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Nach einem Festersturz aus dem 3. Stock, liege ich nun hier an der Ecke Baumstraße/Deponiestraße. Eingepfercht. Neben und über mir, lieblos hingeworfen, rieseln bereits mehrere meiner Artgenossen. Am Haus hinter mir hat man ein verwaschenes Schild angebracht:

Sammelstelle für alte Christbäume
Abholung 7. Jänner

Eigentlich eine Frechheit, uns alt zu bezeichnen. Verdursten hat man uns lassen! Das ist die Wahrheit. Und warum? Sie nennen es das große Fest des Friedens. Dass ich nicht lache!

Dabei hat doch alles so vielversprechend angefangen. Damals, als wir noch Babys waren. Liebevoll hat unser Besitzer einen Zaun rund um unseren Kindergarten angebracht. Damit uns die bösen Rehe nicht anknabbern, hat er gemeint.
Alles Berechnung! Es ging ihm natürlich nur darum, später einmal seinen Qualitätssiegel "Aus heimischer Aufzucht" an uns befestigen zu können.
Naja, einige Jahre ging's uns ja ganz gut. Wir mussten zwar in Reih' und Glied stehen, aber wir wurden zumindest von unseren Nachbarn im Wachstum nicht behindert.
Als wir dann etwa zwei Meter groß waren, kam eine seltsame Stimmungsmache auf uns zu. Es wurde sugeriert, wie wunderbar es doch wäre, zu Weihnachten in blanke Kinderaugen zu sehen. Und dass wir, jeder einzelne, nicht in Gruppen, ganz allein Mittelpunkt einer glückseligen Familie werden könnten.
Nun, das konnten wir uns natürlich gar nicht vorstellen. An unserer Schonung knatterten doch täglich hunderte Autos vorbei. Nicht einem einzigen entstieg jemals eine glückliche Familie, um uns zu bewundern.
Andererseit, die frohe Erwartung ließ uns nicht mehr los. Obwohl keiner der Auserwähltem vom Vorjahr jemals zurückkam, um uns von seinen tollen Erlebnissen zu berichten, waren wir damals dumm genug zu glauben, keiner von denen wolle diesen Ort der Verheißung je wieder freiwillig verlassen.

Dann war es plötzlich soweit.
Der sonst so freundliche Mann, diesmal bewaffnet mit einer Kettensäge, schnitt entschlossen eine tiefe Schneise in unsere Gruppe.
Naja, wir kannten das schon aus dem Vorjahr. Der kurze Schmerz war eigentlich zu überwinden, wenn man bedachte, welch großes Glück uns nachher erwarten würde.
Erste Zweifel daran kamen auf, als man uns nach dem Schnitt in eine netzartige Zwangsjacke steckte.
Am Freigelände eines Supermarkts, ständig vom Gedudel einer sich anscheinend ewig wiederholenden Melodie umgeben, erfolgte dann unsere Präsentation. Nun konnten sie kommen, die glücklichen Familien.
Und sie kamen. Besser gesagt, Teile von ihnen. Meist schimpfend über den hohen Preis, wurden wir von den Glücklichen abschätzend durcheinander geworfen.
Dann am vierten Tag gehörte auch ich zu den Auserwählten.
Ein dicklicher Mann, mittleren Alters, hat mich, nachdem er mich bereits zum dritten Mal zurück geworfen hatte, dann doch mit gequältem Gesichtsausdruck auf seinen Einkaufswagen verfrachtet. Bei der Kassiererin ließ er noch ähnliches wie "Katze im Sack kaufen" los.
Meine hehren Erwartungen begannen leicht abzubröckeln. Die Hoffnung war nun einzig auf die leuchtenden Kinderaugen, die da kommen sollten, fixiert.

Mein Käufer hat mich vorerst in ein finsteres Kellerrabteil gesperrt. Dann am 24. Dezember vormittags sah ich ihn wieder. Eine Hacke in der Rechten schwingend, ein kreuzartiges Ding in der Linken. Anfangs noch konzentriert hackend, dann immer lauter fluchend, versuchte er meinen Stamm nun in dieses Kreuz, das jetzt wohl meine Füße werden sollten, einzupassen.
Letztendlich war es dann doch soweit und ich fand so schlecht und recht einigermaßen Halt in diesem Ding. Mit dem Aufzug fuhren wir in den 3. Stock.
Über den Staubsauger stolpernd zischte der Mann seiner Frau zu, ob sie denn die Kinder auch wirklich weggesperrt hätte. Mir wurde bang. Ja, wird denn hier alles eingesperrt.
Im Wohnzimmer angekommen befreite mich Otto, so nannte ihn seine Frau, zuerst einmal von meiner Zwangsjacke. "Naja, ganz schön verkrüppelt" war sein erster Eindruck. Und dann "na, dann mach mal" zu Hilde, seiner Frau.

Und nun begann das versprochene Glück doch noch Wirklichkeit zu werden.
Hilde begann mich von oben bis unten mit Gold und Silber einzukleiden. Es war einfach herrlich und ich streckte ihr willig meine Arme entgegen.
Vor der Wohnzimmertür begann allmählich ungeduldiges Rumoren und ständiges Fragen, wann es denn endlich so weit sei.
Das sind sicher die Kinder dachte ich, die können es kaum erwarten, mich zu sehen. Hilde legte noch einige papierüberzogene Schachteln bei meinen Füßen ab. Wahrscheinlich um das einfache Holzkreuz abzudecken.
Inzwischen ist es dunkel geworden. Um meine Pracht vollends zu entfalten, entzündete nun Hilde an all meinen Armen bunte Kerzen.
Und nun griff sie zu einem Glöckchen. Schon beim ersten Ton wurde die Tür aufgerissen und die Kinder stürzten herein. Hilde fing sie auf und sagte, dass zuerst gesungen werden müsse. Die Kinder verdrehten genervt die Augen, begannen dann aber doch zu singen. Das Lied kannte ich längst aus dem Supermarkt. Otto brummte einen tiefen, aber falschen Bass dazu.
Während man sang, fiel mir auf dass die Kinder ständig auf die Abdeckschachteln zu meinen Füßen starrten. Keinen einzigen Blick verschwendeten sie an meine prächtig geschmückte volle Größe.
Kaum war der letzte Ton verklungen, warfen sich die Kinder auf den Boden und robbten auf die Abdeckschachteln zu.
Kein Mensch beachtete mich fortan mehr. Während die Kinder um den Inhalt der Schachteln bereits stritten und einer meiner Zweige fast abgebrannt wäre, ging dieser heiß ersehnte Tag langsam dem Ende zu.
Mein einziger Dank gilt der Katze Susi, die sich zumindest ab und zu mit mir beschäftigte und leise mit meinen Silberzapfen spielte.

Foto: pixelio (knipseline)

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Tag der Veröffentlichung: 12.12.2009

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