Mein Cousin Otti und ich, wir beneideten uns gegenseitig. Ottis Eltern, Tante Mitzi und Onkel Otto wohnten in Wels, einer Stadt in Oberösterreich.
Wenn er uns sonntags bei Schönwetter besuchte, dann konnte er nicht genug über das herrliche Landleben schwärmen.
Zu meinen ganz besonderen Erlebnissen in dieser Zeit gehörte dagegen, wenn ich bei Onkel und Tante in der Stadt übernachten durfte.
Otti wohnte im 2.Stock eines sogenannten Fliegerhauses. Diese Häuser wurden vor dem 2. Weltkrieg errichtet und waren für Angehörige der Luftwaffe bestimmt. Onkel Otto tat während des Kriegs seinen Dienst beim Bodenpersonal.
Wenn es also wieder einmal soweit war - für mich viel zu selten - dass ich Otti besuchen durfte, dann geschah das fast immer auf Mutters Fahrrad am Gepäcksträger. Mussten wir ein Stück zu Fuß gehen, dann hielt Mutter krampfhaft meine Hand fest, da ich ja mit den Gefahren der Stadt, so meinte sie, überhaupt nicht vertraut sei.
Auf dem Weg zu Ottis Wohnung erinnere ich mich an die Brücke, die über die Gleise des Hauptbahnhofs führte. Wenn man Glück hatte, fuhr gerade im selben Augenblick unten eine Dampflokomotive durch. Für eine ganze Weile war man da in weißen, aber auch manchmal in kohlschwarzen Rauch gehüllt.
Ottis Wohnung war fein eingerichtet. Da gab es das schwarze elegante Speisezimmer mit dem großen Glasschrank, der schöne Kristallgläser und eine Menge putziger Nippfiguren enthielt. Wenn man an ihm vorbeiging, klirrten die Glasschiebetüren ganz leise, was seine Eleganz nur noch steigerte.
In solchen Augenblicken konnte ich mir nicht vorstellen, was denn Otti an unserem Landhäusl, wenn auch mit Garten, so sehr gefiel.
Als krönender Abschluss stand meistens abends noch ein Kinobesuch auf dem Programm. Im Vorspann gab es da meist einen Mickey Maus Kurzfilm. Mit einem Wort: Das Glück schien perfekt zu sein und man spürte unbewusst ähnliches, was man heute als Lifestyle bezeichnen würde.
Die Unterschiede zum Landleben zeichneten sich natürlich unverwechselbar ab:
Da gab es das Badeerlebnis.
Noch nie zuvor hatte ich eine Badewanne gesehen. Ein Holzschaff, in dem mich Mutter mit Hirschseife und Reibebürste allwöchentlich am Samstag malträtierte, waren der „Badespaß“ den ich bis zu diesem Zeitpunkt kannte.
Tante Mitzi versuchte zwischendurch immer wieder, meine Dialektausdrücke etwas zu mildern, um mir später einmal den Spott als „G’scherta“ in der Hauptschule zu ersparen.
Tante Mitzi kochte auch vorzüglich. Am besten schmeckten mir ihre Schwammerlgerichte.
Onkel Otto, der als sehr belesen (gebildet) galt, sorgte für die richtige Auswahl der Pilze und ich wunderte mich immer wieder, dass er als Stadtmensch solch gute Kenntnisse hatte.
Onkel Otto hatte hohe Allgemeinbildung und schriftstellerisches Talent. Er löste Kreuzworträtsel im Vorbeigehen, schrieb für mehrere Zeitungen die Sportberichte, war Schlagertextautor und vieles andere mehr. Ein Meister des geschriebenen Wortes.
Nicht aber ein Mann der Praxis. Einen Nagel gerade in die Wand einzuschlagen, hätte für ihn eine unlösbare Aufgabe dargestellt.
Sport war für ihn Abenteuer im Kopf. Selbst jedoch vermied er sogar das Erlernen des Radfahrens.
Einmal, niemand weiß mehr warum, betätigte sich Onkel Otto bei unserem Nachbarn als Erntehelfer. Das Getreide in Garbenform (Bündel) wurde mit Pferd und Wagen in die Tenne eingefahren. Und hier in der „Es’n“ (Platz wo die Garben aufgeschlichtet wurden), stand Onkel Otto und tat sein Bestes, um die wie rasend vom Wagen heruntergeworfenen Garben zu verbringen.
Natürlich machten sich die Bauersleute einen Spaß daraus, um diesen blassen Stadtmenschen mit Wiener Akzent in Bedrängnis zu bringen. Onkel Otto schaffte es immer weniger, der Getreidekanonade Herr zu werden und verschwand allmählich ganz in einem Haufen, sodass nur mehr der Kopf herausragte.
Dieses entwürdigende Erlebnis und das lästerliche Gerede, hielten ihn fortan von der Bauernarbeit fern.
Sprach ich davon welche Wunderwelt sich mir in der Stadt auftat, so war Ottis Begeisterung für mein Umfeld auf dem Lande auf den ersten Blick natürlich schwer zu begreifen, aber andererseits wiederum doch zu verstehen.
Ein Blick in den städtischen Hinterhof genügte, um zu wissen, dass hier Indianerromantik nur schwer in die Tat umzusetzen war.
Wie herrlich war es doch bei uns, den eigenen Kirschbaum zu erklettern und sich mit Kirschen vollzustopfen, bis es nicht mehr ging. Des Nachbars junge Ferkel zu bestaunen und den würzigen Duft des Pferdestalls einzuatmen.
Der nahegelegene Teich und der vorbeifließende Bach taten ein übriges, um die vier Jahreszeiten mit all ihren Besonderheiten,„live“ wie man heute sagen würde, auszukosten.
Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen. Und Otti hat, sobald es ihm möglich war, seinen Wohnsitz auf das Land verlegt.
Tag der Veröffentlichung: 28.08.2009
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