daumen, mussten an die anderthalb Meter messen und wirkten wie gespannte Federn.

Als Joe die beeindruckenden Giftklauen am Kopf der Spinne erblickte, wurde ihm mit erschreckender Klarheit bewusst, wem er seinen elendigen Zustand zu verdanken hatte.
Diese Ausgeburt der Hölle, musste ihn im Schlaf gebissen und ein muskellähmendes Gift injiziert haben.



Kaum das Joe diese Erkenntnis erlangte, begann seine Atmung plötzlich zu rasseln. Eine unsichtbare Faust presste seine Lungen unbarmherzig zusammen und ließ ihn japsend nach Luft schnappen, wie ein an Land geworfener Fisch.

Seine Muskeln begannen unkontrolliert zu zucken und schüttelten ihn, wie unter Strom stehend.
Seine Halsmuskulatur versteifte sich, bog seinen Kopf unwillkürlich nach hinten und ließ weißlichen Schaum aus seinen Mundwinkeln, wie warmer Gelee über seine Wangen rinnen.

Sein Verstand begann langsam aber unaufhöhrlich in einem Treibsand aus Gedankenmuss zu versinken.
Derweil wartete die Spinne regungslos.

Als sich ihre Beute nicht mehr regte, kam sie mit trippelnden Schritten näher und tastete vorsichtig mit ihren behaarten Vorderbeine über das bewegungslose Opfer.



Wie ein Beobachter aus weiter Ferne registrierte Sie seinen Körper, bevor es dann eindrang.
Aber es verursachte keinerlei Schmerzen.
Und während die Riesenspinne ihren Verdauungssaft in seinen Bauchraum pumpte, schrumpfte Joe,s ’ restlicher Funken seines Verstandes zu einem winzigen Klumpen teilnahmsloser Dumpfheit.

Ohne die geringsten Gefühlsregungen lauschte er dem ekelhaften Schmatzen und Glucksen, seiner sich langsam auflösenden Innereien ...

The end...

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Tag der Veröffentlichung: 28.05.2011

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