Cover

Familie puffenstedt hatte beschlossen, in diesem jahr nicht in urlaub zu fahren. immerhin hatte tochter irma schon einen goldhamster und sohn willfried einen legobaukasten bekommen. ausserdem gab es für gerda puffenstedt einen mixer namens „zauberstab“ und für karl puffenstedt eine lammfellauflage für die autositze. für einen urlaub fehlte also das geld.

wie gross war da die freude, als vater puffenstedt seine familie zu einem kurzausflug nach bremen einlud.

„wir wollen doch mal sehen, ob die stadtmusikanten noch stehen“, sagte er.

an einem samstag im august machten sie sich auf den weg. karl puffenstedt parkte das auto vor den toren der stadt - mit einem sammelfahrschein ging es direkt zum marktplatz. gerda puffenstedt staunte nicht schlecht, als sie das rathaus sah.

„steht das hier immer - oder nur im sommer, wenn touristen vorbeikommen?“ fragte sie ihren mann. sie dachte dabei an die blitz- und geisterbahnen auf den jahrmärkten, die ja auch nur zeitweise aufgebaut werden. sie dachte auch: soetwas schönes muss doch geschont werden!

„aber gerda! das ist doch das bremer rathaus. dort regiert der bürgermeister!“

„aber es nützt sich doch ab - mit der zeit. ich meine: wir sitzen doch auch nicht täglich im wohnzimmer!“

„genau so ist es - weil die neue garnitur geschont werden muss!“ karl puffenstedt freute sich, dass seine familie ihn verstand.

„ ... unsere küche ist aber sehr ungemütlich!“ meinte wilfried puffenstedt.

„ ... man kann da noch nicht einmal fernsehen!“ nörgelte irma puffenstedt.

karl puffenstedt dachte nach. „vielleicht regiert der bürgermeister gar nicht das ganze jahr im rathaus, sondern nur im sommer, wenn er sich den touristen am fenster zeigen muss!“

gerda puffenstedt sah an der fassade hinauf. „siehst du ihn - ich nicht!“

„vielleicht zieht er sich gerade die puschen an!“ gab karl puffenstedt zu bedenken.

„und wozu soll das gut sein?“ gerda puffenstedt schaute ihren mann skeptisch an.

„um das rathaus zu schonen, du dummchen!“


II.

Karl puffenstedt wollte seiner frau und den kindern den aufenthalt in bremen unvergesslich machen. deswegen hatte er sich vorgenommen, einen kleinen vortrag über bremen zu halten. nur leider - er hatte keine zeit gehabt, ihn auszuarbeiten. das bereitete ihm jedoch weiter kein kopfzerbrechen. im kegelclub fiel immer auf ihn die wahl, wenn es galt, aus dem stegreif und spontan eine launige rede zu halten - sei es zu jubiläen oder geburtstagen - bei denen vor allem.

er bat seine frau und kinder, im kreis aufstellung zu nehmen. es sollten doch alle hören, was karl puffenstedt zu sagen hatte.

„liebe gerda, lieber wilfried, liebe irma - wir befinden uns auf dem schönen marktplatz in bremen. wir alle freuen uns ... äh ... unser rüstiges geburtstagskind ... äh ...“. karl puffenstedt hatte - schneller als gedacht - den faden seines vortrags verloren. er vertraute jedoch auf sein talent zur improvisation und fuhr fort: „ ... begehen zu können ... ich meine natürllch, diesen schönen tag begehen zu können. ein älteres geburtstagskind fragt man nicht mehr nach den lebensjahren, vor allem dann nicht, wenn das geburtstagskind gar kein kind mehr ist ... „ (karl puffenstedt freute sich über diesen letzten satz. den musste er sich unbedingt merken, um ihn bei gelegenheit in einer geburtstagsrede zu verwenden). „darum schweigt des sängers höflichkeit bei der frage, wie alt bremen ist. ich sage nur: man ist so jung, wie man sich fühlt. deswegen stehen hier auch so viele alte häuser herum.“

irma puffenstedt gähnte: „wird denn wenigstens irgendwo party gefeiert - ich meine: so eine richtig geile geburtstagsparty mit girlanden und torte?“

jetzt drängte sich eine den puffenstedts gänzlich unbekannte passantin heran, die nur das wort „geburtstag“ gehört hatte. sie war eine gebürtige bremerin und rief: „nicht vergessen, am dom die treppen zu fegen!“ und blieb bei familie puffenstedt stehen, um den erklärungen von karl puffenstedt zu lauschen.

karl puffenstedt bemerkte, dass er seinem vortrag eine richtung gegeben hatte, die offensichtlich bei seiner familie und der bremerin zu missverständnissen führte. er kannte nicht einmal das alter bremens - folglich auch nicht, ob eine geburtstagsrede überhaupt angebracht war. auf diese weise - das ahnte er - konnte er seinen vortrag nicht retten.

gerda puffenstedt war längst entrüstet: „aber karl - du hättest uns doch sagen müssen, dass wir zum geburtstag eingeladen sind. das ist mir ja so peinlich. wir haben gar kein geschenk für das geburtstagskind dabei. wo ist es eigentlich?“

karl puffenstedt wusste nicht, wie er seinen verunglückten vortrag einigermassen sinnvoll zu ende bringen sollte. wenn sogar gerda ihn falsch verstand, musste er irgendetwas gründlich falsch gemacht haben.

„aber gerda! ich sagte doch gerade, dass keiner weiss, wie alt bremen ist. wie soll man unter diesen umständen geburtstag feiern?“

„ganz einfach - auf verdacht!“ wilfried puffenstedt zog ein kaugummi zwischen den zähnen hervor und liess es - den arm ausgestreckt - schmatzend in den mund zurück schnellen.

„darf ich jetzt bitte mit meinem vortrag fortfahren?“ karl puffenstedt sagte das mit strengem ton - so als hoffte er, auf diese weise seine angeschlagene autorität zu festigen.

„wie ich schon sagte: bremen ist eine sehr alte stadt ...“

„ ... und feiert heute geburtstag - das wissen wir bereits!“ irma puffenstedt besah sich gelangweilt ihre fingernägel.

„ ... eine sehr alte stadt mit einem schönen rathaus. bremen gehörte einst zur hanse - deswegen nennt sie sich auch hansestadt bremen.“

„was ist „hanse“?“ wilfried puffenstedt sah seinen vater neugierig an - er wollte ihn mit dieser frage offensichtlich in verlegenheit bringen.

„ ... und was ist hansaplast?“ wollte gleich darauf irma puffenstedt wissen.

karl puffenstedt dachte angestrengt nach, als auch gerda puffenstedt noch etwas einfiel: „es gibt sogar einen yogurt, der „hansano“ heisst!“

schliesslich meldete sich die bremerin zu wort: „nicht zu vergessen: der schöne borgward hansa!“

karl puffenstedt brach der schweiss aus. dennoch wollte er seinen vortrag unbedingt zu ende bringen.

„später ... ich werde euch alles später erklären. oder habt ihr es schon einmal erlebt, dass ich euch eine frage schuldig geblieben bin?

„pappa puffenstedt weiss alles!“ irma puffenstedt seufzte.

„jawohl - und deswegen kommen wir jetzt zum wahrzeichen bremens. schaut bitte dort hinüber: das ist der roland.“ karl puffenstedt zeigte auf den steinernen ritter, der einen langen schatten auf den marktplatz warf.
„und wer ist dieser roland?“ fragte irma puffenstedt gedehnt.

wilfried puffenstedt spuckte sein kaugummi durch eine seiner zahnlücken und rief: „wahrscheinlich einer der vielen geburtstagsgäste!“

„die müssen aber unbedingt eine drehorgel dabei haben!" mit diesen worten eilte die bremerin davon.

„wer war das?“ fragte gerda puffenstedt ihren mann. „kennst du sie?“

karl puffenstedt schüttelte den kopf. „nein - aber sie ist bestimmt dankbar, in so kurzer zeit so viel über bremen erfahren zu haben!“

III.

Karl puffenstedt drängte zum aufbruch. es mussten in kurzer zeit allerhand sehenswürdigkeiten bremens kennengelernt werden. da durfte keinesfalls getrödelt werden. sie hatten sich, wie er meinte, schon viel zu lange bei nebensächlichem aufgehalten - etwa bei der frage, wer nun in bremen die klinken der domtüren putzen und wer die drehorgel spielen musste. diese regionalen absonderlichkeiten spielten fürs grosse und ganze jedoch überhaupt keine rolle ... und karl puffenstedt ging es stets und immer nur um das grosse - und noch viel mehr um das ganze.

„im grossen und ganzen haben wir genug vom marktplatz gesehen. wenn ihr noch fragen habt, dann stellt sie jetzt. ansonsten lasst uns die nächste besichtigung in angriff nehmen!“ er stürmte los, seine familie hinterdrein.

„sie müssen hier irgendwo sein!“ karl puffenstedt blickte sich ratlos um. nun waren sie schon sechs mal ums rathaus herum gelaufen.

irma maulte: „mir tun die füsse weh. wie viele runden sind es denn noch?“

„sie müssen hier irgendwo sein!“ wiederholte karl puffenstedt ärgerlich. „wir können doch nicht aus bremen abfahren, ohne sie gesehen zu haben!“

„was gesehen haben?“ gerda puffenstedt war ganz ausser atem. der absatz ihres rechten schuhs war abgerissen - deswegen humpelte sie ihrer familie schon die ganze zeit - runde um runde - ums rathaus hinterher.

„aber gerda, wofür ist bremen denn bekannt?“ karl puffenstedts frage klang wie ein einziger vorwurf.

„für das rathaus und den roland!“ rief wilfried und blies ein kaugummi auf, bis es als grosser ballon vor seinem gesicht stand.

„das auch!“ erwiderte karl puffenstedt und wurde immer ungeduldiger. „es gibt aber noch etwas anderes!“

irma massierte ihre oberschenkel. „das heisst dann wohl: noch ein paar runden um dieses dämliche rathaus!“

„nein, das tue ich mir nicht an!“ gerda puffenstedt hinkte zu den rathausarkaden und suchte sich einen sitzplatz. „mit diesen schuhen gehe ich keinen schritt weiter. wir haben auch genug gesehen. roland und rathaus reichen. viel grösser ist bremen ja auch nicht!“

„ich weiss aber doch, dass sie hier irgendwo sind!“ rief karl puffenstedts zornig.

„anstatt etwas zu suchen, das du doch nicht findest, solltest du besser ausschau nach meinem absatz halten. das wäre wirklich hilfreich!“ gerda puffenstedt besah sich beleidigt ihren rechten schuh, der völlig schief getreten war.

„ich habe durst!“ maulte irma. „ich hab hunger und will jetzt pommes frites mit majo!“ ergänzte wilfried und liess den kaugummi-ballon platzen.

„mund gehalten - jetzt wird besichtigt!“ karl puffenstedt wollte ein machtwort sprechen, hatte aber nicht mit seiner frau gerda gerechnet, die ihn ungläubig ansah und fragte:

„und was, bitteschön?“

„das, was ich nicht finden kann!“ schrie karl puffenstedt. ihm waren die nerven durchgegangen. „und wenn du“, er drehte sich drohend zu wilfried, „noch einmal ein kaugummi platzen lässt, dann setzt es eine backpfeife!“ karl puffenstedt war noch nicht zu ende. als nächstes war seine frau an der reihe: „wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass man mit hochhackigen schuhen nicht in die berge und nach bremen fährt!“ seine tochter irma aber schrie er an: „mädchen in deinem alter haben - verdammt noch mal - keinen durst, hast du das verstanden?“

in diesem moment kam ein polizist vorbei. karl puffenstedt rief „hallo, sie da!“ und winkte ihn heran. „ich heisse classen, oberwachtmeister classen - und nicht „hallo sie da“, merken sie sich das.“

„woher soll ich ihren namen wissen, herr claussen?“ karl puffenstedt war verärgert. was bildete sich diese amtsperson eigentlich ein?

„classen! mein herr, oberwachtmeister classen vom 1. polizeirevier ... innenstadt!“

„dann können sie uns hoffentlich sagen, wo wir die bremer stadtmusikanten finden. sie kennen sich doch wohl irgendwie in der innenstadt aus!“

„gleich um die ecke - sie sind nicht zu übersehen!“ antwortete der polizist, tippte einmal an seine mütze und ging seiner wege.

„nicht zu übersehen!“ karl puffenstedt wiederholte empört die worte des beamten. er war beleidigt. „sind die polizisten hier alle so rechthaberisch?“
der polizist hatte - karl puffenstedt musste es schliesslich einsehen - recht. gleich um die ecke standen auf einem sockel die bremer stadtmusikanten. karl puffenstedt hatte sie bei seinen sechs runden ums rathaus einfach übersehen. „sie sind ja auch sehr klein!“ sagte er entschuldigend zu seiner frau gerda. „bremen ist ja auch nicht besonders gross!“ antwortete sie und hinkte auf einem bein um ihren mann herum.

wilfried setzte zu einem neuen, noch grösseren kaugummi-ballon an: „und was spielen sie den ganzen tag?“

„sie singen!“ korrigierte ihn irma.

„hörst du was - ich nicht!“ wilfrieds kaugummi-ballon zerplatzte mit einem lauten knall.

„ach, gottchen - sind die niedlich!“ gerda humpelte zum sockel des denkmals und besah sich von nahem (sie war kurzsichtig) den esel, den hund, die katze und den hahn.

karl puffenstedt blieb in einiger entfernung stehen und setzte zu einem weiteren vortrag an: „das sind die bremer stadtmusikanten. sie heissen so, weil die gebrüder grimm es so wollten. sie haben nämlich ein märchen geschrieben, das „die bremer stadtmusikanten“ heisst. was ihr hier seht - irma, schau gefälligt hin! - sind ein esel, ein hund, eine katze und ein hahn - von unten nach oben gesehen.“

„oder ein hahn, eine katze, ein hund und ein esel - von oben nach unten gesehen“, bemerkte wilfried, als sei ihm soeben eine besondere erkenntnis zuteil geworden.

„und der arme esel muss alle tragen - den hund, die katze und den hahn“, warf irma traurig ein. „warum tut er das?“

„weil es so“, erwiderte karl puffenstedt. „bei den gebrüdern grimm steht.“

„dort heisst es wirklich, dass der esel die katze ... ich meine der hund die katze und den hahn tragen muss? das glaube ich nicht.“ gerda puffenstedt schüttelte den kopf.

„natürlich steht dort nicht, dass der hund den esel, ich meine der esel den hund, die katze und den esel ... nein, den nicht ... tragen muss. im märchen steht nur, dass der hahn den hund, die katze aber den esel trägt - oder so, weiter nichts.“

„schon klar - sonst würde hier in bremen ja auch nicht der hund auf dem esel, die katze auf dem hund und der hahn auf der katze stehen!“ wilfried zeigte auf das denkmal. „unsere frage war aber, warum ... w-a-r-u-m ... der hund auf dem esel, die katze auf dem hund und der hahn auf der katze steht.“

karl puffenstedt starrte auf die bremer stadtmusikanten, konnte sich aber beim besten willen nicht an das märchen der gebrüder grimm erinnern. es fiel ihm nur das märchen von „frau holle“ ein - und das passte wahrscheinlich nicht hierher.

in seine ratlosikeit platzte eine chinesische reisegruppe, die sich im halbkreis vor dem denkmal aufstellte. gerda puffenstedt, die immer noch von ganz nah zum esel, dem hund, der katze und dem hahn hinauf schaute, sprang zur seite, als sich die kameraobjektive auf sie richteten. „nein, nein - ich war doch gar nicht beim friseur!“

ein chinese löste sich aus der gruppe und begann, einen vortrag zu halten. karl puffenstedt hörte nicht hin. er wusste, dass der reiseleiter den chinesen auf chinesisch passende rezepte für die zubereitung von eseln, hunden, katzen und hühnern verriet. „sie essen eben alles!“ murmelte karl puffenstedt, wurde aber hellhörig, als der reiseleiter davon sprach (aber warum denn plötzlich auf deutsch?), dass „die tiere eines tages am haus der räuber vorüber kamen. weil sie aber wissen wollten, was im haus geschah, mussten sie durchs fenster hinein schauen. deswegen stellten sie sich aufeinander und der hahn - weil ganz oben - berichtete den anderen, was er sah.“

karl puffenstedt freute sich, dass die chinesische reisegruppe bald weiter zog - und noch viel mehr, dass gerda, irma und wilfried offensichtlich den vortrag des reiseleiters nicht mitbekommen hatten. so konnte er ihnen endlich erzählen, warum esel, hund, katze und hahn aufeinander stehen - und keiner würde je erfahren, dass er sein wissen von einem chinesen hatte.

er rief seine familie zusammen und bat wilfried: „kannst du deine frage noch einmal wiederholen?“

wilfried dachte nach. „wann gibt es pommes frites mit majo?“

„nein, die andere frage!“ karl puffenstedt wurde ungeduldig. weil aber wilfried nichts mehr einfiel, meldete sich irma zu wort: „wann gibt es etwas zu trinken?“

„diese frage meine ich auch nicht. warum seid ihr eigentlich so begriffsstutzig? ihr habt doch vorhin gefragt, warum esel, hund, katze und hahn aufeinander stehen!“

es muss doch nicht auf jede frage eine antwort geben!“ mischte sich gerda puffenstedt ein. „mir ist es, ehrlich gesagt, auch ganz egal!“

„ich werde es euch erklären ...!“ karl puffenstedt holte tief luft, konnte aber mit seinem vortrag nicht beginnen, weil gerda, wilfried und irma in richtung marktplatz davon liefen.

karl puffenstedt rief ihnen hinter her. „wohin wollt ihr?“

„zu macdonalds ... da gibt es pommes mit majo ... und eine cola dazu“, hörte er seine familie im chor rufen.

„wenigstens einmal eine vernünftige antwort auf so viele fragen!“ seufzte karl puffenstedt und folgte eilig seiner familie.

IV.

Kaum hatte familie puffenstedt bei mac donalds ihren „doppel-hamburger-extra“ aufgegessen, drängte karl puffenstedt auch schon zum aufbruch.

„beeilt euch - wir haben doch noch gar nichts von bremen gesehen!“

wilfried meinte zwar, er würde sich viel lieber die schaufenster von karstadt ansehen und irma erklärte, sie wollte sich eine bank in der sonne suchen, das aber verbot ihnen karl puffenstedt und entschied - „ohne wenn und aber“ - die besichtigung der böttcherstrasse in angriff zu nehmen. „wir sind doch nicht zu unserem vergnügen in bremen!“

„und warum dann?“ fragte gerda, seine, frau, erstaunt.

„kultur ist nun einmal anstrengend“, antwortete karl puffenstedt. „denke nur an die schöne wagner-oper, die wir vor einigen jahren in wuppertal gesehen haben ...“

„ ... als du im ersten akt gegangen bist, weil es dir so langweilig war!“

„mir war unpässlich - weiter nichts!“ gab karl puffenstedt beleidigt zurück.

„aber du sollst dich doch nicht überanstrengen. wir werden uns einen stadtführer nehmen!“

diese worte elektrisierten karl puffenstedt. „du hast also den eindruck, dass ich euch nichts über bremen erzählen kann. das meinst du doch!“

„nun sei doch nicht gleich beleidigt. so ein führer weiss vielleicht das eine oder andere noch besser als du ...“

... besser als ich?“ karl puffenstedt sah seine frau erbost an. „ich fahre nach hause - jetzt sofort. wenn ihr meine informationen nicht zu schätzen wisst, geht es bestimmt auch ohne mich.“

irma wollte den streit ihrer eltern schlichten: „so ein führer kostet doch nur geld. besser ist es, du zeigst uns jetzt mal die böttelgasse!“

„da hörst du es, gerda! ich spreche von der böttcherstrasse - und was tut deine tochter? sie redet von irgendeiner büttel ... böttelgasse! du siehst, wie wichtig es ist, einen fachmann dabei zu haben. nun lasst uns zur böttel ... ich meine: zur böttcherstrasse gehen. hier entlang!“

dort angekommen, bat karl puffenstedt um gehör.

„das alles hier sieht sehr alt aus. dabei wurden die häuser erst vor 80 jahren gebaut ...“

„ ... wie alt wurde eigentlich oma?“, unterbrach ihn wilfried.

„wir hatten - das müsstest du eigentlich wissen - gerade ihren 79. geburtstag gefeiert, als der trauerfall über die familie kam.“ gerda puffenstedt war stolz auf diese formulierung, denn den meisten familien geschieht ein trauerfall - doch bei familie puffenstedt kam er über sie.

wilfried erinnerte sich: „oma sah wirklich schon sehr alt aus, dabei war sie erst 79.“

„aber 79 ist doch sehr alt!“, rief irma.

„pappa ist anderer meinung!“

„ich habe nicht mit einer silbe von oma gesprochen, sondern von den häusern in der böttcherstrasse, die uns sehr alt vorkommen ... aber oma sah mit ihren 79 jahren wirklich wie neu aus - oder was meinst du, gerda? “ karl puffenstedt sah seine frau erst verwirrt und dann beleidigt an.

„dabei sind die häuser nur ein jahr älter als oma!“ grinste wilfried.

karl puffenstedt überlegte, warum häuser länger stehen als menschen. er war aber zu konfus, um darauf eine antwort zu finden. deswegen kehrte er lieber auf sicheres terrain - und zu seinem eigentlichen thema zurück.

„gebaut wurde die böttcherstrasse von ludwig roselius. der hatte mit kaffee HAG ein vermögen verdient. er liess alle alten gebäude abreissen und ...“

irma unterbrach ihn. „... was ist kaffee HAG?“

„ein entcoffeinierter kaffee, mein herzchen!“ gerda freute sich, etwas zur geschichte der böttcherstrasse beitragen zu können.“

„und was ist ein entkofferter kaffee?“ irma liess nicht locker.

karl puffenstedt erklärte es ihr: „das ist so ähnlich wie vanille-eis ... ohne vanille.“

„oder schokoladenkuchen ohne schokolade!“ ergänzte gerda puffenstedt.

„ich verstehe das nicht!“ irma fasste sich an den kopf. „wenn überhaupt keine schokolade im kaffee HAG ist, kann man ihn doch auch nicht so nennen.“

karl puffenstedt strich seiner tochter übers haar. „ach, irma - ich glaube, dieser ludwig roselius hat es selbst nicht so genau gewusst. aber wir haben ja seine böttcherstrasse ... und die sehen wir uns jetzt an!“

sie gingen einige schritte, bis sich die gasse zu einem kleinen platz erweiterte. dort stand ein hohes haus mit einem treppengiebel und vielen fenstern. neben der tür war ein schild angebracht: „ludwig-roselius-haus“.

„hier wohnt der mann, der den schokoladenkuchen ohne schokolade erfunden hat“, rief wilfried. karl puffenstedt schüttelte den kopf. „dieser entcoffeinierte roselius ist schon lange tot!“

„wie oma - fast neu - mit 79!“ flüsterte irma.

nur wenig entfernt lag das „haus des glockenspiels“ - so genannt, weil in seinem giebel zu jeder vollen stunde viele glocken ein lied spielen. karl puffenstedt sah auf die uhr, rief: „es geht gleich los!“ und mischte sich unter die touristen, die im halbkreis vor dem haus standen, ihre hälse reckten und auf das noch stumme glockenspiel starrten. karl puffenstedt sah sich um und war überrascht, schon wieder unter die chinesen geraten zu sein. ihr reiseleiter sprach jedoch kein deutsch, wie er es am vormittag beim märchen von den stadtmusikanten getan hatte, sondern erklärte den chinesen das glockenspiel - zum bedauern von karl puffenstedt - auf chinesisch!

er konnte noch so angestrengt hinhören - und verstand doch kein wort. er musste darum, als irma ihn fragte, welches musikstück die glocken spielen, antworten:

„ich glaube ... „an der schönen blauen donau“!“

„aber bremen liegt doch gar nicht an der donau.“

„du hast recht, irma! aber wie sollen das die glocken dort oben wissen?“

als das glockenspiel verklungen war, setzten die puffenstedts ihre besichtigung fort und gingen bis zum ende der böttcherstrasse. dort standen rechts das „robinson-cruseo-haus“ und links das „haus atlantis“. karl puffenstedt wollte schnell daran vorbei gehen, denn er sah fragen auf sich zukommen, die er fürchtete ...

„es muss aber doch „haus atlantik“ heissen - und nicht „atlantis“. hier stimmt etwas nicht. was meinst du, karl?“ gerda puffenstedt sah erst aufs schild, das an der hauswand angebracht war, und dann zu ihrem mann.

„aber gerda! dieses haus hat mit dem atlantik doch gar nichts zu tun ...“

... mit was dann?“

karl puffenstedt begann zu schwitzen. was oder wer war „atlantis“? seine freunde im kegelclub nannten ihn in jedoch nicht umsonst „den meister der improvisation“und wussten um sein talent. deswegen stellte er wilfried sogleich eine frage:

„sage mir einmal die mehrzahl von atlas!“

wilfried musste nicht lange nachdenken: „atlasse!“

„das, mein lieber wilfried ist falsch, ganz falsch. die mehrzahl von atlas ist ... atlantis!“

„ach so!“ gerda puffenstedt seufzte und schien erleichtert. „dann bewahren sie in diesem haus wahrscheinlich ganz viele atlasse auf!“

karl puffenstedt nickte: „genau so ist es!“

er konnte sich jedoch nicht lange über sein talent freuen, denn schon erreichte ihn die nächste tückische frage.

„ was hat denn robinson cruseo mit bremen zu tun?“ wilfried stand vor dem gegenüber liegenden haus und hatte die dazu gehörige tafel entdeckt.

karl puffenstedt räusperte sich. er wollte zeit gewinnen, hoffte, dass ein anderer die antwort wüsste. aber wer? vielleicht der chinesische reiseleiter? er konnte weit und breit keinen chinesen erkennen.

„was ist denn nun mit diesem robinson?“ wilfried wartete ungeduldig auf eine antwort.

„das verstehe ich auch nicht. „robinson cruseo“ ist doch kein haus, sondern ein kinderbuch!“ gerda puffenstedt war zu wilfried getreten und berührte mit ihrer nase fast die tafel (ihre kurzsichtigkeit), um die inschrift zu lesen.

karl puffenstedt dachte angestrengt nach. er kannte alle bücher von karl may - aber von robinson cruseo hatte er nie etwas gelesen. es hämmerte nur so in seinem kopf: bremen - robinson - bremen - robinson.

aber er wäre nicht karl puffenstedt, wenn er auf eine frage keine antwort wüsste. „meine lieben - es ist ganz einfach. robinson war ein angestellter von diesem roselius, der den kaffee ohne kaffee erfand. dieser robinson war so tüchtig, dass man ihm das haus schenkte, vor dem ihr gerade steht. hier hat er sein schönes kinderbuch geschrieben.“

„und wie ist er auf die einsame insel geraten?“ wollte wilfried wissen, denn er hatte - anders als sein vater - das buch gelesen. karl puffenstedt war erneut ratlos. eine insel? wo? er kannte das buch doch überhaupt nicht. „gut, dass du fragst, wilfried. fast hätte ich es vergessen. ich sagte euch doch, dass herr roselius im kaffee-handel tätig war. und deswegen machte robinson eines tages eine kaffeefahrt ...“

„ ... um kaffee ohne kaffee zu trinken?“ wollte irma wissen.

„genau so! aber dann trieb ein sturm das kleine schiff aus der weser hinaus aufs meer ... den rest kennt ihr ja!“

gerda puffenstedt war stolz auf ihren mann: „wenn wir dich nicht hätten. auf jede - wirklich jede frage hast du eine antwort.“ sie hatte plötzlich kaffeedurst. aber ...

... wo war wilfried? sie konnten ihn nirgends entdecken. er musste sich heimlich fortgeschlichen haben. sie schlug vor, in richtung marktplatz zu gehen. „er wollte sich doch die schaufenster von karstadt anschauen!“

so weit mussten sie aber gar nicht gehen, denn wilfried kam ihnen schon bald entgegen.

„wo warst du denn?“ wollte gerda puffenstedt wissen.

„ich habe alle inschriften, die an den häusern angeschraubt sind, gelesen. das ist wirklich lustig. soetwas sollten wir auch haben: „haus puffenstedt“. hier gibt es auch noch ein „haus st. petrus“ und das „paula becker-modersohn-haus“ ...

... pappa, kannst du mir mal sagen, wer paula becker modersohn war?“

karl puffenstedt schnappte entsetzt nach luft und griff sich an den plötzlich viel zu engen hemdkragen.

irma aber legte den kopf schief und rief: „was für ein komischer name! warte nur ...

... pappa puffenstedt weiss alles!“

V.

Es ging schon auf den späten nachmittag zu und familie puffenstedt sass erschöpft auf einer bank unter den rathausarkaden, um ein paar minuten auszuruhen. karl puffenstedt blätterte in der broschüre, die man ihm vor tagen im reisebüro mit den worten : „viel vergnügen bei ihrem besuch in bremen“ überreicht hatte.

wenn die wüssten ... ! dachte karl puffenstedt.

gerda puffenstedt sah ihm neugierig über die schulter. „ich schlage vor, wir beenden die besichtigung, gehen gemütlich eine tasse kaffee trinken und machen uns danach auf den heimweg. was meinst du, karl?“

„das geht nicht, gerda! schaue dir doch den prospekt an. wir haben gerade einmal die seiten 1 bis 15 der besichtigung geschafft - die broschüre aber hat 26 seiten. das heisst, 11 seiten müssen noch abgearbeitet werden ... nein, 10 ... das inhaltsverzeichnis zählt nicht!“

„reisse die 10 seiten doch einfach raus!“ schlug wilfried vor. irma aber, die sich schon wieder ihre schmerzenden oberschenkel massierte, meinte: „hätten wir den reiseführer bei seite 26 begonnen und uns dann rückwärts bis seite 16 vorgearbeitet, wären wir mit bremen längst durch!“

„dann würden uns aber immer noch die seiten 1 bis 15 fehlen“, gab winfried zu bedenken. irma lachte ihn aus: „ha, ha! hörst du eigentlich niemals zu? hat pappa nicht eben gesagt, dass wir die seiten 1 bis 15 bereits geschafft haben?“

karl puffenstedt blätterte unschlüssig in der broschüre. „ich denke, den rhododendron-park können wir uns sparen ...“

„ ... was ist rodendron?“ fragte wilma.

„ein küchengewürz, glaube ich“, antwortete gerda, die ausser salz und pfeffer keine gewürze in ihrer küche duldete.

„ ... dann wäre da noch das übersee-museum.“

gerda winkte ab. „dazu reicht die zeit nicht. allein die überfahrt dauert schon ... na, mindestens fünf tage!“

„aber die kunsthalle müssten wir doch ...“ weiter kam karl puffenstedt nicht, denn gerda puffenstedt wusste es schon wieder besser: „ ... die brauchen wir auch nicht. der picasso-druck in unserem wohnzimmer ist kunst genug. nach picasso kam sowieso nichts mehr!“

„er müsste nur einen neuen rahmen haben!“ gab karl puffenstedt zu bedenken. „ach, was!“ gerda puffenstedt schüttelte den kopf. „für picasso reicht der alte!“

„dann bleibt in der broschüre wirklich nur noch das schnoor-viertel auf seite 25 übrig.“ karl puffenstedt steckte die broschüre in die hosentasche.

„wie gut, dass es nur ein viertel und kein ganzes ist. das haben wir schnell erledigt!“ rief irma.

die puffenstedts brauchten nicht weit zu gehen, sondern mussten nur die strassenbahnschienen auf der domshaide überqueren. von dort führte eine treppe hinunter in den schnoor, das älteste quartier bremens. karl puffenstedt lief zielstrebig zu einem orientierungsplan, der am eingang zum schnoor aufgestellt war. er fuhr mit dem zeigefinger über das gewirr der kleinen gassen und fragte:

„zur „marterburg“ - oder zur „wüsten stätte“?“

gerda puffenstedt sah ihren mann ungläubig an. „was erzählst du denn da? ist das hier eine geisterbahn?“

irma schüttelte sich: „ich gehe da nicht rein. das ist mir zu unheimlich!“

winfried aber rief: „oh, fein. das hört sich gruselig an.“

gerda puffenstedts entschluss stand fest: „die männer werden allein gehen. irma ist noch viel zu klein für so viel aufregung - und meine schwachen nerven halten das auch nicht durch. wir trinken inzwischen eine tasse kaffee. karl, sieh nach, wo es hier in der nähe ein nettes café gibt!“

karl puffenstedt zog die broschüre aus der hosentasche und blätterte darin. „hier ist eines - das ... „katzencafé“!“

„jetzt reicht es mir!“ gerda war empört. „entweder ist dieser komische schnoor ein ganz schrecklicher ort - oder du willst dich über uns lustig machen. meinst du im ernst, dass ich mich mit irma zu irgendwelchen katzen setze, um einen kaffee zu trinken?“

„ich hasse katzen und trinke nur kakao!“ rief irma.

karl puffenstedt zerriss wütend die broschüre. „macht doch, was ihr wollt! es muss für die damen wohl erst noch ein café erfunden werden, wo sie ohne katzen kaffee trinken können!“

„gibt es in der marterburg auch marterpfähle?“ wollte wilfried wissen.

„selbstverständlich!“ karl puffenstedts war kurz davor, die nerven zu verlieren. seine stimme wurde schrill und überschlug sich: „wenn die indianer nicht gerade in bad segeberg auftreten, skalpieren sie in bremen die besucher!“

„aber nur in der „wüsten stätte“!“ ergänzte wilfried.

gerda puffenstedt nahm aus ihrer handtasche ein erfrischungstuch und rieb sich damit das gesicht ab. „wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nie nach bremen gefahren. hier macht man sich über touristen ja doch nur lustig.“

es bedurfte einiger überredungskunst von karl puffenstedt, bis gerda und irma es wagten, doch noch in den schnoor zu gehen. sie liefen durch schmale gassen und kamen an niedrigen häusern vorbei, in denen früher die fischer und handwerker wohnten und heute künstler leben - in denen aber auch geschäfte untergebracht sind, die andenken und allerlei anderes verkaufen, das keiner wirklich braucht.

„eigentlich ist es hier ganz gemütlich, fast so, als würde man in eine geisterbahn hinein gehen und ... äh ... sich in einem flohzirkus wieder finden!“ stellte gerda puffenstedt überrascht fest. „warum „flohzirkus?“, fragte karl puffenstedt. „ich weiss es nicht ... vielleicht weil hier alles so klein ist ... wie in einer puppenstube.“

„wenn nur nicht die indianer wären, die hinter jeder ecke lauern, um die flöhe in der puppenstube zu skalpieren“, grinste wilfried.

„nicht hinter jeder ecke - nur an der „wüsten stätte“, kicherte karl puffenstedt, der seine blanken nerven schon wieder vergessen hatte - auch weil er nicht befürchten musste, im schnoor mit tückischen fragen konfrontiert zu werden, die er nicht beantworten konnte. hier war alles - fraglos - klein, übersichtlich, beschaulich und gemütlich. „wirklich wie in einem flohzirkus - gerda, du hast recht!“

irma blieb vor einem strassenschild stehen, das in eine besonders enge gasse wies. sie las laut vor:

„spiekerbartstrasse“!

bevor karl puffenstedt gefahr lief, erneut ins schwitzen zu geraten, rief er hastig: „jetzt fragt mich nicht, was ein spiekerbart ist. das kann euch viel besser mein friseur erklären. also wartet, bis wir wieder zu hause sind.“

„aber wie soll denn dein friseur das wissen?“ gerda puffenstedt war erstaunt. „du hast mir doch erzählt, dass er türke ist!“

karl puffenstedt steuerte - er spürte es auf beklemmende weise an der aufsteigenden hitze - schon wieder auf eine falle zu. „richtig ... er kommt, um es genau zu sagen, aus istanbul. aber warum sollte ein türke nicht darüber im bilde sein, was ein spiekerbart ist? soetwas tragen dort doch alle - ich habe es selbst gesehen!“

„aber karl, du warst noch nie in istanbul!“

„aber bei meinem friseur - und da halten sich immer viele istanbulis auf ....“

„... na, klar! sie lassen sich ihre spiekerbärte stutzen und blättern dabei in atlantis“, grinste wilfried.

es wurde schon dunkel, als familie puffenstedt ins auto stieg, um bremen zu verlassen. als karl puffenstedt auf die autobahn abbog, fragte gerda puffenstedt plötzlich:

„sagt einmal: stand nun der hund auf dem esel - oder der esel auf dem hund?“


ENDE


copyright: r.d. venzlaff (august/september 2006)

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Tag der Veröffentlichung: 17.10.2008

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