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Kapitel 1/1



Meine Mutter brachte mir meinen Rucksack, ehe ich zur Schule aufbrechen musste und nahm mir mit einem Lächeln im Gesicht meine Kopfhörer ab. Als ich protestieren wollte, meinte sie nur: "Mein Junge, so was ist zu gefährlich. Du kann nach der Schule wieder Musik hören." Doch nachdem ich aus dem Haus war, holte ich meine Ersatzkopfhörer nach vorne, um auf dem Schulweg Musik zu hören. Mein Weg war nicht sonderlich lange, und eigentlich auch gar nicht gefährlich. - Dachte ich jedenfalls. Ich hörte gerade das Lieblingslied meiner Freundin. Alles was sie tat, sagte oder hörte, war für mich einziges Heiligtum. Sie war mein Heiligtum. Wie gewohnt ging ich über die Strasse, lauschte dabei dem Takt dieser wunderschönen Musik. Und im nächsten Moment, hörte ich leise, aber dennoch der Ton war da, das quietschende Geräusch von Autoreifen, die eine Vollbremse hinlegten. Zu meinen Füssen lag ein Junge, etwa im selben Alter wie ich. Erschrocken liess ich den Autofahrer, der gerade aus dem Auto sprang, an mir vorbei und starrte einfach ungläubig auf den Jungen herab. "Läuft er doch einfach über die Strasse", sagte ein Passant. Ein Krankenwagen wurde bereits gerufen, zwischen den gaffenden Personen , drängte sich meine Freundin hindurch. Mit einem entsetzen Gesicht sah sie den Jungen auf der Strasse an, versuchte noch, ihre Tränen zurück zu halten. Sie wankte ein paar Schritte nach vorne, fiel auf die Knie und weinte erbitterlich. Ich wollte sie auf mich aufmerksam machen, sie trösten und vorallem wissen wer der arme Kerl war, der da lag. Doch als ich meine Freundin berühren wollte, ging meine Hand durch sie hindurch. Einen kurzen Moment lange, hielt ich es für einen irrsinnigen Traum. Doch als ich dann das Gesicht des Jungen sah, wurde mir eines klar. Der Junge dort, das ohne Zweifel, ich. Die Worte meiner Mutter hallten wie ein Echo durch meinen Kopf. Hätte ich an dem Tag auf sie gehört, dann wäre ich nun nicht tot. Der Krankenwagen traf ein, doch sie konnten nur noch meinen Tod feststellen.
Die ganze Zeit über hatte ich meine Freundin nicht verlassen. Ich blieb treu an ihrer Seite, versuchte die ganze Zeit mich bemerkbar zu machen, doch sie sah mich einfach nicht. Ich wollte ihr zumindest noch sagen, dass ich sie liebe. Doch egal wie oft ich ihr diese Worte sagte, ja sogar schrie. Sie sah nur durch mich hindurch und nahm mich nicht wahr. Einige Tage später, für meinen Schatz die schlimmsten überhaupt, erprobte ich aus Langeweile meine neuen Fähigkeiten. Ich hoffte, dass das Geistdasein etwas mehr zu bieten hatte, als unsichtbar und lautlos zu sein. Ich fand heraus, dass ich Dinge bewegen konnte. Na zumindest etwas, das mir vielleicht noch nützlich sein konnte. Meine Freundin sass eines Abends an ihren Hausaufgaben. Statt die Matheaufgaben zu lösen, starrte sie ins Leere und schien mit ihren Gedanken weit fort. Man sah ihr an, wie oft sie weinte. Es brach mir das Herz, und so sammelte ich den Mut, um einen Versuch zu wagen. Ich wollte ihr doch keinen Schrecken fürs Leben machen. Ihres stand ihr zumindest noch bevor. Mit all meiner Kraft konzentrierte ich mich auf den Stift neben ihrem Matheheft. Ich brachte ihn dazu, ins Heft zu schreiben: Mein Schatz, ich liebe dich und ich werde nicht einfach so aufgeben. Niemals werde ich dich verlassen. Ich verspreche dir, dass ich eine Lösung finde. Sie bemerkte natürlich, dass sich ihr Stift von alleine bewegte, und schrie zu erst panisch auf und sprang vom Stuhl auf. Doch da ausser ihr zur Zeit niemand zu Hause war, überwand sie ihre Angst und warf einen raschen Blick auf das Heft, nachdem ich den Stift niedergelegt hatte. Ihr stockte der Atem und mit leiser und brüchiger Stimme flüsterte sie in den Raum: "Ist hier jemand? Schatz?" Ich schrieb auf ihr Blatt die Antwort "ja". Sie schluchtze und hielt sich eine Hand vor den Mund. Sie schien nicht recht zu wissen, ob sie weinte, weil sie überglücklich war, oder weil sie traurig war. "Du bist ein Geist", sagte sie nüchtern und setzte sich mit einem tiefen Seufzer auf ihren Stuhl, "oder ich drehe gerade völlig durch." Wieder weinte sie. Und wieder schrieb ich ihr etwas: "Ich wünschte ich würde auch nur durchdrehen, und mir das alles einbilden. Jedoch bin ich wirklich tot." "Und du bist noch hier", schluchtze sie. "Ich verlasse dich nicht so leicht", schrieb ich. Sie nickte und brachte ein schwaches Lächeln zu stande: "Aber du bist ein Geist, es ist Zeit für dich, deinen Frieden anzunehmen. Oder wimmelt es hier nur so von Geistern und man ist nach dem Tod... Einfach noch da?" "Keine Ahnung. Ich bin alleine." "Du kannst nicht für Ewig in diesem Zustand bleiben." "Ich will aber nicht", antwortete ich. "Bitte", flüsterte sie, "Du machst alles nur schwerer."
Wir sprachen jeden Tag auf diese Weise miteinander. Ich wich nie von ihrer Seite. Mit der Zeit sprach sie mit mir, als wäre ich nicht gestorben. Fast so, als sähe sie in mir immer noch den Alten. Doch wir beide wussten genau, dass es so nicht für immer weiter gehen konnte. Aber wir lebten lieber in unserer kleinen Traumwelt und ignorierten meinen frühzeitigen Tod.
Tage vergingen, dann Monate und schliesslich Jahre, und ich war immer noch an ihrer Seite. Sie war beinahe wieder die Alte. Und es kam der Tag, an dem ein scheinbar netter Junge ein Auge auf sie warf. Sie sprach aus reiner Höflichkeit mit ihm. Doch mit der Zeit brachte er sie zum erröten, machte ihr Komplimente, ja sogar Geschenke. Für mich war klar, dass ich sie freigeben musste. Ich war tot, das mit uns war vorbei. Ich konnte es nicht für immer heraus zögern. Auch wenn ich den Tpyen irgendwie nicht mochte. Vielleicht auch, weil ich eifersüchtig war. Weil ich gerne an seiner Stelle gewesen wäre. Sie fragte mich jedoch nie, ob es mir was ausmachen würde. Sie sah aber auch nie so aus, als würde sie in geraumer Zeit mit dem Anderen zusammen zu gehen. Schliesslich war ich derjenige, der ihr sagte, dass es okay war, denn ich war tot. Und so kam es, dass ich ihr zum letzten Mal sagte, dass ich sie lieben würde und dass sie ihr Leben so weiter führen sollte, wie sie es getan hätte, wäre ich nicht bei ihr geblieben oder als hätten wir uns nie gekannt. Sie wollte mich erst nich gehen lassen, aber schliesslich gab sie nach. "Ich will nicht egoistisch sein. Du brauchst deinen Frieden." Ich drückte ihr einen letzten Kuss auf die Stirn. Auch wenn sie mich nicht sehen konnte, schien sie es zu spüren. Tränen kullerten ihr über die Wangen, aber dennoch lächelte sie: "Vergiss mich nicht,wir werden uns wiedersehen. Ich liebe dich auch." Ein weisses Licht umgab mich, durchflutete mich mit einer Wärme und mein Schatz, mein ein und alles, strahlte vor mir ein letztes Mal auf, ehe ich sie nie wieder sah. Oder besser gesagt, erst dann, wenn sie alt und grau war, und tot. Ich konnte ihr kein Glück mehr geben. Doch ich wollte sie glücklich sehen, egal wer sie glücklich machte. Hauptsache, sie war es und mir blieb eine schöne Erinnerung an mein Leben.

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Tag der Veröffentlichung: 25.12.2012

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