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“Heute hat man hier nur 34,8 Grad”, sagt ein etwa 70jähriger Deutscher, der neben mir auf der steinernen Unterwasserbank mit seiner Frau Platz genommen hat. Sein Vorwurf an das unpräzise ungarische Volk war nicht zu überhören. Hatte man doch an der Info-Tafel in großen Lettern 36 bis 38 Grad angekündigt.

Seit zwei Jahren besuchen wir regelmäßig im Frühling und Herbst dieses gemütliche ungarische Thermalbad mit angeschlossenem Campingplatz, um sozusagen vom Wohnmobil direkt ins Wasser zu springen.

Diese Warmwasserenthusiasten, eine bunte Schar von Campern und Pensionsgästen, haben einige Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Die da wären: Alter, Sprache und Gewicht. Minderjährige unter 60 Jahren haben Seltenheitswert hier im Zoo der “Grauen Panther”. Ja und als Amtsprache gilt natürlich deutsch, um auch österreichisch in diese Kategorie einzureihen. Selbstverständlich erwartet man diese - möglichst akzentfrei - auch vom Personal.
Dass nur Fastfood von McDonalds so schrecklich viel Kalorien aufweise, wird hier eindeutig widerlegt. Nein, nein. Auch die typische Hausmannskost, sprich Backhendl, Schweinebraten und deutsches Eisbein, lassen die Bäuche schwellen und Senioren mühsamer nach Luft schnappen. Na klar, wird man mir entgegnen, kein Wunder, wenn hier die Mahlzeiten nur die Hälfte kosten. Dem allerdings spricht entgegen, dass die Größe der Badehose bzw. des Badeanzugs der Wassermänner und Nixen, bereits in ihren Heimatländern festgelegt wurde.

Die ganze Welt ist Bühne, heißt es. So auch hier. Sogar mit großem Unterhaltungswert. Natürlich ist jeder Einzelne, auch wir, Mitglied dieses Ensembles. Da wäre einmal die Showtreppe zu nennen. Damit ist die Stiege gemeint, welche im Anschluss an Fußbad und Dusche innerhalb weniger Stufen ins Becken die Körpertemperatur blitzartig hochschnellen lässt. Das wiederum hat Gefühlsausbrüche unterschiedlichster Art zur Folge. Angefangen von wohligem Seufzen in mehreren Tonarten, tiefem zufriedenen Brummen, bis zu kleinen, spitzen Schreien jung gebliebener Damen, wie sie es weiland in ihrer Jugend taten, wenn Peter Kraus die Bühne betrat.
Die Rollen sind fließend angelegt. Wer sich zuerst auf der Showtreppe präsentierte, ist anschließend Teil des hingerissenen Publikums. Bequem zurückgelehnt, umgeben von himmlisch warmem Wasser, beobachtet man nun die Auftritte der nachfolgenden Stars.
Neben Begutachtung der Figur, gilt es auch, das vorpensionäre Wirken der Darsteller zu ergründen. Könnte es sein, dass der Mann mit dem Vogelgesicht und den verschlagen blickenden Augen, früher bei der Steuerfahndung beschäftigt war, bevor er in den Ruhestand getreten wurde? Richtig unsympathisch ist der! Na und was die teilergraute Blonde betrifft, die hat wohl an ihrem vierzigsten Geburtstag die Jährchen zu zählen aufgehört. Einfach lächerlich dieser prall gefüllte Bikini.
Freilich gibt es auch jene, denen der kurze Auftritt an der Treppe für eine Darstellung ihres interessanten Lebens wesentlich zu kurz bemessen scheint. Diese wenden sich dann vertraulich an ihren Sitznachbarn und sagen ihm zumindest das Wichtigste. Hebt man dabei die Stimme etwas, so versetzt man auch die Umgebung in ehrfürchtiges Staunen. Meinungsbildung ist ja so wichtig. Natürlich kann man nicht immer warten, bis man danach gefragt wird.

Einmal, der Himmel weiß wie dem geschah, flatterte eine Schar blutjunger Anuschkas und Marikas die Showtreppe hernieder zu den grauen Wölfen. An diesem denkwürdigen Tag sank der Wasserspiegel aufgrund eingezogener Bäuche um mehr als 5 cm, gemessen am sonstigen Stand des Normalpegels. Besorgt trat da der Bademeister an die Pumpen…..

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Tag der Veröffentlichung: 13.07.2009

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