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Also, großes Vertrauen setzte man ja nicht in meine Fähigkeit, das immer wieder glorifizierte Ziel zu erreichen. Nämlich ein „braver Arbeiter“ zu werden. Selbst Großvater hatte da mitunter seine Zweifel: Aus dem Buam wird amol nix!

Was ich einmal werden möchte, war 1957 keine schwere Frage an mich, trotzdem konnte ich die Berufsbezeichnung nicht nennen.
Ich war begeistert von mechanischen Abläufen. Diese wiederum sollten sich im überschaubarem Spektrum abspielen. Schlosserarbeiten mit sechs Meter langen Stangen, wären mir ein Gräuel gewesen. Weiters sollten die Produkte möglichst einmalig, Prototypen und nicht Massenware sein.
Gab es diesen Beruf ? ("Der sollte doch froh sein, wenn sie ihn überhaupt irgendwo brauchen können!").

So unwissend standen wir also vor einer der wichtigsten Entscheidungen im Leben. Mit keinem Wort, so als wäre es etwas Unanständiges, wurden wir in der letzten Klasse mit verschiedenen Berufen vertraut gemacht.
Nicht ganz. Da gab es noch die Berufsberatung von der Arbeiterkammer. Ein Herr Maier beriet mich intensiv 5 Minuten lang : „Was, mit Maschinen möchtest z‘ tun hab’n. Na, da gibt’s den Maschinenschlosser, aber halt, im Triumph-Werk suachns noch an Werkzeugmacher oder zwaa. Dös is a recht a genaue Arwat“.
Dass ich letzten Endes, den für mich richtigen Job erhalten habe, ist weder der Schule oder irgend einem Amt zuzuschreiben, sondern war einzig und allein reiner Zufall.

Da standen wir also, zu viert vor dem Büro des Oberwerkmeisters, im besagten Triumph-Werk. Zuerst einige kleine Rechenaufgaben. Dann zur Praxis: Einen in einer Ecke stehenden Sessel in die Mitte des Raumes tragen. Der etwas kauzige Oberwerkmeister beobachtete mich genau. Es hätte ja sein können, dass ich den Sessel an den Füßen ergreife, statt an der Lehne. Diese leichte Aufgabe verwirrte aber trotzdem, weil man darin eine Falle vermutete.
Letzter Test war, den Stand der Allgemeinbildung zu erkunden. Die Frage lautete: Wie hieß der ungeschickte Begleiter des Kara Ben Nemsi aus dem Buch >Durch’s wilde Kurdistan<.
Na, da kam er bei mir gerade richtig. Ich, der die Karl May Bücher mehr fraß als las.
Nachdem ich ihn mit der Antwort Hadschi Halef Omar fast erschoss, war ich aufgenommen.
Nachsichtig hatte man uns noch die kompletten Sommerferien genehmigt, dann allerdings sollte wirklich der Ernst des Lebens losgehn.

Nach dem ersten Arbeitstag im Triumph-Werk war mir klar: Hier versuchte man mir die Genauigkeit vorerst mit den primitivsten Mitteln beizubringen.
Man rüstete mich mit einer sogenannten Armfeile aus. Einem etwa 60cm langem und 2 kg schwerem Monstrum. Dazu gab es noch ein handtellergroßes, unförmiges, total verrostetes Stück Metall und ab gings zum Schraubstock.
Der Weg dorthin führte an einem Schaukasten vorbei, wo man mir andeutete, wie das Stück Metall, welches ich in Händen hielt, in ca. 4 Wochen auszusehen habe. Erst dachte ich: Erst in 4 Wochen? - Morgen mittag ist das fertig!

Ab und zu hatte ich vorher schon mit Großvaters Holzraspel auf einem Stück Holz herumgefeilt. Den Unterschied zur nun gestellten Aufgabe könnte man mit dem Unterschied zwischen Pudding und Beton nicht treffender beschreiben.
Nach 1 Stunde intensiven Feilens war ich so fertig, als hätte ich auf Händen kletternd die Eiger Nordwand bezwungen. Und das Ergebnis war gleich Null.
Gerade noch rechtzeitig bemerkte ich das hämische, schadenfrohe Grinsen des Lehrlings im 2. Lehrjahr. Ob man’s glaubt oder nicht, das verleiht Flügel!

Wie zum Hohn war meine Werkbank inmitten der Metallbearbeitungsmaschinen plaziert, auf denen der Stahl wie spielerisch in Zentimeterdicke abgetragen wurde.
Da tauchte natürlich alsbald die Frage nach dem Sinn und Zweck dieser schweißtreibenden Übung auf.
Diese Infragestellung der meisterlichen Kompetenz über Sinn und Unsinn der angeordneten Ausbildung, hätte für mich damals unweigerlich die Zuteilung zur „Hofpartie“ bedeutet, auf die ich später nochmal zurückkommen werde.
Dann einmal, als mich der gutgelaunte Meister fragte, was mir denn an meinem Lehrlingsdasein so gar nicht gefiele, wohl wissend , was jetzt kommen würde, sagte er:“Burschi schau, das Feilen ist der natürliche Zugang zur Genauigkeit“.
Natürlich hatte er recht, aber die Arme schmerzten deswegen nicht weniger. Doch nach einem Jahr hatte ich es geschafft. Die Feilen, die zum Einsatz kamen, wurden immer kleiner und der Unterschied zur Maschinengeauigkeit war kaum mehr feststellbar.

Natürlich waren „frischg’fangte“ Lehrlinge auch Ziel für allerhand Scherze, die sich praktisch jeder ungestraft erlauben konnte. Gute Miene zum bösen Spiel, war für den Lehrling Pflicht:
Fast galt man als Klugscheißer, wenn man der Aufforderung, doch die Gewichte für die Wasserwaage oder eine Schachtel Gumminieten aus dem Magazin zu holen, nur zögernd nachkam.
Einmal ließ mich so ein Scherzbold eine kleine Eisenplatte vom Boden aufheben, die,ohne dass ich es wusste, vorher auf 200 Grad erwärmt wurde. Als ich sie mit einem Schrei wieder fallen ließ, fragte er besorgt, ob sie denn zu schwer für mich sei. In der folgenden Nacht stand neben meinem Bett ein Kübel mit eiskaltem Wasser, in dem ich meine höllisch brennende Hand treiben ließ.
Einen Tag pro Woche hatte man Berufsschule. Hier wurde man zwar mit „Sie“ tituliert, es war aber wie ein Schutzwall für die Lehrer, die nun wesentlich weniger persönliches Interesse und Engagement an ihren Schülern zeigten, als es noch in der Hauptschule der Fall gewesen war. Die Devise lautete nun: Friss Vogel, oder stirb. Man fraß.

Im zweiten Lehrjahr durfte man bereits mit Maschinen arbeiten. Es gab keine langen theoretischen Trockenübungen, sondern man ging sofort in medias res.
Das machte natürlich großen Spaß, umsomehr, als die produzierten Stücke bereits in reale Werkzeugsysteme eingebaut wurden. Erfolgserlebnis pur, aber auch Stunde der Wahrheit.

Im damaligen Triumph-Werk produzierte man serielle Haushaltsöfen wie Elektro,- Gas- und Zusatzherde in großen Stückzahlen.
Und hier ging ohne Werkzeugbau gar nichts. So gut wie alle Teile hierfür, wurden mithilfe von Stanzwerkzeugen in den Exzenterpressen hergestellt.
Der Werkzeugbau war Vater aller geformten Produkte. Montage war Hilfsarbeit.
Diese Sonderstellung bekam auch der kleine Lehrling recht bald mit und auch ich verhehle einen gewissen Stolz darüber nicht.

Doch gleich erhielt man wieder eine auf den Deckel. Der freigestellte Betriebsratsobmann Egon, ein Mann von bulliger Statur, war der allmächtige Lehrlingsbetreuer. Seine Aufgabe war es, weniger die fachliche, sondern ausschließlich die moralische Seite der Lehrlinge zu „betreuen“.
Seine Kontrolle des Wochenberichtsheftes (hier war wöchentlich die tägliche Tätigkeit sowie eine technische Zeichnung einzutragen), waren allseits gefürchtet.
Er kontrollierte weniger die technische Richtigkeit,von der er nicht allzuviel verstand, sondern die Schönheit der Normschrift war sein Anliegen. Die Perforierung der Seiten luden ihn förmlich dazu ein, diese bei Nichtgefallen gnadenlos herauszureißen.
Er war letzte Instanz und Oberster Gerichtshof in einem. Bei Anklage eines Lehrlings wegen Ruppigkeit zu einem Meister, sprach Egon das Urteil. Die Strafe war immer die gleiche. Sie unterschied sich nur in der Dauer:
„Hofpartie“ hieß die nackte Demütigung. In der Aufmachung eines Straßenkehrers mit fahrbarem Mistkarren hatte man den riesigen Innenhof der Firma, sowie die Gehsteige rund um das große Firmenareal mit Besen und Schaufel blitzsauber zu reinigen. Besonders der „Außendienst“ war wegen der vorbeigehenden Mädchen besonders schmachvoll.

Egon war glühender Gewerkschafter. Es verstand sich von selbst, dass kein neueintretender Arbeitnehmer den Beitritt zu dieser Institution verweigerte. Von einem der seltenen österreichischen bundesländerübergreifenden Metallarbeiterstreiks Anfang der 60er Jahre wurde auch ich Zeitzeuge.
Egon hielt bei Betiebsversammlungen donnernde Reden, die jeweils von den Arbeitern mit Gejohle zustimmend aufgenommen wurden.
Am zweiten Tag erfuhr Egon, dass es in einer 25 km entfernten Polstermöbelfabrik mit dem Streik nicht so recht funktionieren wollte.
Egon organisierte Fahrgemeinschaften mit Privatautos und wir fuhren – auch Lehrlinge waren Streikpotenzial - mit einer Abordnung von 50 Streikenden zu den aufmümpfigen Streikbrechern.
Über den Zaun hinweg wurden nun die unflätigsten Beschimpfungen ausgetauscht und brachte manche ob dieses unsolidarischen Verhaltens so in Rage, dass man froh sein konnte, dass keine Wurfgeschoße zur Verfügung standen.
Dieser anstrengende Vormittag war Anlass genug, um sich anschließend bis in den späten Nachmittag im Gasthaus zu erholen. Ob dieser Feldzug auch die erhoffte Wirkung gezeigt hat, ist mir entfallen.

Ein lustiges Ereignis im Zusammenhang mit Egon sei hier noch erwähnt:
Auch Egons Favoritenstelle war nicht immer ganz unumstritten im Betriebsratskollegium. Das ging einmal soweit, dass sich der langjährige Obmann entschloss, alles hinzuwerfen und zurückzutreten.
Zum Verständnis der Pointe muss man noch dazusagen, dass er leidenschaftlicher Bienenzüchter war und dies auch allgemein bekannt war.
Es kam also zu einer letzten Betriebsversammlung, in der er seinen Abschied kundtat. Und da er ein äußerst gewandter Redner war, glich seine Botschaft einer Rede am offenen Grab.
Da schimmerte es in den Augenwinkeln einiger treuergebener Mitarbeiter und manche Träne wurde verstohlen abgewischt.
Nun erhob sich in den hinteren Reihen ein Mann und der Kloss, den er im Halse trug, war ganz deutlich zu spüren als er beschwörend herausstieß:“Egon, tu uns das nicht an! Du warst doch immer wie eine Bienenkönigin zu uns!“
Einen Moment herrschte betretenes Schweigen. Dann war der Bann gebrochen und alles brüllte vor Lachen.

Die Lehrzeit ging allmählich zu Ende. Ich verstand mich bestens mit allen Kollegen. Ein besonders gutes Verhältnis hatte ich zu meinem Meister. Er hatte erkannt, dass ich mit großer Begeisterung auch Konstruktionsarbeiten am Werkzeug und Verbesserungsvorschläge machte. Statt dies als Spinnerei abzutun, ließ er mich machen. Dieses Vertrauen in mich hatte große Bedeutung für mein späteres Berufsleben. Und der Hang zur Verwirklichung eigener Ideen, ließ mich mein ganzes Berufsleben nicht mehr los.
Der Tag, an dem ich die Facharbeiterprüfung ablegen sollte kam und am Ende desselben hielt ich den Facharbeiterbrief in Händen.
Jetzt begann das Leben!.......mit siebzehn fängt das Leben erst an! (Rocco Granata)

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Tag der Veröffentlichung: 03.09.2009

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