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WEIHNACHTEN geriet ihm jedes mal zur qual. spätestens am dritten advent begann in seiner familie die debatte, ob man nun einen weihnachtsbaum aufstellen sollte oder nicht. seine frau meinte (wie jedes jahr): "so ein ungetüm kommt mir nicht ins haus, er nadelt doch nur!" und vera und helmut, seine kinder, verzogen ihr gesicht (das kannte er auch schon) und riefen: "was für ein kitsch!"

er war in seiner familie der einzige, der sich nichts sehnlicher wünschte als einen tannenbaum - so wie er ihn als kind kannte, als unter den zweigen die geschenke auf ihn warteten. jedes mal zu weihnachten wurde er quälend aus seinen erinnerungen gerissen, wenn alle welt um den weihnachtsbaum sass und nur er dazu verdammt war, in eine einsame, flackernde kerze zu blicken, die seine frau auf dem gabentisch erlaubt hatte.

spätestens am dritten advent war ihm die stimmung gründlich verdorben. einige jahre zuvor hatte er den kleinlauten vorschlag gemacht, doch wenigstens alle zwei jahre einen weihnachtsbaum aufzustellen. so würde jeder - das war ein gutes argument, wie er fand - zu seinem recht kommen. aber nicht einmal mit diesem kompromiss hatte er sich durchsetzen können.

"sei doch nicht so schrecklich sentimental!" schimpfte seine frau. seine kinder aber schauten ihn mitleidig an und meinten: "pappa hat gewiss eine schlimme kindheit gehabt, dass er heute nachholen muss, was ihm damals versagt blieb!"

er unternahm zwar in jedem jahr einen neuen anlauf, um das thema "weihnachtsbaum" auf die tagesordnung zu setzen - es half aber nichts. es fand sich nie eine mehrheit für seinen wunsch. die ablehnung seiner familie hatte längst den charakter der grundsätzlichkeit angenommen: "der baum bleibt draussen - und damit basta!"

seine grösste niederlage erlebte er, als sich sein sohn helmut eines tages ein fahrrad zu weihnachten wünschte.

"du sollst es bekommen - aber nur, wenn du weihnachten für mich und den weihnachtsbaum stimmst!"

dieser versuch einer erpressung blieb nicht lange unentdeckt. "was bist du doch für ein mieser vater!" schimpfte seine frau, nachdem helmut ihr von dem seltsamen geschäft erzählte, das sein vater ihm vorgeschlagen hatte.

nicht nur, dass er gänzlich blamiert war - er musste auch zugeben, dass selbst die stimme von helmut nichts an der situation geändert hätte. es wäre höchstens ein "patt" dabei herausgekommen.

mit grösstem trübsinn erledigte er seine letzten weihnachtseinkäufe. er tat es lustlos und ohne jede freude. es würde ihm an diesem weihnachtsfest doch wieder das wichtigste fehlen.

er kam an einem marktstand vorbei, wo ...

... tannenbäume verkauft wurden. wehmütig besah er sich die letzten, ein wenig krummen tannen, die noch übrig geblieben waren. vor allem eine ganz kleine und besonders gerupfte tanne schnürte ihm die kehle zu.

er nahm seine ganze willenskraft zusammen, vergass alle bedenken (wuchs also über sich selbst hinaus) und zeigte auf die tanne: "die nehme ich!", bezahlte, klemmte sie unter den arm und lief eilig nach hause. er achtete sorgsam darauf, dass ihn niemand sah, schlich in sein arbeitszimmer und stellte die kleine tanne triumphierend und froh, sich wenigstens einmal durchgesetzt zu haben, in eine ecke. er besass keine kerzen oder sonst einen schmuck. er hatte noch nicht einmal einen baumständer, um die tanne gerade zu rücken. aber das machte nichts. das zimmer füllte sich bald mit wald- und weihnachtsduft.

"wo bleibt pappa?" fragten seine kinder, die ungeduldig auf die bescherung warteten. "er sitzt bestimmt noch in seinem arbeitszimmer!" antwortete ihre mutter. "will er denn gar nicht mit uns weihnachten feiern?" helmut stand auf. "ich werde ihn holen!"

vor den weihnachtsbaum hatte er einen sessel gerückt und es sich darin behaglich gemacht. freude erfüllte sein herz, er zündete sich eine zigarre an und trank von dem rotwein, den er sich nur zu weihnachten gönnte. er war glücklich.

so fand ihn helmut. er starrte auf seinen vater, der versonnen lächelte und ganz versunken in den anblick des weihnachtsbaums war. helmut schnappte nach luft, machte kehrt und rannte ins wohnzimmer zurück. atemlos berichtete er, was er gesehen hatte und schloss mit dem niederschmetternden satz:

"pappa ist leider verrückt geworden!"


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für meinen Freund Josef

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