eigenartig war es schon, wie die dame in zagora auf den beinen war. wenn sie sich bewegte, sah es aus, als sei hans albers geradewegs von bord seines schiffes gegangen und würde ersten halt auf der reeperbahn suchen.
dabei befanden wir uns gar nicht in hamburg sondern am rande der wüste - und die dame trug keine kapitänsuniform, sondern war in tuareg-tücher gehüllt, die so blau sind, dass wir am ende - ohne etwas getrunken zu haben - ganz genau so sind.
die dame schwankte, stiess immer wieder einen fuss vor, zog den anderen hinter her, aber so, dass die beine in einem gewissem abstand zueinander blieben und sich nicht berührten.
eine seemännin in der wüste, der ihr schiff abhanden gekommen war ...
im hotelgarten lief sie auf einen tisch zu. bevor sie sich aber setzte, rief sie einen marokkaner, der ihr allerhand sitzkissen in den stuhl schob. dann nahm sie mühsam anlauf, hüpfte und sass schliesslich auch wirklich auf der pyramide aus rotem und grünem satin.
von dort hatte sie bestimmt eine schöne aussicht.
sie hatte den weitblick, ich aber musste mich weiter mit dem blauen schleier begnügen, den sie sich vors gesicht gebunden hatte. geheimnisvolle sphinx.
ich war nicht neugierig.
es entrang sich ein stöhnen ihrer brust. und weil ich in der nähe stand und ein höflicher mensch bin, fragte ich: "ist ihnen nicht gut - kann ich helfen?"
sie sah mich nicht.
ich wusste es gleich, sie war eine der europäischen frauen, die europäischen männern mit missachtung begegnen.
sie muss in glutvolle augen schauen. sie hat etwas versäumt ...
ich habe mich dran gewöhnt, in nordafrika alleinreisende frauen kennenzulernen, die etwas "versäumt" haben. im glücklichsten fall übernachten sie irgendwann in einem ausgetrockneten oued und sind am nächsten morgen fortgespült ... zu neuen abenteuern in der wildnis.
sie vermeiden das abenteuer so lange, bis sie dran ertrinken ...
weil ich nichts tun konnte, liess ich jede hilfe beiseite und liess sie auf ihrem thron aus kissen (satin in rot und grün mit goldenen borten) leiden. denn dieses "aua, aua" hörte ich unablässig - sie schickte es aber nur zu ihrem begleitenden marokkaner ...
... und der hatte glut in seinen augen.
„karim, es ist das rote kissen in der mitte - nicht das grüne weiter oben ... ich ersitze das, kümmere dich drum, es ist nicht zum aushalten ... da wurde einmal wieder bei den abnähern geschlampt - sie stechen mir ins fleisch.“
karim zog aus dem berg der pyramide das rote kissen. im selben moment rutschte der turm ein wenig in sich zusammen und die dame landete ein kissen-stockwerk tiefer.
„ilse - hast weh getan?“ hörte ich den marokkaner erschrocken rufen, der das rote kissen in der hand hielt und nicht wusste, wohin damit.
„flegel“, schimpfte sie und versuchte mit ihren pobacken die pyramide wieder ins gleichgewicht zu bringen.
„merke dir, erst stehe ich auf und erst danach solltest du nach dem kissen greifen ... aber du lernst es nicht. im übrigen, ich habe mich geirrt: es muss das grüne kissen sein, das mir diese unpässlichkeit verursacht. ziehe es einmal heraus ...“
„dazu muss rotes wieder rein?“ ich sah karim seine ratlosigkeit an.
„was denn sonst?“ rief ilse empört.
karim lächelte schief: „ja, was denn sonst?“
„also - hebe mich von den kissen und stecke sie wieder stabil zurecht ...“
ilse hatte einen befehl gegeben - der nicht einfach auzuführen war, denn karim konnte nur eines zur gleichen zeit tun: entweder ilse von den kissen heben, oder die kissen neu ordnen. beides zugleich überstieg seine kräfte und wohl auch sein organisationstalent (über das neue wort "stabil", das er gerade gelernt hatte, dachte er erst einmal überhaupt nicht nach) .... zumal ilse als fast 60-jährige nicht ohne grund besonders weite tuareg-kleider trug.
jetzt hörte er auch noch:
„und lass mich verdammt noch mal auf den kissen sitzen. einmal wieder unten komme ich da nie wieder rauf ... aua ... es tut mir alles weh!“
während karim versuchte, das rote kissen wieder in die pyramide zu stopfen, ohne ilse ins schwanken zu versetzen, hörte er sie sagen:
„wenn eine dame schon mal einen titan besteigt ...“
„was ist „titan“?“ verwirrt schaute er hinauf, wo ilse auf schwankenden kissen thronte und vorsichtig, ganz vorsichtig gewisse reitübungen simulierte, wobei sie ein leichtes stöhnen nicht unterdrücken wollte.
„aber du weisst doch: „titan“ hiess das kamel, mit dem ich durch die wüste ritt.“
„ja, .... titan-ja, unsere netteste im stall“, nickte karim.
„titan ... ich sagte es doch“, wiederholte ilse und ich hörte aus ihren worten eine leichte gereiztheit.
„aber ilse ... „titan“ heisst „titan-ja“ und ist unsere liebenswerte kamelstute!“
karim strich über die staubigen kissen, um von seinen - die letzte wahrheit enthüllenden - worten abzulenken. immerhin: auch ilse wusste jetzt, dass sie keinen stolzen kamelhengst ... sondern eine kamelstute geritten hatte.
ilse sass oben auf den rot-grünen kissen, stellte ihre reitbewegungen ein, starrte empört auf karim hinunter und rief:
„muss ich mir das ganze elend jetzt auch noch von einer blöden hergelaufenen kamelstute gefallen lassen?“ „ich weiss nicht warum - mir wird ganz schwindelig“, sie stöhnte und verkrallte sich in die bunten kissen. „kann man die schwankerei nicht einmal abstellen? das macht mir ja den ganzen urlaub kaputt!“
... es war seltsam: je lauter sie rief, desto stärker setzte sich die kissenpyramide in bewegung und neigte sich gefährlich zu den seiten.
und noch etwas geschah: je dichter sich das dunkel des abends über den hotelgarten legte und die kellner damit begannen, bengalische - blaue, grüne, rote ichter anzuzünden, desto mehr schien ilse aus ihrem stuhl empor zu wachsen. auf geheimnisvolle weise hob die pyramide aus roten und grünen satinkissen sie immer weiter in die höhe, bis sie als königin über allen anderen gästen sass und - so schien es mir - die bewundernden blicke auf sich zog.
in wahrheit aber riss wohl nur ich den mund weit auf und schaute diesem seltsamen spektakel irritiert zu, denn ich glaubte, der wiedergeburt der königin von saaba beizuwohnen, hätte ilse auf ihrem thron nur nicht so gejammert und gestöhnt.
„mir tut mein hintern weh, mach´ endlich was, karim!“ flehte sie den marokkaner an.
karim dachte nach. „wir könnten titan-ja bestrafen, weil sie so schlecht mit dir umgegangen ist - wie könnten ihr den ausritt sperren - wir könnten sie ohne trinkwasser lassen - wir könnten sie allein in die wüste schicken - wir könnten sie morgen zu meinem opa schicken ...!
„was soll sie denn bei deinem opa, karim?“
titan-ja könnte ihm bei der dattelernte helfen.“
„ist das denn eine strafe?“
„nein, nur eine abwechslung!“
die pyramide aus kissen senkte sich gefährlich zur seite, ilse aber fragte tapfer:
„pflegt titan-ja denn ihren geschlechtstrieb ....?“ weiter kam sie nicht, denn sie war schon wieder in gefahr, mitsamt der kissen aus dem sessel zu fallen.
„hilfe, karim, ich falle - verbiete titan-ja gefälligst das puscheln mit anderen kamelen!“
„aber ilse - kamele tun es überall, im stall, in der wüste, wir können nicht immer daneben stehen und rufen: „bis hierher und nicht weiter!“
„das schafft ihr ja schon unter euresgleichen nicht!“ schnaubte ilse hochoben auf den kissen.
diese worten hatten karim in seiner ehre gekränkt - er zeigte das mit heruntergezogenem mund. ein marokkaner jedoch verfällt nicht so schnell in sein schweigen:
„aber zur dattelernte bin ich immer als erster bei meinem opa, um zu helfen ... gleich nach sonnenaufgang.“ sein gesicht hellte sich auf:
„datteln sind nämlich das beste für die potenz!“
der oberkellner kam in den garten und bat die gäste zum abendessen. mir wurde der tisch neben ilse und karim angeboten - was mir missfiel, denn ich war hungrig und wollte ungestört zu abend essen. mit der in ihren kissen schwebenden ilse über mir war das aber kaum möglich.
ich nahm dennoch das angebot an und tröstete mich damit, dass es jedem stadttheater zur zierde gereichen würde, ilse auftreten zu lassen. mittlerweile brachte sie nämlich zwischen ihrem lauten stöhnen auch immer einmal wieder einen triller zu gehör, der sich wie der anfang der tonleiter anhörte ...
... dann aber regelmässig erstarb und - wie gewohnt - einem dumpfen „aua“ platz machte.
dieses problem hätte man vielleicht mit etwas übung lösen können. schwieriger aber schien es mir, um ilse herum einen einigermassen plausiblen spielplan zu entwickeln. so ganz viele opern mit von kamelen geschädigten damen fielen mir nicht ein. es war eigentlich nur verdis oper „aida“ und selbst da wusste ich nicht, ob aida jemals auf einem kamel geritten war ...
... ganz davon abgesehen, dass ein stadttheater nicht ein ganzes jahr unablässig “aida“ mit ilse auf dem spielplan haben konnte.
das langweilt mit der zeit.
die im hotelgarten sitzenden gäste bemühten sich, ilse zu ignorieren. manche schüttelten aber auch mit den köpfen und ein vater ermahnte laut seinen sohn: „harald, man schaut einer hemmungslos - hmmm - frau nicht so hemmungslos zu - iss jetzt deinen salat!“
als ich in der vorspeise stocherte und mir überlegte, ob es sich bei der frikadelle im tomatenbett um kamelfleisch handelte (dann hätte man titan-ja vielleicht inzwischen ihrer gerechten strafe zugeführt), überkam mich ganz plötzlich das mitleid mit ilse - oder besser gesagt: es war ein mitleid für mensch und tier.
nur wenige haben eine vorstellung davon, was es heisst, stundenlang auf einem kamel durch die wüste zu reiten. die sich unablässig am fell der tiere reibenden, zarten oberschenkel der touristen sind am ende blutrot unterlaufen und ihre schmerzenden hintern erinnern sie mit schrecken an die sadistischen prügel hemmungsloser volksschullehrer.
der preis der wüste ist nicht die hitze - sondern der schmerz.
jetzt aber war ich doch nahe daran, mir die ohren zuzuhalten, denn ilse bäumte sich plötzlich in ihren kissen auf, schluchzte besonders laut... und fiel in sich zusammen.
... manchmal fallen wollust und schmerz in einem kurzen moment zusammen - nur ich begreife das zuweilen nicht.
karim war als erster auf den beinen - und mit ihm einige hotelgäste. sie schauten besorgt zu ilse hinauf, die stöhnend, schwer atmend und gekrümmt auf ihren kissen lag.
„wir müssen etwas tun, sie stirbt!“ rief die schwester von harald am nebentisch. sie trug immer noch ihren bikini vom strand, liess ein kaugummi vor ihrem mund platzen und wurde in massvollem abstand von einigen glutaugen hinter den büschen umlauert.
die tür zum restaurant sprang auf und der oberkellner eilte in den garten. „madam, was können wir tun - sind sie verletzt? ich habe eine salbe für schmerzen dabei. vielleicht hilft sie!“
ilse entfaltete sich aus ihrer stöhnenden verknotung und richtete sich auf. sie versuchte sogar ein lächeln.
„salbe gegen schmerzen? ich brauche immer etwas gegen meine schmerzen. die salbe wird mir helfen, ich musste erst nach marokko reisen, um zu genesen ...“
sie warf einen blick in den dunklen himmel und rief: „es ist die reine, unverstellte natur, die hier hilft ...“
„und der biss der schlange!“ ergänzte der oberkellner. „diese salbe ist das pure nattergift. in massen aufgetragen, hilft sie aber auch gegen andere schmerzen ... und natürlich gegen schlangenbisse ...!“
er lächelte. ich aber hörte ...
.... das aufstöhnen von ilse - dem nur der melodische triller am ende fehlte.
ich dachte an die kleine frikadelle zurück, die - auf wunderbare weise gewürzt und mit einem häubchen cous-cous bedeckt - das tomatenbett der vorspeise geschmückt hatte. titan-ja hatte mir geschmeckt. dennoch, dachte ich, konnte man in marokko nicht jedes mal ein kamel schlachten, wenn es mit touristinnen nicht so pfleglich umging, wie es die damen von zu hause her gewohnt waren. mir schien, dass die gesamte kamelpopulation nordafrikas gefahr lief, ausgerottet zu werden, wenn die marokkaner es bei dieser, kein erbarmen kennenden praxis beliessen.
man verkocht in deutschland ja auch nicht seinen hund - nur weil er auf dem gehweg seine notdurft hinterlässt ...
das letztere hatte ich aber wohl ein wenig zu laut gesagt, denn jetzt meldete sich am nebentisch die mutter von harald und meinte:
„übrigens soll auch das gekräusel der fledermäuse gegen schmerzen helfen ...“
sie hatte tatsächlich vom „gekräusel“ gesprochen.
„ilse ...“, karim schaute sie mit verdrehtem hals von unten her an. „wir müssen noch den ausflug für morgen besprechen. ich schlage vor, wir reiten zur düne el-kebab-man-sur und halten dort ein picknick.“
„du armer tropf!“ rief ilse, „bringst nicht mal eins und eins zusammen ...“
bevor er in ein beleidigtes schweigen verfiel, fragte karim mit trotzig-wütender stimme:
„warum?“
„weil immer nur eines geht - entweder wir reiten auf titan-ja zur düne ... oder wir haben sie in der dose fürs mittagessen dabei ...
aua!“
aus dem halbdunkel des gartens tauchte der oberkellner auf. ihn beleuchtete ein scheinwerfer, der gewöhnlich am swimming-pool stand, ihm aber jetzt vom hotelelektriker hinterdrein getragen wurde.
bei den gästen angekommen, schaute er ernst in die runde: „mein dams, mein herrns, wie soll ich sagen, wenn kamel passt nicht auf? kamel muss immer auge sein für unsere gäst ... immer! unsere lieb ilse hat heut gemacht schlimm malheur mit titan-ja. tut alles leid ... auch kamel. titan-ja will sagen ... pardon!“
der elektriker schwenkte den scheinwerfer in die tiefe des gartens und in seinem licht erschien - mit einem baströckchen gekleidet und einer schirmütze auf dem kopf, die an die amerikanische fahne erinnerte - titan-ja. sie tänzelte ein wenig auf ihren vorderbeinen und verneigte sich nach links und rechts.
haralds schwester liess ein kaugummi platzen: „wie süss!“
aus ilses gesicht war jede farbe gewichen. je näher ihr das kamel kam, desto mehr verwandelten sich ihre roten backen in ein mausiges grau und schrumpften zu faltiger starre.
„was will das tier schon wieder von mir?“ schrie sie und hielt sich an den kissen fest, die sich wegen der heftigkeit ihrer gemütsbewegung besonders gefährlich zur seite neigten.
titan-ja liess sich nicht beirren. sie war im kreis der hotelgäste angekommen und hatte - so schien es mir - nur augen für ilse. titan-ja wartete auf ein zeichen und kreuzte in kleinen sprüngen die vorderfüsse.
ein kaugummi platzte. „wie süss!“
„titan-ja tut, was ich ihr sage!“ rief der oberkellner. „alles habe nur ich ihr beigebracht ...“ er griff nach einem stöckchen, das in seinem gürtel steckte und klopfte damit auf titan-jas vorderbeine. das tier bäumte sich auf und und schien plötzlich auch mir - so geheimnisvoll beleuchtet von den bengalischen lichtern - ein wirklicher titan zu sein.
"er hat ihr alles beigebracht? der oberkellner hasst mich", stöhnte ilse.
titan-jas auftritt wurde leider ein wenig geschmälert, weil das kamel just in diesem moment meinte, den schönen rasen des hotelgartens düngen zu müssen ...
„das gekräusel!“ flüsterte die mutter von harald.
titan-ja stellte die beine gerade und lief weiter in richtung von ilse, die ihre hände vors gesicht schlug und laut in die nacht schluchzte.
„man sollte das tier nicht so quälen!", schüttelte haralds mutter den kopf. „ich finde es geil“ entgegnete ihre tochter.
ich wartete - dieses mal leider vergeblich - auf das platzen eines kaugummis.
als titan-ja bei ilse angekommen war, vergrub sie - ich traute meinen augen nicht - das maul in den locken ihres haars und streckte die zunge heraus, so als wollte sie frisches buschwerk rupfen und zu sich nehmen.
ilse schrie:
„dieses kamel ist verrückt - es will so schöne locken haben wie ich ... karim, ich muss hier raus, wo ist der ausgang?“
karim schaute sich ratlos um und stotterte: „ich weiss es im moment nicht, ich sehe ihn nicht. vielleicht hat man ihn verlegt?“
„dann muss es die reissleine sein!“ ilse gab dem sessel, in dem sie mit ihren vielen kissen thronte, einen energischen stoss und liess sich nach hinten fallen.
das alles sah gefährlicher aus, als es war, denn karim eilte ihr zur hilfe und fing sie, bevor sie hart auf den boden schlug, einigermassen geschickt auf.
der erschrockene oberkellner scheuchte titan-ja zurück in die dunkelheit des gartens und wollte ilse ebenfalls beistehen. da lag sie aber schon in den armen von karim, blinzelte in den vergessenen scheinwerfer und fragte:
„nun sage mir bitte einer, was die leckere frikadelle zum abendessen enthielt - titan-ja jedenfalls war es nicht!“
Tag der Veröffentlichung: 08.02.2009
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