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Einführung


Oft überlege ich mir, mit welcher Zeile ich meine Geschichte beginnen würde.
Nehmen wir mal an ich wollte ein Buch über mein Leben schreiben.
Mit welchem Satz, welchem Teil meines Lebens sollte das erste Kapitel beginnen?
Es war einmal…? Geboren wurde ich in…? Eines schönen Tages…?
Niemals!
Gott sei Dank bleibt mir die wirkliche Grübelei erspart, denn Rechtschreibung ist und war nie gerade meine Stärke. Mein Name ist Sabina. Braune Haare, grüne Augen, schlank und klein.
Ich lese nicht und schreibe wenig. Viele Menschen können dies kaum nachvollziehen.
Oft werde ich gefragt, wie es sein kann, dass eine junge Frau meines Alters keine Bücher leiden kann.
Diese Frage beantworte ich gerne mit einer Gegenfrage: Warum sollte ich Bücher lesen, wenn es auch Hörspiele gibt? Die Technik macht es einem heut zu Tage leicht, sich nicht auf die altmodische Art vor den Kamin zu setzten und ein Buch zu lesen.
Stattdessen schalte ich den CD-Player an, lege mir ein Hörspiel ein und lackiere mir während einer spannenden Kriminalgeschichte die Zehnägel.
Ich erinnere mich noch genau, dass ich früher am Wochenende nie zu Hause anzutreffen war.
Oft habe ich unter der Woche die Schule geschwänzt um mit Freunden unterwegs zu sein.
Dumm war ich nie, versteht mich nicht falsch, das richtige Wort wäre eher faul.
Von Klasse zu Klasse bin ich in der Schule gut durchgerutscht. Immer nur das nötigste zu tun schien für mich genug zu sein.
Da ich früh von zu Hause ausgezogen bin und daher niemanden hatte der mir sagen konnte was ich zu tun und zu lassen hatte, war ich das Leben anders nicht gewohnt.
Mit einem guten Abschluss - der viel besser hätte sein können – verließ ich die Schule und begann eine Ausbildung zur Bürokauffrau.
Am Anfang war es sehr schwer und auch oft eine Überwindung jeden Tag wieder pünktlich zu erscheinen. Mit der Zeit wurde es jedoch einfacher und ich begann mich wohlzufühlen.

Wichtig ist jedoch nur jener Tag, jenes wichtige Ereignis das mein Leben verändern sollte. Trotz allem beginne ich mit einem Sonntag vor dem besonderen Tag.
Um ein bisschen Licht ins Dunkle zu bringen…


Abfahrt!




Sonntagmorgen.
Ich öffnete mein rechtes Augenlid, nur so weit um die roten Zahlen auf meinem Radiowecker erkennen zu können.
Halb acht.
Warum zur Hölle war ich denn schon wach? Ich schloss das Augenlid wieder.
Fast lachhaft zu glauben, ich würde jemals vor zwölf Uhr auch nur ein einziges Glied bewegen. Doch irgendeinen Grund musste es geben, dass ich an einem Sonntagmorgen (nach einer durchgefeierten Partynacht) um halb acht Anstalten machte aufzuwachen.
Plötzlich war ich hellwach. Heute war nicht irgendein Sonntag. Heute war der
04. Juli, der Tag an dem ich in Urlaub fahren sollte.
Fieberhaft überlegte ich mir die Zeit des Treffpunktes. Acht Uhr – da war ich mir fast sicher. Ich hatte also mittlerweile nur noch fünfundzwanzig Minuten, meinen Koffer fertig zu packen, mich zu stylen und in den 20 Minuten entfernten Ort zu kommen, an dem ich mich mit den Mitreisenden treffen sollte.
Ich würde mit acht weiteren Personen, eine davon meine beste Freundin Nathalie, zum Niedrigpreis zwei schöne Wochen in Italien verbringen – hoffte ich zumindest.
Kreischend griff ich nach dem Telefon neben dem Radiowecker, während ich in Unterwäsche durch das Schlafzimmer hüpfend, die Nummer der Reiseveranstalter wählte.
„Sunlight and Star – Traumreisen, Hecker mein Name, was kann ich für Sie tun?“, kam eine dunkle Stimme von der anderen Seite der Leitung.
„Ha- ha- hallo, hi- hier ist Sabina Sweng“, rief ich, während ich versuchte mich in meine Jeans zu quetschen, „ich habe die Last-Minute-Reise nach Riva del Garda gebucht – Abfahrt acht Uhr!“
„Ja, gibt es ein Problem?“, rief Herr Hecker leicht nervös zurück ins Telefon.
„Ich werde mich wohl ein bisschen verspäten!“, versuchte ich ihm klar zu machen.
„Nun ja, es ist so Frau Sweng, sollten Sie nicht bis spätestens acht Uhr dreißig anwesend sein, können wir leider nicht mehr auf Sie warten.“
„Achso? Na dann sollte ich meine Zeit am besten nicht länger an Sie verschwenden, MR. HÖCKER!“, schrie ich fast ins Telefon.
Ich hörte noch wie er versuchte mich zu korrigieren, was die falsche Aussprache seines Namen betraf, aber ich hatte schon aufgelegt.
Während ich das Telefon auf das Bett warf, immer noch wahllos Sachen in den Koffer schmiss, mir die Zähne putze und mich verfluchte nicht früher gepackt zu haben, überlegte ich wie mein Urlaub noch zu retten war.
Mittlerweile war es kurz vor Acht. Nun noch viel panischer band ich mir die Haare mit einem gelben Haargummi zu, an dem eine riesige gelbe Blume befestigt war.
Ich schloss den Koffer. Für das sonstige Stylingprogramm war nun wohl wirklich keine Zeit. In einer ausgewaschenen Jeans, einem rosa T-Shirt das mir viel zu groß war (Größe XXL) und dem gelben Blumenhaargummi auf dem Kopf rannte ich die Haustür hinaus in Richtung Auto. Doch wo hatte ich geparkt?
Verzweifelt schaute ich mich um. Ich hatte nur noch fünfzehn Minuten und während mir der Schweiß ausbrach, rannte ich durch die Seitenstraßen bis ich den kleinen blauen VW vor Mrs. Meyers Hofeinfahrt stehen sah.
Unter meinem Scheibenwischer hing ein kleiner blauer Zettel auf dem ich das Wort „UNVERSCHÄMT“ erkennen konnte. Der Rest der Nachricht wurde vom Scheibenwischer verdeckt. Ich verstaute den Koffer und setzte mich hinters Steuer. „Wenn der Schlüssel jetzt auch noch weg ist, krieg ich einen Anfall“, dachte ich mir. Aber ich fand ihn endlich in meiner Hosentasche.
Ich fuhr los, fuhr so schnell es möglich war ohne andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Das letzte was ich wollte war eventuell noch von der Polizei angehalten werden. Ich setzte die Scheibenwischer in Gang und der Zette flog davon. "Wie Schade", dachte ich ironisch.
Während ich über eine Landstraße raste griff ich zum Telefon um erneut
Mr. „wie-auch-immer“ anzurufen. Diesmal war er erstaunlicherweise sehr kooperativ und versprach mir noch weitere zehn Minuten zu warten.
Als ich endlich auf dem großen Parkplatz ankam, saßen alle Mitreisenden anscheinend schon ungeduldig auf ihren Plätzen. Ich suchte verzweifelt Nathalies Auto doch ich fand es nicht. Auch sie war nirgends zu sehen.
Nathalie war bezaubernd. Etwas schüchtern vielleicht, sehr verletzlich und emotional und doch stets für Späße und wilde Partys zu haben.
Ich parkte mein Auto unter einer großen Eiche, was wie ich schon wusste bestimmt ein Fehler werden würde. Höchstwahrscheinlich würden die Vögel während meiner zwei Wochen Urlaub eine Darmentleerung über meinem Wagen durchführen.
Ich rannte, so gut es mit dem schweren Koffer ging, in die Richtung des Busses.
Der Fahrer sah sehr freundlich aus, rundlich und klein. Er nahm mir meinen Koffer ab und bat mich schon in den Bus einzusteigen.
Nach dem Abstimmen der Personalien schaute ich mich das erste Mal im inneren des Busses um. Es sah gemütlich aus, bestimmt würde es eine angenehme Fahrt werden. Ziemlich in der Mitte winkte mir Nathalie von ihrem Platz aus zu. „Hier her! Huhu, ich hab dir einen Platz freigehalten du Langschläferin.“, rief sie mir freudig entgegen.
Einige der anderen Reisenden verdrehten die Augen.
Zwei Männer, die ich als erstes bemerkte, da sie ganz vorne im Bus saßen, schauten mich verwirrt an.
Der erste von ihnen war groß und kräftig gebaut, schwarze kurze Haare die mit grauen Stellen durchzogen waren. Er schwitze leich, obwohl es in dem Bus nicht sonderlich warm war. Nicht einmal mir und ich war gerade mit einem 20 Kilo schweren Koffer über den Parkplatz gesprintet. Mit seinen braunen Augen sah er mich kurz an.
Hätte ich raten müssen hätte ich wohl gesagt, er sei der Touristenführer , obwohl er wohl kein Italiener, sondern Türke war.
Er lächelte und nickte mir kurz zu, wendete sich dann aber wieder dem Mann neben ihm zu. Dieser war noch größer als er, hatte lange Haare, die er zu einem Zopf gebunden trug und eine Brille. Ich schätzte ihn auf Ende 40.
Ein kurzer Blick folgte dem des ersten Mannes und auch warf ein Zeichen des Grußes in meine Richtung.
Eine Reihe hinter den beiden, saß eine Frau die sehr in ein Buch vertieft zu sein schien, bei dem Kommentar meiner Freundin jedoch kurz aufgestöhnt hatte.
Sie sah sehr natürlich aus, wahrscheinlich etwas jünger als sie eigentlich war.
Ihre Augen konnte ich nicht erkennen, da sie sich das Buch geschickt vor die Nase hielt. Doch auch sie schätzte ich Mitte bis Ende vierzig.
„Schockierend“, dachte ich mir, „das sind ja nur "alte" Leute, ich will feiern und keine Kulturreise machen!“
Hinter der Bücherratte, saß ein Junge, ein junger Inder und lächelte fröhlich in die Runde. Er winkte mir zu und ich lächelte ihn an.
Zwar war das meiner Meinung nach nicht die perfekte Reisetruppe aber man musste das Beste daraus machen. Noch nie war ich so froh Nathalie an meiner Seite zu haben, die eine Reihe hinter dem Inder saß. Schnell warf ich noch einen Blick hinter sie, wo drei weitere Menschen saßen.
Ein junges Mädchen schaute mich aus großen Augen an. Sie schien irgendetwas sehr lustig zu finden, doch ich konnte nicht erkennen warum sie so lachen musste. Sie war blond, und wäre mit einem winzigen Hauch Make-up und gekämmten Haaren bestimmt hübsch gewesen. Im Moment sah sie jedoch eher etwas ungepflegt aus.
Zwei Reihen hinter ihr saßen noch ein junges Paar - vermutete ich zumindest.
Sie unterhielten sich angeregt und nicht gerade leise über ein Musikevent.
Das Mädchen war pummelig, hatte schwarze lange Haare, grüne Augen, mit markanten Gesichtszügen und riesiger Oberweite. Der Junge hatte Glubschaugen, die fast aus ihren Höhlen zu fallen schienen, lockige, dunkelbraune Haare, war dünn und sah das Mädchen mit einem Blick an, der kaum zu deuten war.
Ich lief durch die Reihen und setzte mich neben Nathalie. Fragend sah sie mich an und sagte lächelnd: „Wie lang ging es diesmal?“
„Bis halb sechs!“, antwortete ich erschöpft, „war echt ne lange Nacht!“
Natürlich wollte sie wissen, wie lang die gestrige Party ging, denn so müde wie ich mich fühlte, sah ich höchstwahrscheinlich auch aus, was Nathalie mir sofort bestätigte in dem sie flüsterte: „Sieht man. Wie siehst du denn aus? Hast du heute überhaupt schon mal in den Spiegel geschaut?“
Mit einem fragenden Blick drehte ich mich zum Fenster des Busses, in dem ich mich spiegelte.
Erschrocken erkannte ich, warum das blonde Mädchen so hämisch gegrinst hatte.
Ich sah aus wie eine jüngere Version von Cindy aus Marzahn.
Mein rosa T-Shirt, viel zu groß hing formlos an meinem Körper herunter. Meine Jeans, die einmal dunkelblau waren, waren an den Beinen so ausgebleicht, das man meinen könnte an dieser Stelle waren sie schon immer Hellblau und als Highlight, thronte die gelbe riesige Blume auf meinem ungekämmten lose zusammengebundenen Haar. Meine Wangen waren blass und meine Augen waren untermalt mit tiefen schwarzen Schatten.
Anmerken lies ich mir jedoch nichts. Ich zuckte mit den Schultern, setzte mich auf meinen Platz, winkelte die Füße an, sodass ich bequem saß und sagte zu Nathalie: „Was solls!“
Der Bus setzte sich in Bewegung und eine Stimme ertönte durch die Lautsprecher:“ Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich Sie auf der Fahrt nach Italien begrüßen zu dürfen. Sollten Sie irgendwelche Fragen haben oder Bedürfnisse, zögern Sie nicht sich zu melden. Eine angenehme Fahrt wünsche ich!“
Wer gesprochen hatte wusste ich nicht aber es war mir auch nicht wirklich wichtig.
Ich nahm meinen IPOD, und setzte die Kopfhörer, aus der viel zu laute Musik dröhnte auf, wandte mich noch einmal an Nathalie und rief dank der Stimme des Sängers wohl ein bisschen zu laut: „Italien wir kommen – Abfaaaahrt!“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.08.2010

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